OGH 7Ob30/95

OGH7Ob30/9513.9.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*****Versicherung*****, vertreten durch Dr.Herwig Hammerer und Dr.Alois Autherith, Rechtsanwälte in Krems, wider die beklagte Partei Günter G*****, vertreten durch Dr.Ferdinand Weber und Dr.Hannes Hirtzberger, Rechtsanwälte in Krems, wegen S 100.000 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 1.März 1995, GZ 16 R 22/95-25, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Krems vom 10.Oktober 1994, GZ 4 Cg 150/93-18, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Das Urteil des Gerichtes zweiter Instanz wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Gericht zweiter Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Beklagte verschuldete am 25.7.1992 als Lenker seines bei der klagenden Partei haftpflichtversicherten PKWs auf der Donaubrücke bei Krems einen Auffahrunfall, bei dem der PKW der Firma B***** schwer beschädigt und dessen Lenkerin Marianne L***** verletzt wurde. Die klagende Partei mußte zur Abdeckung des Fahrzeugschadens S 293.888 aufwenden. Der Beklagte wurde mit rechtskräftiger Strafverfügung des Bezirksgerichtes Krems/Donau vom ***** U ***** schuldig erkannt, er habe "am 25.7.1992 in Furth dadurch, daß er mit seinem PKW aufgrund eines Sekundenschlafes in alkoholbeeinträchtigtem und übermüdetem Zustand auf den PKW der Marianne L***** auffuhr, wobei diese eine Schädelprellung erlitt, fahrlässig Marianne L***** am Körper verletzt und hiedurch das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB begangen".

Die klagende Partei begehrt vom Beklagten S 100.000 sA unter Berufung auf § 6 Abs 2 VersVG und Art 6 Abs 2 AKHB, weil der Beklagte in einem durch Alkohol beeinträchtigten und übermüdeten Zustand infolge eines Sekundenschlafes auf den PKW der Firma B***** ***** aufgefahren und deshalb auch strafgerichtlich verurteilt worden sei.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Er bestritt, beim Unfall durch Alkohol beeinträchtigt gewesen zu sein. Die Strafverfügung habe er deshalb akzeptiert, weil klar gewesen sei, daß ihn ein Verschulden am Unfall treffe. Eine Verurteilung im Sinn des § 88 Abs 3 StGB sei nicht erfolgt.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Es traf noch folgende Feststellungen: Der in K***** wohnende Beklagte stand am 24.7.1992 um 5,30 Uhr in der Früh auf und fuhr mit dem Zug zur Arbeit nach K*****. Er beendete seine Arbeit um 15,15 Uhr und fuhr dann mit dem Zug zurück. Bis etwa 17,00 Uhr war er zu Hause. Während dessen saß er einige Zeit lang auf der Couch vor dem Fernseher. Am Abend fuhr er mit seinem PKW nach B*****. Dort hielt er sich zunächst bis 22,30 Uhr bei seiner Freundin auf. Anschließend fuhr er mit ihr zu einem in B***** stattfindenden Fest. Der Beklagte half dort beim Ausschenken und beim Würstelbraten bis etwa 5,00 Uhr früh des Unfalltages mit. Anschließend brachte er seine Freundin heim und hielt sich mit anderen Personen bei ihr noch etwa bis 1/2 8 Uhr morgens auf. Dann brach er mit seinem PKW auf. Auf dem Fest hatte er 2/16 l Baileys, bei der Freundin ein Bier und eine Dose Redbull getrunken. Gegen 8,25 Uhr erreichte er die Kremser Donaubrücke. Er nickte kurz ein und schloß kurz die Augen, weil er übermüdet war. Als der die Augen wieder öffnete, befand er sich nur mehr 3 bis 4 m hinter dem von Marianne L***** gelenkten PKW. Er bremste zwar noch, konnte aber den Auffahrunfall nicht mehr verhindern. Nach dem Unfall wurde beim Beklagten um 9,45 Uhr ein Alkomattest durchgeführt. Er hatte im Unfallszeitpunkt einen Blutalkoholwert von ca 0,45 %o. Der Umstand, daß der Beklagte vor dem Unfall länger als 24 Stunden nicht geschlafen hatte und daß er den genannten Blutalkoholwert aufwies, führte bei ihm zu einer solchen Leistungseinbuße, daß er zur Unfallszeit fahruntüchtig war.

Das Erstgericht vertrat rechtlich die Ansicht, daß eine 0,4 %o übersteigende Alkoholisierung im Zusammenhang mit dem Einnicken den prima-facie-Beweis begründe, daß der Tatbestand des § 5 Abs 1 StVO erfüllt sei, so daß der Beklagte den Gegenbeweis anzutreten gehabt hätte, der ihm jedoch nicht gelungen sei. Die klagende Partei sei daher zum Regreß nach § 6 Abs 2 Z 2 AKHB berechtigt.

Das Gericht zweiter Instanz änderte dieses Urteil im Sinne einer Klagsabweisung ab und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Ob beim Beklagten eine im Sinn des § 5 Abs 1 StVO relevante Alkoholbeeinträchtigung vorgelegen sei, lasse sich der Strafverfügung nicht entnehmen. Es sei weder eine Bestrafung des Beklagten wegen einer alkoholisierungsbedingten Fahruntüchtigkeit erfolgt noch fänden sich im Wortlaut der Strafverfügung irgendwelche Anhaltspunkte, die eine wie immer geartete Quantifizierung oder Qualifizierung der Alkoholbeeinträchtigung erlaubten. Die Alkoholbeeinträchtigung müsse jedoch im verurteilenden Erkenntnis, auf welche Weise auch immer, so festgestellt sein, daß ihre Relevanz im Sinn des § 5 Abs 1 StVO erkennbar sei. Es fehle daher dem Regreßanspruch an der in § 6 Abs 2 Z 2 AKHB 1988 genannten Voraussetzung der Feststellung eines nach den Straßenverkehrsvorschriften bedeutsamen durch Alkohol beeinträchtigten Zustand des Lenkers in einem verurteilenden Erkenntnis des Strafgerichtes oder der Verwaltungsbehörde. Die Revision sei zulässig, weil die in ZVR 1989/97 veröffentlichte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes auch anders interpretiert werden könnte.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der klagenden Partei ist zulässig und im Sinne einer Aufhebung des Urteiles zweiter Instanz berechtigt.

Wie das Gericht zweiter Instanz insoweit zutreffend ausgeführt hat, bestimmt Art 6 Abs 2 Z 2 AKHB 1988 die Obliegenheit des Versicherungsnehmers im Sinn des § 6 Abs 2 VersVG, daß der Lenker sich nicht in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand im Sinn des § 5 Abs 1 oder 8 StVO befindet, wobei dieser Umstand in dem rechtskräftigen Erkenntnis eines Strafgerichtes oder einer Verwaltungsbehörde, und zwar im Spruch oder in der Begründung festgestellt werden muß. Nach § 5 Abs 1 StVO darf, wer sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befindet, ein Fahrzeug weder lenken noch in Betrieb nehmen. Bei einem Blutalkoholgehalt von 0,8 %o und darüber gilt der Zustand einer Person als von Alkohol beeinträchtigt. Der Versicherer hat den objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung zu beweisen: Er hat also zu beweisen, daß die Fahrtüchtigkeit des Lenkers durch Alkohol beeinträchtigt war. Eine derartige Beeinträchtigung ist bei einem Blutalkoholgehalt von 0,8 %o jedenfalls anzunehmen (§ 5 Abs 1 StVO: "gilt als beeinträchtigt"). Ein Gegenbeweis fehlender Beeinträchtigung ist in diesem Fall nicht möglich (ZVR 1989/97 mwN).

Die Leistungsfreiheit des Versicherers tritt nur unter der doppelten Voraussetzung ein, daß das Gericht eine Alkoholbeeinträchtigung im Sinn des § 5 Abs 1 StVO feststellt und ein rechtskräftiges Erkenntnis der Verwaltungsbehörde oder des Strafgerichtes im gleichen Sinn vorlegt (VersRdSch 1974, 339 ua).

Die strafgerichtliche Verurteilung des Beklagten erfolgte im vorliegenden Fall in Form einer Strafverfügung. In der Strafverfügung, die dieselbe Wirkung hat wie ein rechtskräftiges Strafurteil (SSt 13/59), muß gemäß § 461 Z 1 StPO die Beschaffenheit der strafbaren Handlung, die Zeit und der Ort ihrer Begehung angegeben sein. Eine Strafverfügung muß nicht nur die strafbare Handlung ihrer Art nach angeben, sondern auch die Tathandlungen konkretisieren (RZ 1982/7 ua). Die Tathandlung wurde im vorliegenden Fall unter anderem dadurch konkretisiert, daß sich der Beklagte im Unfallszeitpunkt in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden hat.

Daß im vorliegenden Fall der Alkoholisierungsgrad nicht näher beschrieben und auch nicht eigens die Wortfolge "in einem nach den Straßenverkehrsvorschriften bedeutsamen..." angeführt wurde, vermag an der Feststellung der Alkoholbeeinträchtigung im Sinn des Art 6 Abs 2 Z 2 AKHB im Text der den Beklagten verurteilenden Strafverfügung nichts zu ändern. Der in der Strafverfügung (unter anderem) enthaltene Vorwurf des Lenkens des Fahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand kann nichts anderes bedeuten, als daß der Alkoholkonsum des Beklagten als relevant erachtet wurde und nach Ansicht des Strafgerichtes für das zum Unfall führende Fehlverhalten mitverantwortlich war. Ansonsten hätte ja kein Anlaß bestanden, den Beklagten (zusätzlich) anzulasten, das Fahrzeug in einem "alkoholbeeinträchtigten" Zustand gelenkt zu haben. Wie der erkennende Senat bereits in der vom Gericht zweiter Instanz zitierten Entscheidung ZVR 1989/97 unmißverständlich ausgeführt hat, kann nicht maßgebend sein, mit welchen konkreten Worten der Umstand, daß sich der Lenker in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden hat, im Erkenntnis des Strafgerichtes oder der Verwaltungsbehörde" festgestellt" wird. Eine präzisere Ausführung dieses Begriffes in dem verurteilenden Erkenntnis ist daher nicht erforderlich, damit die eine Tatbestandsvoraussetzung des § 6 Abs 2 Z 2 HKB 1988 als erfüllt anzusehen ist.

Es bleibt daher zu prüfen, ob (auch) im vorliegenden Verfahren als erwiesen anzunehmen ist, daß beim Beklagten eine Alkoholbeeinträchtigung im Sinn des § 5 Abs 1 StVO vorlag. Die eine solche Beeinträchtigung bejahenden Feststellungen des Erstgerichtes wurden in der Berufung des Beklagten im Rahmen der Beweis- und Mängelrüge bekämpft. Wie bereits ausgeführt, ist (nur) bei einem mindestens 0,8 %o betragenden Blutalkoholwert eine Beeinträchtigung durch Alkohol im Sinn des § 5 Abs 1 StVO jedenfalls anzunehmen, während im anderen Fall diese Frage zusätzlich geprüft werden muß, wobei die Beweislast den Versicherer trifft. Ein Blutalkoholgehalt von 0,45 %o bedeutet auch im Zusammenhalt mit den sonstigen Umständen dieses Unfalles noch nicht, der Beklagte müßte jedenfalls relevant alkoholisiert gewesen sein. Es wird daher im fortgesetzten Verfahren klarzustellen sein, ob als erwiesen anzunehmen ist, daß sich der Beklagte im Unfallszeitpunkt infolge seines Alkoholgenusses nicht mehr in einer solchen körperlichen und geistigen Verfassung befand, in der er ein Fahrzeug zu beherrschen und bei dessen Lenkung von ihm zu beachtende Vorschriften zu befolgen vermochte (SZ 49/140 ua). Das Gericht zweiter Instanz wird sich demnach mit den diesbezüglichen Ausführungen der Berufung des Beklagten zu befassen haben, auf die es bislang infolge seiner dargelegten Rechtsansicht nicht eingegangen ist.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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