OGH 8ObA202/95

OGH8ObA202/9518.8.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Langer und die fachkundigen Laienrichter Dr.Herbert Vesely und Dr.Anton Wladar in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Gerhard W*****, vertreten durch Dr.Walter Silbermayr, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei K***** Gesellschaft m.b.H., ***** vertreten durch Dr.Martin Zenz, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 138.581,81 brutto abzüglich S 36.687,60 netto, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9.September 1994, GZ 32 Ra 115/94-26, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 10.Februar 1994, GZ 14 Cga 28/93a-21, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, daß die Entscheidung als

Zwischenurteil

lautet:

Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger S 138.581,81 brutto abzüglich S 36.687,60 netto samt 4 % Zinsen aus S 101.894,21 seit 2.Dezember 1992 zu bezahlen, besteht dem Grunde nach, soweit es sich um entlassungsabhängige Ansprüche handelt, zu einem Drittel zu Recht, und zu zwei Dritteln nicht zu Recht.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit 4.12.1989 bei der beklagten Gesellschaft mbH als KFZ-Elektromeister beschäftigt. Sein monatlicher Bruttolohn betrug S

22.200.

Am 1.12.1992 kam es anläßlich einer für den Kläger schwierigen Reparatur einer Alarmanlage an einem KFZ in der Werkstatt zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Geschäftsführer der beklagten Partei und dem Kläger. Im Verlaufe des Wortwechsels nahm der Geschäftsführer den Kläger mit beiden Händen am Kopf, und zwar im Bereich der Ohren. Er redete auf den Kläger laut ein und schrie ihn an, unter anderem äußerte er: "Sie sind bei Gott nicht normal". Daraufhin versetzte der Kläger dem Geschäftsführer zumindest zwei Faustschläge ins Gesicht, sodaß dieser rückwärts zu Boden fiel. Der Geschäftsführer erlitt eine blutende Wunde im Bereich der Lippen. Als sich der Kläger daraufhin entfernte, rief ihm der Geschäftsführer nach, er sei fristlos entlassen. Am 2.12.1992 richtete der Geschäftsführer der beklagten Partei ein Schreiben an den Kläger mit dem Inhalt, daß er aufgrund der gestrigen Handgreiflichkeiten fristlos gekündigt werde. Er erstattete gegen den Kläger keine Strafanzeige, wohl aber der Kläger gegen den Geschäftsführer der beklagten Partei; diesbezüglich ist beim Bezirksgericht noch ein Strafverfahren anhängig.

Der Kläger begehrt den Zuspruch eines Bruttobetrages von S 138.581,81 abzüglich eines Nettobetrages von S 36.687,60 sA und brachte vor, er sei von der beklagten Partei zu Unrecht entlassen worden. Diese schulde ihm noch Lohn für zwei Tage, die Weihnachtsremuneration für 1992, eine Abfertigung in der Höhe von zwei Monatsentgelten und eine Kündigungsentschädigung für den Zeitraum vom 3.12.1992 bis 1.1.1993. Er habe auch noch einen offenen Urlaubsanspruch von 36 Arbeitstagen. Auf die aushaftenden Forderungen habe die beklagte Partei lediglich einen nicht näher spezifizierten Betrag von S 36.687,60 netto überwiesen.

Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach, beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und brachte vor, der Kläger habe den Geschäftsführer der beklagten Partei am 1.12.1992 tätlich angegriffen und ihn dabei zwei Faustschläge ins Gesicht versetzt, wodurch dieser eine blutende Wunde an der Lippe erlitten habe. Aus diesem Anlaß sei der Kläger berechtigt entlassen worden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Verhalten des Klägers stelle einen Entlassungsgrund dar; auch wenn man von einem vorangehenden körperlichen Angriff des Geschäftsführers ausgehe, habe der Kläger die Grenzen der angemessenen Abwehr in jedem Fall überschritten.

Das Berufungsgericht bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung und führte aus: Für die Anwendung der Regeln über den Vorteilsausgleich sei kein Raum. Das Verhalten des Klägers, der dem Geschäftsführer der beklagten Partei zwei Faustschläge ins Gesicht versetzt habe, wiege gegenüber dem festgestellten Halten des Kopfes des Klägers durch den Geschäftsführer so viel schwerer, daß ein Vorteilsausgleich nicht in Frage komme. Dieses Festhalten am Kopf stelle keine so erhebliche Ehrverletzung dar, daß sie zwei Faustschläge ins Gesicht rechtfertigen könnte.

Der Kläger ficht die berufungsgerichtliche Entscheidung zur Gänze wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung an und beantragt, sie im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise berechtigt.

In den Punkten 1 bis 3 der Revisionsschrift versucht der Kläger unzulässigerweise, die Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen zu bekämpfen.

Zu Recht bekämpft er aber unter Punkt 4 die Nichtanwendung der Regeln über den "Vorteilsausgleich" (§ 1162 c ABGB, § 32 AngG ua). Das Berufungsgericht gesteht zwar das grundsätzliche Vorliegen der Voraussetzungen für eine Kulpakompensation zu, verneint aber einen Zuspruch bzw Teilzuspruch an den Kläger mit der Begründung, sein schuldhaftes Verhalten wiege so viel schwerer als das des Geschäftsführers der beklagten Partei, daß ein Vorteilsausgleich in concreto nicht in Betracht komme. Diese Ansicht kann nicht geteilt werden.

Trifft beide Teile ein Mitverschulden an der vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses, so hat der Richter nach freiem Ermessen zu entscheiden, ob und in welcher Höhe ein Ersatz gebührt (§ 1162 c ABGB sowie § 32 AngG ua). Die Rechtsfigur des Mitverschuldens eröffnet dem Gericht im Wege des Vorteilsausgleichs die Möglichkeit, alle Nuancen der zu einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führenden Geschehnisse nach Maßgabe der beiderseitigen Verschuldensanteile zu berücksichtigen. Die Vornahme eines Vorteilsausgleiches setzt voraus, daß ein mit der vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses im kausalen Zusammenhang stehendes schuldhaftes Verhalten beider Vertragsparteien vorliegt. Es muß ein die Bedingung für die Vertragsauflösung bildendes schuldhaftes Verhalten des einen Teiles zu einem solchen Verhalten des anderen Teiles hinzutreten. Im Bereich der Entlassung muß daher ein schuldhaftes Verhalten des Arbeitnehmers vorliegen, das im Zusammenwirken mit einem ebenfalls schuldhaften Verhalten des Arbeitgebers für die Entlassung ursächlich war; allerdings darf dieses Verhalten des Arbeitgebers nicht nur in der Abgabe einer (ungerechtfertigten) Entlassungserklärung bestehen (Kuderna, Entlassungsrecht2, 74 f, Krejci in Rummel ABGB I2 Rz 2 ff zu § 1162 c ABGB; vgl dort auch zum Begriff der "Kulpakompensation").

Hier bildet das schuldhafte Verhalten des Klägers (Faustschläge gegen den Geschäftsführer seiner Dienstgeberin, die zu dessen Sturz und zu einer blutenden Wunde im Bereich seiner Lippen führten) zweifellos einen gerechtfertigten Entlassungsgrund. Zu diesem Verhalten tritt aber ein damit in kausalem Zusammenhang stehendes schuldhaftes Verhalten des Geschäftsführers seiner Arbeitsgeberin, das dieser zuzurechnen ist, hinzu, welches das schuldhafte Verhalten des klagenden Arbeitnehmers in einem anderen, weniger schwerwiegendem Licht erscheinen, die Schuld aber bestehen läßt (Kuderna aaO 76; Krejci aaO Rz 2 mit vergleichbaren Beispielen aus der Judikatur). Es kann hier dahingestellt bleiben, ob das unmittelbar vorangehende Verhalten des Geschäftsführers der beklagten Partei (Festhalten des Klägers an Kopf und Ohren und Beschimpfungen wegen eines unzureichenden Arbeitsergebnisses) den Kläger zum sofortigen vorzeitigen Austritt berechtigt hätte. Aber auch wenn man dies verneinte, schwächt das Verhalten des Geschäftsführers die Schuld des klagenden Arbeitnehmers in nicht unbeträchtlich ein. Die Schuld des Klägers ist allerdings erheblich größer als die des Geschäftsführers der beklagten Partei, weil der Kläger mit seinen wuchtigen Faustschlägen eine angemessene Reaktion auf die Beschimpfungen des Geschäftsführers und dessen Festhalten und "An-den-Ohren-ziehen" bei weitem überschritten hat, selbst wenn der Kläger bei dem vorangegangenen "Gerangel" die von ihm behaupteten - von den Vorinstanzen aber nicht festgestellten - geringfügigen Verletzungen (Kratzwunden an den Händen, Rötungen an den Ohren) erlitten hätte.

Der erkennende Senat hält gemäß § 273 ZPO eine Schuldteilung (vgl § 1304 ABGB, an dessen Grundgedanken man sich prinzipiell zu orientieren hat, hiezu Krejci aaO Rz 5) im Verhältnis von 2 : 1 zu Lasten des Klägers für angemessen, sodaß diesem ein Drittel der entlassungsabhängigen - ob andere Ansprüche noch strittig sind, ist zweifelhaft; der Kläger bekämpft zwar das klagsabweisende Urteil zur Gänze, führt hiezu jedoch nichts aus - Ansprüche zustehen. Zwei Drittel dieser Ansprüche bestehen jedoch nicht zu Recht.

Da die Höhe der Ansprüche bestritten wurde und die Vorinstanzen infolge Klagsabweisung hiezu keine ausreichenden Feststellungen getroffen haben war ein Zwischenurteil über den Grund des Anspruches (§ 393 Abs 1 ZPO) zu fällen.

Im fortgesetzten Verfahren werden die notwendigen Feststellungen zu treffen und wird hiernach das Endurteil zu fällen sein.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten beruht auf § 393 Abs 4 iVm § 52 Abs 2 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte