OGH 1Ob542/95

OGH1Ob542/9527.3.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin Nisa K*****, vertreten durch Dr.Christoph Schneider, Rechtsanwalt in Bludenz, wider den Antragsgegner Resid K*****, wegen Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Antragstellerin gegen den Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgerichtes vom 3.November 1994, GZ 1 R 420/94-30, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Bludenz vom 12.August 1994, GZ F 5/94-27, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben; dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Beide Parteien sind Staatsangehörige der Republik Bosnien-Herzegowina. Die zwischen ihnen am 15.6.1988 in der genannten Republik geschlossene Ehe wurde mit Urteil des Erstgerichtes vom 5.3.1993 rechtskräftig geschieden. Der Ehe entstammt die Tochter Zenita, geboren am 22.9.1988. Die Obsorge für dieses Kind kommt der Antragstellerin allein zu. Der Antragsgegner hat für seine Tochter einen monatlichen Unterhalt von S 2.200,-- zu leisten. Der letzte gemeinsame, gewöhnliche, vom Antragsgegner beibehaltene Aufenthalt der Parteien war in N*****. Seit dem 1.5.1992 ist die eheliche Lebensgemeinschaft der Parteien infolge Auszugs der Antragstellerin aus der Ehewohnung aufgelöst. Diese hat nach wie vor ihren gewöhnlichen Aufenthalt in N*****. Im Aufteilungsverfahren wurde zwischen den Parteien die Anwendung inländischen Sachrechts vereinbart.

Die Antragstellerin begehrt die Zuweisung verschiedener Einrichtungsgegenstände in ihr Alleineigentum, die Verpflichtung des Antragsgegners zur Leistung von Ausgleichszahlungen im Betrage von S 55.000,- -, S 120.000,- -, S 72.000,-- und „in der Höhe der Hälfte der Leasingraten“ sowie die Zuweisung der Mietrechte an der bisherigen Ehewohnung. Die von ihr begehrten Gegenstände seien während aufrechter Ehe angeschafft worden. Die Parteien hätten S 100.000,-- erspart; eine Kaution im Betrag von S 10.000,-- erliege beim Vermieter der vormaligen Ehewohnung. Im Juni 1990 hätten die Parteien gemeinsam einen PKW Ford Orion geleast. Hiefür sei ein zuvor von den Parteien erworbenes Fahrzeug um S 10.000,-- in Zahlung gegeben und ein weiterer Betrag von S 10.000,-- aus gemeinsam erwirtschaftetem Geld angezahlt worden. Der Antragsgegner habe ein anderes Fahrzeug und den PKW Ford Orion wieder in Zahlung gegeben. Deshalb stünden der Antragstellerin die Hälfte der Ersparnisse (S 50.000,-), die Hälfte der erliegenden Kaution (S 5.000,- -), die Hälfte der während aufrechter Ehe zurückbezahlten Leasingraten und weiters die bei der Anmietung des PKW Ford Orion angezahlten S 10.000,-- zu. Sie habe für sich und die Tochter eine wesentlich teurere Wohnung anmieten müssen, wobei sie monatlich S 8.000,-- an Miete zu bezahlen habe. Angesichts dieser hohen Miete seien die Antragstellerin und das Kind auf die Ehewohnung angewiesen, weil sie sich ansonsten keinen ihren Verhältnissen angemessenen Lebensstandard leisten könnten. Die Übertragung der Mietrechte an der Wohnung liege auch im Interesse des Kindes. Zur Rückzahlung der gegen den Antragsgegner eingeklagten Leasingraten habe dieser einen Kredit im Betrag von S 120.000,-- aufnehmen müssen, der während aufrechter Ehe vor allem aus Mitteln der Antragstellerin zurückbezahlt worden sei. Daher sei die Antragstellerin berechtigt, S 120.000,-- zurückzuverlangen. Dies gelte auch für einen Betrag von S 72.000,- -, der an Unterhaltsrückstand für zwei weitere Kinder des Antragsgegners während aufrechter Ehe bezahlt worden sei. Im Jahre 1992 habe der Antragsgegner abermals einen PKW Ford Orion geleast, wobei ihm bei Vertragsabschluß für ein Eintauschfahrzeug S 87.000,-- angerechnet worden seien. Die Antragstellerin sei berechtigt, einen Teil dieser Anzahlung vom Antragsgegner zu begehren. Ihr Beitrag zur Vermögensbildung während aufrechter Ehe sei höher als der des Antragsgegners zu bewerten, weil sie sich um die Erziehung des Kindes gekümmert und den Haushalt versorgt habe, darüber hinaus aber ab 1990 noch zusätzlich einer Arbeit nachgegangen sei.

Der Antragsgegner wendete ein, daß die Auferlegung einer Ausgleichszahlung ungerechtfertigt wäre. Es sei der Antragstellerin ohnehin das komplett eingerichtete Schlafzimmer überlassen worden; sie habe auch eine Nähmaschine und einen Mixer erhalten. Ersparnisse seien nicht vorhanden; vielmehr seien bestehende Schulden aufzuteilen. Die Fahrzeuge der Parteien seien jeweils geleast gewesen. Die Antragstellerin habe sich stets geweigert, anteilig zu den Benzinkosten oder Leasingraten beizutragen.

Das Erstgericht wies verschiedene näher bezeichnete Einrichtungs- und Gebrauchsgegenstände der Antragstellerin und die übrigen Gegenstände des ehelichen Gebrauchsvermögens dem Antragsgegner ins Alleineigentum zu (Punkt 1 und 2 des Beschlusses des Erstgerichtes); die Mietrechte an der Ehewohnung und die dem Vermieter gestellte Kaution von S 10.000,-- teilte es dem Antragsgegner zu und wies den Antrag der Antragstellerin auf Zuspruch von Ausgleichszahlungen sowie den Antrag des Antragsgegners auf Aufteilung der ehelichen Schulden ab. Das Gericht erster Instanz führte aus, daß bei der Aufteilung des Gebrauchsvermögens die nötig gewordene Neugründung eines Hausstandes durch die Antragstellerin berücksichtigt werden müsse. Der wertmäßige Überhang zugunsten der Antragstellerin bei Zuweisung der aufzuteilenden Gegenstände werde dadurch ausgeglichen, daß dem Antragsgegner die gesamte Kaution zur alleinigen Verfügung zuzuweisen sei. Die Aufteilung ehelicher Verbindlichkeiten sei mangels entsprechender Unterlagen nicht möglich. Die Ansammlung von Ersparnissen bzw. die Bezahlung von Unterhaltsrückständen für nicht der Ehe entstammende Kinder des Antragsgegners habe die Antragstellerin nicht beweisen können. PKW seien von den Parteien gemeinsam angeschafft und auch verwendet worden. Es sei nicht erfindlich, warum die während der Ehe bezahlten Leasingraten bzw. Anzahlungen für PKW eheliche Ersparnisse darstellen sollten. An der Ehewohnung habe der Antragsgegner ein wesentlich größeres Wohnbedürfnis, da die Antragstellerin seit mehr als zwei Jahren eine - wenngleich wesentlich teurere - Wohnung angemietet habe.

Das Rekursgericht sprach in Abänderung der Entscheidung des Erstgerichtes der Antragstellerin eine Ausgleichszahlung von S 50.000,- -, fällig binnen zwei Monaten ab Rechtskraft des rekursgerichtlichen Beschlusses, zu, und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteige; der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig. Es sei nicht entscheidend, ob die Antragstellerin aus der Ehewohnung „geflüchtet“ sei, denn es gehe im vorliegenden Verfahren nur um die Aufteilung des während der Ehe geschaffenen Wertzuwachses. Gegen die Negativfeststellung des Erstgerichtes zur Frage des Vorhandenseins von Ersparnissen bestünden keine Bedenken. Das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen des Antragsgegners ab 1992 habe etwa S 20.000,-- betragen, das der Mutter S 12.000,-- (letzterer Betrag ohne Weihnachts- und Urlaubsgeldanteil). Ob im Zusammenhang mit dem Abschluß von Leasingverträgen Zahlungen durch die Parteien erfolgt seien, sei für das Aufteilungsverfahren unbeachtlich, da es sich dabei um Leistungen im Rahmen der einvernehmlichen Gestaltung der Lebensverhältnisse der vormaligen Ehegatten handle. Für die Weiterbenützung des geleasten PKWs durch den Antragsgegner habe dieser ohnehin die monatliche Leasingraten als wirtschaftliches Äquivalent zu leisten. Ein Vermögenswert könne in der Weiterbenützung dieses PKWs nicht erblickt werden, zumal der geleaste PKW im Eigentum des Leasinggebers und nicht des Antragsgegners stehe. Es sei recht und billig, die Aufteilung im Verhältnis 1 : 1 vorzunehmen, wobei zu bedenken sei, daß die Antragstellerin ohnehin im Bereich des ehelichen Gebrauchsvermögens mehr als 50 % zugewiesen erhalten habe. Die Antragstellerin sei nicht auf die Weiterbenützung der Ehewohnung und die Übertragung der Mietrechte an dieser Wohnung zur Deckung ihres Wohnbedarfs und des Wohnbedarfs des Kindes angewiesen. Bei Vergleich der Nettomietzinse der nunmehr von der Antragstellerin angemieteten Wohnung und der Ehewohnung liege der von der Antragstellerin behauptete Unterschied in den Mietzinsen nicht vor. Es lasse sich nicht beurteilen, in welchem Ausmaß die Antragstellerin durch Konsumverzicht zur vorzeitigen Schuldentilgung beigetragen habe. Um der Antragstellerin und dem gemeinsamen Kind für die zukünftige Lebensgestaltung eine bessere Ausgangslage zu sichern, weil sie durch die Beschaffung der Ersatzwohnung und die Neugründung eines Haushalts von vornherein gegenüber dem Antragsgegner eine höhere Belastung zu tragen gehabt habe, sei ihr eine Ausgleichszahlung im Ausmaß von S 50.000,-- zuzuerkennen.

Der Revisionsrekurs der Antragstellerin ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Den Vorinstanzen ist ein gravierender Ermessensfehler unterlaufen, weil sie die sich im Aufteilungsverfahren ergebenden Rechtsfolgen nicht an die besondere Lage des Einzelfalls angepaßt haben (vgl. EF 66.521):

Die Antragstellerin brachte vor, infolge von Mißhandlungen gezwungen gewesen zu sein, die Ehewohnung zu verlassen; sie sei nach wie vor auf die Ehewohnung angewiesen, weil der Mietzins im Verhältnis zu dem von ihr bezogenen Einkommen unverhältnismäßig hoch sei. Zu den Beweggründen, warum die Antragstellerin die Ehewohnung verlassen hat, haben die Vorinstanzen keine Feststellungen getroffen, obwohl sich die ehewidrige Verhaltensweise des Antragsgegners unschwer aus dem Scheidungsurteil des Erstgerichtes (siehe AS 109 f im Akt 1 C 142/92 des Erstgerichtes) hätte feststellen lassen. Jedenfalls ist ihr das Verlassen der Ehewohnung keinesfalls nachteilig anzulasten. Nun sind bei der Zuteilung einer Ehewohnung die Möglichkeiten zu berücksichtigen, die jedem Ehegatten zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses zur Verfügung stehen; sie soll demjenigen überlassen werden, der darauf mehr angewiesen ist (EF 60.399 f, 51.774 f, 43.774). Beide Parteien haben zur Zeit die Möglichkeit, in einer Mietwohnung zu wohnen. Ob der Antragsgegner bei Verlassen der Ehewohnung eine (andere) Mietwohnung erlangen könnte, steht nicht fest, es fehlt auch an einer entsprechenden Behauptung der Antragstellerin. Diese kann aber auf das im Gegensatz zum Antragsgegner dringendere Wohnbedürfnis an der Ehewohnung verweisen: Bei der Zuweisung der Ehewohnung ist nämlich auch darauf Bedacht zu nehmen, in wessen Haushalt ein Kind wohnt (JBl 1991, 458; EF 63.566), wobei aber stets eine nähere Überprüfung im Einzelfall zu erfolgen hat (EF 72.411). Wenngleich die bisherigen Lebensgrundlagen möglichst gewahrt werden sollen (EF 72.405) und sich das Kind aufgrund des Auszugs aus der Ehewohnung im Mai 1992 (AS 133) bereits an die geänderten Wohnverhältnisse angepaßt haben müßte (vgl EF 72.411), ist von maßgeblicher Bedeutung, daß die Antragstellerin für die vormalige Ehewohnung einen um etwa S 2.300,-- monatlich geringeren Nettomietzins (siehe S.20 f der Rekursentscheidung = AS 170 f) bezahlen müßte. Berücksichtigt man das festgestellte monatliche Nettoeinkommen der Antragstellerin (S 12.500,-- zuzüglich Weihnachts- und Urlaubsgeld, S.15 der Rekursentscheidung = AS 165) und bedenkt man, daß sie in der derzeit angemieteten Wohnung S 8.130,-- incl. Betriebskosten an Miete zu bezahlen hat (AS 170), dann wird deutlich, daß die Antragsgegnerin und ihr Kind auf die vormalige Ehewohnung dringend angewiesen sind; dabei ist auch das wesentlich höhere Einkommen des Antragsgegners (1992 etwa S 20.000,- -, siehe S.16 der Rekursentscheidung = AS 166) in Rechnung zu stellen. Allein durch die Festlegung einer Ausgleichszahlung dafür, daß sich die Antragstellerin eine neue Wohnmöglichkeit verschaffen mußte, wurde das dringendere Wohnbedürfnis der Antragstellerin nicht befriedigt, wenn auch die Höhe einer Ausgleichszahlung nicht mathematisch detailliert zu berechnen ist (EF 72.411). Lediglich dann, wenn die Antragstellerin im Fall der Überlassung der Ehewohnung an sie zu einer Ausgleichszahlung zu verhalten und sie zu einer solchen Zahlung nicht imstande wäre, entspräche es der Billigkeit, dem Antragsgegner die Ehewohnung zuzuerkennen (EF 69.340, 66.528, 63.579).

Gemäß § 81 Abs.1 EheG unterliegen der Aufteilung das eheliche Gebrauchsvermögen und die ehelichen Ersparnisse. Ersparnisse sind gemäß § 81 Abs.3 EheG Wertanlagen, die die Ehegatten während der Lebensgemeinschaft angesammelt haben und die ihrer Art nach üblicherweise für eine Verwertung bestimmt sind (JBl 1983, 316). Wenngleich die Verwertung des allenfalls angesparten Betrags von S 85.000,-- (festgestellt wurden vom Erstgericht wesentlich geringere Werte: S.6 des erstinstanzlichen Beschlusses = AS 132) einvernehmlich erfolgt ist (Eingehen eines neuen Leasingvertrags, siehe S.17 des Beschlusses des Rekursgerichtes = AS 167) und die Ersparnisse bereits vor Auflösung der Ehe „verwertet“ wurden, kommt der gemeinsam angesparte Betrag - falls das Vorbringen der Antragstellerin richtig ist - dem Antragsgegner insoweit zugute, als er nunmehr geringere monatliche Raten für den von ihm geleasten PKW zu bezahlen hat. Insoweit ist der Antragsgegner begünstigt, wenn auch der PKW nicht in seinem Eigentum steht (siehe S.22 des rekursgerichtlichen Beschlusses = AS 172). Dieser Vorteil kommt einem ehelichen Ersparnis im Sinne des § 81 Abs.3 EheG gleich; diesbezüglich werden entsprechende Feststellungen nachzuholen sein.

Letztlich ist noch festzuhalten, daß einem allfälligen „Konsumverzicht“ der Antragstellerin Rechnung zu tragen wäre, doch hat sie keine Behauptung dahin aufgestellt, daß ihr Verzicht gegenüber dem des Antragsgegners überwogen hätte (vgl. JBl 1991, 458; EF 57.363; JBl 1983, 316).

Dem Revisionsrekurs ist Folge zu geben; das Erstgericht wird nach der aufgetragenen Verfahrensergänzung neuerlich zu entscheiden haben. Die Aufrechterhaltung einzelner Beschlußpunkte kommt nicht in Betracht, weil die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse nur global erfolgen kann.

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