OGH 1Ob42/95

OGH1Ob42/9519.12.1995

1Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Wolf Werner K*****, wider die beklagte Partei Marktgemeinde P*****, vertreten durch Dr.Franz Nistelberger, Rechtsanwalt in Wien, wegen 93.000 S sA und Feststellung (Streitwert 10.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgerichts vom 26.Juni 1995, GZ 14 R 46/95-140, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 1.Dezember 1994, GZ 31 Cg 20/93-135, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Begründung

a) Der Hinweis in der Revisionsbeantwortung (ON 142 AS 106/II.Band), der Kläger sei nicht mehr berechtigt, (gemeint ohne anwaltliche Vertretung) die Revision zu erheben, weil er eingestandenermaßen aus der Liste der Rechtsanwälte gestrichen worden sei, geht fehl. Denn nach den Erhebungen des Revisionsgerichts hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 21.September 1995, Zl. B 2710/95-5, der Beschwerde des Klägers gegen den Bescheid der Obersten Berufungs-und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter vom 15.Mai 1995, womit die Streichung des Klägers aus der Liste der Rechtsanwälte angeordnet worden war, gemäß § 85 Abs 2 VerfGG 1953 aufschiebende Wirkung zuerkannt und in der Sache selbst noch nicht entschieden.

b) Das Amt der NÖ. Landesregierung stellte am 11.Juli 1977 bei der finanziellen und technischen Endüberprüfung einer von einem Weinbauverein mit Förderungsmitteln des Landes errichteten Güterweganlage - bestehend aus einem Ringweg und einem abzweigenden, letztlich bis zu einem Querweg verlängerten Stichweg - fest, daß sie den technischen Anforderungen des land- und forstwirtschaftlichen Güterverkehrs entspreche. Die beklagte Gemeinde übernahm diese Weganlage durch Beschluß ihres Gemeinderats vom 30.November 1977 in ihr Eigentum (öffentliches Gut), seit dieser Zeit ist sie Wegehalter. Der schlechte Zustand der Fahrbahnoberfläche des Stichwegs entstand, weil einerseits die auf dem Unterbau am Weg flach aufgelegten Steine - sie hätten aufgestellt und durch Kiesmaterial beschüttet und ineinander verkeilt werden müssen - durch das Befahren weggedrückt bzw weggeschleudert wurden und dadurch Unebenheiten und Schlaglöcher entstanden, sowie andererseits dadurch, daß Fertigbeton im Zuge mehrfacher Lieferungen im Sommer 1981 oder 1982 zum Haus des Klägers auf Grund der Wegeverhältnisse von den Lkws auf den Weg getropft war, sich dort erhärtet und Betonzungen gebildet hatte. Dem Kläger war der schlechte Zustand der Fahrbahnoberfläche bekannt; die Betonzungen waren ihm als Gefahrenmoment bewußt.

Am 23.August 1982 ereignete sich auf dem erst nachträglich verlängerten und nicht asphaltierten Teil des Stichwegs - die Steigung ist dort sehr unterschiedlich (teilweise 20-25 %, 34-37 % und in einem weiteren Teilstück rund 27 %) - ein Unfall. Der Kläger wollte als Lenker seines nicht zum Verkehr zugelassenen Traktors einen schwereren Lkw mittels Kette den Stichweg hinaufziehen. Nach Zurücklegung einer kurzen Wegstrecke hob sich die Vorderachse des Traktors und dieser überschlug sich rückwärts zum Lkw hin, wodurch der Kläger schwer verletzt und sein Traktor schwer beschädigt wurde. Ursache des Kippvorgangs waren die durch die Betonzungen und den schlechten Zustand der Fahrbahnoberfläche entstandenen zusätzlichen Rollwiderstände.

Der erkennende Senat wies das vom Kläger gegen das zuerst mitbeklagte Land Niederösterreich erhobene Klagebegehren mit seiner Entscheidung 1 Ob 18/93-124 (veröffentlicht in WBl 1994, 202 mit Anm von Schuster) mangels hoheitlichen Handelns der Subventionsverwaltung und fehlender Wegehaltereigenschaft des Landes ab. Nun wiesen die Vorinstanzen auch das vom Kläger - unter Einräumung eines Eigenverschuldens von zwei Dritteln - gegen die beklagte Gemeinde auf Zahlung von zuletzt 93.000 S sA und Feststellung deren Haftung für alle aus dem Unfall vom 23. August 1982 in Zukunft entstehenden Schäden gerichtete Klagebegehren ab, weil weder Amtshaftung noch Wegehalterhaftung nach § 1319a ABGB als Haftungsgrund in Frage käme. Grobe Fahrlässigkeit falle der beklagten Partei nicht zur Last, weil die zumutbaren Maßnahmen an der Bedeutung der Straße zu messen seien. Der vorliegende Güterweg liege in einem Naturschutzgebiet und diene nur der Zufahrt zu Weingärten mit landwirtschaftlichen Maschinen und Geräten. Die Gefährlichkeit habe nicht besonders kundgemacht werden müssen, weil sie dem Kläger als häufigem Straßenbenützer besser als den Organen der beklagten Partei bekannt gewesen sei. Andererseits handle es sich beim Straßenstück um einen Güterweg, der nur zu Zwecken der Land-und Forstwirtschaft von den entsprechenden Fahrzeugen befahren werde. Die Organe der Gemeinde hätten damit rechnen können, daß sich die - naturgemäß - wenigen Straßenbenützer der mit der Benützung verbundenen Gefahren bewußt sein würden. Das Verschulden des Klägers durch Vornahme eines waghalsigen Abschleppmanövers müsse angesichts des Straßenzustands als durch nichts zu rechtfertigende Mutprobe angesehen werden. Ein allfälliges Mitverschulden der beklagten Wegehalterin gemäß § 1304 ABGB trete angesichts des waghalsigen Manövers völlig in den Hintergrund.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision wegen einer - seiner Ansicht nach - im vorliegenden Fall zu lösenden Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zum Umfang der Instandhaltungspflicht gefährlicher Straßen äußerst geringer Verkehrsbedeutung zu.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 508a Abs 1 ZPO ist der Oberste Gerichtshof bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an einen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden. Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung liegt jedenfalls nur dann vor, wenn die Entscheidung gerade von der Lösung dieser Rechtsfrage abhängt. Die angeschnittene Rechtsfrage muß also präjudiziell sein (1 Ob 39/94 ua; Kodek in Rechberger, § 508a ZPO Rz 1). Zu klären ist demnach, ob diese Voraussetzung im vorliegenden Fall erfüllt ist.

Dies ist hier zu verneinen:

Die Tatsachenrüge des Rechtsmittels entzieht sich einer meritorischen Behandlung des Revisionsgerichts, das nicht Tatsacheninstanz ist.

Die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanzen, auf Amtshaftung könne der gegen die beklagte Gemeinde erhobene Anspruch mangels hoheitlichen Handelns nicht gegründet werden, werden im Rechtsmittel nicht mehr in Frage gestellt. Darauf muß nicht mehr eingegangen werden.

Entscheidend ist, ob die beklagte Gemeinde, die unbestrittenermaßen Wegehalterin im Sinn des § 1319a ABGB war, als solche haftet. Die Beschaffenheit des Wegs war nach den Feststellungen für den Unfall des Klägers zumindest mitkausal. Nach der Rechtsprechung (SZ 65/26 mwN) bedeutet das Tatbestandselement "mangelhafter Zustand", daß nicht nur für den Weg selbst, sondern für dessen Verkehrssicherheit im weitesten Sinn gehaftet wird. Beurteilungsmaßstab für die Mangelhaftigkeit des Wegs ist das Verkehrsbedürfnis und die Zumutbarkeit entsprechender Maßnahmen. Das Merkmal der Zumutbarkeit erfordert die Berücksichtigung dessen, was nach allgemeinen und billigen Grundsätzen erwartet werden kann (vgl ZVR 1991/48, ZVR 1983/14 ua). Welche Maßnahmen ein Wegehalter - hier zur Instandhaltung der nicht betonierten oder asphaltierten Fahrbahn - im einzelnen zu ergreifen hat, richtet sich nach § 1319a Abs 2 letzter Satz ABGB danach, was nach der Art des Weges, besonders nach seiner Widmung, seiner geographischen Situierung in der Natur und das daraus resultierende Maß seiner vernünftigerweise zu erwartenden Benutzung (Verkehrsbedürfnis) für seine Instandhaltung angemessen und nach objektiven Maßstäben zumutbar ist. Es kommt im jeweils zu prüfenden Einzelfall darauf an, ob der Wegehalter die ihm zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um eine gefahrlose Benützung gerade dieses Wegs sicherzustellen (ZVR 1993/49; ZVR 1989/131; SZ 60/189 = JBl 1988, 41 ua; Reischauer in Rummel2, § 1319a ABGB Rz 6, 15; Harrer in Schwimann, § 1319a ABGB Rz 14; Koziol, Österr. Haftpflichtrecht2 II 201). Da zufolge dieser Einzelfallbezogenheit eine abschließende Umschreibung der Pflichten des Wegehalters unmöglich ist, stellt auch die Frage nach dem Umfang der Instandhaltungspflicht des Halters von - infolge ihrer Fahrbahnbeschaffenheit und Steigung - "gefährlichen" Straßen sehr geringer Verkehrsbedeutung keine erhebliche Rechtsfrage dar.

Der Wegehalter hat nach § 1319a Abs 1 ABGB für die Unfallsfolgen nur einzustehen, wenn ihn oder seinen Leuten grobe Fahrlässigkeit - Vorsatz wurde hier nicht behauptet - anzulasten ist. Beweispflichtig für das Vorliegen grober Fahrlässigkeit ist der Geschädigte (Harrer aaO Rz 28). Nach ständiger Rechtsprechung ist grobe Fahrlässigkeit eine auffallende Sorglosigkeit, bei der die gebotene Sorgfalt nach den Umständen des Falls in ungewöhnlichem Maß verletzt wird und der Eintritt des Schadens nicht nur als möglich, sondern geradezu als wahrscheinlich vorauszusehen ist. Darüber hinaus verlangt die Judikatur, daß der objektiv besonders schwere Verstoß auch subjektiv schwer anzulasten ist (ZVR 1993/49; SZ 65/26; ZVR 1989/131 mwN ua; Harrer aaO Rz 21). Die Beurteilung des Verschuldensgrads unter Anwendung der richtig dargestellten Grundsätze, ohne daß ein wesentlicher Verstoß gegen maßgebliche Abgrenzungskriterien vorläge, und das Ausmaß eines Mitverschuldens des Geschädigten können gleichfalls wegen ihrer Einzelfallbezogenheit nicht als erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO gewertet werden (ZVR 1993/49 mwN). Die unzulässige Revision muß demnach zurückgewiesen werden.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens fußt auf den §§ 40 und 50 ZPO. Die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittel nicht hingewiesen. Über den Antrag des Klägers, der Verfahrenshilfe nicht beantragt hatte, auf Nachlaß der Gerichtsgebühren deshalb, weil er schon einmal in dieser Rechtssache mit einer "Pionierzahlung" Ergänzung fehlender Judikatur habe schaffen lassen, hat das Revisionsgericht nicht zu entscheiden.

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