OGH 9ObA51/95

OGH9ObA51/9510.5.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Steinbauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Ernst Viehberger und Erwin Macho als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Helmut G*****, Kellner, ***** vertreten durch Dr.Helga Hofbauer-Goldmann, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Internationale *****Gesellschaft AG, Zweigniederlassung Wien, ***** vertreten durch Dr.Alfred Strommer ua Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13.Jänner 1995, GZ 34 Ra 160/94-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 3.März 1994, GZ 13 Cga 392/93y-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Das Klagebegehren, es werde festgestellt, daß die von der beklagten Partei am 7.12.1993 gegenüber der klagenden Partei ausgesprochene Verwarnung rechtsunwirksam sei, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S

13.725 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 2.287,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Text

Entscheidungsgründe:

Mit seiner Klage begehrt der Kläger unter Berufung auf § 102 ArbVG die Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der am 7.12.1983 ausgesprochenen Verwarnung.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.

Der Kläger ist seit 13.9.1988 bei der beklagten Partei als Kellner mit Inkassobefugnis beschäftigt und Mitglied des Betriebsrates der Arbeiter. Am 19.11.1993 machte die beklagte Partei den Kläger schriftlich darauf aufmerksam, daß der Abrechnungsbogen (Einnahmenabrechnung) - wie von der beklagten Partei vorgeschrieben - von ihm auszufüllen ist. Am 7.12.1993 richtete sie an ihn ein Schreiben folgenden Inhaltes:

".....Leider mußten wir zum wiederholten Male feststellen, daß Sie den Abrechnungsbogen (Einnahmenabrechnung) nicht wie vorgeschrieben ausfüllen. Wir fordern Sie hiermit auf, alle Abrechnungsvorschriften künftig korrekt zu befolgen und einzuhalten. Sollten Sie dieser Aufforderung nicht nachkommen, würde dies als beharrliche Verletzung der Pflichten gewertet werden und eine Kündigung nach sich ziehen."

Der Arbeiterbetriebsrat wurde vor Zustellung dieses Schreibens an den Kläger nicht angehört. Mit Schreiben vom 7.12.1993 hat der Arbeiterbetriebsrat gegen die Vorgangsweise protestiert und auf sein Recht hingewiesen, vor Verhängung einer Disziplinarmaßnahme angehört zu werden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es vertrat die Rechtsansicht, daß das Verwarnungsschreiben vom 7.12.1993 eine Disziplinarmaßnahme im Sinne des § 102 ArbVG sei. Es werde dem Kläger ein rechtlich zulässiger Nachteil, nämlich die Kündigung bei weiteren Pflichtverstößen angedroht und eine angebliche Pflichtverletzung des Klägers, nämlich das unkorrekte Ausfüllen von Abrechnungsbogen festgestellt und ihm vorgeworfen. Mangels Zustimmung des Betriebsrates sei die ausgesprochene Verwarnung wirkungslos.

Das Gericht der zweiten Instanz gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. In rechtlicher Hinsicht erschöpfe sich das Schreiben vom 7.12.1993 nicht nur in der Aufforderung, künftig die Abrechnungsvorschriften korrekt zu befolgen und einzuhalten, sondern werde damit dem Kläger ein Nachteil, nämlich die Kündigung angedroht. Disziplinarmaßnahmen seien alle Maßnahmen, die zur Wahrung und Wiederherstellung der betrieblichen Ordnung dem Arbeitnehmer einen Nachteil zufügen oder zumindest androhen. Bestehe eine betriebliche Disziplinarordnung, so habe der Arbeitgeber kein Wahlrecht zwischen einer "schlichten" Verwarnung und einer als Dienststrafe anzusehenden Verwarnung oder einem strengen Verweis, sonst könnten diese Bestimmungen vom Arbeitgeber durch Wahl einer "schlichten" Verwarnung umgangen werden. Selbst wenn der Kollektivvertrag die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen ohne Zustimmung des Betriebsrates vorsehe, so sei diese Bestimmung infolge Verstoßes gegen § 102 ArbVG rechtsunwirksam. Die Verwarnung des Klägers ohne Zustimmung des Betriebsrates sei daher nicht rechtswirksam.

Gegen dieses Urteil der zweiten Instanz richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Abänderungsantrag, die Klage abzuweisen.

Die klagende Partei stellt den Antrag, der Revision der beklagten Partei nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Unter Disziplinarmaßnahmen sind alle Maßnahmen des Arbeitgebers zur Wahrung oder Wiederherstellung der betrieblichen Ordnung zu verstehen, mit denen dem Arbeitnehmer ein Nachteil zugefügt oder zumindest angedroht wird. Auch die Rüge oder der Verweis, die Abmahnung, die Verwarnung, welcher Name auch immer diesen Maßnahmen gegeben wird, können Disziplinarmaßnahmen sein (Cerny/Haas-Laßnigg/Schwarz ArbVG Band 3, 172; Arb 9860, 9895, 10.606, 10.848, 9 ObA 1002/93).

Entscheidend dafür, ob dem Arbeitgeber ein Wahlrecht zwischen einer "schlichten" Abmahnung ohne Anhörung oder Zustimmung des Betriebsrates oder einer disziplinarrechtlichen Abmahnung nach entsprechender Zustimmung des Betriebsrates oder der im Kollektivvertrag genannten Dienststrafe der Verwarnung zusteht, ist, ob der Arbeitgeber mit seiner Maßnahme die Rechtslage gestaltet (9 ObA 359, 360/93), eine abschließende Sanktion setzt (9 ObA 1002/93) oder einen rechtlich zulässigen Nachteil zufügt (Strasser in Floretta/Strasser, Kommentar zum ArbVG 597). Das Abgrenzungskriterium zwischen Disziplnarmaßnahme und schlichter Verwarnung liegt in dem gegenüber der Verwarnung zusätzlichen Sanktionscharakter der Disziplinarmaßnahme, der über die individualrechtlich zulässige Reaktion hinausgeht. Ausschlaggebend dabei ist der mit der Maßnahme verfolgte Zweck. Während die "schlichte" Abmahnung schwergewichtig zukunftsbezogen gestaltet ist und der Arbeitgeber damit seine vertraglichen Rügerechte ausübt, den Arbeitnehmer zu vertragsgerechtem zukünftigen Verhalten anzuhalten und vor Konsequenzen für den Bestand oder Inhalt des Arbeitsverhältnisses bei weiteren Verletzungen zu warnen, ist die Disziplinarmaßnahme auf die Sanktionierung des beanstandeten Verhaltens selbst gerichtet (Münchner Handbuch Arbeitsrecht Band 3 Rz 20 ff; Kraft, Sanktionen im Arbeitsverhältnis NZA 1989, 777 [780]; Hoyningen-Huene, Die Abmahnung im Arbeitsrecht RdA 1990, 193 [203]; Heinze, Zur Abgrenzung von Betriebsbuße und Abmahnung NZA 1990, 169 [173]; BAG AP 2 zu § 87 BetrVG 1972).

Es kommt daher grundsätzlich auf den Wortlaut der gesetzten Maßnahme an, wobei der erklärte Wille im Zweifel durch Auslegung zu ermitteln ist (BAG AP 2 zu § 87 BetrVG 1972).

Nur wenn die Gesamtwürdigung der Erklärung unter Berücksichtigung aller Begleitumstände eine Sanktionierung des Verhaltens des Arbeitnehmers ergibt, - das ist dann der Fall, wenn der Erklärung eine über das Anhalten zur korrekten Erfüllung der Leistungspflicht hinausgehende Wertung zu entnehmen ist -, liegt eine Disziplinarmaßnahme vor. Nur diese bedürfte bei sonstiger Rechtsunwirksamkeit der Zustimmung des Betriebsrates nach § 102 ArbVG (ecolex 1995, 120).

Die im Kollektivvertrag genannten Dienst- und Disziplinarstrafen der Verwarnung bzw des strengen Verweises werden durch die Wahl einer "schlichten" Verwarnung ohne Sanktionscharakter, lediglich als Maßnahme zur Erzwingung und Einhaltung der arbeitsvertraglichen Pflichten mit Warnfunktion nicht umgangen. Anders wäre es dann, wenn der Kollektivvertrag unter der Verwarnung auch die "schlichte" Ermahnung ohne Sanktionscharakter verstehen würde, wofür aber kein Anhaltspunkt besteht.

Im vorliegenden Fall hat der Dienstgeber dem Kläger nur verhalten, die Abrechnungsvorschriften künftig korrekt zu befolgen und für den Fall der neuerlichen Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten die Kündigung angedroht. Eine abschließende Sanktion, die die sozialen Interessen des Klägers beeinträchtigt, liegt daher nicht vor; ebensowenig liegt die Androhung einer Sanktion vor, die über die dem Dienstgeber obliegende Warnpflicht hinausgeht. Es handelt sich lediglich um eine zukunftsbezogene Abmahnung, die daher nicht rechtsunwirksam ist.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO und § 58 Abs 1 ASGG. Da sich der Kläger auf § 102 ArbVG stützte, liegt eine Streitigkeit nach § 50 Abs 2 ASVG vor. Ein Kostenersatzanspruch steht nur im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof zu.

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