OGH 1Ob41/95

OGH1Ob41/9530.1.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) H***** Limited, ***** Isle of Man, 2.) T*****, 3.) L*****Corporations, ***** 4.) X***** International, ***** alle vertreten durch Dr.Michael Czinglar, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen Freigabe gesperrter Wertpapierkonten (Streitwert 500.000 S), infolge „Revision“ (richtig Rekurses) der klagenden Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgerichts vom 22.Mai 1995, GZ 14 R 308/94-13, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Teilurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 6.Oktober 1994, GZ 32 Cg 32/93-8, aufgehoben und die Klage über das Hauptbegehren zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei jeweils ein Viertel der mit 21.375 S bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die klagenden Parteien - eine ist auf der Isle of Man (Großbritannien), drei sind in Panama domiziliert - eröffneten im Zeitraum von 1984 bis 1987 bei einer österr. Bank je ein Wertpapierkonto (Festgeldanlage von US-Dollar). Am 31.Oktober 1989 informierte die Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika das Direktorium der Österreichischen Nationalbank davon, daß im Rahmen einer Hausdurchsuchung eines vermuteten Wohnsitzes des kolumbianischen Staatsangehörigen Jose Gonzalo R***** (im folgenden Beschuldigter) diese vier Konten (mit Bankguthaben) betreffende Unterlagen vorgefunden worden seien. Die Österreichische Nationalbank verfügte daraufhin am 2.November 1989 gemäß § 20 DevG eine vorläufige Kontensperre bis zur Klärung der Herkunft der veranlagten Auslandsgelder. Der Untersuchungsrichter des Landesgerichts ordnete mit Beschluß vom 7.November 1989 in der Strafsache gegen den Beschuldigten die Sperre der vier Konten an, weil der Verdacht bestehe, daß der Beschuldigte eine internationale Organisation zur Herstellung und zum Vertrieb von Kokain leite und Gelder aus dessen Suchtgiftgeschäft auf die Konten geflossen seien. Nach dem Tod des Beschuldigten am 15.Dezember 1989 wurde das gegen ihn eingeleitete Strafverfahren eingestellt, die Kontosperren wurden aber nicht aufgehoben. Am 13.Februar 1990 richtete das Bundesgericht für das Verwaltungsgebiet Zentral-Florida, U.S.A., an die österreichischen Behörden ein Rechtshilfeersuchen, worin unter anderem ausgeführt wird, daß es sich „bei den Konten um Drogengelder“ des verstorbenen Verdächtigen handle. Bei einer Hausdurchsuchung auf einer Ranch in Kolumbien, in der er gewohnt haben dürfte, seien unter anderem auch Bankauszüge der genannten Konten gefunden worden.

Der Untersuchungsrichter des Landesgerichts wies den Antrag der klagenden Parteien vom 3.Dezember 1990, die vier beschlagnahmten Konten freizugeben, mit Beschluß vom 8.Februar 1991 mit der Begründung ab, daß gegen fünf weitere Beschuldigte - es handelt sich um in Ansehung der Konten zeichnungsberechtigte Personen - Vorerhebungen wegen des Verdachts nach § 12 SGG und § 164 StGB geführt würden. Die Ratskammer des Landesgerichts wies die dagegen erhobene Beschwerde der klagenden Parteien mit Beschluß vom 18.Mai 1991 ab, nachdem sie - als Folge dieser Beschwerde - am 24.April 1991 vier einstweilige Verfügungen gemäß § 144a StPO erlassen hatte, womit Guthaben von mehreren Millionen US-Dollar auf den vier Konten beschlagnahmt wurden. Die dagegen erhobenen Beschwerden der klagenden Parteien wies das Oberlandesgericht Wien mit Beschluß vom 15.Juli 1991 mangels Beschwerderechts als unzulässig zurück. In der Folge wurden weitere Anträge der klagenden Parteien auf Aufhebung der Kontosperren abgewiesen.

Nunmehr begehrten die klagenden Parteien von der Republik Österreich im Klageweg, die rechtswidrig erfolgte und aufrecht erhaltene Sperre der vier näher bezeichneten Konten aufzuheben und ihnen die freie Verfügung über die Konten einzuräumen, und trugen dazu im wesentlichen vor, sie seien Eigentümer der Konten; nicht gegen sie, sondern gegen andere - lediglich über die Konten verfügungsberechtigte - Personen würden Vorerhebungen gepflogen. Das Geld sei rechtmäßig nach Österreich zur Anlage gebracht worden, was auch von der Österreichischen Nationalbank überprüft worden sei. Die eingeleiteten Verfahren hätten keinen Hinweis dafür ergeben, daß den genannten Personen eine strafbare Handlung iS des § 12 SGG vorgeworfen werden könnte, oder daß es sich bei den in Rede stehenden Geldern um Drogengeld handle. Hilfsweise machten die klagenden Parteien aus dem Rechtsgrund der Amtshaftung jeweils einen im einzelnen bezifferten Zinsenverlust aus der Sperre ihrer Konten als Schadenersatz geltend.

Das Erstgericht wies mit Teilurteil das Hauptbegehren ab, weil Amtshaftungsansprüche nur auf Schadenersatzleistungen in Geld gestützt werden könnten und ein Begehren auf Aufhebung einer Kontosperre im Gesetz nicht vorgesehen sei.

Die zweite Instanz wies aus Anlaß der Berufung der klagenden Parteien die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Die Entscheidungsbefugnis über die gesperrten Konten liege ausschließlich beim Strafgericht.

Rechtliche Beurteilung

Die „Revision“ (richtig: der Rekurs) der klagenden Parteien ist nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig und schon zufolge § 521a Abs 1 Z 3 ZPO rechtzeitig (Kodek in Rechberger, § 519 ZPO Rz 3 mwN), aber nicht berechtigt.

Die Hinweise im Rechtsmittel auf Ausführungen in anderen Schriftsätzen und Rechtsmitteln sind unbeachtlich.

Für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs sind nach herrschender Auffassung in erster Linie der Wortlaut des Klagebegehrens und darüber hinaus der Klagssachverhalt (die Klagsbehauptungen) maßgebend. Es kommt auf die Natur, das Wesen des geltend gemachten Anspruchs an. Ist er privatrechtlicher Natur, haben darüber die Zivilgerichte - hier im streitigen Verfahren - zu entscheiden (SZ 64/57 = JBl 1992, 108; SZ 63/96 = JBl 1991, 514; SZ 62/108 uva, zuletzt 1 Ob 640/94 = RdW 1995, 386; Fasching I 62 f und Lehrbuch2 Rz 101; Mayr in Rechberger, vor § 1 JN Rz 6). Die klagenden Parteien stützen ihr Hauptbegehren auf Freigabe der vier Konten nicht auf Amtshaftung, sondern auf ihr Eigentumsrecht, das durch einstweilige Verfügungen der Ratskammer des zuständigen Strafgerichts nach § 144a StPO rechtswidrig beschränkt worden sei.

Die Einführung einer Abschöpfung der Bereicherung (§ 20a StGB) durch das StRÄG 1987, BGBl 1987/605, machte auch eine Provisorialmaßnahme notwendig, um die Vollstreckung dieser neuen Nebenstrafe zu sichern, zumal anders als bei einer Geldstrafe keine Ersatzfreiheitsstrafe vorgesehen ist. Dem Vorbild der §§ 207a, 233 FinStrG entsprechend wird nach § 144a StPO der Ratskammer die Erlassung einer einstweiligen Verfügung aufgetragen, wenn zu befürchten ist, daß die Einbringung des (der Höhe nach nicht notwendig feststehenden) voraussichtlich im Urteil festzulegenden Abschöpfungsbetrags gefährdet oder wesentlich erschwert werden würde. Es können dabei die Sicherungsmittel nach § 379 Abs 3 EO ergriffen werden, ohne daß die dort genannten Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen wären. Diese ergeben sich vielmehr ausschließlich aus § 144a StPO (Foregger/Kodek, Die österr. Strafprozeßordnung6 § 144a StPO Erl 1; Mayerhofer/Rieder, Strafprozessordnung3 § 144a StPO Anm 2). Derartige einstweilige Verfügungen sehen insbesondere ein Drittverbot (§ 379 Abs 3 Z 3 EO) in Form einer hoheitlich ausgesprochenen Kontosperre vor. Da ein Konto rechtlich nichts anderes als eine Geldforderung des Kontoinhabers gegen die Bank ist, besteht daher die „Sperre“ rechtlich im Verbot an die Bank, an den jeweiligen Kontoinhaber zu leisten (Fuchs, Gewinnabschöpfgung und Geldwäscherei in ÖJZ 1990, 544 ff, 546 und FN 17 ff; vgl auch Avancini/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht I Rz 4/211).

Der erkennende Senat hat bereits in seiner Entscheidung SZ 67/110 ausgesprochen, es komme dem Beschuldigten bzw dem Eigentümer des durch eine strafbare Handlung eines leitenden Angestellten unrechtmäßig bereicherten Unternehmens (§ 20a Abs 1 und 3 StGB) in Ansehung der Wirkung einer gemäß § 144a StPO erlassenen einstweiligen Verfügung jene Rechtsstellung zu, von der bei gemäß § 379 EO bewilligten einstweiligen Verfügungen der Gegner der gefährdeten Partei betroffen ist. Wenn daher auch mit der einstweiligen Verfügung der Erwerb eines Pfandrechts (des Bundes zur Sicherung der Abschöpfung) nicht verbunden sei, könnten andere Gläubiger doch darauf nicht exequieren, weil das Gericht, das die einstweilige Verfügung erlassen habe, als Drittdetentor die Herausgabe ablehnen müsse (§ 262 EO). Wohl stehe aber dem Gegner der gefährdeten Partei (bzw Beschuldigten bzw Eigentümer des bereicherten Unternehmens) dem Gericht gegenüber ein Ausfolgungsanspruch zu, der auch gepfändet und zur Einziehung überwiesen werden könne. Damit erwerbe der betreibende Gläubiger zwar ein Pfandrecht am Ausfolgungsanspruch, eine Verwertung sei jedoch erst nach Aufhebung der einstweiligen Verfügung (§ 144a Abs 4 StPO) möglich. Jenen Personen, die von der einstweiligen Verfügung betroffen seien, sei vom Strafgericht die Herausgabe der hinterlegten Beträge für die Dauer der Wirksamkeit dieser Verfügung zu verweigern, selbst wenn bewiesen werden könnte, daß die hinterlegten Vermögenswerte (noch) in deren Eigentum stünden. Daß während der Wirksamkeit der einstweiligen Verfügung eine Ausfolgung nicht in Frage kommt, hat auch im vorliegenden Fall zu gelten, in denen Kontoinhaber die „Ausfolgung“ durch Aufhebung der strafgerichtlichen Kontosperre anstreben. Dem entspricht auch, daß nach der gleichfalls durch das StRÄG 1987 eingeführten Bestimmung des § 373b StPO der Geschädigte unbeschadet des § 373a StPO das Recht hat, zu verlangen, daß seine Ansprüche aus dem vom Bund vereinnahmten Geldbetrag befriedigt werden, sofern im Falle einer Abschöpfung der Bereicherung nach § 20a StGB dem durch die strafbare Handlung Geschädigten eine Entschädigung zwar rechtskräftig zuerkannt, aber noch nicht geleistet worden ist. Da ein solcher Anspruch voraussetzt, daß das Strafgericht bereits auf Abschöpfung der unrechtmäßigen Bereicherung nach § 20a StGB erkannt und der Bund den Geldbetrag vereinnahmt hat, kann somit vorher über die Ausfolgung nicht erkannt werden und der Geschädigte den Anspruch auf eine Entschädigung nach dem Vorbild einer bereits verfallenen Haftkaution (§ 191 Abs 3 StPO) im Zivilrechtsweg erst danach durchsetzen (SZ 67/110 mwN unter Hinweis auf den JAB, 359 Blg 17. GP, 48). Dem entspricht auch die Rechtsprechung (JBl 1964, 266; SZ 24/97), nach Aufhebung der Beschlagnahme könne ein auf den Titel des Eigentums gestützter Anspruch gegenüber dem Bund im Zivilrechtsweg durchgesetzt werden.

Der erkennende Senat hat zuletzt in seiner Entscheidung 1 Ob 32/95 deutlich gemacht, daß die Wirksamkeit von Hoheitsakten nach den für die dafür zuständigen Organe maßgeblichen, stets dem öffentlichen Recht zuzurechnenden Verfahrensgesetzen zu beurteilen sei, deren Bestimmungen allein für das Zustandekommen, die Abänderung und die Aufhebung von Hoheitsakten ausschlaggebend seien: Deren Wirksamkeit könne ausschließlich im Rahmen und nach Maßgabe des dafür vorgesehenen verfahrensrechtlich formalisierten Rechtsmittelverfahrens überprüft und dann beseitigt werden, wenn das dazu berufene Organ gesetzlich umschriebene erhebliche Verfahrensfehler bzw die materielle Unrichtigkeit des bekämpften Hoheitsakts bejaht. Der Einflußnahme auf Gerichte stehe dagegen Art 87 Abs 1 B-VG entgegen, weil Richter in Ausübung ihres Amts unabhängig und damit jeglicher Weisung durch ein anderes Organ entrückt seien. Wohl könne durch gerichtliche Entscheidungen auf die richterliche Tätigkeit in bestimmter Weise eingewirkt werden, indem das verfahrensrechtlich auf zulässige Weise angerufene andere Gericht in kassatorischer Entscheidung dem vorinstanzlichen Richter eine Rechtsauffassung überbinde; das setze aber dessen im Gesetz umschriebene Zuständigkeit in dieser Sache und einen entsprechenden hoheitlichen Ausspruch wiederum weisungsfreier Richter voraus. Von dieser Auffassung abzugehen besteht kein Anlaß. Die von den klagenden Parteien begehrte Aufhebung der Kontosperren läuft inhaltlich auf eine, nach Art 87 Abs 1 B-VG unzulässige Weisung an das Strafgericht hinaus. Dem Zivilgericht ist es demnach versagt, die von der Ratskammer des Strafgerichts mit aufrechter einstweiliger Verfügung nach § 144a StPO angeordnete Kontosperre zufolge Klage des Kontoinhabers im Zivilrechtsweg zu beseitigen, sind doch für den Vollzug der Maßnahmen nach §§ 143 StPO und im besonderen nach § 144a StPO ausschließlich die insoweit hoheitlich handelnden Strafgerichte berufen.

Ob die Ratskammer des Strafgerichts die einstweiligen Verfügungen nach § 144a StPO zu Recht erlassen oder deren Aufhebung nach § 144a Abs 4 StPO abgelehnt hat, entzieht sich einer Beurteilung des hier insoweit gerade nicht als Amthaftungsgericht in Anspruch genommenen Zivilgerichts. Derzeit kann aus diesen Erwägungen der von den klagenden Parteien erhobene Anspruch im ordentlichen Rechtsweg nicht durchgesetzt werden.

Die klagenden Parteien sehen einen Verstoß gegen Art 6 MRK darin, daß ihnen im Strafverfahren keine Rechtsmittel eingeräumt seien. Selbst bei Bejahung eines solchen Verstoßes wäre der Zivilrechtsweg nicht eröffnet. Einem „Vorgehen des Strafgerichts, das Strafverfahren auf ewige Zeit weiterzulaufen zu lassen“, sind die klagenden Parteien keineswegs schutzlos ausgeliefert; stehen ihnen doch bei unvertretbarer Rechtsanwendung des Strafgerichts die Mittel des Amtshaftungsverfahrens offen. Zu einer Anfechtung der Bestimmungen des § 143 StPO bzw des § 144a StPO beim Verfassungsgerichtshof nach Art 140 B-VG als verfassungswidrig sieht sich der erkennende Senat mangels Präjudizialität nicht veranlaßt.

Dem Rekurs ist nicht Folge zu geben. Die Kostenentscheidung fußt auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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