OGH 6Ob552/95

OGH6Ob552/9518.5.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Schinko und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anton P*****, Kaufmann, ***** vertreten durch Dr.Gerhard Kornek, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Helene Maria G*****, Angestellte, und 2. Johannes G*****, Buchhalter,***** ***** beide vertreten durch Dr.Ludwig Pfleger, Rechtsanwalt in Baden, wegen Einsicht in einen Mietvertrag (Streitwert S 120.000), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Wr.Neustadt als Berufungsgerichtes vom 7.Dezember 1994, AZ R 492/94 (ON 17), womit das Urteil des Bezirksgerichtes Baden vom 26.Juli 1994, GZ 7 C 2057/93g-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 8.365,50 (darin S 1.394,25 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrt, die Beklagten schuldig zu erkennen, ihm Einsicht in den Mietvertrag vom 1.1./2.12.1986, abgeschlossen zwischen Helene G***** als Vermieterin und ihrer Tochter Helene Maria G***** als Mieterin zu gewähren, und zwar die Erstbeklagte in eine beglaubigte Abschrift des Mietvertrages, den Zweitbeklagten in das Original. Der Kläger brachte dazu vor, er habe die Liegenschaft EZ ***** mit Kaufvertrag vom 15.1.1993 vom zweiten Beklagten gekauft. Die Erstbeklagte sei Mieterin einer im ersten Stock des Hauses gelegenen Wohnung. Der Kläger habe erst nach Abschluß des Kaufvertrages eine Kopie des im Klagebegehren genannten Mietvertrages erhalten. Nach der Kopie des Mietvertrages sei dieser nicht beim Finanzamt angezeigt, die Unterschriften der Parteien seien beglaubigt. Inhaltlich laufe der Mietvertrag auf eine Enteignung des Hauseigentümers hinaus, er enthalte praktisch in jedem Absatz mehr als ungewöhnliche Bestimmungen, insbesondere was den Mietzins betreffe. Dieser betrage S 600 zuzüglich Umsatzsteuer einschließlich der Betriebskosten, wobei eine Wertsicherung erst nach zehn Jahren einsetzen sollte. Dieser Pauschalmietzins decke nicht einmal annähernd die auflaufenden Betriebskosten. Der Kläger habe, da ihm dieser Vertrag mehr als suspekt erschienen sei, von den Beklagten wiederholt die Einsichtnahme in das Original verlangt, was ihm, wohl aus gutem Grunde, bisher immer verweigert worden sei. Nach Art XLIII EGZPO bestehe, da die Rechtsbeziehungen zwischen der Erstbeklagten und dem Kläger im Mietvertrag geregelt seien, ein Rechtsanspruch auf Einsichtnahme in die Urkunde. Nach dem Vertragstext sollte das Original der Vermieterin also Helene G*****, verbleiben, die dieses offensichtlich dem Zweitbeklagten übergeben habe, andernfalls hätte dieser dem Kläger keine Kopie übergeben können. Eine beglaubigte Abschrift sollte nach dem Vertragstext der Erstbeklagten ausgefolgt werden.

Die Beklagten machten geltend, daß der Mietvertrag zwischen der ehemaligen Hauseigentümerin, der Mutter der Erstbeklagten und dieser selbst abgeschlossen sei. In bezug auf den Kläger liege keine gemeinsame Urkunde vor. Da der Kläger eine Kopie des Mietvertrages erhalten habe fehle ihm ein Rechtsschutzbedürfnis. Auf welchen Rechtsgrund sich das Begehren gegen den Zweitbeklagten stütze, sei der Klage nicht zu entnehmen. Anläßlich des Liegenschaftsverkaufes an den Kläger habe der Zweitbeklagte eine Kopie des Mietvertrages übergeben. Damit habe sich der Kläger damals zufriedengegeben.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, daß der Zweitbeklagte mit Kaufvertrag vom 15.1.1993 dem Kläger die Liegenschaft EZ***** verkauft habe. Dieser Vertrag wurde in der Kanzlei eines Rechtsanwaltes errichtet. Im Zuge der Verkaufsverhandlungen übergab der Zweitbeklagte dem Kläger unter anderem eine Kopie des Mietvertrages, abgeschlossen zwischen Helene G*****, als damaliger Eigentümerin der Liegenschaft und der Erstbeklagten als Mieterin. Die Erstbeklagte ist Mieterin einer im ersten Stock des Hauses gelegenen Wohnung, bestehend aus einem Vorraum, Bad mit WC, Küche, zwei Zimmern und zwei Kabinetten sowie einem weiteren zu diesem Wohnungsverband gehörenden, jedoch über den Gang erreichbaren Zimmer. Sie besitzt das Original des Mietvertrages.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, daß es sich bei dem Mietvertrag um eine gemeinschaftliche Urkunde in Ansehung des Klägers und der Erstbeklagten handle, weil der Vertrag das Rechtsverhältnis zwischen der Mieterin und dem nunmehrigen Eigentümer, dem Kläger, beurkunde. Der Kläger habe es aber unterlassen, ein rechtsschutzbedürftiges Interesse an der Vorlage dieser Urkunde zu behaupten und zu bescheinigen, daß ihm der Vertrag mehr als suspekt erscheine, reiche hiezu nicht aus. Der Kläger hätte konkret anführen müssen, worin sein Interesse an der Einsichtnahme in den Originalmietvertrag liege. Dies sei nicht geschehen. Die Qualifikation der Gemeinschaftlichkeit der Urkunde zwischen dem Kläger und dem Zweitbeklagten sei zu verneinen. Eine Herausgabepflicht nach bürgerlichem Recht sei nicht behauptet worden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Klagestattgebung gegen beide Beklagten ab.

Aus der vorgelegten Kopie des Mietvertrages traf es die zusätzlichen Feststellungen, daß dieser Kopie nicht entnommen werden könne, der Mietvertrag sei beim Finanzamt angezeigt worden. Die Unterschriften seien beglaubigt. Der Mietzins betrage S 600 zuzüglich Umsatzsteuer einschließlich aller Betriebskosten. Die im Punkt IV vereinbarte Wertsicherung des Mietzinses gelange während der ersten zehn Jahre des Mietverhältnisses nicht zur Anwendung. Die Beklagten seien Geschwister. Nach Punkt XI der vorgelegten Kopie werde der Mietvertrag in einer Ausfertigung errichtet, welche der Vermieterin zustehe. Die Mieterin erhalte eine beglaubigte Abschrift.

Bei der vorgelegten Kopie des Mietvertrages handle es sich rechtlich zwischen dem Kläger und der Erstbeklagten um eine gemeinschaftliche Urkunde im Sinne des Art XLIII EGZPO. Neben der Vorlagepflicht müsse der Kläger nach herrschender Auffassung auch ein eigenes privatrechtliches Interesse an der Urkunde behaupten. Damit solle verhindert werden, daß die Vorlage einer Urkunde ohne allen Grund aus bloßer Laune oder gar aus Schikane verlangt werden könnte. Einem Hauseigentümer müsse zugebilligt werden, daß er nicht nur zur Durchsetzung seiner Rechte sondern auch zur Wahrung der Rechte der Mieter eines Hauses vom Inhalt der Mietverträge Kenntnis erlange. Dem Hauseigentümer stehe im vorliegenden Fall eine Kopie des Mietvertrages zur Verfügung. Dabei sei nicht entscheidend, zu welchem Zeitpunkt er diese, vor oder nach dem Kaufvertragsabschluß, erhalten habe. Die hier vorliegenden Umstände begründeten ein rechtliches Interesse an der Einsicht in das Original, dieses Interesse sei nicht allein aus dem Vertragsinhalt sondern auch in der Tatsache begründet, daß die beiden Beklagten die Einsichtnahme in das Original und die beglaubigte Abschrift nicht etwa mit der Begründung verweigerten, diese stünden ihnen nicht zur Verfügung, sondern lediglich mit dem Hinweis auf ein mangelndes rechtliches Interesse. Gerade dieser Standpunkt spreche dafür, daß der Verdacht des Klägers, die ihm zur Verfügung gestellte Kopie weiche möglicherweise vom Original ab, nicht unbegründet sei.

Gegenüber dem Zweitbeklagten bestehe als vertragliche Nebenverpflichtung zum Kaufvertrag nicht nur ein Anspruch auf Einsichtnahme sondern sogar ein Anspruch auf Herausgabe der Urkunde. Demgegenüber bestehe das Begehren auf Einsicht - eine Einschränkung auf einen bestimmten Rechtsgrund sei nach dem Klagsvorbringen nicht erfolgt - in einem Minus zum Herausgabeanspruch. Der Kläger sei von Gesetzeswegen in bestehende Mietverträge eingetreten, der Zweitbeklagte sei daher schon deshalb verpflichtet, dem Käufer alle Urkunden über bestehende Bestandverträge herauszugeben. Das Klagebegehren sei daher auch in Ansehung des Zweitbeklagten berechtigt, eine Unmöglichkeit der Leistung sei von beiden Beklagten nicht einmal behauptet worden. Der Umstand, daß das Erstgericht unbekämpft festgestellt habe, die Erstbeklagte besitze das Original des Mietvertrages hindere die Verurteilung auch des Zweitbeklagten nicht, weil die Erfüllung durch Beschaffung des Mietvertrages möglich sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei, weil - soweit überblickbar - eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage fehle, unter welchen Voraussetzungen dem Kläger ein rechtliches Interesse an der Einsichtnahme in die Originalurkunde zuzubilligen sei, wenn ihm eine (nicht beglaubigte) Kopie zur Verfügung stehe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig aber nicht berechtigt.

Daß der Zweitbeklagte als Verkäufer der Liegenschaft mit einem Miethaus gegenüber dem Käufer verpflichtet ist, alle Verwaltungsunterlagen herauszugeben und daß die Unterlagen, insbesondere bestehende Mietverträge, in welche der Erwerber einzutreten hat, soweit vorhanden, im Original oder beglaubigter Kopie und nicht nur in Form mehrerer, aus losen Blättern zusammengehefteten Kopien, die keinerlei Prüfung auf Echtheit und Vollständigkeit zulassen, zu übergeben hat, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, stellt die Herausgabe dieser Verwaltungsunterlagen eine wesentliche vertragliche Nebenverpflichtung zum Kaufvertrag dar. Der Bescheinigung eines besonderen rechtlichen Interesses hiefür bedarf es daher hier nicht.

Die Zweitbeklagte bestreitet nicht mehr, daß der zwischen der früheren Hauseigentümerin und ihr abgeschlossene Mietvertrag eine gemeinschaftliche Urkunde im Sinne des § 304 Z 3 ZPO ist. Denn gemäß dessen Absatz 2 gilt eine Urkunde unter anderem als gemeinschaftlich für die Personen, deren gegenseitige Rechtsverhältnisse darin bekundet sind. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Vertragsurkunde über einen von einem früheren Hauseigentümer mit einem Mieter abgeschlossenen Mietvertrag die Rechtsverhältnisse zwischen dem Mieter und dem späteren Erwerber des Miethauses bekundet, weil letzterer in Mietverhältnisse gemäß § 2 Abs 1 MRG einzutreten hat und an wirksam geschlossene Hauptmietverträge ab der Übergabe des Mietgegenstandes an den Hauptmieter auch dann gebunden ist, wenn der Vertrag nicht in die öffentlichen Bücher eingetragen ist. Enthält ein Hauptmietvertrag Nebenabreden ungewöhnlichen Inhaltes, so ist der Rechtsnachfolger im Eigentum an diese Nebenabreden nur gebunden, wenn er sie kannte oder kennen mußte.

Das rechtliche Interesse, das immer dann anzunehmen ist, wenn die Einsichtnahme in die Urkunde zur Förderung, Erhaltung und Verteidigung der rechtlich geschützten Interessen des Einsicht Begehrenden benötigt wird (SZ 61/208), eines Rechtsnachfolgers im Eigentum eines Miethauses auf Einsichtnahme in einen vor seinem Erwerb von einem Mieter mit dem früheren Hauseigentümer abgeschlossenen Mietvertrag muß also generell bejaht werden, soweit das Begehren nicht als bloße Willkür oder Schikane zu werten ist. Der Inhalt oder die Einsicht in eine nicht beglaubigte einfache Fotokopie eines Mietvertrages könnte nur dann genügen, wenn deren Übereinstimmung mit dem Original nach den besonderen Umständen des Einzelfalles außer Zweifel stünde, das Begehren auf Einsicht in das Original sich daher als Willkür erwiese. Davon kann aber im vorliegenden Fall keineswegs ausgegangen werden. Da die beklagten Parteien die "Echtheit" (richtig Übereinstimmung mit dem Original) aber auch die Richtigkeit der vom Kläger vorgelegten Kopie des Mietvertrages zugestanden haben, besteht kein Hindernis, deren Inhalt, auf den der Kläger in seinem Vorbringen unter gleichzeitiger Vorlage der Urkunde Beilage B, wenn auch nur auszugsweise, ausdrücklich verwiesen hat, zugrunde zu legen. Der Vertragstext ist auf drei losen Blättern abgelichtet, die Beglaubigung der Unterschriften - die Unterschrift der Vermieterin liegt fast ein Jahr nach jener der Mieterin - nicht unter dem Vertragstext sondern auf einem gesonderten Blatt enthalten. Dem Vertrag ist nicht nur keine Vergebührung beim Finanzamt und ein ungewöhnlich niedriger Mietzins inklusive Betriebskosten ohne Wertsicherung in den ersten zehn Jahren sowie ein Verzicht auf laesio enormis zu entnehmen, sondern auch das Recht der Mieterin, das Mietobjekt nach ihrem eigenen Gutdünken umzugestalten, im Falle einer Kündigung der Vermieterin wie immer geartete Investitionen zum jeweiligen Zeitwert, mindestens jedoch mit S 1,000.000 sofort und in bar nach Ausspruch der Kündigung abgelöst und überdies eine Ersatzwohnung in gleicher Größenordnung und Lage zum gleichen Mietzins ablösefrei zu erhalten sowie das uneingeschränkte kostenlose Benützungsrecht des Kellers und des Dachbodens (der nach dem Akteninhalt zum Ausbau vorgesehen ist). Daß bei einer nach dem Anschein der vorgelegten Kopie so ungewöhnlichen Vertragsgestaltung der Vermieter ein eminentes schutzbedürftiges rechtliches Interesse an der Einsicht in den Originalvertrag und auch in eine beglaubigte Kopie hat, kann wohl nicht mehr in Zweifel gezogen werden.

Die Feststellung des Erstgerichtes, die Erstbeklagte besitze den Originalvertrag hindert die Verurteilung auch des Zweitbeklagten zur Einsicht (als Minus zur Herausgabe) nicht, dieser hat weder vorgebracht daß er das Original nicht besitze noch daß es ihm unmöglich sei, dieses von seiner Schwester zu beschaffen.

Das Urteil des Berufungsgerichtes war daher zu bestätigen.

Der Ausspruch über die Kosten der Revisionsbeantwortung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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