Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:
"Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin binnen vierzehn Tagen die Witwenpension für die Zeit vom 1.10.1992 bis 18.4.1993 nachzuzahlen.
Das Mehrbegehren, die Beklagte sei schuldig, der Klägerin die Witwenpension auch für die Zeit vom 4.8. bis 30.9.1992 nachzuzahlen und ab 19.4.1993 weiterzuzahlen, wird abgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin binnen vierzehn Tagen die einschließlich 1.277,84 S Umsatzsteuer mit 7.667,04 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen."
Die Beklagte hat der Klägerin auch die einschließlich 676,48 S Umsatzsteuer mit 4.058,88 S bestimmten Kosten der Revision zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin befindet sich seit 4.8.1992 in Haft und war zunächst in Untersuchungshaft (U-Haft). Mit (seit 19.4.1993 rechtskräftigem) Urteil des Landesgerichtes Krems an der Donau vom 7.1.1993, 15 Vr 347/92, Hv 17/92-57 wurde sie zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt, auf die die Vorhaft gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB angerechnet wurde. Da in der Folge die bedingte Nachsicht einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe widerrufen wurde, endet die Strafhaft voraussichtlich am 4.6.1997.
Die Klägerin hat gegen die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter Anspruch auf Witwenpension. Nachdem die Beklagte im September 1992 durch einen Postfehlbericht von der Haft der Klägerin erfahren hatte, stellte sie die Auszahlung der Witwenpension ab Oktober 1992 ein (S 285 und 286 des die Klägerin betreffenden Pensionsaktes der Beklagten).
Mit Bescheid vom 27.5.1993 sprach die Beklagte aus, daß die Witwenpension der Klägerin gemäß § 89 Abs 1 ASVG ab 4.8.1992 wegen Verbüßung einer Freiheitsstrafe ruhe.
Das Klagebegehren richtet sich auf Weiterzahlung der nach Ansicht der Klägerin nicht ruhenden Witwenpension. Die Klägerin sei Diabetikerin und müsse während der Haft ihre krankheitsbedingten Zusatzbedürfnisse abdecken. Außerdem müsse sie für die Zeit nach der Haft vorsorgen.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Ruhendstellung sei gerechtfertigt. Die Klägerin habe sich zwar vom 4.8.1992 bis 19.4.1993 in U-Haft befunden. Diese sei jedoch im genannten Urteil auf die Freiheitsstrafe angerechnet worden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach seiner Rechtsansicht ruhe die Witwenpension nach § 89 Abs 1 ASVG bereits seit dem 4.8.1992.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge.
Es berief sich darauf, daß Pensionsansprüche nach den als "ständige Judikatur" bezeichneten Entscheidungen des Oberlandesgerichtes Wien SSV 20/23 und SSV 25/159 auch dann aus dem Grunde der U-Haft ruhten, wenn diese auf die Strafhaft angerechnet werden.
In der Revision macht die Klägerin unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache geltend; sie beantragt, das angefochtene Urteil im Sinne einer gänzlichen Klagestattgebung, allenfalls im Sinne einer teilweisen Klagestattgebung für die Zeit vom 4.8.1992 bis 19.4.1993 abzuändern oder es aufzuheben.
Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nach § 46 Abs 3 ASGG in der hier noch anzuwendenden Fassung BGBl 1989/343 jedenfalls zulässig; sie ist auch teilweise berechtigt. Die folgenden Ausführungen werden nämlich zeigen, daß der Anspruch der Klägerin auf Witwenpension nicht schon ab 4.8.1992, sondern erst ab 19.4.1993 ruht.
Nach § 89 Abs 1 ASVG ruhen die Leistungsansprüche 1. in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung, solange der Anspruchsberechtigte oder sein Angehöriger (§ 123), für den die Leistung gewährt wird, eine Freiheitsstrafe verbüßt oder in den Fällen der §§ 21 Abs 2, 22 und 23 StGB in einer der dort genannten Anstalten angehalten wird; 2. in der Krankenversicherung überdies für die Dauer der Untersuchungshaft. Das Ruhen von Renten(Pensions)ansprüchen aus der Unfallversicherung und aus der Pensionsversicherung nach Abs 1 tritt gemäß Abs 2 nicht ein, wenn die Freiheitsstrafe oder Anhaltung nicht länger als einen Monat währt. Nach § 96 ASVG wird das Ruhen von Renten- und Pensionsansprüchen mit dem Tag des Eintritts des Ruhensgrundes wirksam. Die Renten bzw Pensionen sind von dem Tag an wieder zu gewähren, mit dem der Ruhensgrund weggefallen ist.
In der in MGA ASVG 53.ErgLfg 529f FN 6 teilweise wiedergegebenen RV zur Stammfassung des ASVG 599 BlgNR 7.GP 40 wird zu § 89 ua ausgeführt, daß nach Abs 1 die Leistung für Zeiten der Verbüßung einer vom Gericht oder von der Verwaltungsbehörde (Polizei) verhängten Freiheitsstrafe ... entfalle. Die Untersuchungshaft werde der Strafhaft (Anhaltung) hinsichtlich der Rentenansprüche nicht gleichgestellt, da sie bloß eine vorläufige Maßnahme darstelle und keinen Strafcharakter habe; es erschiene daher unbillig, Rentenzahlungen schon aus dem Grunde der Untersuchungshaft zu verweigern, doch werde eine solche im Falle der Verurteilung in dem Ausmaße, in dem sie auf die Strafhaft angerechnet werde, selbst als Strafhaft zu werten sein. Hingegen sollten nach Abs 2 ..... Leistungen aus der Krankenversicherung auch während einer Untersuchungshaft ruhen, dies in der Erwägung, daß Naturalleistungen ohnehin nicht erbracht werden könnten und für Geldleistungen die innere Begründung, nämlich den durch die Erkrankung verursachten Verlust des Arbeitsentgeltes zu ersetzen, fehle.
In MGA ASVG aaO 530 Anm +) zur erwähnten FN 6 wird zutreffend darauf hingewiesen, daß die Judikatur der Ausführung der RV, im Falle der Verurteilung werde eine U-Haft in dem Ausmaße, in dem sie auf die Strafhaft angerechnet werde, selbst als Strafhaft zu werten sein, zunächst nicht gefolgt sei.
In der E SSV 6/139 führte das Oberlandesgericht Wien als damals letzte Instanz in Leistungsstreitsachen aus, es müsse auch dann ein Ruhen der Leistungsansprüche aus der Unfall- und der Pensionsversicherung für die Dauer der U-Haft verneint werden, wenn diese im Falle einer Verurteilung auf die verhängte Strafe angerechnet werde. Ruhenstatbestand iS des § 89 Abs 1 Z 1 ASVG sei die Verbüßung einer Freiheitsstrafe oder die Anhaltung (in den in dieser Gesetzesstelle genannten Anstalten). Von der Verbüßung einer Freiheitsstrafe könne aber nur gesprochen werden, sobald eine solche durch rechtskräftiges Strafurteil verhängt sei. Die U-Haft stelle lediglich eine vorläufige Sicherungsmaßnahme dar und habe keinesfalls Strafcharakter. Sie werde auch im Falle ihrer nachträglichen Anrechnung auf die verhängte Freiheitsstrafe nicht zur Strafhaft umgewandelt, sondern nur auf deren Ausmaß angerechnet. Von der Verbüßung einer Freiheitsstrafe könne daher für die Dauer der U-Haft nicht gesprochen werden.
Der Oberste Gerichtshof teilte in der E EvBl 1968/422 die in der zit E des Oberlandesgerichtes Wien vertretene Rechtsansicht, daß ein Leistungsanspruch aus der Unfall- oder Pensionsversicherung während einer U-Haft auch dann nicht ruhe, wenn diese nachträglich auf eine Strafe angerechnet werde. Für die Anwendung des § 89 Abs 1 Z 1 ASVG sei entscheidend, wann nach dem Ende der U-Haft die Verbüßung der Freiheitsstrafe begonnen habe.
Diese Rechtsansicht wurde auch im Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Wien in Wien vom 27.9.1979 SVSlg 25.345 vertreten. Dieses führte auch aus, daß der Versicherungsträger seine Leistung während einer Verwahrungs- oder U-Haft nicht zurückhalten dürfe. Er erbringe während dieser Zeiträume keine Vorschußleistungen iS des § 368 Abs 2 ASVG, sondern die bescheidmäßig festgesetzte gebührende Leistung.
In der E SSV 20/23 = SVSlg 25.344 über die gegen dieses schiedsgerichtliche Urteil erhobene Berufung ging das Oberlandesgericht Wien von der bisherigen Rsp ab. Es berief sich auf die in der RV zum ASVG zum Ausdruck gebrachte Meinung, die U-Haft werde im Falle der Verurteilung in dem Ausmaße, in dem sie auf die Strafhaft angerechnet werde, selbst als Strafhaft zu werten sein. Der Gesetzgeber sei sich daher bei der Wahl der Wendung "Freiheitsstrafe verbüßt" der Problematik bei der Anrechnung der Verwahrungs- und U-Haft auf die schließlich verhängte Strafhaft durchaus bewußt gewesen. Er habe, ohne den Charakter dieser verschiedenen Haftarten ändern zu wollen, das Ruhen jedenfalls auf die Dauer der verhängten Freiheitsstrafe abstellen wollen, möge auch der tatsächliche Freiheitsentzug insgesamt nur durch eine Verwahrungs- oder U-Haft erfolgt sein. Bleibe es jedoch nur bei der Vewahrungs- oder U-Haft, komme es also zu keiner Anrechnung, ruhe auch die Leistung für die Zeit einer solchen Haft nicht. Dagegen werde hinsichtlich der Leistungsansprüche in der Krankenversicherung ausdrücklich verfügt, daß diese für die Dauer der U-Haft, also unabhängig davon ruhten, ob später eine Freiheitsstrafe verhängt oder jene Vorhaft angerechnet werde.
An dieser Rechtsansicht hielt das Oberlandesgericht Wien auch in der E SSV 25/159 fest.
Der erkennende Senat hält die in den letzten beiden E des Oberlandesgerichtes Wien vertretene Auslegung des § 89 Abs 1 ASVG nicht für zutreffend und schließt sich der vom Obersten Gerichtshof schon in der E EvBl 1968/422 geteilten früheren Rsp des Oberlandesgerichtes Wien (SSV 6/139) an.
Nach dem Wortlaut des § 89 Abs 1 ASVG ruhen die Leistungsansprüche in allen Sparten der gesetzlichen Versicherung, solange der Anspruchsberechtigte ......... eine Freiheitsstrafe .......... verbüßt (Z 1), in der Krankenversicherung überdies für die Dauer der U-Haft (Z 2). Schon aus der Gegenüberstellung dieser beiden Ziffern ergibt sich, daß die Leistungsansprüche in der Unfall- und in der Pensionsversicherung für die Dauer der U-Haft (und selbstverständlich auch der Verwahrungshaft) nicht ruhen.
Zu diesem Ergebnis kommt man übrigens auch, wenn man die Z 1 ohne Berücksichtigung der Z 2 auslegt. Verwahrungs- und U-Haft sind eben keine Freiheitsstrafen. Die U-Haft ist eine Maßnahme, die den im § 180 Abs 2 StPO bezeichneten Gefahren entgegenwirken soll (§ 184 leg cit). Nach der letztgenannten Gesetzesstelle dürfen den U-Häftlingen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen und der darauf gegründeten Vorschriften nur jene Beschränkungen auferlegt werden, die der Erreichung der Haftzwecke oder der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in den Anstalten dienen. Gemäß § 186 StPO dürfen U-Häftlinge eigene Kleidung und Leibwäsche tragen, soweit sie über ordentliche Kleidungs- und Wäschestücke verfügen (Abs 2). Bequemlichkeiten und Beschäftigungen dürfen sich die U-Häftlinge auf ihre Kosten verschaffen, insofern sie mit dem Zweck der Haft vereinbar sind und weder die Ordnung des Hauses stören noch die Sicherheit gefährden. Sie haben das Recht, sich während der in der Tageseinteilung als Arbeitszeit oder Freizeit bestimmten Zeit selbst zu beschäftigen, soweit dadurch nicht die Haftzwecke oder die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt gefährdet oder Mithäftlinge belästigt werden (Abs 4). U-Häftlinge sind zur Arbeit nicht verpflichtet (Abs 5).
Daß der U-Häftling zB für die während der U-Haft erlaubten Bequemlichkeiten, aber auch für die Kosten seiner Verteidigung während des Vorverfahrens, in der Hauptverhandlung und während des Rechtsmittelverfahrens Geldmittel zur Verfügung haben soll, sind sachlich gerechtfertigte Gründe, Leistungsansprüche aus der Unfall- und der Pensionsversicherung für die Dauer der U-Haft noch nicht ruhen zu lassen. Würden Renten und Pensionen aus der gesetzlichen Sozialversicherung schon für die Dauer der U-Haft ruhen, stünden sie U-Häftlingen auch nicht mehr zur Befriedigung von Forderungen Dritter zur Verfügung, etwa zur Schadensgutmachung, wodurch ihnen ein wichtiger Milderungsgrund verloren ginge. Der U-Häftling könnte seinen Anspruch auf diese Geldleistungen zu diesem Zweck auch mit Zustimmung des Versicherungsträgers nicht mehr übertragen oder verpfänden (§ 98 ASVG). Diese ohnehin nur beschränkt pfändbaren Forderungen könnten auch nicht mehr nach Maßgabe des § 291a EO, ja nicht einmal zur Hereinbringung von Unterhaltsansprüchen nach Maßgabe des § 291b leg cit gepfändet werden. (Allerdings würde den sich im Inland aufhaltenden Angehörigen des Versicherten, die im Falle seines Todes Anspruch auf Hinterbliebenenpension haben, nach § 89 Abs 5 ASVG eine Pension in der Höhe der halben ruhenden Pension gebühren.)
Da es sich bei § 89 ASVG um eine Bestimmung handelt, die das Ruhen eines erworbenen Leistungsanspruches anordnet, verbietet sich eine ausdehnende Auslegung. Eine solche läge aber in der Berücksichtigung der in der RV zur Stammfassung vertretenen Meinung, eine U-Haft wäre im Falle der Verurteilung in dem Ausmaße, in dem sie auf die Strafhaft angerechnet werde, selbst als Strafhaft zu werten. Diese Auffassung der Materialien steht nicht nur mit deren Ausführungen in einem gewissen Widerspruch, daß die U-Haft der Strafhaft (Anhaltung) hinsichtlich der Rentenansprüche nicht gleichgestellt werde, da sie bloß eine vorläufige Maßnahme darstelle und keinen Strafcharakter habe, so daß es unbillig erschiene, Rentenzahlungen schon aus dem Grunde der U-Haft zu verweigern. Sie fand auch - wie schon dargelegt - im Wortlaut des § 89 ASVG keinen Niederschlag.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß es sich bei dem die Anrechnung der Vorhaft auf Freiheits- und Geldstrafen anordnenden § 38 StGB um eine strafrechtliche Bestimmung handelt, durch die die Dauer der zu verbüßenden Freiheitsstrafe verkürzt oder die verhängte Geldstrafe vermindert wird. Ob die (auf eine unbedingte Freiheitsstrafe) angerechnete Vorhaft strafrechtlich zu einer Strafhaft wird, kann hier dahingestellt bleiben. Diese strafrechtliche Anrechnungsbestimmung hat keinerlei Auswirkungen auf die Auslegung der Wortfolge "solange der Anspruchsberechtigte ... eine Freiheitsstrafe verbüßt" im § 89 Abs 1 Z 1 ASVG, bei dem es sich um eine Norm des Sozialversicherungsrechtes handelt. Solange sich der Anspruchsberechtigte in Verwahrungs- oder U-Haft befindet, "verbüßt er keine Freiheitsstrafe".
Im vorliegenden Fall befand sich die Klägerin vom 4.8.1992 bis 18.4.1993 in U-Haft; erst seit 19.4.1993 ist sie in Strafhaft und "verbüßt eine Freiheitsstrafe". Seither ruht ihre Witwenpension nach § 89 Abs 1 Z 1 ASVG.
Deshalb ist das auf Weiterzahlung der Witwenpension gerichtete Klagebegehren nur teilweise berechtigt: In der Zeit vom 4.8. bis 30.9.1992 ruhte der Leistungsanspruch der Klägerin zwar nicht nach § 89 Abs 1 Z 1 ASVG. Da die Witwenpension aber bis September 1992 ohnehin ausgezahlt wurde, hat die Klägerin bis dahin keinen Anspruch auf (neuerliche) Zahlung. Für die Zeit vom 1.10.1992 bis 18.4.1993 ist ihr Leistungsbegehren berechtigt, weil der Anspruch auf Witwenpension nicht nach § 89 Abs 1 Z 1 ASVG ruhte und die Beklagte für diesen Zeitraum keine Leistung erbrachte. Ab dem 19.4.1993 ist das Leistungsbegehren nicht berechtigt, weil der Anspruch auf Witwenpension seither nach § 89 Abs 1 Z 1 ASVG ruht.
Die Urteile der Vorinstanzen sind daher wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a und Abs 2 ASGG.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)