OGH 9ObA174/95

OGH9ObA174/9518.10.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Bauer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Gabriele G*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr.Helmut Destaller und andere Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Eva L*****, Friseurin, ***** vertreten durch Dr.Reinhard Tögl und Dr.Nicoletta Wabitsch, Rechtsanwälte in Graz, wegen 80.580,89 S sA, infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17.Juli 1995, GZ 7 Ra 49/95-24, womit infolge Rekurses der beklagten Partei der Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 12.April 1995, GZ 31 Cga 39/94k-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht wird eine neuerliche Beschlußfassung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist aufgetragen.

Text

Begründung

Das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 1.2.1995, GZ 7 Ra 96/94-19, mit dem der Berufung der Beklagten gegen das dem Klagebegehren stattgebende Urteil des Erstgerichtes nicht Folge gegeben wurde, wurde den Beklagtenvertretern am 21.2.1995 zugestellt.

Am 10.4.1995 erhob die Beklagte Revision gegen dieses Urteil verbunden mit einem Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist. Am 21.2.1995 sei eine Unmenge von Terminen einzutragen gewesen und es habe auch dauernd das Telephon geläutet; Dr. Tögl sei auf Urlaub gewesen und es sei auch am Nachmittag eine auswärtige Verhandlung zu verrichten gewesen. Im Drang der Geschäfte habe die in der Kanzlei bereits langjährig beschäftigte Rechtsanwaltsanwärterin die Eintragung der Frist für die Revision in der vorliegenden Rechtssache übersehen. Die Beklagtenvertreterin habe bei der Terminkontrolle den Fehler übersehen. Die Rechtsanwaltsanwärterin sei bis dahin absolut verläßlich gewesen und habe Fristeneintragungen noch nie unterlassen oder falsch vorgenommen. Es handle sich um ein einmaliges Mißgeschick; die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien erfüllt.

Das Erstgericht wies den Wiedereinsetzungsantrag ab. Die Unterlassung der Evidenzhaltung einer Rechtsmittelfrist durch einen Rechtsanwalt beruhe grundsätzlich auf einem besonders auffallend sorglosen Verhalten und sei als grobe Fahrlässigkeit zu qualifizieren; daran ändere auch eine allfällige Arbeitsüberlastung im Zeitpunkt der Zustellung nichts.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Beklagten nicht Folge, wobei es im wesentlichen der Begründung des Erstgerichtes beitrat. Nach den Antragsbehauptungen habe die ausgewiesene Vertreterin bei der Postverteilung die Terminkontrolle durchgeführt und den Fehler nicht entdeckt. Es sei daher von einem Versagen der Kontrolle durch die Beklagtenvertreterin auszugehen; diese sei nicht wirksam erfolgt oder so mangelhaft durchgeführt worden, daß das Unterbleiben des Fristmerkmals nicht aufgefallen sei. Unter diesen Umständen sei das Erstgericht zu Recht von einem groben Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht ausgegangen.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Revisionsrekurs der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß ihr die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist bewilligt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist im Sinne des Eventualantrages berechtigt.

Gemäß § 146 ZPO ist einer Partei, die durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert wurde, wenn dadurch verursachte Versäumung für sie den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung zur Folge hatte, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei (oder ihrem Vertreter) ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Der letzte Halbsatz wurde durch die ZVN 1983 eingefügt, weil die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von den Gerichten gelegentlich sehr streng gehandhabt worden war und ein "unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis" vielfach nur dann angenommen wurde, wenn der säumigen Partei keinerlei Verschulden angelastet werden konnte. Der Verschuldensgrad ist dem § 2 DHG zu entnehmen (JA 1337 BlgNR 15. GP, 10). Grobes Verschulden im Sinne des § 2 DHG liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn der Schädiger die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlicher und damit auffallender Weise vernachlässigt; es muß sich um ein Versehen handeln, das mit Rücksicht auf die Schwere und Häufigkeit nur bei besonders nachlässigen und leichtsinnigen Menschen vorkommt und den Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich vorhersehbar macht (9 Ob A 223/88 mwN; 8 Ob A 274, 275/94).

Ausgehend von diesen Grundsätzen kann der Rechtsansicht der Vorinstanzen, daß bereits aufgrund des Vorbringens im Antrag ein Wiedereinsetzungsgrund nicht vorliege, nicht beigetreten werden. Ein einmaliges Versehen kann durchaus auch einem sonst sorgfältigen Menschen unterlaufen, insbesondere wenn, bedingt durch eine durch außergewöhnlich Umstände sich ergebende Arbeitsüberlastung eine Ausnahmesituation vorliegt, die an ihn über das gewöhnliche Maß hinausgehende Anforderungen stellt. Der im Wiedereinsetzungsantrag behauptete Sachverhalt wäre aber durchaus geeignet, eine solche Ausnahmesituation zu begründen, die die Annahme eines minderen Grades des Versehens an dem Fristversäumnis rechtfertigen könnte.

Einer Sachentscheidung über den Antrag steht aber entgegen, daß die Vorinstanzen, ausgehend von der von ihnen vertretenen Rechtsansicht, daß bereits der behauptete Sachverhalt einer Bewilligung der Wiedereinsetzung entgegenstehe, eine Überprüfung der Antragsbehauptungen unterließen. Im weiteren Verfahren wird zu klären sein, wie die Führung der Terminvormerke in der Kanzlei der Beklagtenvertreter organisiert ist und ob sich aus besonderen Umständen am Tag der Zustellung über das übliche Maß hinausgehende Anforderungen an die Rechtsanwaltsanwärterin ergaben sowie ob diese tatsächlich bisher die ihr übertragenen Aufgaben klaglos erledigte, auch die Form der Terminkontrolle durch die Beklagtenvertreterin wird zu klären sein. Erst wenn diesbezüglich ein bescheinigter Sachverhalt feststeht, kann beurteilt werden, ob die Beklagtenvertreter ein grundsätzliches Organisationsverschulden trifft bzw welchem Grad des Versehens der unterlaufene Fehler entspricht.

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