Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen, welche im übrigen als nicht in Beschwerde gezogen unberührt bleiben, werden in ihrem Ausspruch über die Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage gegen den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg vom 14.September 1994, 2 Cg 40/93v-33, sowie den diesen bestätigenden Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 19. Dezember 1994, 3 R 239/94 (= 2 Cg 40/93v-37) aufgehoben; insoweit wird dem Erstgericht eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsrekurses sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Mit Versäumungsurteil des Landesgerichtes Salzburg vom 12. September.1991, 2 Cg 236/91, wurde der dort als Beklagter in Anspruch genommene Wiederaufnahmskläger schuldig erkannt, der Beklagten (= der dortigen Klägerin) S 209.156 sA zu zahlen.
Mit Beschluß vom 14.September 1994, 2 Cg 40/93v-33, wies das Landesgericht Salzburg die Anträge des Wiederaufnahmsklägers auf Aufhebung der Bestätigung der Vollstreckbarkeit dieses Versäumungsurteils sowie seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Klagebeantwortung, zum Widerspruch und zur Erhebung der Nichtigkeitsberufung ab. Das Oberlandesgericht Linz bestätigte diese Entscheidung mit Beschluß vom 19. Dezember 1994, 3 R 239/94 (= 2 Cg 40/93v-37).
Der Kläger begehrt - soweit für das Revisionsrekursverfahren noch von Bedeutung - "die Wiederaufnahme des Verfahrens auf Aufhebung der Vollstreckbarkeit gemäß § 7 Abs 3 EO, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen (die) Versäumung der Frist zur Erstattung der Klagebeantwortung, gegen (die) Versäumung der Frist zur Erhebung des Widerspruches gegen das Versäumungsurteil, der eingebrachten Klagebeantwortung, Widerspruch und Nichtigkeitsberufung im Verfahren Wiener Städtische Wechselseitige Versicherungsanstalt gegen ... (ihn) zu 2 Cg 40/93 (2 Cg 236/91) des Landesgerichtes Salzburg" zu bewilligen und den Beschluß des Landesgerichtes vom 14.September 1994, 2 Cg 40/93v-33, sowie den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 19.Dezember 1994, 3 R 239/94 (= 2 Cg 40/93v-37) aufzuheben und in der Hauptsache dahin zu entscheiden, daß die gesetzwidrig erteilte Bestätigung der Vollstreckbarkeit des Versäumungsurteils zu 2 Cg 236/91 des Landesgerichtes Salzburg vom 12.September 1991 aufgehoben und demgemäß ... auch dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erstattung der Klagebeantwortung, sowie dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen (die) Versäumung der Frist zur Erhebung des Widerspruches gegen das Versäumungsurteil stattgegeben werde".
Im Verfahren auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung des erwähnten Versäumungsurteils, sowie im Verfahren auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der ersten Tagsatzung und der Frist zur Erhebung des Widerspruches gegen das Versäumungsurteil und im Verfahren wegen Nichtigkeitsberufung sei es dem Kläger nicht möglich gewesen, den Kronzeugen dafür zu finden, daß sein Vorbringen - daß er nämlich in den maßgeblichen Zustellungszeitpunkten ortsabwesend gewesen sei - richtig sei. Dieser Zeuge habe sich mittlerweile in einer ganz anderen Angelegenheit beim Klagevertreter gemeldet und diesem eine Adresse in V***** bekanntgegeben. Es handle sich dabei um Walter A*****, der mit dem Kläger zumindest zwischen 17. Juli und Oktober 1991 im Gebiet der ehemaligen DDR gewesen sei und daher bestätigen könne, daß der Kläger insbesondere in diesem Zeitraum seinen regelmäßigen Aufenthalt nicht in H***** gehabt habe. Bisher sei es dem Kläger ohne sein Verschulden nicht möglich gewesen, den Aufenthaltsort des Zeugen, der sich wegen eines Einberufungsbefehles des Österreichischen Bundesheeres ins Ausland abgesetzt habe, ausfindig zu machen. Als Beweismittel führte der Kläger hiezu - neben seinem Rechtsanwalt als Zeugen und Parteienvernehmung - "Walter A*****, Kaufmann, ***** postlagernd" an.
Das Erstgericht wies diese Wiederaufnahmsklage gemäß § 538 ZPO von Amts wegen zurück. Der Kläger habe auch in der Wiederaufnahmsklage keine Anschrift des Zeugen bekanntgegeben, unter der dieser geladen werden könnte. Überdies sei dem Kläger der Zeuge schon im Vorverfahren bekanntgewesen; ihm sei in der Tagsatzung vom 30.April 1993 eine Frist von vier Monaten zur Ausforschung von Zeugen gesetzt worden. Es sei auch zweifelhaft, ob die Einvernahme des Zeugen tatsächlich eine dem Kläger günstigere Entscheidung bewirken würde. Schon im Vorverfahren habe der Kläger immer wieder versucht, durch neuerliche Namhaftmachung von Zeugen den Prozeß weiter zu verschleppen. Eine Wiederaufnahmsklage könne nicht auf Tatsachen und Beweise gestützt werden, die wegen Verschleppungsabsicht zurückgewiesen wurden oder jedenfalls zurückzuweisen wären.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Der mit der Wiederaufnahmsklage bekämpfte Beschluß sei keine "die Sache erledigende Entscheidung" im Sinn des § 530 Abs 1 ZPO, betreffe er doch Entscheidungen über Anträge, die sich ihrerseits gegen eine die Sache erledigende Entscheidung - nämlich das Versäumungsurteil vom 12. September 1991 - gerichtet haben. Außerdem bilde die Anführung eines Zeugen ohne Anschrift, lediglich mit der Angabe einer Stadt unter Beifügung "postlagernd" keinen Wiederaufnahmsgrund, weil der Zeuge auf Grund solcher Angaben nicht geladen werden könne. Schon aus dem Gesetz ergebe sich, daß im Zeitpunkt der Wiederaufnahmsklage die Voraussetzungen für die Aufnahme des Beweises, bei einem Zeugen also dessen Anschrift, bekannt sein müßten; vorher liege eben kein neues Beweismittel vor. Der Kläger habe daher insoweit gar keinen tauglichen Wiederaufnahmsgrund behauptet.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diesen Beschluß erhobene außerordentliche Revisionsrekurs des Klägers ist zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage, ob ein Beschluß wie derjenige des Erstgerichtes vom 14.September 1994, 2 Cg 40/93v-33, eine die Sache erledigende Entscheidung (§ 530 Abs 1 ZPO) ist, fehlt; er ist auch berechtigt.
Nach § 530 Abs 1 ZPO in der vor Inkrafttreten des Konsumentenschutzgesetzes BGBl 1979/140 geltenden Fassung konnte nur ein durch Urteil geschlossenes Verfahren wieder aufgenommen werden. Nunmehr bestimmt § 530 Abs 1 ZPO idF des § 36 Z 10 KSchG, daß ein Verfahren, das durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden ist, auf Antrag einer Partei unter den im einzelnen aufgezählten Voraussetzungen wiederaufgenommen werden kann.
Der Gesetzgeber meinte, es sei "unter dem Gesichtspunkt, daß allzu
strenge bzw enge, der Durchsetzung und damit Verwirklichung des
materiellen Rechtes doch wiederholt entgegenstehende
Verfahrensvorschriften abzulehnen sind, ... auch angezeigt, die
Wiederaufnahmsklage nicht nur bei Urteilen, sondern auch bei
Beschlüssen zuzulassen ... " (RV 744 BlgNR 14. GP 52). Die bisher
geltende Fassung des § 530 ZPO, wonach eine Wiederaufnahmsklage nur bei Vorliegen eines Urteils erhoben werden könne, sei - wie weiter ausgeführt wurde - auch "eine Verfahrensvorschrift, die dem Durchbruch des materiellen Rechts entgegenzustehen geeignet ist, wenn die Endentscheidung gerade nicht in Urteils-, sondern in Beschlußform zu ergehen hat. Als Beispiele kommen in Betracht: Ein Wechselzahlungsauftrag, gegen den keine Einwendungen, oder ein Zahlungsbefehl, gegen den kein Widerspruch erhoben worden ist, ein im Besitzstörungsverfahren ergangener Endbeschluß, aber auch etwa ein wegen örtlicher Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes ergangener Zurückweisungsbeschluß. Zumindest einige der in § 530 ZPO genannten Wiederaufnahmsgründe könnten auch bei solchen Endentscheidungen vorliegen; nach der geltenden Rechtslage können sie aber - wie bereits erwähnt - infolge der besagten formalen Verfahrensvorschriften nicht ins Treffen geführt werden. Diese Unausgewogenheit wird durch die hier vorgeschlagene Änderung behoben" (RV aaO 54).
Hieraus ergibt sich mit voller Deutlichkeit, daß der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 530 Abs 1 ZPO auch die Wiederaufnahme von Verfahren ermöglichen wollte, die nicht durch eine Sachentscheidung im engeren Sinn, sondern durch eine rein prozeßrechtliche Entscheidung, etwa durch die Verneinung von Prozeßvoraussetzungen, beendet wurden. Der Oberste Gerichtshof hat daher die Wiederaufnahmsklage auch gegen die Zurückweisung einer (Wiederaufnahms-)Klage aus förmlichen Gründen (SSV-NF 4/14 = RZ 1990/71) sowie gegen einen berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluß, sofern durch ihn die Rechtssache zu einem Teil erledigt wurde (SZ 58/182 = JBl 1986, 669 = RZ 1986/45), als zulässig erkannt. Hingegen erblickte der Oberste Gerichtshof in einem Zurückweisungsbeschluß (des Obersten Gerichtshofes), mit welchem das Verfahren über eine Rechtsmittelklage "zweiter Ordnung" nur deshalb beendet worden war, weil das Verfahren über die Rechtsmittelklage "erster Ordnung" weitergegangen war und es dazu keines weiteren Rechtsbehelfes mehr bedurft hatte (EvBl 1985/173), keine verfahrensbeendende, den Rechtsmittelkläger belastende Sachentscheidung im Sinn des § 530 Abs 1 ZPO.
Mit dem hier vom Kläger bekämpften Beschluß des Landesgerichtes Salzburg vom 14.September 1994 (und dem bestätigenden Beschluß des Rekursgerichtes) wurde über sämtliche prozessualen Anträge des Klägers abgesprochen, die er auf die Behauptung gestützt hatte, zur Zeit der Zustellung des Versäumungsurteils (und offenbar auch bei Zustellung der Ladung zur ersten Tagsatzung) ortsabwesend gewesen zu sein. Der Beschluß hat somit diese Sache prozessualer Natur erledigt. Wollte man in einem solchen Fall die Wiederaufnahmsklage nicht zulassen, bestünde eine Rechtsschutzlücke, könnte doch dann ein solcher Beschluß trotz inhaltlicher Unrichtigkeit, die Folge eines Wiederaufnahmsgrundes ist, nicht beseitigt werden. Absicht des Gesetzgebers war es aber, der Verwirklichung des materiellen Rechtes möglichst zum Durchbruch zu verhelfen. Der Auslegung des § 530 Abs 1 ZPO durch das Rekursgericht kann somit nicht gefolgt werden.
Den Vorinstanzen ist freilich darin zuzustimmen, daß der Kläger das Beweismittel (Zeuge), welches er nach seinem Vorbringen erst jetzt "zu benützen in den Stand gesetzt" wurde und dessen Benützung im früheren Verfahren eine ihm günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde (§ 530 Abs 1 Z 7 ZPO), nicht in einer Weise bezeichnet hat, die eine Ladung des Zeugen zu Gericht ermöglichen würde. Der Kläger hat nämlich keine Abgabestelle angegeben, an der die - vom Gericht auszufertigende (§ 329 Abs 1 ZPO) - Ladung dem Zeugen zugestellt werden darf. Nach § 4 ZustG käme dafür die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder der Arbeitsplatz des Empfängers in Frage. Würde man - wie es dem Beweisangebot des Klägers entspräche - die die Ladung enthaltende Postsendung mit dem Vermerk "postlagernd" versehen, dann wäre es vom guten Willen Walter A*****s oder auch vom Zufall abhängig, ob der Zeuge die Ladung in Empfang nimmt, ob er also diese postlagernde Postsendung innerhalb der festgesetzten Amtsstunden (§ 185 PostO) in der Abholungszeit - also bis zum vierten Montag, der dem Tag des Einlangens folgt (§ 186 PostO) - behebt. Aber auch die - erst im Rekurs angebotene - Stelligmachung des Zeugen durch den Kläger ersetzt die ordnungsgemäße Bezeichnung des Beweismittels nicht. Der Zeuge kann nicht wirksam unter der Anschrift des Klägers oder seines Rechtsanwaltes geladen werden, weil deren Wohnung oder Kanzlei für den Zeugen keine Abgabestelle ist und der Zeuge daher bei Nichtbefolgung der Ladung nicht durch Ordnungsstrafen und Vorführung zum Erscheinen gezwungen werden könnte (§ 333 ZPO).
Die mangelhafte Bezeichnung des Beweismittels rechtfertigte aber nicht die sofortige Zurückweisung der Klage. Während des Verfahrens hat der die Verhandlung leitende Richter darauf hinzuwirken, daß die beweispflichtige Partei (ua) den Wohnort eines einzuvernehmenden Zeugen bekanntzugeben hat (§ 181 Abs 2, § 182 Abs 1 ZPO). Kommt es - wie hier - für die Schlüssigkeit der Klage darauf an, daß das Beweismittel schon dort vollständig angeführt wird, dann hat das Gericht einen entsprehenden Auftrag zur Ergänzung der Angaben zu erteilen. Nach § 84 Abs 3 ZPO ist immer dann, wenn - wie hier (§ 534 Abs 1 Z 4 ZPO) - bei der Überreichung des Schriftsatzes eine Frist einzuhalten war, die Verbesserung innerhalb einer zu bestimmenden Frist anzuordnen, wenn in dem Schriftsatz Erklärungen oder sonstiges Vorbringen fehlen, die für die mit dem Schriftsatz vorgenommene Prozeßhandlung vorgeschrieben sind. Das trifft aber auf die genaue Bezeichnung des neuen Beweismittels im Sinne des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO zu.
Da das Erstgericht eine solche Maßnahme unterlassen hat, ist das Verfahren mangelhaft geblieben. Grundsätzlich kann zwar der Oberste Gerichtshof einen Mangel erster Instanz, den das Gericht zweiter Instanz verneint hat, nicht aufgreifen (Kodek in Rechberger Rz 3 zu § 503 und Rz 1 zu § 528 je mwN aus der Rechtsprechung). Das gilt aber dann nicht, wenn das Berufungs- oder Rekursgericht einen Verfahrensmangel erster Instanz infolge einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung nicht wahrgenommen hat (SZ 39/139 uva). "Unrichtige rechtliche Beurteilung" liegt nicht nur dann vor, wenn eine materiellrechtliche Frage unzutreffend beantwortet wurde. Wesentlich ist vielmehr, daß die unrichtige rechtliche Beurteilung die "Sache", also das meritum, betrifft. Fußt im Einzelfall die Entscheidung - wie hier - auf Normen des Prozeßrechtes, dann liegt die unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache in der unrichtigen Anwendung verfahrensrechtlicher Normen (Bajons, Prozeßentscheidung als Verfahrensverstoß? JBl 1981, 628; Fasching, LB2 Rz 1916; Kodek aaO Rz 5 zu § 503; SZ 7/75; EvBl 1951/438 ua).
Im Hinblick auf die Ausführung im Beschluß des Erstgerichtes, daß dem Kläger schon im vorangegangenen Verfahren eine Frist zur Namhaftmachung des Zeugen gesetzt worden war, sei noch darauf verwiesen, daß die Klage nach der Aktenlage auch nicht verspätet ist.
§ 534 Abs 2 Z 5 ZPO - wonach die Notfrist von vier Wochen im Fall des § 531 ZPO von der Zustellung der Entscheidung erster Instanz an zu berechnen ist - wäre nur dann anwendbar, wenn die Fristsetzung auf Antrag des Gegners mit einem Präklusionsbeschluß im Sinn des § 279 ZPO verbunden worden wäre.
Aus diesen Erwägungen waren die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung aufzutragen. Das Erstgericht wird den Kläger zur Bekanntgabe einer Anschrift aufzufordern haben, an welcher die Zustellung an den Zeugen erfolgen kann (§ 4 ZustG). Sollte der Kläger das verweigern, wird die Klage abermals zurückzuweisen sein. Andernfalls wird das gesetzliche Verfahren über die Klage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund einzuleiten sein.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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