Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen betreffend den zu 9 C 539/93 des Erstgerichtes anhängigen Räumungsprozeß (Punkt 1. des erstgerichtlichen Beschlusses) werden aufgehoben.
Dem Erstgericht wird eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung
Mit der am 19.März 1993 beim Erstgericht eingebrachten Klage (9 C 539/93a) begehrte der Betroffene von seinem Sohn und seiner Schwiegertochter als beklagte Parteien die Räumung eines ihm gehörenden Hauses. Die Beklagten wendeten mangelnde Prozeßfähigkeit des Klägers ein und bestritten das Vorliegen einer wirksamen Bevollmächtigung seines dortigen Vertreters (gleichfalls Rechtsanwalt Dr.Haslinger). Das Prozeßgericht verständigte daraufhin das Pflegschaftsgericht unter Hinweis auf § 6 a ZPO. Schon vorher hatten die Beklagten das Pflegschaftsgericht von der Prozeßführung verständigt, Mitteilung über sonstiges Verhalten des Betroffenen gemacht und die Bestellung eines Sachwalters angeregt (ON 1).
Das Erstgericht bestellte nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens (ON 5) für den Betroffenen einen Sachwalter mit folgendem, gemäß § 273 Abs 3 Z 2 ABGB umschriebenen Wirkungskreis:
1.) Alle Angelegenheiten im Zusammenhang mit der künftigen Unterbringung;
2.) persönliche Obsorge, wobei der Gesundheitszustand und die Durchführung medizinisch notwendiger Maßnahmen zumindest zu kontrollieren sind;
3.) die Verwaltung des landwirtschaftlichen Anwesens des Betroffenen, wobei umgehend Sanierungs- und Entrümpelungsmaßnahmen zu setzen sind sowie ebenso für eine dem heutigen Lebensstandard entsprechende Unterbringung des Betroffenen im eigenen Anwesen erforderliche Adaptierungen zu sorgen ist;
4.) die Verwaltung der gesamten Landwirtschaft (mit näheren, hier nicht entscheidungswesentlichen Weisungen an den Sachwalter);
5.) die Verwaltung bestimmter Konten und Guthaben;
6.) die gesamte Vermögensverwaltung;
7.) die Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten.
Das Erstgericht behielt sich in diesem Beschluß die Entscheidung über
die bisherige Klagsführung des Betroffenen im Räumungsverfahren zu 9
C 539/93 - in Übereinstimmung mit allen dortigen Parteien - bis
zu dem dem Sachwalter gleichzeitig aufgetragenen, binnen 5 Monaten zu
erstattenden Bericht über die gemäß Punkt 1. bis 3. getroffenen
Maßnahmen vor (ON 16). Im Juli 1994 berichtete der Sachwalter dem
Erstgericht, daß eine Fortsetzung der Klageführung zu 9 C 539/93
nicht erforderlich sei (ON 29).
Das Erstgericht sprach daraufhin beschlußmäßig aus, daß auf Grund der bisherigen mündlichen Berichte sowie des Berichtes des Sachwalters vom 6.Juli, wonach eine Beruhigung des Spannungsverhältnisses zwischen Vater und Sohn eingetreten sei, die vom Betroffenen zu 9 C 539/93 begonnene Prozeßführung nicht genehmigt und der Betroffene als dortiger Kläger im Rahmen des § 154 Abs 3 ABGB zur Prozeßführung nicht ermächtigt werde (Punkt 1. des Beschlusses ON 30).
Das Rekursgericht hob über Rekurs des durch Prof.Dr.Alfred Haslinger ua Rechtsanwälte vertretenen Betroffenen den allein angefochtenen Punkt 1. des vorgenannten Beschlusses ersatzlos als nichtig auf und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-
übersteigt und daß ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.
Das Rekursgericht begründete seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt:
Der Rekurs des Betroffenen sei ungeachtet der Nichtgenehmigung durch den Sachwalter zulässig, weil dem Betroffenen die Rechtsmittellegitimation im Sinne des § 9 AußStrG dann zuzubilligen sei, wenn er durch Handlungen seines gesetzlichen Vertreters (Sachwalters) oder durch Entscheidungen des Sachwalterschaftsgerichtes eine erhebliche Verletzung seiner Interessen befürchte. Dabei müsse das Gericht allerdings im Einzelfall prüfen, ob der Betroffene die zur Wahrung seiner Rechte und im Interesse eines geordneten Verfahrensablaufes notwendige geistige Reife habe. Davon könne jedoch auf Grund des bisherigen Verfahrens bzw. Akteninhaltes ausgegangen werden.
Voraussetzung für die Entscheidung über die Erteilung einer gerichtlichen Genehmigung sei ein entsprechender Antrag des Sachwalters. Im vorliegenden Fall habe der Sachwalter weder einen Antrag auf Genehmigung der Prozeßführung gestellt, noch die Prozeßführung selbst eingeleitete. Das Erstgericht habe daher keinen Anlaß gehabt, von Amts wegen über die (Nicht-)Genehmigung der Prozeßführung zu entscheiden. Da das Erstgericht seine Befugnisse überschritten hätte, sei der angefochtene Beschluß als nichtig zu beheben gewesen.
Zusätzlich führte das Rekursgericht noch aus, daß der Verlust der Geschäftsfähigkeit des Machtgebers den Fortbestand einer vorher erteilten Prozeßvollmacht nicht berühre (§ 35 Abs 1 ZPO). Dies bedeute, daß die während des Verfahrens über die Räumungsklage erfolgte Sachwalterbestellung für den Betroffenen als Kläger grundsätzlich keine Genehmigung des Sachwalterschaftsgerichtes zur Fortsetzung des Rechtsstreites erfordere. Ob der Betroffene schon zum Zeitpunkt der Einbringung der Räumungsklage bzw. der Erteilung der Prozeßvollmacht an seinen Rechtsanwalt an einer geistigen Behinderung gelitten habe, die seine Prozeßfähigkeit eingeschränkt hätte, könne nicht abschließend geklärt werden, weil der psychiatrische Sachverständige zur Geschäftsfähigkeit des Betroffenen innerhalb der letzten zwei bis drei Jahre keine exakte Stellungnahme habe abgeben können.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur erheblichen
Rechtsfrage, ob ein Betroffener, dem ein Sachwalter nach § 273 Abs 3 Z 2 ABGB ua für die Vertretung vor Gerichten beigegeben wurde,
im eigenen Sachwalterschaftsverfahren auch für Angelegenheiten, die nicht die Beendigung, Einschränkung oder Erweiterung der Sachwalterschaft betreffen, ohne Beiziehung seines Sachwalters rechtsmittellegitimiert sei, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle.
Gegen den Beschluß des Rekursgerichtes richtet sich der Revisionsrekurs des Sachwalters mit dem Antrag, den Beschluß des Rekursgerichtes dahin abzuändern, daß der erstgerichtliche Beschluß wiederhergestellt werde; hilfsweise wurde ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Revisionsrekurs ist im Sinne seines Eventualantrages berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Vorweg billigt der Oberste Gerichtshof die Rechtsauffassung des Rekursgerichtes, daß dann, wenn nach der rechtskräftigen Bestellung eines Sachwalters im Pflegschaftsverfahren zwischen dem Sachwalter und dem Betroffenen Uneinigkeit über die Berechtigung oder Zweckmäßigkeit einer vom Sachwalter beabsichtigten, der Genehmigung des Pflegschaftsgerichtes bedürfenden Maßnahme besteht, dem Betroffenen (ebenso wie früher dem beschränkt Entmündigten) ein Rekursrecht gegen die diesbezügliche gerichtliche Entscheidung zusteht, weil nur dadurch eine erhebliche Verletzung der Interessen des Betroffenen durch Handlungen seines gesetzlichen Vertreters und die diese Handlungen genehmigende Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes hintangehalten werden kann (vgl 6 Ob 348/67; bezüglich Genehmigung einer Prozeßführung vgl SZ 41/108 etc). Die Bestellung des Sachwalters zur Vertretung des Betroffenen in gerichtlichen Verfahren bezieht sich insoweit nicht auf das Pflegschaftsverfahren, in dem zwischen widerstreitenden Begehren des Sachwalters und des Betroffenen zu entscheiden ist. Fehlte dem Betroffenen die geistige Reife zur Formulierung seines Standpunktes
- wozu hier die Aktenlage derzeit keinen ausreichenden Anhaltspunkt bietet - so müßte gegebenenfalls sogar ein Kollisionskurator bestellt werden. Das Rekursgericht hat daher zutreffend das Rechtsmittel des Betroffenen gegen den Beschluß des Erstgerichtes meritorisch erledigt.
Richtig ist, daß der Sachwalter bisher keinen konkreten Antrag an das
Pflegschaftsgericht auf Genehmigung von ihm beabsichtigter Maßnahmen
stellte, durch die der zu 9 C 539/93 des Erstgerichtes anhängige
Prozeß gänzlich beendet oder vorübergehend zum Stillstand gebracht
werden könnte. Das Erstgericht hatte daher bisher auf Grund der
gegebenen Aktenlage über derartiges nicht zu entscheiden,
insbesondere auch nicht über die Genehmigung der Prozeßführung. Es
darf aber nicht übersehen werden, daß der Sachwalter, der auf Grund
des Berufes des Betroffenen (Landwirt) und der Zweckmäßigkeit eines
Vertrauensverhältnisses zwischen demselben und dem Sachwalter nicht
aus dem Kreis rechtskundiger Personen gewählt wurde, sondern gerade
wegen seiner Fachkunde auf dem Gebiet der Landwirtschaft. Dies hat
zur Folge, daß die Mitteilung des nicht rechtskundigen Sachwalters,
die Fortsetzung der Klageführung im Räumungsprozeß sei nicht
erforderlich, für das Erstgericht hätte Anlaß sein müssen, den
Sachwalter zu einem entsprechenden bestimmten Begehren (zB Auftrag an
den Klagevertreter, eine Ruhensvereinbarung mit den Prozeßgegnern
anzustreben; Entziehung der Vollmacht des bisherigen Klagevertreters,
wenn der Betroffene zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung noch
prozeßfähig war [EvBl 1992/76], damit der Sachwalter sodann die
seinen wirtschaftlichen Dispositionen entsprechenden Prozeßhandlungen
setzen kann, [vgl 5 Ob 574/90, 8 Ob 503/93] Nichtgenehmigung der
bisherigen Prozeßführung, wenn eine wirksame Bevollmächtigung des im
Prozeß einschreitenden Anwaltes des Betroffenen nicht mehr erfolgen konnte samt Anführung konkreter Tatsachen, die ein solches Begehren rechtfertigen könnten, anzuleiten. Aus dem Bericht des Sachwalters geht nämlich klar dessen Absicht hervor, daß er den Prozeß nicht fortsetzen will.
Erst nach einer solcherart erfolgten Spezifizierung des Begehrens des Sachwalters und Durchführung der für die Beurteilung der Berechtigung desselben notwendigen Erhebungen wird das Erstgericht über den den Räumungsprozeß betreffenden, dann konkretisierten Antrag des Sachwalters entscheiden können.
Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)