OGH 4Ob553/95

OGH4Ob553/9519.9.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Graf und Dr.Griß als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am 27.November 1979 verstorbenen Ottilie L***** infolge Revisionsrekurses des Einschreiters Herbert G*****, vertreten durch Dr.Gabriel Lansky, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 7. Juni 1995, GZ 45 R 458/95-6, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Döbling vom 18.April 1995, GZ 2 Nc 65/95k-2, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der Einschreiter, der ein "Büro für Genealogie" betreibt, begehrt die Einsicht in den Verlassenschaftsakt nach Ottilie L*****, deren Nachlaß infolge fruchtlosen Ablaufes der Frist zur Einberufung der unbekannten Erben auf Antrag der Finanzprokuratur dem Staat anheimgefallen ist. Er wolle versuchen, gesetzliche Erben ausfindig zu machen, damit diese ihr Ansprüche gegen die Republik Österreich geltend machen könnten. Ihm und den von ihm zu findenden Personen sei mit der Kenntnis des jeweiligen Heimfälligkeitsbeschlusses und der Daten der erblasserischen Familie gedient. Er entfalte diese Tätigkeit auf eigenes Risiko. Für den Fall des Erfolges werde das Honorar mit den ausgeforschten Personen geregelt.

Das Erstgericht gab dem Ansuchen auf Gewährung der Akteneinsicht nach Rechtskraft statt. Der Antragsteller müsse ein persönliches, ihm selbst zustehendes Interesse an der Akteneinsicht dartun; ein wissenschaftliches Interesse an der in den Prozeßakten behandelten Rechtssache werde als hinreichend angesehen. Kraft Größenschlusses müsse umsomehr das Interesse genügen, in einer Verlassenschaftssache nach etwaigen gesetzlichen Erben des Verstorbenen zu forschen, um diese von ihren Ansprüchen in Kenntnis zu setzen. Dem Büro des Einschreiters sei es in vielen Fällen gelungen, dem Gericht unbekannt gebliebene Erben auszuforschen. Es könne im Rahmen seiner Forschungstätigkeit wesentlich zeitaufwendiger und intensiver nach unbekannten Erben forschen, als dies einem Verlassenschaftskurator überhaupt jemals möglich ist. Da das Büro seine Tätigkeit auf eigenes Risiko entfalte, belaste es weder die Verlassenschaft noch allfällige Erben.

Das Rekursgericht wies infolge Rekurses der Finanzprokuratur den Antrag des Einschreiters ab und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Entgegen der Meinung des Erstgerichtes könne hier § 82 a StPO (BGBl 1993/526) nicht herangezogen werden, sondern nur § 219 Abs 2 ZPO, welcher sinngemäß auch im Verfahren außer Streitsachen anzuwenden ist. Da danach Voraussetzung für die Gewährung der Akteneinsicht ein rechtliches Interesse ist, reiche ein allgemeines öffentliches Interesse an Information ebenso wie ein reines Informationsbedürfnis des Antragstellers selbst nicht aus. Das rechtliche Interesse müsse ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über das bloß wirtschaftliche Interesse oder über Interessen der Information, der Pietät, des Anstandes oder der Ethik hinausreiche. Das Interesse des Einschreiters, nach etwaigen vorhandenen gesetzlichen Erben zu forschen und im Falle des Erfolges diesen nach entsprechender Honorarvereinbarung den Erbantritt zu ermöglichen, sei kein rechtliches und im übrigen auch kein wissenschaftliches, vielmehr lediglich ein wirtschaftliches Interesse.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluß erhobene Revisionsrekurs des Einschreiters ist nicht berechtigt.

Dem Rekursgericht ist darin beizupflichten, daß die Bestimmungen der ZPO über die Akteneinsicht sinngemäß auch im Verfahren außer Streitsachen anzuwenden sind (JBl 1973, 581; SZ 47/141; 1 Ob 623/83; 8 Ob 511/93; Gitschthaler in Rechberger, ZPO, Rz 6 zu § 219 mwN aus dem Schrifttum).

Nach § 219 Abs 2 ZPO können mit Zustimmung beider Parteien auch dritte Personen von den Prozeßakten Einsicht nehmen und Abschriften erheben; fehlt eine solche Zustimmung, so kann einem Dritten eine solche Einsicht- und Abschriftnahme gestattet werden, wenn er ein rechtliches Interesse glaubhaft macht. Das Gericht zweiter Instanz hat schon im Einklang mit Lehre und Rechtsprechung ausgeführt, daß ein allgemeines öffentliches Interesse an Information sowie ein reines Informationsbedürfnis des Einsichtbegehrenden selbst nicht ausreicht (Fasching LB2 Rz 621; EvBl 1992/153; Gitschthaler aaO Rz 2). Das rechtliche Interesse muß ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über das bloß wirtschaftliche Interesse oder über Interessen der Information, der Pietät, des Anstands oder der Ethik hinausreicht (Fasching aaO Rz 398 iVm Rz 621; Gitschthaler aaO). Die Einsicht- und Abschriftnahme muß also Bedeutung für die rechtlichen Verhältnisse des Dritten haben, die Kenntnis des betreffenden Akteninhaltes muß sich auf die privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse des Dritten günstig auswirken; ein bloß wirtschaftliches Interesse reicht nicht aus (Fasching II 1010; 8 Ob 511/93).

Der Einschreiter versucht nun, sein rechtliches Interesse daraus abzuleiten, daß er als Geschäftsführer ohne Auftrag das rechtliche Interesse potentieller Erben wahrnimmt, denen ja der Nachlaß zufallen soll, wogegen das Heimfallsrecht des Staates nur als allerletzte Möglichkeit von der Rechtsordnung gebilligt werde. Außerdem habe er ein eigenes, als Ausfluß des öffentliches Rechtes anzusehendes rechtliches Interesse, weil er ohne die Akteneinsicht sein von der Rechtsordnung gebilligtes freies Gewerbe ("auftragsloses Aufsuchen von erbberechtigten Personen") nicht ausüben könnte. Es widerspreche der Einheit der Rechtsordnung, daß eine grundsätzlich gebilligte gewerbliche Tätigkeit durch die Interpretation verfahrensrechtlicher Bestimmungen praktisch unmöglich gemacht wird.

Mit diesen Ausführungen vermag der Einschreiter sein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht nicht zu begründen:

Die Akteneinsicht ist nicht geeignet, die Rechtsstellung des Einschreiters in irgendeiner Weise zu verändern. Damit werden vielmehr nur seine wirtschaftlichen Chancen erhöht. Würde er im Auftrag von Erbberechtigten handeln, dann stünde ihm das Recht auf Akteneinsicht unzweifelhaft zu. Solange er jedoch auf eigenes Risiko nur in der Hoffnung, allenfalls Erbberechtigte ausfindig machen zu können, tätig wird, fehlt ihm jede rechtliche Beziehung zu den Angelegenheiten der Verlassenschaft. Bei anderer Auffassung müßte auch demjenigen Akteneinsicht gewährt werden, der sich nur darauf berufen kann, er werde versuchen, eine Prozeßpartei oder einen Beteiligten am Außerstreitverfahren zu einer Vollmachtserteilung zu bewegen, damit er ihn beraten oder vertreten könne. Akteneinsicht wäre dann auch allfälligen Mitbewerbern des Einschreiters zu gewähren, die gleichfalls behaupten, sie wollten sich um die Ausmittlung von Erbberechtigten bemühen.

Es trifft aber auch nicht zu, daß sich aus der Ausübung seines freien Gewerbes das rechtliche Interesse des Einschreiters an der Akteneinsicht ergebe. Diese mag in seinem wirtschaftlichen Interesse liegen. Die näheren Daten des oder der Verstorbenen sind ihm zwar aus dem - öffentlich kundgemachten, insbesondere in der "Wiener Zeitung" eingeschalteten - Edikt zur Einberufung der unbekannten Erben bekannt. "Daten der erblasserischen Familie" (S. 1) sind in den Fällen der erblosen Nachlässe selten zu finden; werden dort Verwandte, die als gesetzliche Erben in Frage kommen, genannt, dann werden sie ohnehin vom Gericht verständigt. Von Interesse für den Einschreiter wird aber zweifellos sein, welchen Wert der Nachlaß hat. Es kann aber keine Rede davon sein, daß die Gewerbeausübung für den Einschreiter ohne Akteneinsicht unmöglich wäre.

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