OGH 10ObS1/96

OGH10ObS1/969.1.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Ehmayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Wolf (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Werner Fendrich (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Georg S*****, vertreten durch Mag.Martin Egger und andere, dieser vertreten durch Dr.Hans Pritz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. September 1995, GZ 9 Rs 64/95-53, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 13. Jänner 1995, GZ 25 Cgs 162/93h-49, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahren selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Beim Kläger besteht eine Überempfindlichkeitsreaktion auf Gerste und Roggen sowie auf Stoffe der Paramixgruppe. Es bestehen Ekzeme an den Extremitäten. Deren Verteilung und trockene Schuppung des Gesamtinteguents weisen klinisch auf eine Atopie (Allergieneigung) hin; dies wird durch die Ergebnisse der Laboruntersuchungen bestätigt. Die berufskausalen allergischen Reaktionen bestehen jedenfalls seit Antragstellung. Der Befund der Atemwege ist normal, es besteht kein Anhaltspunkt für ein beruflich bedingtes Asthma bronchiale. Bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt beträgt die Minderung der Erwerbsfähigkeit 10 vH. Unter dem Aspekt der Wiederaufnahme der schädigenden Erwerbstätigkeit (als Bäckermeister) beträgt die Minderung der Erwerbsfähigkeit 20 vH. Der Kläger ist von folgenden Berufstätigkeiten ausgeschlossen: Bäcker und Konditor, Herstellung von Farbstoffen, Färbung von Pelzen, Leder, Haaren, Textilien; Tätigkeiten mit photographischen Entwicklern;

Herstellungsverfahren in der Gummiindustrie; Kontakten mit Konservierungsmitteln, pharmazeutischen und kosmetischen Präparaten;

Limonaden- und Obstsaftherstellung.

Der Kläger ist Bäckermeister und betrieb einen Kleinhandel mit Nahrungs- und Genußmitteln sowie eine Bäckerei. Die diesbezüglichen Gewerbeberechtigungen legte er am 15.9.1987 zurück.

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 10.10.1990 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Entschädigung aus Anlaß der Erkrankung, die sich der Kläger nach seiner Meldung als selbständiger Bäckermeister zugezogen habe, ab; es liege keine entschädigungspflichtige Berufskrankheit vor.

Gegen diesen Beschluß erhob der Kläger Klage mit dem Begehren, die beklagte Partei aufgrund der Erkrankung, die er sich als selbständiger Bäckermeister in seinem Betrieb zugezogen habe, zur Leistung einer Entschädigung im gesetzlichen Ausmaß zu verpflichten.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger eine Versehrtenrente im Ausmaß von 20 vH der Vollrente für die Folgen der Berufskrankheit gemäß § 177 Anlage 1 Nr 19 ASVG zu leisten. Es liege eine Berufskrankheit im Sinne der zitierten Gesetzesstelle vor, die den Kläger zur Aufgabe der schädigenden Erwerbstätigkeit gezwungen habe. Nach der Judikatur sei bei Prüfung der MdE die Auswirkung der Wiederaufnahme der früheren Tätigkeit auf das - wenn auch nur latent vorhandene - Leiden zu prüfen. Gehe man aber von der Wiederaufnahme der früheren Tätigkeit aus, betrage die MdE 20 vH.

Das Berufungsgericht wies über Berufung der beklagten Partei das Klagebegehren ab. Unstrittig sei, daß der Kläger an einer Berufskrankheit im Sinne des § 177 ASVG gemäß lfdNr 19 der Anlage 1 zum ASVG (Hauterkrankungen, wenn und solange sie zur Aufgabe schädigender Tätigkeiten zwingen) leide. Anders als in sonstigen Fällen der gesetzlichen Unfallversicherung habe in diesem Falle eine Anknüpfung an die vom Versicherten zuvor ausgeübte Tätigkeit zu erfolgen. Wie der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung SSV-NF 2/104 ausgeführt und in SSV-NF 4/142 wiederholt habe, gelte dies aber nur insoweit, als die Aufgabe der früheren Tätigkeit überhaupt Voraussetzung für die Annerkennung der Hautkrankheit als Berufskrankheit sei und, wenn ein akuter Leidenszustand nicht bestehe, die Auswirkungen der Wiederaufnahme der früheren Tätigkeit auf das - wenn auch derzeit nur latent vorhandene - Leiden zu prüfen seien. Davon zu unterscheiden sei die Frage der Einschränkung der durch diese Berufskrankheit bewirkten Minderung der Erwerbsfähigkeit. Dies habe auch in diesem Fall abstrakt, also bezogen auf den gesamten Arbeitsmarkt zu erfolgen. Sei drei Monate nach Eintritt des Versicherungsfalles nur mehr eine latente Allergiebereitschaft vorgelegen, komme es bei der Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nur darauf an, von welchen Berufen der Versicherte durch diese latent verbliebene Krankheit ausgeschlossen sei. Es sei somit die Aufgabe der schädigenden Beschäftigung nur Voraussetzung für die Anerkennung der Hautkrankheit als Berufskrankheit; es komme nicht auf den durch die Folgen der Berufskrankheit bedingten konkreten Einkommensverlust an. Hier betrage die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt 10 vH. Diese festgestellte medizinische MdE bilde im allgemeinen auch die Grundlage für die rechtliche Einschätzung. Ungeachtet der Feststellung, daß unter dem Aspekt der Wiederaufnahme der schädigenden Erwerbstätigkeit die MdE 20 vH betrage, sei hier davon auszugehen, daß unter Berücksichtigung aller Berufe, von denen der Kläger aufgrund seiner Allergieneigung ausgeschlossen sei, die maßgebliche Minderung der Erwerbsfähigkeit nur 10 vH betrage.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß seinem Begehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Da die Begründung des Berufungsgerichtes zutreffend ist, ist auf diese Ausführungen zu verweisen (§ 48 ASGG):

Fest steht, daß beim Kläger eine Überempfindlichkeit gegen Gerste und Roggen sowie Stoffe der Paramix-Gruppe besteht. Aus diesem Grund mußte der Kläger auch seinen Beruf als Bäckermeister aufgeben und ist noch von einer Reihe anderer Berufe, die Kontakte mit den Allergenen mit sich bringen, ausgeschlossen. Ausgehend vom derzeitigen Zustand beträgt die MdE bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt 10 vH.

Der Kläger vertritt in der Revision die Ansicht, bei Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit sei von dem Zustand auszugehen, der bei Wiederaufnahme der früheren Erwerbstätigkeit vorläge und beruft sich dazu auf die Entscheidung SSV-NF 1/65; da mit der Aufnahme der Tätigkeit als Bäckermeister der Eintritt einer MdE von 20 vH verbunden wäre, seien die Voraussetzungen für die begehrte Leistung erfüllt.

Es trifft zu, daß der in der Revision zitierten Entscheidung SSV-NF 1/65 ein vergleichbarer Sachverhalt zugrundelag. Der 10.Senat des Obersten Gerichtshofes hat allerdings in seiner weiteren Rechtsprechung die Schlußfolgerung dieser Entscheidung des 9.Senates nicht aufrechterhalten. In den vom Berufungsgericht zitierten Entscheidungen SSV-NF 2/104 und 4/142 hat er sich mit der hier in Frage stehenden Problematik auseinandergesetzt. Danach ist im Fall einer Hautkrankheit zu klären, ob und in welchem Ausmaß der Versicherte durch die drei Monate nach Eintritt des Versicherungsfalles allenfalls noch vorhandene akute Krankheit, oder, falls bereits eine vollständige Abheilung erfolgt ist, auch durch die noch latent vorhandene Krankheit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert ist. Lag drei Monate nach Eintritt des Versicherungsfalles nur mehr eine latente Allergiebereitschaft vor, kommt es bei der Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit darauf an, von welchen Berufen der Rentenwerber durch die latent verbliebene Krankheit (also nicht in der zum Zeitpunkt der Berufsaufgabe ausgeprägt akuten Form) ausgeschlossen ist (SSV-NF 4/142).

Liegen drei Monate nach Eintritt des Versicherungsfalles noch akute Krankheitserscheinungen vor, die allerdings gegenüber der Zeit der Ausübung der schädigenden Tätigkeit gebessert sind, so ist dementsprechend bei Einschätzung der MdE von diesem aktuellen Zustand und nicht von dem vormals bestandenen schlechteren Zustand auszugehen. Die Aufgabe der schädigenden Erwerbstätigkeit ist die Voraussetzung für die Anerkennung einer Berufskrankheit. Es kann daher bei der Ermittlung der MdE nicht von einem Zustand ausgegangen werden, der sich bei Wiederaufnahme der schädigenden Tätigkeit einstellen würde, zumal der Versicherte von der Verrichtung dieser schädigender Tätigkeiten jedenfalls ausgeschlossen ist. Von welchen Berufen der Kläger augeschlossen ist, kann nur aufgrund des derzeit bestehenden Zustandes beurteilt werden. Der Umfang dieses Ausschlusses und der dadurch nicht zur Verfügung stehenden Erwerbschancen auf dem Arbeitsmarkt bildet aber das wesentliche Kriterium für die Beurteilung der MdE.

Fest steht, daß die derzeit bestehenden Folgen der Berufskrankheit eine MdE von 10 vH bedingen. Daß die MdE im Fall der Wiederaufnahme der früheren Erwerbstätigkeit 20 vH betragen würde, ist nicht entscheidend. Zutreffend hat daher das Berufungsgericht das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung einer Versehrtenrente verneint.

Weil das auf Versehrtenrente gerichtete Leistungsbegehren nach § 82 Abs 5 ASGG das Eventualbegehren auf Feststellung einschließt, daß die geltend gemachte Gesundheitsstörung Folge einer Berufskrankheit ist, hätte das das Leistungsbegehren abweisende Berufungsgericht über dieses Eventualbegehren entscheiden müssen. Daß die Sachanträge durch das berufungsgerichtliche Urteil nicht vollständig erledigt wurden, könnte jedoch nur aufgegriffen werden, wenn der Kläger diesen Mangel des Verfahren in der Revision geltend gemacht hätte. Da die Nichtentscheidung über das Eventualbegehren in der Revision jedoch nicht als Mangel des berufungsgerichtlichen Verfahrens gerügt wurde, kann dieser Verstoß des Berufungsgerichtes gegen die Verpflichtung zur vollständigen Erledigung der Sachanträge nicht wahrgenommen werden (idS auch SSV-NF 5/37, 93).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen Kostenersatzanspruch aus Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden weder geltend gemacht, noch ergeben sich Anhaltspunkte für das Vorliegen solcher Gründe aus der Aktenlage.

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