Spruch:
Die mit Beschluß des Bezirskgerichtes Gleisdorf vom 25.1.1995, P 70/94-7, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Pflegschaftssache des mj. Thomas B***** an das Bezirksgericht Favoriten wird gemäß § 111 Abs 2 JN nicht genehmigt.
Text
Begründung
Aus Anlaß ihrer Scheidung vereinbarten Engelbert B***** und Monika B*****, daß die Obsorge über den mj. Engelbert B*****, geboren am *****, nur dem Vater, die Obsorge über den mj. Thomas B*****, geboren am *****, nur der Mutter zukommen solle. Der Vergleich wurde vom Bezirksgericht Gleisdorf mit Beschluß vom 6.10.1994, P 70/94-3, pflegschaftsbehördlich genehmigt.
Am 17.1.1995 beantragte Monika B*****, die Zuständigkeit für den mj. Thomas B***** dem für Wien 10 zuständigen Bezirksgericht zu übertragen. Sie habe ihren Wohnsitz nach Wien verlegt; der mj. Thomas besuche die höhere technische Bildungslehranstalt für EDV in Kaindorf an der Sulm. Er wohnte während der Woche in der Südsteiermark und verbringe die Wochenenden bei seiner Mutter in Wien. Die Fahrten von Wien nach Gleisdorf seien für die Kindesmutter zu beschwerlich.
Der Kindesvater sprach sich ursprünglich gegen die Übertragung der Zuständigkeit aus. Der mj. Thomas sei während der Woche in Leibnitz, den Großteil der Wochenenden und der Ferien verbringe er bei seinem Vater. In der Folge erklärte der Kindesvater, mit einer Übertragung der Zuständigkeit an das Bezirksgericht Favoriten einverstanden zu sein.
Mit - rechtskräftigem - Beschluß vom 25.1.1995, P 70/94-7, übertrug das Bezirksgericht Gleisdorf die Zuständigkeit für die Pflegschaftssache des mj. Thomas B***** dem Bezirksgericht Favoriten. Das Kind halte sich jetzt ständig in Wien 10 auf; es sei daher zweckmäßiger, wenn das Bezirksgericht Favoriten diese Pflegschaftssache führe.
Das Bezirksgericht Favoriten lehnte es ab, die Zuständigkeit zu übernehmen. Das Kind halte sich nicht in seinem Sprengel auf. Nach der Rechtsprechung seien die Pflegschaftssachen von Kindern, die aus derselben Ehe stammen, nicht zu trennen.
Das Bezirsgericht Gleisdorf legte den Akt gemäß § 111 Abs 2 JN dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Bezirksgericht Gleisdorf verfügte Übertragungen ist nicht gerechtfertigt.
Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch der dem Pflegebefohlenen zugedachte Schutz voraussichtlich besser verwirklicht werden kann. Diese Voraussetzung liegt in der Regel vor, wenn die Pflegschaftssache jenem Gericht übertragen wird, in dessen Sprengel der Mittelpunkt der Lebensführung des Kindes liegt (EFSlg 46.620; 57.691; 60.722; 66.880; 69.749; 72.819 uva). Maßgebend ist immer das Kindeswohl (EFSlg 60.723; 72.818 ua). Es wird in der Regel zweckmäßig sein, die Pflegschaft für mehrere Kinder, die derselben Ehe oder Lebensgemeinschaft entstammen, bei einem Gericht zu führen.
Der mj. Thomas verbringt die Wochenenden bei seiner Mutter in Wien, soweit er nicht seinen Vater besucht; während der Woche hält er sich zum Schulbesuch in der Südsteiermark auf. Der Mittelpunkt seiner Lebensführung liegt daher nicht in Wien, so daß schon aus diesem Grund kein Anlaß besteht, die Zuständigkeit an ein Wiener Gericht zu übertragen. Es wäre auch unzuweckmäßig, die Pflegschaft für die beiden Brüder bei verschiedenen Gerichten zu führen. Teilweise werden Maßnahmen aufeinander abzustimmen sein, teilweise werden Informationen aus der einen Pflegschaftssache auch für die andere benötigt werden. Ein gewisser Aufwand für Fahrten zum Bezirksgericht Gleisdorf ließe sich im übrigen für die Kindesmutter auch bei einer Übertragung der Zuständigkeit nicht vermeiden, weil die Pflegschaft für ihren zweiten Sohn, den mj. Engelbert, jedenfall bei diesem Gericht verbleibt.
Die Übertragung war daher nicht zu genehmigen.
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