OGH 8Ob510/95

OGH8Ob510/9527.4.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag, Dr.Langer, Dr.Rohrer und Dr.Adamovic als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gustav R*****, vertreten durch Dr.Peter Zauner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Mag.Christian A*****, vertreten durch Dr.Dieter Böhmdorfer ua Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert S 500.000), infolge außerordentlicher Revisionen der klagenden und beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 12.Jänner 1994, GZ 17 R 260/93-22, mit dem infolge Berufungen beider Teile das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 7.September 1993, GZ 18 Cg 236/91-16, bestätigt wurde,

1. den

Beschluß

gefaßt:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508 a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen;

2. zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben.

Die vorinstanzlichen Entscheidungen, deren klagsabweisender Teil, die beklagte Partei sei schuldig, Erregungen unnötigen und störenden Lärmes durch das Nachäffen, Anpöbeln sowie Anrempeln von Gästen zu unterlassen, mangels Anfechtung unberührt bleibt, werden im übrigen dahingehend abgeändert, daß die beklagte Partei auch schuldig ist, das Abhören von Gesprächen von den den Gastgarten benutzenden Gästen durch das Einrichten von Mikrophonen bei Exekution zu unterlassen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit insgesamt S 93.897,92 (einschließlich S 16.280 Barauslagen und S 12.936,32 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger betreibt als Hauptmieter eines ebenerdigen Lokals samt einer Teilfläche des Innenhofes in einem Haus im 13. Wiener Gemeindebezirk, das dem Vater des Beklagten gehört, ein Gasthaus, und insbesondere im Innenhof einen Gastgarten, der nach einer vom Vater des Beklagten erwirkten behördlichen Anordnung in der Zeit von 12.00 bis 14.00 Uhr und ab 19.00 Uhr nicht betrieben werden darf ("Sperrstunde").

Der Beklagte bewohnt im selben Haus als Hauptmieter eine Wohnung im

1. Stock, die hofseitige Fenster hat. Zwischen den Streitteilen besteht seit Jahren eine gewisse Animosität, weil sich beide jeweils durch Tätigkeiten oder Interessen des anderen gestört fühlen. Dies bezeichnet der Beklagte selbst als "Schwierigkeiten".

Der Beklagte störte den Geschäftsbetrieb des Klägers insbesondere durch folgende Handlungen:

Er führt seit 1991 laufend und auch noch während des gegenständlichen Verfahrens überlange und überlaute Staubsaugarbeiten durch, vor allem bei geöffneten Fenstern und im Bereich eines steinernen, zum Gastgarten hin offenen Stiegenhauses. Durch das Staubsaugergeräusch wird den Gästen des Klägers der Verbleib im Gastgarten während der zulässigen Öffnungszeiten verleidet. Er entleert seinen Mistkübel in ungebührlicher Art und Weise unter Erzeugung von Lärm dadurch, daß er den Hausmistkübel lautstark öffnet. Er klopft mit einem Sturzhelm gegen Holzplanken im Innenhof und erzeugt durch lautes Händeklatschen eine ungebührliche Lärmbelästigung der Gäste.

Weiters hängte er 1991 und auch während des gegenständlichen Verfahrens aus seinen hofseitig gelegenen Fenstern Mikrophone zum Abhören der Gespräche der Gäste des Klägers.

Wiederholt pöbelte und rempelte der Beklagte ältere Gäste an, zeigte diesen den "Vogel", starrte den Kläger richtiggehend an, äffte Gäste durch Grimassen nach und zeigte in unmanierlicher Art und Weise seine herausgestreckte Zunge und störte insgesamt die Gäste des Klägers durch lautes Hin- und Herlaufen im Bereich des Stiegenhauses und der Wohnung sowie dadurch, daß Hufeisen auf seinen Schuhsohlen montiert sind, die bei stärkerem Auftreten ein entsprechend lautes Geräusch erzeugen.

Der Kläger behauptet, der Beklagte wolle durch diese "flankierenden Maßnahmen" die wirtschaftliche Existenz und den Ruf des Klägers gefährden und begehrt, den Beklagten schuldig zu erkennen, ab sofort Störungen des Geschäftsbetriebes des Gasthauses und Eingriffe in das Mietrecht des Klägers am Gastgarten durch Erregung unnötigen und störenden Lärms, wie durch das lautstarke Ausleeren von Mistkübeln, das überlaute Staubsaugen in einem zum Hof hin offenen steineren Stiegenhaus, das Schlagen eines Sturzhelms an Holzplanken und das Händeklatschen sowie das Nachäffen, Anpöbeln und Anrempeln von Gästen sowie das Abhören von Gesprächen von den den Gastgarten benützenden Gästen durch das Einrichten von Mikrophonen zu unterlassen und sich in Hinkunft jeder derartiger Störung zu enthalten.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, wendete ein, daß die Klage auf keinen tauglichen Rechtsgrund gestützt sei, und bestritt im übrigen, das beanstandete Verhalten gesetzt zu haben.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren teilweise statt und verpflichtete den Beklagten, Störungen durch Erregung unnötigen und störenden Lärms zu unterlassen, und zwar durch lautstarkes Ausleeren von Mistkübeln, überlautes Staubsaugen in einem zum Hof hin offenen Stiegenhaus und Schlagen eines Sturzhelmes an Holzplanken und Händeklatschen. Das weitere Begehren, "Nachäffen, Anpöbeln sowie Anrempeln von Gästen sowie das Abhören von Gesprächen von den den Gastgarten benützenden Gästen durch Einrichten von Mikrophonen zu unterlassen", wies es ab.

Den gegen den jeweils klagsabweisenden bzw -stattgebenden Teil des erstgerichtlichen Urteils gerichteten Berufungen beider Teile gab das Berufungsgericht nicht Folge und ließ die Revision an den Obersten Gerichtshof nicht zu.

Es meinte in rechtlicher Hinsicht, daß seit der Entscheidung des verstärkten Senates vom 4.12.1989, 7 Ob 654/89, SZ 62/204, dem Bestandnehmer eine Unterlassungsklage gegen den Störer zugebilligt werde, wobei es gleichgültig sei, ob der Anspruch nach § 364 Abs 2 oder § 372 ABGB zu beurteilen sei, weil ersterer nur ein Sonderfall des letzteren sei. In § 364 Abs 2 ABGB sei ua die vom "Nachbargrund" ausgehende Einwirkung durch Geräusche ausdrücklich genannt; sie könne insoweit untersagt werden, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreite und die ortsübliche Benützung des Grundstückes wesentlich beeinträchtige, was hier der Fall sei. Die teilweise Klagsabweisung (Nachäffen von Gästen, Abhören von Gesprächen) durch das Erstgericht sei zu Recht erfolgt: Aus der Sicht einer "Immission" fehle die physische, körperliche Einwirkung auf das "Nachbargrundstück", aus der Sicht eines Rechtsbesitzes des Klägers der Störungscharakter, weil der Beklagte durch das Nachäffen von Gästen und Abhören von deren Gesprächen keine Besitzhandlungen ausübe, die ihm zum Besitzer des Bestandrechtes, wie es der Kläger ausübe, machen könnten. Ein Eingriff in die "Sache" liege nicht vor. Ein solcher könne auch nicht durch die menschliche Negativwertung eines Geschehens ersetzt werden.

Rechtliche Beurteilung

1. Die gegen den klagsstattgebenden Teil der Entscheidung gerichtete außerordentliche Revision des Beklagten war gemäß § 508 a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

2. Hingegen ist die außerordentliche Revision des Klägers in dem von ihm noch relevierten Teilbereich (Unterlassen des Abhörens von Gesprächen von Gästen durch Mikrophone) zulässig, weil hiezu oberstgerichtliche Rechtsprechung fehlt und dieser Frage über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommen kann; sie ist im Ergebnis - entgegen dem Antrag des Beklagten in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung - auch berechtigt.

Der Kläger führt unter dem Rechtsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung aus, das Verhalten des Beklagten sei dem Immissionsbegriff des § 364 Abs 2 ABGB zu unterstellen ("ähnliche Einwirkung") und beeinträchtige das gewöhnliche Maß der Benützbarkeit seines Bestandobjektes, weil sich seine Gäste durch das Abhören beeinträchtigt fühlten. Das Abhören verfolge das Ziel, seine wirtschaftliche Existenz zu zerstören.

Damit macht der Kläger erkennbar auch Rechtsmißbrauch geltend. Unter diesem Gesichtspunkt ist das Klagebegehren jedenfalls berechtigt, sodaß es dahingestellt bleiben kann, ob das Abhören durch das "Anzapfen" der Wellen im Bereich des Bestandobjektes des Klägers das ortsübliche Ausmaß überschreitende "räumliche Übergriffe" in die Rechtssphäre des Klägers im Sinn des § 364 Abs 2 ABGB darstellt, das als unzulässige Immission untersagt werden kann, oder ob es sich um bloß "ideelle Beinträchtigungen" handelt, die keinen Eingriff in die Sache bzw das Mietrecht des Klägers darstellen (vgl Spielbüchler in Rummel ABGB I2 Rz 9 zu § 364). Gemäß § 364 Abs 1 ABGB ist das Eigentumsrecht oder sonstige Recht (hier das Mietrecht des Beklagten und die sich hieraus ergebenden Befugnisse) insoweit beschränkt, "als dadurch weder in die Rechte eines Dritten" (hier des Klägers als Mitmieter) ein Eingriff geschieht, noch die in den Gesetzen zur Erhaltung und Förderung des allgemeinen Wohles vorgesehenen Einschränkungen übertreten werden. Diese Bestimmung bettet das Eigentumsrecht in die übrige Rechtsordnung ein; sie hat verweisenden Charakter (Spielbüchler aaO Rz 1). Auch den Eigentümer oder sonst Berechtigten (hier den Beklagten als Mitmieter) bindet das Schikaneverbot des § 1295 Abs 2 ABGB (Spielbüchler aaO Rz 2). Bei rechtsmißbräuchlicher Rechtsausübung steht dem Geschädigten nicht nur ein Schadenersatzanspruch, sondern auch ein Unterlassungsanspruch zu, weil die Verhinderung von Rechtsverletzungen stets Vorrang vor deren Beseitigung hat (Reischauer in Rummel ABGB II2 Rz 23 zu § 1294 mwN).

Es kann hier dahingestellt bleiben, inwieweit sich die Gäste des Klägers das Abhören ihrer Gespräche durch den Beklagten gefallen lassen müssen; von ihnen braucht der Beklagte jedoch kaum rechtliche Schritte befürchten; sie werden, wenn sie sich dadurch gestört erachten, wohl den Gastbetrieb des Klägers meiden.

Auch wenn man das Aufstellen von Mikrophonen am Fenster der eigenen Wohnung noch dem Bereich zulässiger Mietrechtsausübung zuordnen kann, wird eine solche Maßnahme aber dadurch gegenüber dem Kläger unzulässig, wenn sie - wie die anderen, bereits von den Vorinstanzen untersagten Störmaßnahmen des Beklagten durch unmäßige Lärmentwicklung - vornehmlich dazu dient, den Kläger zu schädigen:

Seine Kunden sollen sich durch das Abhören ihrer Gespräche gestört erachten und den Besuch des Gastgartens meiden, was zu einer Umsatzeinbuße, wenn nicht gar Existenzgefährdung führen muß (zum Rechtsmißbrauch und Schikane vgl für alle Reischauer aaO § 1295 Rz 58 f mwN sowie ausführlich jüngst Mader, Rechtsmißbrauch und unzulässige Rechtsausübung, insb 221 ff)."Lautere Motive" können bei dem Gesamtverhalten des Beklagten dem Abhören nicht entnommen werden. Die in der Revisionsbeantwortung aufgestellte Behauptung des Beklagten, er sei zum Abhören berechtigt, weil die Gäste im Gastgarten "die Begehung strafbarer Handlungen zum Nachteil seines Vermögens besprechen", ist eine durch nichts belegte, an den Haaren herbeigezogene Schutzbehauptung.

Der Beklagte hat daher das Abhören von Gesprächen von den den Gastgarten des Klägers benutzenden Gästen durch das Einrichten von Mikrophonen zu unterlassen.

Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens auf den §§ 43 Abs 1 und 50 ZPO, hinsichtlich des Revisionsverfahrens auf den §§ 41 und 50 ZPO. Der Oberste Gerichtshof billigt die vom Erstgericht zum Zwecke der Bewertung vorgenommene Unterteilung des Klagebegehrens; der Kläger hat in erster Instanz mit vier "Teilbegehren", also mit vier Fünfteln obsiegt, sodaß ihm 60 % seiner Kosten sowie 80 % seiner Barauslagen - unter Berücksichtigung des 20 %igen Anteils der Barauslagen des insoweit obsiegenden Beklagten - zuzusprechen sind. Mit seiner Berufung hat der Kläger letztlich zur Hälfte obsiegt, weshalb ihm 50 % der Barauslagen, jedoch keine Vertretungskosten, gebühren; die Berufung des Beklagten war zur Gänze erfolglos, weshalb dem Kläger die Kosten der Berufungsbeantwortung zur Gänze zuzuerkennen waren; für die Berufungsverhandlung gilt dieselbe Erfolgsquote wie in erster Instanz. Im Revisionsverfahren hat der Kläger zur Gänze obsiegt, sodaß ihm hiefür voller Kostenersatz gebührt.

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