OGH 9ObA97/95

OGH9ObA97/9511.10.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Dietmar Strimitzer und Mag.Kurt Retzer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Zentralbetriebsrat der O*****genossenschaft reg.GenmbH, ***** vertreten durch Dr.Georg Grießer und Dr.Robert Gerlach, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei L***** Molkerei- und Lagerhaus KG, ***** vertreten durch Dr.Reinhard Tögl und Dr.Nicoletta Wabitsch, Rechtsanwälte in Graz, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG (Streitwert S 51.000,-), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2.März 1995, GZ 8 Ra 89/94-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 25.Juli 1994, GZ 23 Cga 185/93k-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.871,04 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 811,84 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Aus der O***** reg.GenmbH wurde die sogenannte "Warensparte" ausgegliedert und in die Beklagte eingebracht. Als Folge der Ausgliederung übernahm die Beklagte am 1.Oktober 1993 insgesamt 190 Arbeitnehmer der Standorte Kn***** und K***** der O***** reg.GenbmH. Dadurch kam es zu einem Wechsel der Kollektivvertragszugehörigkeit der Arbeitnehmer. Während ihre Arbeitsverhältnisse vorher den Kollektivverträgen für Angestellte bzw. Arbeiter der genossenschaftlichen Molkereien unterlagen, sind durch den Betriebsübergang nunmehr einerseits die Kollektivverträge für die Handelsangestellten bzw. Handelsarbeiter und andererseits die Kollektivverträge für Angestellte des Metallgewerbes sowie für Arbeiter im eisen- und metallverarbeitenden Gewerbe anzuwenden. Diese Kollektivverträge sehen in ihrer Struktur eine niedrigere Gehalts- bzw. Lohnhöhe vor; auch ein Anspruch der Arbeitnehmer auf ein Deputat wie er in den Kollektivverträgen der genossenschaftlichen Molkereien enthalten ist, besteht in den nunmehr anzuwendenden Kollektivverträgen nicht.

Die Beklagte übernahm sämtliche Arbeitnehmer mit der am 30.September 1993 bestehenden Gehalts- bzw Lohnhöhe. Die Gehalts- bzw Lohndifferenz zwischen den "alten" und den "neuen" Kollektivverträgen sowie das Deputat zahlt sie jedoch nur als aufzehrbare Ausgleichsdifferenz weiter. In der zweiten Oktoberhälfte erhielten die Arbeitnehmer neue Dienstzettel, in denen in Punkt 9 der Gehalt der "Lohn lt KV", die "Ausgleichsdifferenz gem. § 4 (2) aufzehrbar" und das "Deputat gem. § 9 bzw § 6 des KV für milchverarbeitende Betriebe, aufzehrbar" und der derzeit "aufzehrbare" Betrag aufscheint. Nach Punkt 10 a) dieses Dienstzettels verringert sich die Ausgleichsdifferenz bzw das Deputat um die jeweilige Kollektivvertragserhöhung und im Ausmaß des Mehrbetrages, der sich aus der Vorrückung in die nächste Gehaltsstufe innerhalb der Beschäftigungsgruppe oder aus der Überstellung in eine höhere Beschäftigungsgruppe ergibt. Der Betriebsrat hatte gegen die Anordnung der Aufzehrbarkeit der Ausgleichsdifferenz bzw des Deputats ausdrücklich Einspruch erhoben. Vereinbarungen mit den Arbeitnehmern über das Aufsaugen dieser Differenz wurden nicht getroffen.

In einem zwischen denselben Parteien anhängig gewesenen Verfahren, in dem der Kläger die Feststellung begehrte, daß der Wechsel der Kollektivverträge für die Arbeitnehmer eine wesentliche Verschlechterung zur Folge habe, weshalb ihnen ein begünstigtes Kündigungsrecht gemäß § 3 Abs 5 AVRAG zustehe, vereinbarten die Parteien Ruhen des Verfahrens.

Der klagende Zentralbetriebsrat (§ 114 ArbVG) begehrt die Feststellungen, daß

1.) die im Dienstzettel der Handelsarbeiter und Handelsangestellten der Beklagten angeführten Ausgleichsdifferenzen und Sachbezüge (Deputate) als Überzahlung im Sinne des Kollektivvertrags zu qualifizieren seien, so daß eine Aufzehrung dieser Überzahlung gemäß Punkt 9.) des Dienstzettels nicht zulässig sei;

2.) für die im Bereich des Metallgewerbes beschäftigten Arbeiter und Angestellten der Beklagten, die im Dienstzettel angeführten Ausgleichsdifferenzen und Sachbezüge (Deputate) gemäß dem Kollektivvertrag als Überzahlung zu qualifizieren seien, so daß im Fall einer Ist-Lohnerhöhung (Ist-Gehaltserhöhung) sämtliche im Dienstzettel angeführten Bezüge anzuheben seien und daher eine Aufzehrung der Überzahlung gemäß Punkt 9.) des Dienstzettels nicht zulässig sei.

Die ursprünglichen Kollektivverträge seien in ihrer Gehaltsstruktur und in den rechtlichen Rahmenbedingungen besser gewesen als die nunmehr anzuwendenden Kollektivverträge. Neben diesen Verschlechterungen durch die neuen Kollektivverträge habe die Aufzehranordnung in den Dienstzetteln zur Folge, daß die betroffenen Arbeitnehmer so lange keine Kollektivvertragserhöhung und keine Biennalsprünge erhielten, bis die Höhe des Entgelts auf Grund der nunmehr anzuwendenden Kollektivverträge das Niveau des bisherigen Bezuges erreicht hat. Die Arbeitnehmer würden dadurch jahrelang keine Lohn- oder Gehaltserhöhung mehr erhalten. Auch das Deputat werde im Verhältnis zu den künftigen Kollektivvertragserhöhungen aufgezehrt und gehe demnach in absehbarer Zeit verloren.

Diese Vorgangsweise der Beklagten sei unzulässig und unwirksam. Sowohl die Ausgleichsdifferenz (Aufstockung auf den bisherigen Bezug) als auch das Deputat (als Sachbezug versteuerbares Entgelt) seien als bestehende Überzahlungen zu qualifizieren. Diese seien unabdingbar, weil die Kollektivverträge der Handelsarbeiter und Handelsangestellten in ihrem Punkt G der Gehaltsordnung bzw in Punkt E der Lohnordnung vorsähen, daß bestehende Überzahlungen nach Kollektivvertragserhöhungen aufrecht bleiben müssen. Auch nach den Kollektivverträgen für die Arbeiter des eisen- und metallverarbeitenden Gewerbes und der Angestellten des Metallgewerbes müßten bestehende günstigere betrieblichere Regelungen nach Kollektivvertragserhöhungen aufrecht bleiben. Beide Kollektivverträge sähen eine Ist-Lohnerhöhung vor, so daß eine aufzehrbare Überzahlung ebenfalls gegen zwingende Bestimmungen dieser Kollektivverträge verstoße.

Die Beklagte beantragt, die Feststellungsbegehren abzuweisen. Bei den Lohn- und Gehaltsdifferenzen zwischen den "alten" und den "neuen" Kollektivverträgen handle es sich ebenso wie beim Deputat nicht um Überzahlungen iS der Kollektivverträge für den Handelsbereich bzw um Ist-Gehälter oder Ist-Löhne gemäß den Kollektivverträgen für den Metallgewerbebereich. Durch den Wechsel der Kollektivvertragsangehörigkeit sei es gemäß § 4 Abs 2 AVRAG lediglich zu einer Statuierung eines gesetzlichen Mindestentgelts gekommen, das die Arbeitnehmer vor einer Herabsetzung ihres kollektivvertraglichen Entgeltanspruches als Folge des Betriebsüberganges bewahren solle. In den EB zur RV zum AVRAG (1077 BlgNR 18. GP 11 f) sei in diesem Zusammenhang von einem "statischen Festschreiben" des dem Arbeitnehmer vor dem Betriebsübergang gebührenden Kollektivvertragsentgelts die Rede. Eine Deutung dieses gesetzlichen Mindestentgelts als vertragliche Überzahlung oder Ist-Lohn sei weder mit der Absicht des Gesetzgebers noch dem Zweck der Regelung vereinbar. Soweit diese Entgeltbestandteile aber keine vertragliche Überzahlungen bzw Ist-Bezüge iS der nunmehr anzuwendenden Kollektivverträge für den Handel- bzw Metallgewerbebereich bilden, seien sie aufzehrbar.

Das Erstgericht gab den Feststellungsbegehren statt. Es vertrat aufgrund des unstrittigen Sachverhalts die Rechtsauffassung, daß der Erwerber eines Betriebes aufgrund des Betriebsüberganges als neuer Arbeitgeber gemäß § 3 Abs 1 AVRAG grundsätzlich in alle Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis eintrete. Darunter sei auch die Pflicht zur Zahlung des Entgelts zu verstehen. Auch wenn das Entgelt generell durch den Kollektivvertrag geregelt sei, ergebe sich das dem einzelnen Arbeitnehmer gebührende Entgelt individuell durch die vereinbarte Einstufung. Jeder konkrete Entgeltanspruch beruhe daher auf einer einzelvertraglichen Vereinbarung, so daß er bei einem Betriebsübergang unverändert zu übernehmen sei. Gemäß § 4 Abs 2 AVRAG dürfe das bisherige kollektivvertragliche Entgelt nicht geschmälert werden. Das "statische Festschreiben" des dem Arbeitnehmer vor dem Betriebsübergang gebührenden kollektivvertraglichen Entgelts habe nur zur Folge, daß eine nach dem Betriebsübergang vorgenommene Änderung des "alten" Kollektivvertragslohns nicht mehr wirksam werden könne.

Daraus sei aber abzuleiten, daß sich eine Änderung des "neuen" Kollektivvertragslohns auf das Entgelt des Arbeitnehmers auswirken müsse. Das durch den ursprünglichen Kollektivvertrag bestimmte Entgelt sei wie ein einzelvertraglich vereinbartes Entgelt zu behandeln. Soweit eine Differenz bestehe, könne sie nur als Überzahlung gewertet werden, die im Sinne der "neuen" Kollektivverträge zu berücksichtigen sei. Nach Punkt G des Kollektivvertrags der Handelsangestellten bzw Punkt E des Kollektivvertrags der Handelsarbeiter seien Überzahlungen in ihrer schillingmäßigen Höhe gegenüber den erhöhten kollektivvertraglichen Mindestlöhne bzw Mindestgehältern aufrecht zu erhalten. Die Kollektivverträge für Angestellte des Metallgewerbes bzw für Arbeiter im eisen- und metallverarbeitenden Gewerbe sähen zwar keine Aufrechterhaltung der Überzahlung vor, jedoch einen Unterschied zwischen Ist-Löhnen bzw Ist-Gehältern und Mindestlöhnen bzw Mindestgehältern; der Ist-Lohn (das Ist-Gehalt) sei das Entgelt, das tatsächlich ausgezahlt werde. Die vor dem Betriebsübergang zustehenden Bezüge seien daher im Fall einer Ist-Lohnerhöhung ebenfalls um den entsprechenden Prozentsatz anzuheben.

Eine andere Auslegung des AVRAG sei schon deshalb nicht zulässig, weil der Betriebsübergang ansonsten aufgrund der Inflationsrate zu einer durch § 4 Abs 2 Satz 1 AVRAG ausgeschlossenen Schmälerung des Entgelts der Arbeitnehmer führen würde. Dasselbe gelte für die Deputate; als entgeltwerte Leistung teilten sie das Schicksal der Bezüge und seien entsprechend den nunmehr anzuwendenden Kollektivverträgen zu behandeln. Eine Aufzehrung finde nicht statt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts und führte ergänzend aus, daß sich aus den EB zur RV zum AVRAG (1077 BlgNR 18. GP) die Absicht des Gesetzgebers ergebe, daß das bisher gezahlte kollektivvertragliche Entgelt als einzelvertraglich vereinbartes Entgelt zu bestimmen sei. In der Regierungsvorlage sei zu § 4 Abs 2 AVRAG zwar auch von einem "statischen Festschreiben" des gebührenden Kollektivvertragsentgelts die Rede, doch lasse sich daraus keine beabsichtigte Einschleifregelung ableiten. Dem Folgesatz in den EB sei nämlich nur zu entnehmen, daß Änderungen des "alten" Kollektivvertragslohns für den Arbeitnehmer nicht wirksam werden sollen, daß also diesbezüglich keine Nachwirkung der ehemaligen Kollektivvertragsangehörigkeit eintrete. Aus der Prämisse eines nunmehr einzelvertraglich begründeten Entgelts nach Betriebsübergang ergebe sich die Berechtigung der Begehren des Klägers. Diesfalls dürfe keine Aufzehrbarkeit jener Entgeltteile eintreten, welche bei Kollektivvertragsänderungen von normativen Bestimmungen, insbesondere Ist-Lohnklauseln, erfaßt würden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen wird. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Richtlinie des Rates vom 14.Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen (77/187/EWG) sieht in Teil II (Wahrung der Ansprüche der Arbeitnehmer) Artikel 3 Abs 1 vor, daß die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Überganges im Sinn des Art 1 Abs 1 bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis aufgrund des Übergangs auf den Erwerber übergehen. Gemäß Art 3 Abs 2 des Richtlinie erhält der Erwerber nach dem Übergang im Sinne des Art 1 Abs 1 die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen bis zu der Kündigung oder dem Ablauf des Kollektivvertrags bzw bis zum Inkrafttreten oder bis zu der Anwendung eines anderen Kollektivvertrags in dem gleichen Maße aufrecht, wie sie in dem Kollektivvertrag für den Veräußerer vorgesehen waren. Der EuGH stellte dazu in seiner Entscheidung vom 12. November 1992, Rs C-209/91 , klar, daß nach Art 3 der Richtlinie die mit dem Arbeitsvertrag bzw dem Arbeitsverhältnis verbundenen Lohnbedingungen, insbesondere der Zeitpunkt für die Auszahlung der Löhne und deren Zusammensetzung, aufgrund der Übernahme nicht geändert werden dürfen, selbst wenn die Gesamtlohnsumme unverändert bleibt. Der Erwerber muß dieselben tarifvertraglichen Bedingungen einhalten, wie sie für den Veräußerer galten, bis der Tarifvertrag gekündigt wird oder ausläuft oder bis ein anderer Tarifvertrag in Kraft tritt oder anwendbar wird.

Im innerstaatlichen Bereich wurde diese Richtlinie insbesondere durch die §§ 3 bis 6 des Bundesgesetzes, BGBl 1993/459, mit dem arbeitsvertragsrechtliche Bestimmungen an das EG-Recht angepaßt wurden (Arbeitsvertragsrechts-Anpassungs= gesetz-AVRAG), in das österreichische Arbeitsrecht übernommen. Nach den EB zur RV des AVRAG sollte die Formulierung des § 3 Abs 1 AVRAG Art 1 und Art 3 Abs 1 der Richtlinie und die des § 4 Abs 1 AVRAG dem Art 3 Abs 2 der Richtlinie entsprechen (1077 BlgNR 18. GP 8, 10 und 12). Gemäß § 3 Abs 1 AVRAG tritt bei einem Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen der neue Inhaber als Arbeitgeber in die im Zeitpunkt des Überganges bestehenden Arbeitsverhältnisse mit allen Rechten und Pflichten ein. Nach § 4 Abs 2 AVRAG darf das dem Arbeitnehmer vor Betriebsübergang für die regelmäßige Arbeitsleistung in der Normalarbeitszeit gebührende kollektivvertragliche Entgelt durch den Wechsel der Kollektivvertragsangehörigkeit infolge des Betriebsüberganges nicht geschmälert werden.

Den EB zur RV des AVRAG (1077 BlgNR 18. GP 12) ist zu § 4 Abs 2 Satz 1 AVRAG zu entnehmen, daß diese Bestimmung ein "statisches Festschreiben" des dem Arbeitnehmer vor Betriebsübergang gebührenden Kollektivvertragsentgelts vorsehe. Eine nach erfolgtem Übergang vorgenommene Änderung des "alten" Kollektivvertragslohnes könne für den Arbeitnehmer nicht wirksam werden. Für den Fall einer Entgeltschmälerung als Folge des Kollektivvertragswechsels gelte normativ das Entgelt des nach Betriebsübergang anzuwendenden Kollektivvertrags, einzelvertraglich gebühre aber das Entgelt des "alten" Kollektivvertrags in der Höhe, in der es vor dem Betriebsübergang zugestanden sei. Dieses Verständnis der vertraglichen Weitergeltung der (besseren) Entgeltbedingungen ist auch in den Erläuterungen zu § 3 Abs 1 AVRAG zu entnehmen, wonach sich das dem Arbeitnehmer gebührende Entgelt auch in den Fällen, in denen der Lohn durch Kollektivvertrag geregelt ist, aus der im Einzelarbeitsvertrag individuell vereinbarten Einstufung in der Lohntabelle ergibt. Jeder konkrete Entgeltanspruch beruhe auf einzelvertraglicher Vereinbarung und sei daher bei Betriebsübergang unverändert zu übernehmen. Um jeden Zweifel auszuschließen, sei in § 4 Abs 2 AVRAG festgeschrieben, daß das bisherige kollektivvertragliche Entgelt nicht geschmälert werden dürfe (1077 BlgNR 18. GP 11).

Insoferne knüpfen diese Ausführungen - allerdings undifferenziert - an § 613 a Abs 1 Satz 2 BGB an, wonach Inhaltsnormen von Tarifverträgen in das Arbeitsverhältnis transformiert werden und zugunsten des Arbeitnehmers einzelvertraglich weitergelten (vgl Putzo in Palandt, BGB54 § 613 a Rz 22; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch7 916; Rechberger in Tomandl, Der Betriebsübergang im Arbeitsrecht - Das Vorbild der EG - Richtlinie 77/187 und des § 613 a BGB 56 ff). Unabhängig davon, ob durch § 4 Abs 1 Satz 1 AVRAG aufgrund des Wegfalls der kollektivvertraglichen Norm bei Betriebsübergang das bisherige kollektivvertragliche Entgelt gewissermaßen als einzelvertragliches Entgelt weiterzugelten hat (vgl Schima, Kollektivvertragsgeltung und Betriebsübergang, RdW 1993, 184 ff, 187; derselbe Automatischer Übergang von Arbeitsverträgen bei Betriebsinhaberwechsel - Neue Rechtslage - Vorsicht beim Unternehmenskauf, RdW 1993, 216 ff, 218), oder ob es sich dabei um eine weitere Nachwirkung des "alten" Kollektivvertrages handelt, dessen Regeln über das "Normalentgelt" zugunsten der übernommenen Arbeitnehmer nachwirken (in diesem Sinn Tomandl, Arbeitsrechtliche Konsequenzen beim Übergang eines Betriebsteils, ZAS 1993, 193 ff, 202; derselbe Arbeitsrecht 2/3 215), liegt somit eine "Überzahlung" oder ein "Ist-Lohn" gegenüber den nunmehr anzuwendenden Kollektivverträgen vor, der nicht geschmälert werden darf und der normativen Gestaltung durch die "neuen" Kollektivverträge unterliegt (Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht aus trüber Quelle, ÖJZ 1994, 217 ff, 224). Daraus folgt, daß sich das Ausmaß späterer Entgelterhöhungen nach den Prozentsätzen richtet, die der Kollektivvertrag des Erwerbers bestimmt (vgl Grillberger, Betriebsübergang und Arbeitsverhältnis - Neuregelung durch das AVRAG, WBl 1993, 305 ff, 310 f).

Der von der Revisionswerberin übernommenen Ansicht Schranks (Eintrittsautomatik bei Betriebsübergang, ecolex 1993, 541 ff, 545), die sich isoliert auf das in den EB erwähnte "statische Festschreiben" des dem Arbeitnehmer vor Betriebsübergang gebührenden Kollektivvertragsentgelts stützt, und daraus eine "Einschleifregelung" als Untergrenze ableitet, ist nicht beizupflichten. Eine derartige Regelung, die wie das Erstgericht zutreffend ausführte, schon auf Grund der Inflationsrate zu einer Schmälerung des Entgelts der betroffenen Arbeitnehmer führen müßte, ist den Materialien nicht zu entnehmen. Das "statische Festschreiben" des dem Arbeitnehmer vor Betriebsübergang gebührenden Kollektivvertragsentgelts bezieht sich vielmehr erkennbar darauf, daß eine Änderung des "alten" Kollektivvertragslohns nach dem Betriebsübergang für den Arbeitnehmer nicht mehr wirksam werden kann (1077 BlgNR 18. GP 12). Lediglich in diesem Sinn soll der status quo im Zeitpunkt des Betriebsübergangs erhalten bleiben (vgl Grillberger aaO 310 f). Dadurch kommt es entgegen der Ansicht Schranks nicht kombinatorisch zu einer Erhöhung des bisherigen Entgelts; vielmehr werden dadurch jene Arbeitnehmer, deren Entgeltanspruch ausschließlich auf einem Kollektivvertrag beruht und die durch den Wechsel der Kollektivvertragszugehörigkeit gefährdet wären, vor Entgeltverlusten geschützt. Dem Einwand der Revisionswerberin, daß § 4 Abs 2 Satz 1 AVRAG im Hinblick auf § 3 Abs 1 AVRAG völlig überflüssig wäre, wenn ohnehin ein einzelvertragliches Entgelt nach Betriebsübergang anzunehmen sei, ist schließlich entgegenzuhalten, daß § 4 Abs 2 Satz 1 AVRAG eben jene Fälle erfaßt, die durch § 3 Abs 1 AVRAG nicht ausreichend geschützt sind. Dabei handelt es sich um jene Fälle, in denen das Entgelt vor dem Betriebsübergang nicht einzelvertraglich abgesichert, sondern nur durch Verweisung auf den normativ anzuwendenden Kollektivvertrag bestimmt ist.

Da mit § 4 Abs 2 Satz 1 AVRAG sohin kein mit den normativ anzuwendenden Kollektivverträgen konkurrierendes "normatives" Entgelt geschaffen werden sollte, ist von der umfassenden Geltung der bei der Beklagten gemäß ArbVG anzuwendenden Kollektivverträge auszugehen. Soweit diese Kollektivverträge anordnen, daß Überzahlungen in ihrer schillingmäßigen Höhe gegenüber den erhöhten kollektivvertraglichen Mindestlöhnen bzw Mindestgehältern oder Ist-Löhne bzw Ist-Gehälter (vgl Schwarz/Löschnigg, ArbR5 95 f) aufrecht zu erhalten sind, sind diese Bestimmungen bzw Erhöhungen auf das gemäß § 4 Abs 2 Satz 1 AVRAG gebührende, aus dem "alten" Kollektivvertrag nachwirkende bzw als einzelvertraglich vereinbart geltende Entgelt ohne Einschränkung anzuwenden. Dies trifft auch auf die bisherigen Sachbezüge zu, zumal auch die "Zusammensetzung" des Entgelts aufgrund der Betriebsübernahme nicht geändert werden darf. Die in den Dienstzetteln einseitig verfügte "Aufzehrung" der Differenz widerspricht den nunmehr anzuwendenden Kollektivverträgen und ist daher mangels entsprechender Einzelvereinbarungen wirkungslos.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO begründet (vgl Kuderna, ASGG § 58 Erl 2).

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