OGH 6Ob581/95

OGH6Ob581/9528.9.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Redl, Dr.Kellner, Dr.Zechner und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Serdar K*****, vertreten durch Dr.Franz Müller, Rechtsanwalt in Kirchberg am Wagram, wider die beklagte Partei Fadime K*****, vertreten durch Dr.Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Krems an der Donau als Berufungsgerichtes vom 5.April 1995, AZ 2 R 29/95 (ON 52), womit der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Kirchberg am Wagram vom 25.November 1994, GZ C 227/91 f-44, in der Hauptsache nicht stattgegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht stattgegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.871,04 (darin S 811,84 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Parteien sind türkische Staatsbürger und haben am 13.1.1988 vor einem Standesamt in der Türkei die Ehe geschlossen. Der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt befand sich in Absdorf in Niederösterreich. Der Ehe entstammen zwei Kinder.

Mit der am 29.3.1991 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte der Mann die Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden der Frau. Diese sei am 12.3.1991 grundlos aus der Wohnung des Klägers ausgezogen. Dabei habe sie einen Bargeldbetrag des Klägers in der Höhe von S 40.000,-- an sich genommen. Sie weigere sich, das Geld zurückzugeben. Bereits vor ihrem Auszug habe die Beklagte den Kläger lieb- und interesselos behandelt. Beim Auszug aus der ehelichen Wohnung habe sich die Beklagte Gegenstände der Mutter des Klägers im Wert von mindestens S 40.000,-- angeeignet. Die Beklagte weigere sich, dem Kläger die beiden gemeinsamen ehelichen Kinder zurückzugeben. Durch das schuldhafte Verhalten der Beklagten sei die Ehe tief zerrüttet.

Die Frau beantragte die Abweisung der Klage. Sie sei nicht grundlos aus der Ehewohnung ausgezogen. Die Eheleute hätten auf engstem Raum mit den Schwiegereltern der Beklagten zusammenleben müssen. Die Beklagte sei nicht nur von ihrem Ehegatten, sondern auch von der Schwiegermutter geschlagen und von den Angehörigen des Klägers schlecht behandelt worden. Der Beklagten und ihrem Vater sei mitgeteilt worden, daß die Frau nicht mehr erwünscht sei. Die Beklagte habe daher im Haushalt ihres Vaters Aufenthalt nehmen müssen. Nach mehrmaligen Besuchen des Klägers sei es zwar zu einer Versöhnung gekommen, nach etwa einem Monat des Zusammenlebens sei die Beklagte aber von der Familie des Klägers aus der Wohnung geworfen worden, nachdem sie vom Kläger verprügelt und ihr mit einer Zange der Brautschmuck vom Arm geschnitten worden sei. Der Kläger habe der Beklagten den Reisepaß und sonstige Dokumente weggenommen.

Wegen des zu AZ12 Vr 456/92, 12 Hv 2/92 des Landesgerichtes Krems an der Donau gegen den Kläger anhängigen Strafverfahrens wurde das Scheidungsverfahren unterbrochen. Der Kläger wurde des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB schuldig gesprochen, weil er am 28.5.1991 in Absdorf mit Familienangehörigen seiner Frau mit Bereicherungsvorsatz gewaltsam Schmuck im Wert von S 72.500,-- weggenommen habe.

Im fortgesetzten Scheidungsverfahren hielt der Kläger an seinem Begehren auf Scheidung der Ehe wegen Verschuldens der Frau fest. Diese habe ihn mutwillig und grundlos verlassen. Der im Strafverfahren festgestellte Sachverhalt treffe nicht zu (1 zu ON 42). In der Tagsatzung vom 10.11.1994 stellte der Kläger hilfsweise, gestützt auf Art 134 des türkischen Zivilgesetzbuches (türk ZGB), den Antrag auf Scheidung der Ehe wegen deren Zerrüttung. Die Beklagte habe sich geweigert, in die Ehe zurückzukehren (S 4 zu ON 43).

Die Beklagte bestritt das ergänzende Vorbringen und beantragte für den Fall der Feststellung der Zerrüttung der Ehe den Ausspruch des alleinigen bzw überwiegenden Verschuldens des Klägers. Die Beklagte sei "zum Verlassen der ehelichen Gemeinschaft" genötigt worden.

Das Erstgericht schied die Ehe der Parteien ohne Ausspruch eines Verschuldens. Es stellte im wesentlichen fest, daß die Ehe des zur Zeit der Eheschließung 17-jährigen Klägers und der damals 19-jährigen Beklagten von den Eltern der Parteien ausgemacht worden sei. Nach der Heirat seien die Eheleute gemeinsam in den Haushalt des Vaters des Klägers gezogen, wo zahlreiche Verwandte des Klägers gelebt hätten. Den Eheleuten seien nur zwei kleine Räume zur Verfügung gestanden. Der Vater des Klägers habe im Familienband das "Sagen" gehabt. Der Kläger habe nur ein Taschengeld überlassen erhalten. Im Verhältnis der Beklagten zu ihren Schwiegereltern habe es bald zu "kriseln" begonnen. Es sei häufig zu Streitereien gekommen. Die Beklagte habe sich eine eigene Wohnung suchen wollen. Dabei habe sie der Kläger nicht unterstützt. Die Beklagte habe sich immer wieder für einige Tage in den Haushalt ihrer Eltern begeben. Der Kläger habe dagegen nichts eingewendet. Im März 1991 hätten sich die Streitteile einige Tage gemeinsam im Haus der Eltern der Beklagten aufgehalten, danach sei der Kläger wieder in den Haushalt seines Vaters zurückgekehrt. Seitens der Familie des Klägers sei nicht versucht worden, daß die Beklagte mit den Kindern wieder zum Kläger zurückkehre. Nach Einbringung der Ehescheidungsklage habe der Vater des Klägers der Beklagten unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß er eine Versöhnung der Eheleute nicht mehr wolle. Trotzdem sei die Beklagte mit beiden Kindern wieder zum Kläger zurückgekehrt, wobei sie auch den ihr gehörigen Goldschmuck mit sich geführt habe.

Die Familie des Klägers habe Pläne bezüglich der Herausgabe des Goldschmucks der Beklagten geschmiedet. Diesen verwahrte die Beklagte teils im Haus ihres Vaters teils hat sie ihn nach Möglichkeit am Körper getragen. Am 28.5.1991 habe der Vater des Klägers die Beklagte aufgefordert, ihren gesamten Schmuck anzulegen. Es sei zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und seinen Familienangehörigen einerseits und der Beklagten andererseits gekommen. Der Beklagten seien gewaltsam 6 Goldringe von den Fingern gezogen, eine 2 m lange goldene Halskette vom Hals genommen und 10 goldene Armreifen weggenommen worden, wobei die Armreifen teilweise mit einer Zange abgezwickt worden seien. Die Beklagte habe dabei Verletzungen erlitten.

Die eheliche Gemeinschaft der Parteien sei seit dem 28.5.1991 zur Gänze aufgehoben. Der Kläger habe den Ehewillen völlig verloren.

In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt dahin, daß nach §§ 20 Abs 1, 18 Abs 1 und 9 Abs 1 IPRG türkisches Privatrecht anzuwenden sei. Art 131 türk ZGB sehe vor, daß jeder Ehegatte auf Scheidung klagen könne, wenn der andere ein ehrenrühriges Vergehen begangen habe oder einen so unehrenhaften Lebenswandel führe, daß das Zusammenleben für den Kläger unerträglich geworden sei. Art 132 türk ZGB ordne an, daß jeder Ehegatte auf Scheidung klagen könne, wenn der andere ihn in der Absicht verlassen habe, seine Pflichten nicht zu erfüllen oder ohne trifftigen Gründe die eheliche Gemeinschaft nicht wiederherstelle, sofern das Verlassen wenigstens drei Monate gedauert habe und noch nicht beendigt worden sei. Art 134 leg cit normiere, daß jeder der Ehegatten Scheidungsklage erheben könne, wenn die eheliche Gemeinschaft in ihrem Fundament so zerrüttet sei, daß den Ehegatten die Fortsetzung des gemeinsamen Lebens nicht zugemutet werden könne. Überwiege das Verschulden des klagenden Ehegatten, so habe der beklagte Ehegatte ein Einspruchsrecht gegen die erhobene Klage, außer der Einspruch stelle einen Mißbrauch des Rechts dar. Art 150 türk ZGB enthalte Vorschriften an den Richter bei Klagen auf Scheidung und auf Trennung von Tisch und Bett. Das türkische Recht sehe keinen Verschuldensausspruch vor, einzelne Bestimmungen (Art 134 Abs 2, 143 und 144 türk ZGB) würden auf das Verschulden an der Ehezerrüttung Bezug nehmen. Dieses sei bedeutsam für das Einspruchsrecht, für allfälligen Schadenersatz und auch für die Unterhaltsberechtigung.

Der Auszug aus der Ehewohnung könne der Beklagten als Verschulden nicht angerechnet werden, weil am 12.3.1991 die Parteien zunächst gemeinsam in das Elternhaus der Beklagten gezogen seien und eine mehr als drei Monate dauernde Abwesenheit von der Ehewohnung nicht festgestellt habe werden können. Die vor dem Ablauf dieser Frist des Art 132 türk ZGB erfolgte Rückkehr beseitige das Klagerecht. Daß die Beklagte S 40.000,-- dem Kläger entzogen hätte, habe nicht festgestellt werden können, ebenso nicht, daß die Beklagte der Mutter des Klägers Gegenstände in diesem Wert weggenommen hätte. Dem Kläger sei der Nachweis eines ehrenrührigen Verhalten nach Art 131 türk ZGB nicht gelungen, ein lieb- und interessenloses Verhalten der Beklagten habe nicht festgestellt werden können.

Nach dem Vorfall vom 28.5.1991, weswegen der Kläger und seine Verwandten wegen des Verbrechens des Raubes schuldig erkannt worden seien, könne von einem grundlosem Verlassen des ehelichen Haushalts durch die Beklagte keine Rede sein.

Im Hinblick auf die Auflösung der ehelichen Gemeinschaft seit mehr als 3 1/2 Jahren liege der Scheidungsgrund der Zerrüttung der Ehe nach Art 134 Abs 1 türk ZGB vor. Das türkische Recht sehe keinen Verschuldensausspruch vor. Im Hinblick darauf, daß dem "Zerrüttungsverschulden" rechtserhebliche Bedeutung zukomme, sei auszuführen, daß die eheliche Gemeinschaft durch den Vorfall am 28.5.1991 dauerhaft beendet worden sei. Den Kläger treffe zumindest das überwiegende Verschulden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht statt. Ausgehend von den erstinstanzlichen Feststellungen billigte es zunächst die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß nach §§ 20 Abs 1, 18 Abs 1 Z 1 und 9 Abs 1 IPRG nach dem Personalstatut der Parteien türkisches Recht anzuwenden sei. Entscheidend sei es, ob im Falle einer Scheidung wegen Zerrüttung nach Art 134 Abs 1 türk ZGB das Scheidungsurteil einen Verschuldensausspruch, vergleichbar dem Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG zu enthalten habe. Dazu führte das Berufungsgericht folgendes aus:

Das türk ZGB enthalte in den Art 129 (Ehebruch), 130 (Anschlag auf das Leben eines Ehegatten, Mißhandlung, schwere Beleidigungen), 131 (ehrenrührige Vergehen, unehrenhafter Lebenswandel) und 132 (qualifiziertes Verlassen eines Ehegatten) typische Scheidungsgründe aus Verschulden. Das Verschulden eines Ehegatten habe auch nach anderen Bestimmungen Rechtswirkungen. Im Fall der Anstrebung einer Scheidung nach Art 134 türk ZGB habe der beklagte Ehegatte ein Einspruchsrecht, falls das Verschulden des klagenden Ehegatten überwiege. Die Scheidungsfolgen nach Art 143 türk ZGB (Ersatz des materiellen oder immateriellen Schadens) und nach Art 144 türk ZGB (Unterhaltsanspruch im Fall der Bedürftigkeit) knüpften ebenfalls an die Unschuld bzw das Verschulden eines der Ehegatten an. Auch im türkischen Eherecht sei das Verschulden rechtlich relevant. Damit sei aber noch nicht gesagt, daß im Spruch des Scheidungsurteils zwingend ein Verschuldensausspruch enthalten sein müsse, wenn dies - wie hier - von der beklagten Partei beantragt werde. In den Art 138 und 150 türk ZGB würden dem Richter genaue Anweisungen darüber gegeben werden, was er im Verfahren und beim Ausspruch der Scheidung zu beachten habe. Eine Norm, in den Spruch des Urteils einen Verschuldensausspruch aufzunehmen, existiere weder in den materiellrechtlichen Bestimmungen noch in den Bestimmungen des Verfahrensrechtes. Daraus habe das Erstgericht ohne Rechtsirrtum den Schluß gezogen, daß das türkische Recht keinen Schuldausspruch vorsehe. Dies sei von der österreichischen Rechtsprechung anzuerkennen, wie dies beispielsweise auch schon bei Rechtsfällen aus der ehemaligen sozialistischen föderativen Republik Jugoslawien geschehen sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Rechtsfrage, ob nach türkischem Recht bei einer Scheidung wegen Zerrüttung der Ehe ein Verschuldensausspruch vorgesehen sei, eine oberstgerichtliche Rechtsprechung fehle. Weiters herrsche in der türkischen Republik Uneinigkeit darüber, ob die Ansprüche nach Art 143 (Schadenersatz) und 144 (Bedürftigkeitsunterhalt) türk ZGB bei sonstigem Ausspruch gleichzeitig mit der Ehescheidungsklage geltend gemacht werden müßten oder ob solche Ansprüche auch nach rechtskräftiger Ehescheidung verfolgt werden könnten.

Mit ihrer Revision beantragt die Beklagte die Ergänzung des Berufungsurteils durch den Ausspruch, daß den Kläger an der Zerrüttung der Ehe das alleinige (hilfsweise: das überwiegende) Verschulden treffe; hilfsweise wird die Aufhebung des Berufungsurteils beantragt.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht stattzugeben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Vorweg ist festzustellen, daß mit dem Scheidungsurteil der Vorinstanzen dem Eventualbegehren des Klägers auf Scheidung der Ehe wegen Zerrüttung stattgegeben wurde, ohne daß das Hauptbegehren auf Scheidung der Ehe wegen Verschuldens der Frau abgewiesen worden wäre. Aus der Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung geht allerdings hervor, daß das Erstgericht das Vorliegen von Scheidungsgründen wegen Verschuldens der Frau verneinte. Die mangelnde formelle Abweisung seines Hauptbegehrens ließ der Kläger unbekämpft. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist somit nur die Entscheidung der Vorinstanzen über das Eventualbegehren des Klägers.

Die Vorinstanzen haben richtig erkannt, daß die Scheidungssache nach materiellem türkischen Recht zu beurteilen ist. Das Berufungsgericht hat dieses, wie es seit der Gesetzesreform vom Mai 1988 gilt, richtig dargestellt.

Nach Art 134 Abs 1 türk ZGB kann ein Ehegatte die Scheidungsklage erheben, wenn die eheliche Gemeinschaft in ihrem Fundament so zerrüttet ist, daß den Ehegatten die Fortsetzung des gemeinsamen Lebens nicht zugemutet werden kann. Nach Abs 2 leg cit hat der beklagte Ehegatte ein Einspruchsrecht gegen die erhobene Klage, wenn das Verschulden des klagenden Ehegatten überwiegt. Von diesem Einspruchsrecht hat die Revisionswerberin nicht Gebrauch gemacht.

Das türkische Recht sieht neben dem angeführten Scheidungsgrund wegen Zerrüttung der Ehe zahlreiche auf Verschulden eines Ehegatten beruhende Scheidungsgründe vor (Art 129 bis 132 türk ZGB). Auch einzelne Scheidungsfolgen setzen das Verschulden eines Ehegatten an der Zerrüttung (der Scheidung) der Ehe voraus. Der unschuldige Ehegatte hat gegen den schuldigen anderen Ehegatten ein Anrecht auf angemessene Entschädigung, bei schweren Interessenverletzungen ein Recht auf Geldzahlung als moralische Genugtuung (Art 143 türk ZGB). Nach Art 144 türk ZGB kann der Ehegatte, der durch die Scheidung in Bedürftigkeit geraten würde, für seinen Lebensunterhalt unter der Voraussetzung, daß sein Verschulden nicht überwiegt, vom anderen Ehegatten (auf unbegrenzte Dauer) Unterhalt verlangen.

Die Revisionswerberin leitet aus den im türkischen Recht normierten Scheidungsfolgen ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung des Verschuldens des Klägers ab. Die inländischen Gerichte hätten stets österreichisches Verfahrensrecht anzuwenden. Beim Schuldausspruch nach § 60 Abs 3 EheG (gemeint: auch nach § 61 Abs 3 EheG) handle es sich um eine verfahrensrechtliche Bestimmung und zwar um eine besondere Form eines Zwischenantrages auf Feststellung im Sinne des § 236 ZPO. Das Feststellungsinteresse sei nach dem anzuwendenden türkischen materiellen Recht zu bejahen. Zu diesem Revisionsvorbringen ist folgendes auszuführen:

Nach österreichischem Recht ist bei einer Scheidung wegen Verschuldens des Beklagten dies im Urteil auszusprechen (§ 60 Abs 1 EheG), auf Antrag des Beklagten ist die Mitschuld des Klägers auszusprechen (§ 60 Abs 3 EheG). Wenn bei einer Scheidung aus anderen Gründen nur einen Ehegatten das Verschulden trifft, ist dies im Urteil auszusprechen, wenn die Ehe auf Klage und Widerklage geschieden wird (§ 61 Abs 1 EheG). Wird die Ehe nach § 55 EheG geschieden (wegen Auflösung der häuslichen Gemeinschaft) und hat der Kläger die Zerrüttung allein oder überwiegend verschuldet, so ist dies auf Antrag des Beklagten im Urteil auszusprechen (§ 61 Abs 3 EheG). Die Aufnahme des Verschuldensausspruchs in den Spruch des Scheidungsurteils erfolgt von Amts wegen, wenn ein Verschulden mit Klage, Widerklage oder Mitverschuldensantrag geltend gemacht und erwiesen wurde. Der Verschuldensausspruch hat zwischen den Parteien Bindungswirkung für die Fälle, wo das Verschulden an der Eheauflösung Tatbestandsmerkmal ist, also vor allem im Unterhaltsrecht. Infolge der mit der Rechtskraft der Entscheidung verbundenen Präklusionswirkung sind im Unterhaltsverfahren alle Einwendungen ausgeschlossen, die schon im Scheidungsstreit gegen den Schuldantrag vorgebracht hätten werden müssen (EFSlg 48.884). Schon aus dieser Bindungswirkung ist abzuleiten, daß das Recht auf einen Verschuldensausspruch im Scheidungsurteil ein materiellrechtlicher Anspruch ist, mit dem bindend über den Unterhaltsanspruch des schuldlosen oder nur mitschuldigen Ehegatten dem Grunde nach abgesprochen wird. Folgerichtig hat der Gesetzgeber den Anspruch auch im materiellen Recht (im EheG) und nicht in den Verfahrensvorschriften geregelt. Von verfahrensrechtlicher Relevanz ist lediglich, daß der Verschuldensausspruch im Spruch des Scheidungsurteils zu erfolgen hat (in den §§ 60 f EheG ist jeweils nur vom "Urteil" die Rede). Die Notwendigkeit der Aufnahme in den Spruch ergibt sich ganz allgemein daraus, daß über jedes materielle Rechtschutzbegehren im Spruch der Entscheidung abzusprechen ist. Den Entscheidungsgründen kommt grundsätzlich keine bindende Rechtskraftwirkung zu. Die Gründe werden der Rechtskraft nur insofern teilhaftig, als sie zur Individualisierung des Spruchs notwendig sind (Rechberger in Rechberger ZPO Rz 10 zu § 411).

Da mit dem Verschuldensausspruch die Grundlage materiellen Rechts geschaffen wird, sind der Ausspruch selbst und der Anspruch darauf dem materiellen Recht zuzuordnen (Schwind in Klang2 I, 1, 837). Diese Ansicht hat auch der Oberste Gerichtshof in einem vergleichbaren Fall vertreten. Mit der Entscheidung 8 Ob 545/88 (veröffentlicht in EvBl 1989/28) wurde ein Antrag der klagenden Ehegattin auf Ausspruch des Alleinverschuldens des Beklagten abgewiesen. Beide Streitteile waren Staatsbürger des ehemaligen Jugoslawien. Nach der Gesamtrechtsordnung der sozialistischen föderativen Republik Jugoslawien war der Ausspruch eines Verschuldens eines Ehegatten an der Scheidung der Ehe nicht vorgesehen. Der Oberste Gerichtshof erachtete den von den Vorinstanzen vorgenommenen Verschuldensausspruch für unzulässig, weil es der anzuwendenden jugoslawischen Rechtsordnung an einer Norm fehle, auf welche der Ausspruch gegründet werden könnte. Diese Erwägung gilt auch im vorliegenden, nach türkischem materiellen Recht zu entscheidenden Fall. Auch dieses Recht kennt einen Verschuldensausspruch nicht. Es räumt einem wegen Zerrüttung der Ehe geklagten Ehegatten keinen Feststellungsanspruch ein, womit für Scheidungsfolgenansprüche bindend eine Grundlage geschaffen werden könnte.

Insoweit die Revisionswerberin ihren Verschuldenseinwand als Zwischenantrag auf Feststellung im Sinne des § 236 Abs 1 (iVm § 259 Abs 2) ZPO behandelt sehen möchte, ist sie zunächst darauf zu verweisen, daß sie einen derartigen Zwischenantrag im Verfahren erster Instanz formell nicht gestellt hat. Sie begehrte nicht die Feststellung eines im Laufe des Prozesses streitig gewordenen Rechtsverhältnisses oder Rechtes, sondern die Feststellung einer Tatsache (des Verschuldens des Klägers an der Scheidung). Die Zulässigkeit eines Zwischenantrages nach § 236 ZPO hängt von der Präjudizialität des festzustellenden Rechts oder Rechtsverhältnisses für den Klagsanspruch oder den vom Beklagten geltend gemachten Gegenanspruch ab. Für die Scheidung wegen Zerrüttung der Ehe ist die Feststellung des Verschuldens des Prozeßgegners nicht präjudiziell. Einen Gegenanspruch (etwa eine Widerklage oder aber ein Unterhaltsbegehren) hat die Beklagte nicht erhoben. Die Präjudizialität für ein noch nicht geltend gemachtes Recht reicht nach dem Gesetzeswortlaut nicht aus (SZ 23/294).

Der Zwischenantrag des Beklagten ist ein aktives Abwehrmittel mit dem er die rechtskräftige und über den Rechtsstreit hinausreichende Feststellung begehrt, daß das für den Anspruch des Klägers präjudizielle Rechtsverhältnis nicht besteht (Fasching ZPR Rz 1076). Mit der Feststellung des Verschuldens des Klägers an der Scheidung wird weder die Abweisung des Scheidungsbegehrens angestrebt, noch könnte sie dadurch erreicht werden.

Aus der vom Berufungsgericht bei seinem Zulässigkeitsausspruch dargelegten unterschiedlichen Judikatur der türkischen Gerichte über den Zeitpunkt der Geltendmachung von Ansprüchen auf Schadenersatz und Bedürftigkeitsunterhalt (Art 143 f türk ZGB) läßt sich für den Standpunkt der Beklagten nichts gewinnen. Es trifft zu, daß ein Teil der höchstrichterlichen Rechtsprechung in der Türkei die Auffassung vertritt, daß das Scheidungsurteil der vom Gesetzgeber gewollte endgültige Schlußstrich unter der geschiedenen Ehe sei. Es sei zu vermeiden, daß die Eheleute sich nach erfolgter Scheidung noch ein weiteres Mal vor dem Richter träfen, um ihren Konflikt über die Scheidung hinaus fortzusetzen. Die Erhebung einer Schadenersatzklage nach einem rechtskräftigen Scheidungsurteil käme nicht in Frage. Dies gelte auch für den Bedürftigkeitsunterhalt. Zu dieser Problematik kann auf die Darstellung von Rumpf in ZfRV 1988, 272 verwiesen werden. Die Revisionswerberin meint nun, daß dann, wenn nacheheliche Ansprüche schon im Eheverfahren geltend zu machen wären, bei einer in Österreich nach türkischem Recht ausgesprochenen Scheidung wegen Zerrüttung die Beklagte "ihrer nach türkischem materiellen Recht zustehenden Ansprüche auf Grund österreichischen Verfahrensrecht beraubt" werden würde. Diese Ansicht ist schon deshalb nicht stichhältig, weil die unterschiedliche Auffassung in der türkischen Judikatur über eine Befristung der Schadenersatzansprüche (Unterhaltsansprüche) die Beklagte ja keineswegs hindert, vor der Rechtskraft der Scheidung der Ehe in einem östereichischen Verfahren (genauso wie bei einem in der Türkei durchgeführten Scheidungsverfahren) ihre Klage einzubringen. Eine solche Klage ist zwar nach österreichischem Verfahrensrecht keine Widerklage zur Scheidungsklage des Prozeßgegners und daher nicht zwingend mit dem Scheidungsverfahren zu verbinden. Eine Verbindung könnte nach Maßgabe der prozessualen Möglichkeiten nach § 187 ZPO erfolgen. Entscheidend ist aber (ob nun eine Verbindung mit dem Scheidungsverfahren erfolgt oder nicht), daß ein Scheidungsbeklagter seine im Sinn des Art 13 türk Ges. Nr 2675 (IPR und ZV-G) nach türkischem Recht zu beurteilenden nachehelichen Ansprüche durchaus mit eigener Klage in Österreich geltend machen kann. Auch wenn der nach türkischem materiellen Recht zustehende Schadenersatz (Unterhalt) eines Ehegatten im Scheidungsverfahren geltend zu machen ist (vgl wie von Rumpf aaO 275 zitierte Judikatur) so ist diese im türkischen Verfahrensrecht offensichtlich auch für den Scheidungsbeklagten gegebene Verbindungsmöglichkeit für ein in Österreich abzuwickelndes Scheidungsverfahren ohne Bedeutung. Dieses ist nach den österreichischen Verfahrensvorschriften durchzuführen. Die Verfolgbarkeit des materiellen Anspruchs ist von der Frage einer Verbindungsmöglichkeit eines Scheidungsverfahrens mit einem Unterhaltsprozeß unabhängig.

Da die Fragen einer nach türkischem Verfahrensrecht allenfalls zwingenden Verbindungspflicht von Scheidungs- und Unterhaltsbegehren sowie einer allfälligen Befristung der nachehelichen Ansprüche nach türkischem materiellen Recht aus den dargelegten Gründen nicht entscheidungswesentlich sind, liegt der gerügte Mangel des Berufungsverfahrens nicht vor. Die vermißte genauere Erhebung des jüngsten Standes der höchstgerichtlichen Judikatur in der Türkei ist entbehrlich.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 41, 50 ZPO.

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