OGH 2Ob78/94

OGH2Ob78/9425.1.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Henriette F*****, vertreten durch Dr.Karl Kuprian, Rechtsanwalt in Bad Ischl, wider die beklagten Parteien 1. Karl K*****, 2. Eva S*****, 3. Renatus K*****, alle vertreten durch Dr.Josef Raffl, Rechtsanwalt in Bad Ischl, wegen S 180.000 sA und Feststellung (S 25.000), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 27.September 1994, GZ 4 R 96/94-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 19.Jänner 1994, GZ 2 Cg 326/93f-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung

Die beklagten Parteien sind Miteigentümer der Liegenschaft EZ ***** Grundbuch Bad Ischl mit dem darauf errichteten Haus S*****platz Nr 4.

Mit der am 5.November 1993 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin S 180.000 Schmerzengeld und die Feststellung (S 25.000), daß die beklagten Parteien für alle künftigen Schäden aus dem klagsgegenständlichen Vorfall vom 8.12.1990 zur Gänze zur ungeteilten Hand haften, mit der Begründung, sie sei am 8.12.1990 in Bad Ischl vom S*****platz in Richtung W*****straße gegangen, wobei der Gehsteig vor dem Haus S*****platz 4 zu einem Drittel geräumt und gestreut gewesen sei. Etwa 1 m bis 1,5 m vor der Grundgrenze sei auf dem Gehsteig ein Christbaum aufgestellt gewesen, welcher die Fortsetzung des geräumten Weges gehindert habe. Um dem Christbaum auszuweichen, habe sie als Fußgängerin nach links auf den ungeräumten, mit einer Eisschicht bedeckten Teil des Gehsteigs gehen müssen und sei auf einem Eisbuckel zu Sturz gekommen, wobei sie sich einen Bruch des linken Oberschenkels zugezogen habe.

Die beklagten Parteien beantragten Klagsabweisung und wandten ein, der Gehsteig vor dem Haus S*****platz 4 sei ordnungsgemäß gereinigt und gestreut gewesen. Die Klägerin sei aus eigener Unvorsichtigkeit am Gehsteig vor dem Haus W*****straße Nr 2 gestürzt, wobei sich der Unfall um 20,00 Uhr, sohin außerhalb der durch Verordnung der Stadtgemeinde Bad Ischl auf die Zeit von 7,00 bis 19,00 Uhr eingeschränkten Schneeräum- und Streupflicht, ereignet habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und ging von folgenden Feststellungen aus:

Die Klägerin kam am 8.12.1990 gegen 20,00 Uhr in Bad Ischl am Gehsteig vor dem Hause S*****platz 4 oder W*****straße 2 zu Sturz.

Laut Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Bad Ischl vom 27.1.1984 haben die Eigentümer von Liegenschaften im Ortsgebiet von Bad Ischl dafür zu sorgen, daß die dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteige und Gehwege einschließlich der in deren Zuge befindlichen Stiegenanlagen entlang der ganzen Liegenschaft in der Zeit von 7,00 bis 19,00 Uhr von Schnee und Verunreinigungen gesäubert sowie bei Schnee und Glatteis gestreut sind. Die Liegenschaften S*****platz 4 und W*****straße 2 liegen innerhalb des in der Verordnung beschriebenen örtlichen Anwendungsbereiches.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht im wesentlichen aus, daß die Zeit, in der der Gehsteig gesäubert und gestreut sein müsse, durch Verordnung des Gemeinderates Bad Ischl vom 27.1.1984, zu deren Erlassung dieser durch § 93 Abs 4 StVO ermächtigt sei, auf 7,00 bis 19,00 Uhr eingeschränkt sei. Die Beklagten hätten für einen Sturz der Klägerin nicht zu haften, da sich dieser jedenfalls außerhalb dieses festgelegten Zeitraumes ereignet habe. Es sei nämlich in § 93 StVO nicht die Zeit festgelegt, in der Gehsteige und Gehwege gesäubert und gestreut werden, sondern sein müssen, weshalb sich die Klägerin nicht darauf berufen könne, daß der im Unfallszeitpunkt vorhandene Zustand der Gehsteigoberfläche bereits vor 19 Uhr vorhanden gewesen sei.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und führte in der rechtlichen Beurteilung aus, es bestehe keine Notwendigkeit für die Feststellung, ob der Zustand des Gehsteiges zwischen 19,00 Uhr und dem Unfallszeitpunkt verändert wurde, zumal § 93 Abs 1 StVO nicht auf das Verhalten des Liegenschaftseigentümers, sondern vielmehr auf den Erfolg dieses Verhaltens abstelle. § 93 Abs 1 StVO und die Verordnung des Gemeinderates Bad Ischl stellten Schutznormen gemäß § 1311 ABGB dar, deren Schutzzweck sich auf die Gefahren bei der Benützung vereister oder mit Schnee bedeckter Gehsteige innerhalb eines eingegrenzten Zeitraumes, nicht jedoch auf daran angrenzende Zeiträume erstrecke.

Die gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz erhobene Revision der Klägerin ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Klägerin vertritt in ihrem Rechtsmittel die Ansicht, der Zweck des § 93 Abs 1 StVO umfasse auch Unfälle außerhalb des vorgeschriebenen Zeitraums zur Räumung der Gehwege, wenn diese ursächlich (kausal) auf ungenügende und somit rechtswidrige Schneeräumung (oder Streuung) innerhalb des gesetz-(verordnungs-)mäßig festgelegten Zeitraumes zurückzuführen seien. Aus diesem Grund fehle die Feststellung der Vorinstanzen, ob sich am Zustand des geräumten Gehsteiges zwischen 19,00 und 20,00 Uhr etwas geändert habe.

Hiezu wurde erwogen:

Die Ausführungen der Klägerin bezüglich des Schutzzweckes des § 93 Abs 1 StVO sind zutreffend. Auch wenn der Sturz längere Zeit nach dem Ende der Streupflicht eingetreten ist, kann der Gestürzte grundsätzlich Schadenersatz begehren, falls der Unfall auf eine Verletzung der Räum- oder Streupflicht innerhalb des durch Gesetz (Verordnung) festgesetzten Zeitraumes zurückzuführen ist (12 Os 8-10/70 = ZVR 1970/197; BGH in VersR 1984, 40 mwN; Greger, Zivilrechtliche Haftung im Straßenverkehr2 Rz 457 zu § 16 dStVG). § 93 Abs 1 StVO hat nicht den Zweck, den Räumungspflichtigen durch zeitliche Begrenzung der Räumpflicht von der Haftung für sämtliche nach diesem Zeitpunkt auftretenden Auswirkungen einer Pflichtverletzung zu befreien, sondern, die Kontroll- und Aufsichtspflicht bezüglich des Zustandes des Gehsteigs auf ein zumutbares Maß zu reduzieren. § 93 Abs 1 StVO stellt auch auf ein bestimmtes Verhalten des Streupflichtigen ab, um den erwarteten Erfolg (sicherer Gehweg) zu gewährleisten. Gerade dieser Erfolg lag hier nach den Klagsbehauptungen im Unfallzeitpunkt nicht vor. Ob dieser Zustand des Gehsteiges auf eine Verletzung der den Beklagten obliegenden Räumpflicht vor 19h zurückzuführen ist, hat die Klägerin zu behaupten und zu beweisen (VersR 1984,40). Die den Beklagten vorgeworfene Unterlassung ist nämlich für den Unfall nur dann kausal, wenn pflichtgemäßes Handeln (bis 19h) den Unfall und Schaden verhindert hätte. Die Klagsbehauptung, der Gehsteig sei im Sturzbereich nicht vom Eis befreit gewesen und habe dort eine tückische holperige Eisschicht (Eisbuckel) aufgewiesen, deutet jedenfalls im Zusammenhang mit dem bloß eine Stunde nach dem Ende der Räumpflicht liegenden Unfallszeitpunkt auf eine ausreichende derartige Behauptung hin. Im fortgesetzten Verfahren wird der Klägerin Gelegenheit zu geben sein, zunächst einmal diese Voraussetzung ihres Anspruches zu beweisen.

Im Lichte dieser Darlegungen fehlen für eine abschließende rechtliche Beurteilung des vorliegenden Falles Feststellungen über die exakte Unfallsstelle, weiters über das Ausmaß und die Art der Räum- und Streutätigkeit der Beklagten bis 19h des Unfallstages, über die konkreten örtlichen Verhältnisse (Hindernis durch Christbaum; wann und von wem wurde dieser aufgestellt?), über die Wetterverhältnisse am 8.12.1990, insbesondere zwischen 19,00 und 20,00 Uhr (Niederschläge oder (glatt)eisbildende Änderung der Bodentemperatur in diesem Zeitraum könnten die Haftung der Beklagten ausschließen) und gegebenenfalls über die Verletzungsfolgen, welche das Erstgericht zu treffen haben wird.

Da die Urteile der Vorinstanzen infolge ihrer vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht an Feststellungsmängeln leiden, die eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst ausschließen, ist mit ihrer Aufhebung und Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht vorzugehen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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