OGH 4Ob563/95(4Ob564/95)

OGH4Ob563/95(4Ob564/95)18.9.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag, Dr.Kodek, Dr.Niederreiter und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Adelhaid E*****, vertreten durch Dr.Anton Waltl und Dr.Peter Krempl, Rechtsanwälte in Zell am See, wider die beklagte und widerklagende Partei Marinus E*****, vertreten durch Dr.Friedrich Krall, Rechtsanwalt in Kufstein, wegen Ehescheidung und Unterhalt, infolge Revision der Klägerin und Widerbeklagten gegen das Teilurteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom 5.April 1995, 21 a R 46/94-19, mit dem das Urteil des Bezirksgerichtes Zell am See vom 11.Oktober 1994, 3 C 42/94y-12(3 C 46/94m) teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Teilurteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes über das Scheidungsbegehren wiederhergestellt wird.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile schlossen am 22.4.1988 vor dem Standesamt in G*****, Holland, die Ehe. Der Beklagte und Widerkläger (in der Folge: Beklagter) ist niederländischer Staatsangehöriger, die Klägerin und Widerbeklagte (in der Folge: Klägerin) österreichische Staatsbürgerin. Für die Klägerin war es die erste, für den Beklagten die vierte Ehe. Der Ehe entstammen keine Kinder. Ehepakte wurden nicht errichtet. Der letzte gemeinsame Wohnsitz der Streitteile war in H***** in Salzburg.

Die Streitteile waren schon einige Jahre vor der Eheschließung miteinander näher bekannt. Der Beklagte arbeitete im Hotelbetrieb, der damals noch von der Mutter der Klägerin geführt wurde, 1985 aber von der Klägerin übernommen wurde und seither von den Streitteilen gemeinsam geführt wird. Schon zu dieser Zeit beschwerten sich Gäste über den Beklagten, daß er zu rechthaberisch sei. Es kam auch vor, daß Gäste meinten, der Beklagte trinke zuviel.

Die Klägerin heiratete den Beklagten dennoch, weil sie meinte, er werde den Umgang mit den Gästen noch lernen und sich überhaupt ändern. Ihre Erwartungen erfüllten sich nicht; ihre Vorhalte blieben wirkungslos. Der Beklagte setzte sie vor den Gästen herab; er trank, insbesondere im Sommer 1988, übermäßig Alkohol. Nach einer kurzen - krankheitsbedingten - Besserung nahm sein Alkoholkonsum wieder zu. Es kam oft vor, daß er von der Klägerin in alkoholisiertem Zustand einen Geschlechtsverkehr verlangte; er veranlaßte sie auch, mit ihm Pornofilme anzuschauen, obwohl sie daran nicht interessiert war. Die Klägerin empfand es als deprimierend, daß der Beklagte, wie vor längerer Zeit geschehen, vor dem Geschlechtsverkehr Pornofilme anschaute. Die Klägerin wußte, daß der Beklagte zeugungsunfähig war; sie war aber aufgrund, seiner Mitteilungen der Auffassung, daß es nur eines - auch von ihm gewollten - kleinen Eingriffes bedürfe, um die Zeugungsunfähigkeit zu beheben.

Aufgrund des Verhaltens des Beklagten dachte die Klägerin schon etwa ein Jahr nach der Eheschließung an Scheidung; sie wäre aber - sogar noch bis zu ihrem Ausziehen aus der Ehewohnung im Februar 1994 - bereit gewesen, an der Ehe festzuhalten, hätte sich der Beklagte geändert. Eine Änderung seines Verhaltens wurde aber immer unwahrscheinlicher. Nach einigen Jahren hatte die Klägerin auch nicht mehr den Wunsch, mit dem Beklagten ein Kind zu haben. Zuvor hatte der Beklagte die Klägerin immer wieder vertröstet, wenn sie ihn wegen der Behebung seiner Zeugungsunfähigkeit angesprochen hatte.

Im Sommer 1993 lernte die Klägerin Erwin W***** kennen; im September 1993 nahm sie mit ihm intime Beziehungen auf. Am 20.2.1994 zog die Klägerin aus der Ehewohnung aus.

Die Klägerin begehrt, die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten zu scheiden; der Beklagte beantragt, die Ehe aus dem Alleinverschulden der Klägerin zu scheiden. Gleichzeitig begehrt er einen monatlichen Unterhalt von S 10.000,-; eventualiter einen Unterhalt in Höhe von 40 % des gemeinsamen Realeinkommens abzüglich seines eigenen Einkommens.

Die Klägerin brachte vor, daß der Beklagte durch sein ehewidriges Verhalten - insbesondere seine Alkoholexzesse - die Ehe unheilbar zerrüttet habe. Ihre Beziehung zu einem anderen Mann trete gegenüber dem Verhalten des Beklagten in den Hintergrund.

Der Beklagte stützte sein Scheidungsbegehren auf die ehebrecherischen Beziehungen der Klägerin zu Erwin W*****.

Beide Parteien beantragen, die Klage des jeweils anderen Teiles abzuweisen.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem gleichteiligen Verschulden beider Teile und wies das Unterhaltsbegehren ab.

Beide Parteien hätten die Ehe durch schwere Eheverfehlungen schuldhaft so tief zerrüttet, daß die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden könne. Bei der Verschuldensabwägung seien auch verfristete und verziehene Eheverfehlungen zu berücksichtigen. Der Beklagte habe durch seine häufige Alkoholisierung die Ehe allmählich zerrüttet. Auch die Klägerin habe durch die Aufnahme einer intimen Beziehung zu einem anderen Mann und die Beendigung der ehelichen Gemeinschaft gewichtige Eheverfehlungen begangen. Diese hätten aber weniger Bedeutung, weil die Ehe schon vorher weitgehend zerrüttet gewesen sei. Nach Zerrüttung der Ehe begangene Eheverfehlungen spielten bei der Verschuldensabwägung keine entscheidende Rolle. Das Unterhaltsbegehren sei unbegründet, weil die Ehe weder aus dem alleinigen noch aus dem überwiegenden Verschulden der Klägerin geschieden worden sei.

Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichtes dahin ab, daß es mit Teilurteil die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden der Klägerin schied. Die Entscheidung über das Unterhaltsbegehren hob es auf und verwies die Rechtssache insoweit an das Erstgericht zurück. Das Berufungsgericht sprach aus, daß die Revision nicht zulässig sei.

Die Klägerin habe letztlich wegen ihrer Beziehung zu Erwin W***** den Ehewillen verloren. Bei Aufnahme der ehebrecherischen Beziehung sei die Ehe noch nicht unheilbar zerrüttet gewesen, weil die Klägerin bis zu ihrem Ausziehen aus der ehelichen Wohnung bereit gewesen wäre, an der Ehe festzuhalten, hätte der Beklagte sein Verhalten geändert. Der Ehebruch der Klägerin falle daher bei der Verschuldensabwägung entscheidend ins Gewicht; die - wenn auch schweren - Eheverfehlungen des Beklagten glichen ihn nicht aus.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Teilurteil gerichtete außerordentliche Revision der Klägerin ist zulässig und berechtigt. Der Rechtsmittelantrag, das Ersturteil wiederherzustellen, deutet zwar darauf hin, daß die Klägerin auch den Aufhebungsbeschluß anficht; aus der Anfechtungserklärung und aus den Rechtsmittelausführungen ist aber zu ersehen, daß sich das Rechtsmittel nur gegen das Teilurteil richtet. Ein Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluß wäre im übrigen zurückzuweisen, weil das Berufungsgericht den Rekurs an den Obersten Gerichtshof nicht zugelassen hat (§ 519 Abs 1 Z 2 ZPO).

Die Klägerin vertritt die Auffassung, daß die Ehe schon vor Aufnahme ihrer ehebrecherischen Beziehung unheilbar zerrüttet gewesen sei. Das Berufungsgericht habe ihre Aussage nur teilweise berücksichtigt. Sie wäre zu einer Aufrechterhaltung der Ehe nur unter der - unrealistischen und rein theoretischen - Annahme bereit gewesen, daß der Beklagte sein Verhalten ändere. Unheilbar zerrüttet sei die Ehe schon gewesen, als die Klägerin den Wunsch verloren habe, mit dem Beklagten ein Kind zu haben.

Die Klägerin ist österreichische Staatsbürgerin, der Beklagte niederländischer Staatsangehöriger. Da die Streitteile demnach kein gemeinsames Personalstatut haben und auch nie gehabt haben, bestimmen sich die persönlichen Rechtswirkungen der Ehe und damit auch das Scheidungsstatut nach dem Recht des Staates, in dem beide Ehegatten im Zeitpunkt der Ehescheidung ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (§ 20 Abs 1; § 18 Abs 1 IPRG). Es ist daher, wie durch die Vorinstanzen auch geschehen, österreichisches Recht anzuwenden.

Nach § 47 Abs 1 EheG kann ein Ehegatte Scheidung begehren, wenn der andere die Ehe gebrochen hat; nach § 49 EheG ist das Scheidungsbegehren gerechtfertigt, wenn der andere durch eine sonstige schwere Eheverfehlung oder durch ehrloses oder unsittliches Verhalten die Ehe schuldhaft so tief zerrüttet hat, daß die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden kann. Bei einer Scheidung wegen Verschuldens hat das Urteil einen Schuldausspruch zu enthalten (§ 60 EheG).

Nach ständiger Rechtsprechung soll nur das erheblich schwerere Verschulden eines Teiles im Scheidungsurteil zum Ausdruck kommen (EFSlg 54.471; 60.252; 66.447 uva); der Unterschied muß offenkundig und augenscheinlich hervortreten (EFSlg 60.251; 60.253; 66.444; 66.445; 69.265 uva): Ein Ausspruch überwiegenden Verschuldens ist nur gerechtfertigt, wenn das mindere Verschulden fast völlig in den Hintergrund tritt (EFSlg 60.249; 63.465; 66.443; 69.266 uva), weil das überwiegende Verschulden grundsätzlich (zB §§ 63, 64, 66 EheG) dem Alleinverschulden gleichsteht. Auch nur ungefähr gleiches Verschulden führt zum Ausspruch gleichteiligen Verschuldens (EFSlg 57.233; 60.250 uva). Bei der Abwägung des beiderseitigen Verschuldens ist vor allem zu berücksichtigen, wer mit der schuldhaften Zerstörung der Ehe begonnen hat (EFSlg 60.246; 60.257; 63.439 uva). Bei der Beurteilung des Verschuldens sind alle Umstände zu berücksichtigen und in ihrer Gesamtheit gegenüberzustellen. Dabei ist auch auf verziehene oder verfristete Eheverfehlungen Bedacht zu nehmen (EFSlg 51.657; 54.468; 63.457 uva). Auch ein Ehebruch muß nicht immer zum überwiegenden Verschulden führen (EFSlg 57.222 mwN; Pichler in Rummel, ABGB2 § 60 EheG Rz 2 mwN; zuletzt etwa 4 Ob 571/94).

Wendet man diese Rechtssätze auf den vorliegenden Fall an, so ist der Ausspruch überwiegenden Verschuldens der Klägerin nicht gerechtfertigt. Der Beklagte hat durch Jahre hindurch schwere Eheverfehlungen (Alkoholmißbrauch, Nichtbeheben der Zeugungsunfähigkeit, Herabsetzen der Klägerin vor den Gästen etc) begangen; erst dann ist es zum Ehebruch der Klägerin gekommen. Daß die Klägerin noch bereit gewesen wäre, die Ehe fortzusetzen, wenn sich der Beklagte entscheidend geändert hätte, bedeutet nicht, daß die Ehe nicht zerrüttet gewesen wäre. Einerseits hat die Klägerin diese Möglichkeit als rein theoretisch bezeichnet, anderseits geht aus ihrer Erklärung hervor, daß sie unter den tatsächlich gegebenen Umständen gerade nicht bereit war, an der Ehe festzuhalten. Die tatsächliche Sachlage ist aber maßgebend, hat sich der Beklagte doch nicht geändert. Daß die Ehe zerrüttet war, zeigt sich auch darin, daß die Klägerin ihren Wunsch aufgegeben hat, mit dem Beklagten ein Kind zu haben. Die Klägerin hat den Ehebruch demnach erst begangen, als die Ehe durch die schweren Eheverfehlungen des Beklagten bereits zerrüttet war. Ihr Verschulden wiegt unter diesen Umständen nicht oder jedenfalls nicht erheblich schwerer als das des Beklagten, so daß das Erstgericht die Ehe zu Recht aus dem gleichteiligen Verschulden beider Parteien geschieden hat.

Der Revision war Folge zu geben; die Entscheidung des Erstgerichtes war im Umfang des Teilurteiles wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte