Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das berufungsgerichtliche Urteil wird aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Gericht zweiter Instanz zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung
Die Beklagte ist bücherliche Alleineigentümerin der Liegenschaft EZ 258 KG S*****, zu deren Gutsbestand das Grundstück 54/5 gehört. Dieses grenzt an das Grundstück 755/1 Wörthersee, das als öffentliches Wassergut im Eigentum der klagenden Partei steht. In einem über Antrag der Beklagten durchgeführten Grenzberichtigungsverfahren wurde die Grenze zwischen den Grundstücken nach dem letzten ruhigen Besitzstand entlang der Nutzungsgrenze, wie sie im Lageplan AS 7 strichliert als Verbindung der Punkte 503, 1, 2, 3, 4 und 1010 dargestellt ist, festgesetzt.
Mit der vorliegenden Klage macht die klagende Partei fristgerecht ihr "besseres Recht" im streitigen Verfahren geltend. Sie begehrt die Feststellung, Eigentümerin der im Lageplan AS 7 schraffiert dargestellten Fläche zu sein, und die Verurteilung der Beklagten, ihr diese Fläche des öffentlichen Wassergutes geräumt von allen Fahrnissen zu übergeben. Die Verlandung der strittigen Fläche sei im wesentlichen auf Regulierungsmaßnahmen in den Jahren 1885 und 1953, durch die der Wasserstand des Wörthersees um mindestens 0,5 m gesenkt worden sei, zurückzuführen. Der starke Schilfbewuchs im flachen Uferbereich und die Bildung von Schwemmland hätten die Verlandung begünstigt. Die Beklagte bzw deren Rechtsvorgänger hätten die verlandete Fläche, eine ursprüngliche Sumpfzone, aufgeschüttet und durch Bekiesung befestigt. Der regelmäßig wiederkehrende ordentliche höchste Wasserstand reiche bis zu der von der klagenden Partei behaupteten Eigentumsgrenze.
Die Beklagte wendete ein, daß die im Grenzberichtigungsverfahren festgesetzte Grenze seit unvordenklicher Zeit, jedenfalls aber schon seit einer Zeit vor dem Jahre 1894, die tatsächliche Natur- und Nutzungsgrenze bilde. Eine Anhebung des Grundstücks im Verhältnis zur Seeoberfläche sei nie erfolgt. Die Rechtsvorgänger der Beklagten hätten schon vor dem Jahre 1894 an der strittigen Fläche echten Besitz erworben, sie seien als redliche Besitzer anzusehen, und sei demnach das Eigentum jedenfalls ersessen worden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Aufgrund durchschnittlicher Niederschlagstätigkeit fänden keine Überflutungen der in Streit gezogenen Fläche statt, der regelmäßig wiederkehrende ordentliche höchste Wasserstand des Wörthersees reiche nicht bis zu der von der klagenden Partei behaupteten Eigentumsgrenze. Die derzeitige Uferlinie entsprechend dem üblichen Wasserstand. Die Rechtsvorgänger der Beklagten hätten bereits seit 1885 die strittige Fläche ohne jegliche Beanstandung genutzt; zufolge deren Ersitzung vor Inkrafttreten des Wasserrechtsgesetzes (1.11.1934) habe die klagende Partei ihr Eigentum an dieser Fläche jedenfalls verloren.
Das Gericht zweiter Instanz bestätigte dieses Urteil in der Hauptsache und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes zwar S 50.000 übersteige, die ordentliche Revision indessen nicht zulässig sei. Es führte aus, die streitverfangene Grundfläche sei öffentliches Wassergut im Sinne des § 4 WRG. Die Beklagte könne demnach nur dann Eigentümerin der verlandeten Fläche sein, wenn die Ersitzung ihres Eigentums daran bereits vor dem Inkrafttreten des Wasserrechtsgesetzes 1934 vollendet gewesen sei. Die Beweislast für das Vorliegen der Ersitzungsvoraussetzungen treffe die Beklagte. 1885 sei der Wasserspiegel des Wörthersees um 48 cm abgesenkt worden, was im Bereich der streitverfangenen Grundfläche zu Verlandungen geführt habe. Es sei dem ersten Anschein nach als erwiesen anzunehmen, daß die Rechtsvorgänger der Beklagten den Grundstreifen bereits seit 1885 genutzt haben. Der klagenden Partei sei es nicht gelungen, zur Entkräftung des Anscheinsbeweises die ernstliche Möglichkeit eines anderen als des zur Verlandung festgestellten Sachverhalts unter Beweis zu stellen. Die Ersitzung des von der klagenden Partei beanspruchten Grundstücksteils sei demnach bereits vor dem 1.11.1934, dem Tag des Inkrafttretens des Wasserrechtsgesetzes 1934, abgeschlossen gewesen, sodaß die Republik Österreich bereits damals das Eigentum verloren habe.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei ist zulässig und berechtigt.
Vorweg ist allerdings den ungebührlichen Ausführungen der Beklagten in deren Revisionsbeantwortung entgegenzutreten, sie erblicke aufgrund eines "gewissen Naheverhältnisses" zwischen der klagenden Partei und der "Entscheidungsbehörde" eine "gewisse Befangenheit" - gemeint wohl: des erkennenden Senats -, weil dieser ihr gemäß § 508 a Abs 2 ZPO die Beantwortung der (außerordentlichen) Revision freigestellt hat. Die völlig unkorrekte, in nichts begründete polemische Äußerung der Beklagten wird allein schon durch die - übrigens von ihr selbst teilweise vorgelegte - Besprechung der SZ 66/I durch Hans Pfersmann in ÖJZ 1995, 734, 740, widerlegt, der dort ausführt, der Oberste Gerichtshof habe - in dem vorliegenden Fall vergleichbaren Verfahren - den Betroffenen "helfen können", der erkennende Senat habe der klagenden Partei dort einen "Riegel vorgeschoben". Die völlig aus der Luft gegriffene Unterstellung der Beklagten ist mit aller Schärfe zurückzuweisen.
Das Erstgericht hat - lediglich aus der Tatsache, daß der strittige Uferstreifen 1885 durch eine Absenkung des Seespiegels um 48 cm verlandet sei, - im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung (S 18 f) - arg. "das bedeutet" - den Schluß gezogen, daß die Rechtsvorgänger der Beklagten den streitverfangenen Grundstücksteil seit 1885 "ohne jegliche Beanstandung" - in einer der in § 312 ABGB beispielsweise aufgezählten Art unangefochten - genutzt hätten. Diese von der klagenden Partei bekämpfte Feststellung übernahm das Berufungsgericht als unbedenklich, habe der Erstrichter doch "unter den weiteren Aspekten der ungehinderten Nutzung der streitgegenständlichen Fläche und der Nichtaufschüttung derselben durch die Rechtsvorgänger der Beklagten es wenigstens prima facie als erwiesen erachtet, daß diese bereits seit 1885 ... den strittigen Uferstreifen genutzt haben" (S 8 f). Gegen die Zulässigkeit des Anscheinsbeweises im Zusammenhang mit der Ausübung des Ersitzungsbesitzes an den streitverfangenen Flächen durch die Rechtsvorgänger der Beklagten wendet sich die klagende Partei zu Recht:
Ob ein materiellrechtlicher Tatbestand vorliegt, der die mit dem Anscheinsbeweis verknüpfte Beweismaßreduzierung rechtfertigt, ist nicht - wie die Beklagte meint - eine Frrage der in dritter Instanz unüberprüfbaren Beweiswürdigung der Vorinstanzen, sondern rechtliche Beurteilung (SZ 57/20 uva; Fasching, LB2 Rz 897; Rechberger in Rechberger, ZPO, vor § 266 Rz 22). Dabei fällt auf, daß erstmals das Gericht zweiter Instanz Grundsätze des Anscheinsbeweises in diesem Zusammenhang ins Spiel brachte. Daß die strittige Grundfläche durch die Absenkung des Seespiegels im Jahre 1885 verlandete und keine Aufschüttung erfolgte, hat nach dem typischen Geschehensablauf für sich allein noch nicht zur Folge, daß die Rechtsvorgänger der Beklagten diesen Uferstreifen in einer den Ersitzungsbesitz einleitenden Art in Nutzung genommen haben; es liegt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kein materiallrechtlicher Tatbestand vor, der den Anscheinsbeweis als zulässig erscheinen ließe. Der Prima-facie-Beweis ist eine (auflösend bedingte) Verschiebung des Beweisthemas von der tatbestandsmäßig geforderten Tatsache auf eine leichter erweisliche Tatsache, die mit jener in einem typischen Erfahrungszusammenhang steht. Seine wichtigsten Anwendungsgebiete liegen im Schadenersatzrecht, wo formelhafte, typische Kausalabläufe bestehen (Kausalzusammenhang) oder typische Verhaltensweisen stets gleichartige und zuverlässige Schlüsse auf bestimmte innere Zustände eines Menschen zulassen (Verschulden). Der Anscheinsbeweis ist aber stets ausgeschlossen, wenn der Kausalablauf durch den individuellen Willensentschluß eines Menschen bestimmt werden kann (SZ 65/132, SZ 57/20 ua; Fasching aaO Rz 894). Gerade die Inbesitznahme bzw die Aufnahme der Nutzung eines soeben verlandeten Grundstreifens durch den Anrainer ist aber ein Geschehensablauf, der durch einen solchen individuellen Willensentschluß veranlaßt wird; das Berufungsgericht hat demnach den Prima-facie-Beweis zu Unrecht als zulässig erachtet. Daher mußte die klagende Partei auch nicht die ernstliche Möglichkeit eines "atypischen Ablaufs des Geschehens" aufzeigen; es obliegt vielmehr allein der Beklagten, die sich auf die Ersitzung des Eigentums an dem umstrittenen Uferstreifen beruft, der Beweis, daß sie bzw ihre Rechtsvorgänger die Fläche in einer für die Ersitzung geeigneten Weise entsprechend lang vor dem Inkrafttreten des Wasserrechtsgesetzes 1934 genutzt haben. Zu beachten ist dabei auch, daß die Ersitzung an öffentlichem Gut nur dann erfolgen kann, wenn die Nutzung außerhalb des Gemeingebrauchs liegt (SZ 66/11; Schubert in Rummel, ABGB2 § 1460 Rz 4 mwN). Infolge unrichtiger Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises hat das Berufungsgericht somit die Beweisrüge der klagenden Partei - jedenfalls soweit, als es die Feststellungen des Erstgerichts über die Nutzung des verlandeten Grundstreifens durch Rechtsvorgänger der Beklagten betrifft, - nicht erledigt. Das Berufungsverfahren ist insofern mangelhaft geblieben; das Gericht zweiter Instanz wird das im fortgesetzten Verfahren nachzuholen haben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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