OGH 6Ob16/95

OGH6Ob16/954.5.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Redl, Dr.Kellner, Dr.Schiemer und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Dieter Böhmdorfer, Mag.Martin Machold, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Friedrich K*****, vertreten durch Braunegg, Hoffmann & Co Partner, Rechtsanwälte in Wien, 2. Gustav H*****, vertreten durch Dr.Lutz Hötzl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Widerruf und Unterlassung, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 18.Jänner 1994, AZ 11 R 250/93 (ON 62), womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 9. September 1993, GZ 21 Cg 40/91-57, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird (soweit sie sich gegen die Abweisung der gegen die zweitbeklagte Partei gerichteten Klage richtet) teilweise stattgegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"Die zweitbeklagte Partei ist schuldig, die Verbreitung der Behauptung (oder gleichsinnige Behauptungen) zu unterlassen, das von der klagenden Partei der zweitbeklagten Partei gelieferte Holzmaterial sei minderwertig und komme aufgrund des verrechneten Preises einer lukrativen Abfallverwertung (Brennholzverwertung) gleich, insbesondere wenn dies durch Verbreitung des Gutachtens der erstbeklagten Partei vom 21.8.1990 geschieht.

Das Mehrbegehren, die zweitbeklagte Partei sei ganz allgemein schuldig - also auch im Rahmen von gerichtlichen Verfahren - die oben angeführte Behauptung zu unterlassen, wird abgewiesen.

Die zweitbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den mit S 4.950,-- bestimmten Anteil an den Verfahrenskosten erster und zweiter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die zweitbeklagte Partei ist ferner schuldig, der klagenden Partei den mit S 3.000,-- bestimmten Anteil an den Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin betreibt ein Zimmereiunternehmen und lieferte dem Zweitbeklagten einen Selbstbausatz für ein Blockhaus, für dessen Errichtung die Klägerin einen Fachmann beistellte. Wegen verschiedener Mängel des Werkes beauftragte der Zweitbeklagte den Erstbeklagten zur Erstattung eines Privatgutachtens. Der Erstbeklagte bezeichnete in seinem Gutachten das gelieferte Holz als so minderwertig, daß die Lieferung "aufgrund des verzeichneten Preises einer lukrativen Abfallverwertung (Brennholzverwertung) gleich" komme. Dem Erstbeklagten war vom Zweitbeklagten mitgeteilt worden, daß das Gutachten benötigt werde, wenn irgendein Streit entstehe. In einem vom Zweitbeklagten beantragten Beweissicherungsverfahren wurde dem gerichtlich bestellten Sachverständigen das Privatgutachten des Erstbeklagten zur Verfügung gestellt.

Der Zweitbeklagte strebte eine Behandlung seines Streites mit der Klägerin durch die Redaktion der Sendung "Argumente" des ORF an und gewährte einem Redakteur des ORF Einsicht in das Privatgutachten. Nachdem er an die Redaktion der Sendung "Help" verwiesen worden war, stellte der Zweitbeklagte auch dieser Redaktion des ORF das Privatgutachten zur Verfügung und ersuchte um Hilfestellung. Vom ORF wurde der Fall nicht aufgegriffen.

Mit der am 20.11.1990 beim Handelsgericht Wien zu 37 Cg 633/90 eingebrachten Klage machte der Zweitbeklagte hinsichtlich des von der Klägerin gelieferten Blockhauses Mängelbehebungskosten von S 160.000,-- und eine Preisminderung von S 260.000,-- geltend. In diesem Verfahren wurde das Privatgutachten des Erstbeklagten als Beweismittel verwendet.

Für das Blockhaus hatte die Klägerin 11 Stück Balken mit einer Länge von nur je 30 cm geliefert. Die Verwendung derartiger Balken war technisch bedingt. Die beim Blockhausbau verwendeten kurzen Balkenstücke waren qualitativ nicht minderwertig. Die mit Ästen und Harzgallen behafteten Balkenstücke waren nicht mangelhaft. Auch vorhandene Rindeneinschlüsse stellten keinen Mangel dar. Die Klägerin hatte einwandfrei gesundes, mangelfreies Bauholz geliefert. Auch das anbotswidrig, nicht kerngetrennte Holz war von der Holzqualität her einwandfrei. Das in etwa 750 Balken gelieferte Holz entsprach der Qualitätsklasse II (gutes Bauholz).

Mit der am 11.2.1991 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin, den Erstbeklagten schuldig zu erkennen, die Behauptung, das von der Klägerin dem Zweitbeklagten gelieferte Holzmaterial sei minderwertig und komme aufgrund des verrechneten Preises einer lukrativen Abfallverwertung (Brennholzverwertung) gleich, gegenüber dem Zweitbeklagten zu widerrufen sowie den Zweitbeklagten schuldig zu erkennen, die angeführte Behauptung (deren Verbreitung) zu unterlassen.

Die Vorinstanzen wiesen die Klage gegen beide Beklagten ab. Hinsichtlich des Erstbeklagten wurde die Abweisung der Klage infolge Zurückweisung der außerordentlichen Revision der Klägerin mit dem Beschluß des erkennenden Senates vom 9.2.1995, 6 Ob 1038/94, rechtskräftig.

Zum Unterlassungsanspruch gegen den Zweitbeklagten brachte die Klägerin in erster Instanz vor, daß die Behauptungen des Erstbeklagten unwahr und rufschädigend seien. Der Zweitbeklagte habe die Tatsachenbehauptungen des Erstbeklagten weiterverbreitet, insbesondere auch in einem Gerichtsverfahren (S.6 der Klage ON 1).

Der Zweitbeklagte bestritt das Vorbringen der Klägerin, beantragte die Abweisung der Klage und brachte im wesentlichen vor, daß das gelieferte Holz zahlreiche und wesentliche Mängel aufgewiesen hätte. Deshalb habe der Zweitbeklagte ein Gutachten beim Erstbeklagten eingeholt. Auf dieses Gutachten des Erstbeklagten könne sich der Zweitbeklagte zumindest solange stützen, bis der Klägerin der Gegenbeweis gelungen sei. Es sei unrichtig, daß der Zweitbeklagte die "ORF-Konsumentenredaktion" zur Veröffentlichung irgendwelcher Behauptungen veranlaßt habe. Eine Wiederholungsgefahr sei deswegen nicht gegeben, weil das inkriminierte Gutachten ausschließlich im Gerichtsverfahren vorgelegt worden sei. Das Unterlassungsbegehren sei zumindest solange nicht gerechtfertigt, als die Richtigkeit des Gutachtens nicht widerlegt sei (ON 4).

Die Abweisung der gegen den Zweitbeklagten gerichteten Klage begründete das Erstgericht rechtlich im wesentlichen dahin, daß eine Haftung nach § 1330 Abs 2 ABGB nur für unwahre Tatsachenbehauptungen, nicht aber für unrichtige Werturteile bestehe. Bei der bekämpften Äußerung im Privatgutachten des Erstbeklagten handle es sich um Werturteile. Der Befund des Erstbeklagten sei richtig, die daraus gezogenen Schlüsse seien aber falsch. Deshalb sei auch die Klage gegen den Zweitbeklagten abzuweisen gewesen, weil der Kredit, Erwerb oder das Fortkommen der Klägerin nicht durch die richtigen Tatsachenbehauptungen nicht in rechtswidriger Weise gefährdet werden könnten. Der Klägerin sei auch der Nachweis eines Verschuldens des Zweitbeklagten nicht gelungen. Ein Unterlassungsanspruch stehe überdies auch deshalb nicht zu, weil das Vorbringen der Beklagten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in einem Prozeß gedient habe.

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der Klägerin nicht statt und führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß der verschuldensunabhängige Unterlassungsanspruch nur bei Vorliegen der Wiederholungsgefahr bejaht werden könne. Der Zweitbeklagte habe sich zulässigerweise an die Kundendienststellen des ORF gewandt. Er habe nur "drastisch" auf seine Situation hinweisen wollen. Daß das Privatgutachten des Erstbeklagten unrichtig gewesen sei, habe der Zweitbeklagte nicht wissen können. Von der Unrichtigkeit habe er erst im Verlaufe des Rechtsstreits Kenntnis erlangt. Anhaltspunkte dafür, daß der Zweitbeklagte nach Kenntnis der Unrichtigkeit des Privatgutachtens die unrichtigen Äußerungen weiterverbreiten werde, lägen nicht vor. Mangels Wiederholungsgefahr sei daher das Unterlassungsbegehren gegen den Zweitbeklagten abzuweisen gewesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung dahin, daß der Klage stattgegeben werde.

Mit der ihm freigestellten Revisionsbeanwortung beantragt der Zweitbeklagte, der Revision der Klägerin nicht stattzugeben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist zulässig, weil das Berufungsgericht in der Frage der Wiederholungsgefahr im Ergebnis von der oberstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen ist. Die Revision ist auch berechtigt.

Der von der Klägerin bekämpfte Teil des Privatgutachtens stellt eine rufschädigende Tatsachenbehauptung dar, weil der Klägerin der Vorwurf gemacht wird, minderwertige Waren zu einem unangemessen hohen Preis zu verkaufen. Damit wird ihr ein zumindest unehrenhaftes Verhalten vorgeworfen. Auch wenn rufschädigende Äußerungen grundsätzlich nicht isoliert, sondern nach dem Zusammenhang, in dem sie gefallen sind, beurteilt werden müssen (MR 1990, 184), kann sich der Zweitbeklagte nicht auf den Umstand berufen, daß das gelieferte Werk tatsächlich erhebliche Mängel aufgewiesen hat und die Klägerin bereit war, einen Teil des Werklohns zu refundieren. Die bekämpfte unwahre Passage des Privatgutachtens betrifft einen durchaus selbständig beurteilbaren Teil des Werkes. Die berechtigte Kritik an anderen Mängeln vermag rufschädigende Äußerungen über mängelfreie Teile des Werkes nicht zu rechtfertigen.

Die Ehre und der wirtschaftliche Ruf nach § 1330 Abs 1 und 2 ABGB sind absolut geschützte Güter. Bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit ist stets eine Interessenabwägung vorzunehmen (Korn-Neumayer, Persönlichkeitssschutz 59; MR 1988, 194; SZ 56/124). Der Verletzung der Ehre und des wirtschaftlichen Rufes ist hier das Interesse an einer ordnungsgemäßen Rechtspflege gegenüberzustellen. Der Zweitbeklagte durfte das Gutachten zwar in einem gerichtlichen Verfahren verwenden und darauf gestützt sich die Ausführungen des sachverständigen Privatgutachters zueigen machen und entsprechende Parteibehauptungen aufstellen. Insoweit ist der Unterlassungsanspruch der Klägerin zu allgemein gehalten, weil es einer Partei nicht verwehrt werden darf, im Prozeß alle für ihren Prozeßstandpunkt günstigen Umstände aufzuzeigen. Die im Rahmen der Prüfung der Rechtswidrigkeit vorzunehmende Interessenabwägung führt daher zum Ergebnis, daß der Unterlassungsanspruch gegen den Zweitbeklagten nur für die Tatsachenverbreitung außerhalb gerichtlicher Verfahren berechtigt sein könnte.

Entgegen der Auffassung des Zweitbeklagten kann er sich zur mangelnden Rechtswidrigkeit der Tatsachenverbreitung nicht darauf berufen, daß der von ihm mit den Äußerungen des Privatgutachters befaßte ORF nach den für diesen geltenden Bestimmungen des RFG zur Objektivität verpflichtet sei und daß die Befassung dieses Mediums der außergerichtlichen Konfliktbereinigung gedient habe. Der Rechtfertigungsgrund des Interesses an einer ordnungsgemäßen Rechtspflege kann schon deshalb nicht vorliegen, weil der ORF daran nicht teilnimmt. Darauf, ob der ORF nach einer Prüfung des ihm vorgetragenen Falls diesen aufgreift oder nicht, kann es hier nicht ankommen, weil schon mit der Weitergabe des Privatgutachtens der Tatbestand der Weiterverbreitung rufschädigender Äußerungen erfüllt wurde.

Das Berufungsgericht hat den verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch (MR 1991, 20) aus dem Grund fehlender Wiederholungsgefahr verneint. Zutreffend rügt die Klägerin dazu, daß die Behauptungs- und Beweislast für den Wegfall der Wiederholungsgefahr den Beklagten trifft (ÖBl 1981, 122; SZ 56/124). Der Wegfall ist nicht von Amts wegen zu beachten. Die Wiederholungsgefahr ist zu vermuten und auch bei einem einmaligen Verstoß anzunehmen. Sie ist etwa dann gegeben, wenn die Gefahr der Information der Presse besteht (Korn/Neumayer aaO 73). Der Zweitbeklagte hat im Verfahren erster Instanz den Mangel der Wiederholungsgefahr nur aus dem Grund behauptet, daß das Privatgutachen ausschließlich in einem Gerichtsverfahren vorgelegt worden sei. Er bestritt ausdrücklich, daß er "die ORF-Konsumentenredaktion zur Veröffentlichung irgendwelcher Behauptungen veranlaßt habe" (S.3 in ON 4). Die Weitergabe der rufschädigenden Äußerungen des Erstbeklagten durch den Zweitbeklagten außerhalb gerichtlicher Verfahren wurde festgestellt. Daß keine Gewähr dafür bestand, daß die Empfänger des Privatgutachtens dieses (entgegen den Intentionen des Zweitbeklagten) vertraulich behandelt werden, liegt auf der Hand. Der Zweitbeklagte haftet auch für die bloße Weitergabe der (fremden) Behauptungen im Privatgutachten, selbst wenn er sich mit den gegenständlichen Äußerungen nicht konkret identifiziert haben sollte (ÖBl 1992, 278). Für den Wegfall der Wiederholungsgefahr hätte der Zweitbeklagte bei der gegebenen Sachlage behaupten und beweisen müssen, daß er in Hinkunft außerhalb gerichtlicher Verfahren die Äußerungen des Privatgutachters anderen Personen nicht mehr zugänglich machen werde. Ein solches Parteivorbringen wurde nicht erstattet. Der Zweitbeklagte vertrat vielmehr noch im Berufungsverfahren den Standpunkt, daß die Unwahrheit der Tatsachenbehauptungen nicht nachgewiesen (ihre Verbreitung also zulässig) sei (S.4 in ON 60). Bei Beharren auf dem Prozeßstandpunkt ist aber ein Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht anzunehmen (ÖBl 1985, 140).

Der Unterlassungsanspruch der Klägerin ist im dargelegten eingeschränkten Umfang berechtigt. Mangels Bewertung ist von einer Gleichwertigkeit des stattgebenden und des abgewiesenen Teils auszugehen. Dies gilt auch für die mangelnde Bewertung des für jeden der beiden Beklagten maßgeblichen Streitwertes durch die Klägerin. Mangels Aufgliederung der mit "Gesamtstreitwert: S 300.000,--" bezeichneten Bewertung gilt für jeden Beklagten ein Streitwert von S 150.000,--. Aufgrund des Obsiegens nur zur Hälfte, haben die Parteien die Kosten ihrer Rechtsvertretung selbst zu tragen. Hinsichtlich der Pauschalgebühren aller Instanzen und der von ihr getragenen Sachverständigengebühren hat die Klägerin jedoch Anspruch auf Ersatz der Hälfte (§§ 43 Abs 1, 50 ZPO) der auf das Verfahren gegen den Zweitbeklagten entfallenden Hälfte dieser Gebühren, im Ergebnis also auf ein Viertel.

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