Spruch:
Aus Anlaß des Rekurses werden die Beschlüsse der Vorinstanzen im Umfang der Abweisung des Antrages des Kindes, den väterlichen Großvater für die Zeit vom 16.11.1992 bis 6.9.1993 zu einer Unterhaltsleistung von monatlich S 700,-- zu verpflichten, als nichtig aufgehoben und dahin abgeändert, daß der Antrag des Kindes zurückgewiesen wird.
Im übrigen Umfang, also hinsichtlich des Zeitraumes ab 7.9.1993, wird dem Revisionsrekurs stattgegeben. Der angefochtene Beschluß und der Beschluß des Gerichtes erster Instanz werden aufgehoben.
Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung über den Antrag des Kindes auf Verpflichtung des väterlichen Großvaters zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 700,-- ab 7.9.1993 nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung
Der am 16.11.1992 geborene Alexander R***** ist das außereheliche Kind der Claudia R***** und des Andreas K*****. Beide Elternteile sind Studenten. Für den Lebensunterhalt der Mutter kommen deren Eltern auf. Der Vater des Kindes verdient aus einer Nebenbeschäftigung monatlich S 3.000,-- netto und wurde vom Erstgericht zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von S 400,-- verpflichtet (ON 25). Die väterliche Großmutter hat sich bereiterklärt, monatlich S 700,-- zum Unterhalt ihres Enkels beizutragen, der mütterliche Großvater Dr.Peter R***** hat sich zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von S 1.000,-- für seinen Enkel verpflichtet (ON 12).
Der 56jährige väterliche Großvater Alfred K***** war bis 1986 selbständig mit einem Planungsbüro für Kraftwerkseinrichtungen tätig. Über sein Vermögen wurde 1986 der Konkurs eröffnet. Seither ist er arbeitslos und verfügt über kein Vermögen. Er versuchte ein halbes Jahr lang erfolglos Arbeit zu finden. Danach setzte er keinerlei Bemühungen, einen Arbeitsplatz zu finden. Er ist vollkommen einkommenslos und bezieht auch keine Pension. Er betreut als Hausmann den Haushalt seiner berufstätigen Lebensgefährtin, die für seinen Lebensunterhalt sorgt.
Mit dem am 31.3.1994 beim Erstgericht eingelangten Antrag begehrte das durch den Jugendwohlfahrtsträger (§ 212 Abs.2 ABGB) vertretene Kind, den väterlichen Großvater zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 700,-- zu verpflichten (ON 31).
Das Erstgericht gab diesem Antrag mit der Begründung statt, daß sich der Großvater nicht mit der Tätigkeit eines Hausmanns im Haushalt seiner Lebensgefährtin begnügen dürfe. Er könne (zusätzlich) durchaus einige Stunden pro Monat einer Tätigkeit nachgehen und damit den beantragten Beitrag für sein Enkelkind leisten.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Großvaters statt und wies den Unterhaltsantrag vor allem deswegen ab, weil eine Anspannung des 56jährigen "Langzeitsarbeitslosen" mangels Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt nicht möglich sei. Großeltern seien vielfach nicht in der Lage, ihre Kräfte anzuspannen, um den Unterhaltsanspruch ihres Enkels voll zu decken. Auch bei der vom Erstgericht angenommenen geringfügigen Beschäftigungsmöglichkeit könne dem Großvater keine Unterhaltspflicht auferlegt werden, weil sein eigener angemessener Unterhalt gefährdet wäre.
Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil eine oberstgerichliche Rechsprechung zur Frage der Anspannung bei der Unterhaltspflicht von Großeltern nach § 141 ABGB fehle.
Gegen diesen Beschluß richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs des Kindes mit dem Antrag, den väterlichen Großvater zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 700,-- zu verpflichten.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist rechtzeitig (Art.VIII § 3 Abs.1 VerfahrenshilfeG, §§ 521 Abs.3, 464 Abs.3 ZPO) und aus dem vom Rekursgericht erkannten Grund zulässig. Er ist auch im Sinne einer Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen zur Verfahrensergänzung berechtigt.
Insoweit das Rekursgericht über die Unterhaltsverpflichtung des Großvaters auch für den Zeitraum vom 16.11.1992 bis 6.9.1993 absprach, hat es die Rechtskraft des Beschlusses des Erstgerichtes vom 6.9.1993 nicht beachtet, womit der Antrag des Jugendwohlfahrtsträgers vom 15.3.1993 (ON 4), den Großvater des Kindes zu einer Unterhaltsleistung von S 1.000,-- monatlich ab 16.11.1992 zu verpflichten, abgewiesen wurde (ON 20). Das Verfahrenshindernis der entschiedenen Sache war aus Anlaß des zulässigen Rekurses wahrzunehmen.
Soweit die Eltern nach ihren Kräften zur Leistung des Unterhalts nicht imstande sind, schulden ihn die Großeltern nach den den Lebensverhältnissen der Eltern angemessenen Bedürfnissen des Kindes. Im übrigen gilt der § 140 ABGB sinngemäß.
Die Verweisung auf die Lebensverhältnisse der Eltern ist nicht wörtlich auszulegen, weil sonst bei Leistungsunfähigkeit der Eltern ein Unterhaltsanspruch gegen die Großeltern nicht entstehen könnte (Pichler in Rummel ABGB I2 Rz 2 zu § 141; Purtscheller-Salzmann, Unterhaltsbemessung Rz 61), andererseits aber gerade die mangelnde Leistungsfähigkeit der Eltern den subsidiären Unterhaltsanspruch des Kindes gegenüber den Großeltern auslöst, d.h. wirksam werden läßt. Für die Unterhaltspflicht der Großeltern gilt die Bestimmung des § 140 ABGB sinngemäß, also auch der aus der Verpflichtung der Eltern, zum Unterhalt nach ihren Kräften anteilig beizutragen, abgeleitete Anspannungsgrundsatz. Dieser ermöglicht es, bei der Unterhaltsbemessung von einem tatsächlich nicht erzielten, aber erzielbaren Einkommen auszugehen. Es ist kein triftiger Grund ersichtlich, warum die Beitragspflicht "nach Kräften" nicht auch für die Unterhaltspflicht der Großeltern gegenüber ihren Enkelkindern gelten sollte. Das im statistischen Durchschnitt um ein Generationsalter höhere Lebensalter des unterhaltspflichtigen Großelternteils spricht nicht für eine generelle Außerachtlassung der Verpflichtung zum Einsatz aller Kräfte, damit ein zur Deckung der Bedürfnisse des Kindes ausreichendes Einkommen erzielt werden kann. Dem höheren Lebensalter des Unterhaltsverpflichteten ist im Einzelfall ohnehin bei der Beurteilung der "Kräfte" Rechnung zu tragen. Es würde einen durch nichts zu begründenden Wertungswiderspruch bedeuten, beispielsweise bei einem 56jährigen Vater von einem erzielbaren Einkommen auszugehen, bei einem gleich alten Großvater aber nur von einem tatsächlich erzielten. Die von der Rechtsprechung unter dem Schlagwort "Anspannungstheorie" entwickelten Grundsätze zur elterlichen Unterhaltspflicht sind auf die Unterhaltsverpflichtung von Großeltern nach § 141 ABGB grundsätzlich voll anwendbar. Eine Einschränkung ergibt sich lediglich hinsichtlich der Höhe der Unterhaltsverpflichtung, weil den Großeltern der Einwand der Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts bei Berücksichtigung sonstiger Sorgepflichten zusteht (§ 141 letzter Satz ABGB; EvBl 1991/166). Die Leistungskraft von Großeltern ist nicht bis zur möglichen Höchstgrenze auszuschöpfen (Purtscheller-Salzmann aaO).
Die Angemessenheit der Bedürfnisse des Kleinkindes bestimmt sich auch nach den Lebensverhältnissen der in Anspruch genommenen Großeltern. Der Beitrag eines Großelternteils ist im Verhältnis der Leistungsfähigkeit sämtlicher subsidiär unterhaltspflichtigen Großeltern zu bestimmen (EFSlg 71.641). Der Umstand, daß hier mit den Unterhaltsverpflichtungen des Vaters und zweier Großelternteile der sogenannte Regelbedarf des Kindes bereits gedeckt werden kann, vermag demnach den väterlichen Großvater nicht zu entlasten, zumal es für eine Einschränkung des Einsatzes auf die Erzielung eines fiktiven Einkommens, das zur Regelbedarfsdeckung ausreicht, an jeder Grundlage mangelt (EFSlg 70.898; SZ 63/74).
Das Rekursgericht beurteilte den Großvater nur im Hinblick auf sein Alter und die Arbeitslosigkeit seit 1986 als nicht vermittelbar. Ob dies tatsächlich zutrifft, kann aufgrund der getroffenen Feststellungen jedoch nicht verläßlich beurteilt werden. Es trifft zwar zu, daß den Großvater vor der Geburt seines Enkelkindes keine Verpflichtung traf, sich um einen Arbeitsplatz zu bemühen. Für die Zeit danach gilt jedoch auch für ihn die Verpflichtung zum Einsatz der Kräfte, wie diese ein pflichtbewußter Familienvater in der konkreten Lage zur Erfüllung seiner Unterhaltspflichten vernünftigerweise einsetzen würde (EFSlg 70.898). Ein solcher Familienvater würde sich mit der Stellung als Hausmann im Haushalt seiner Lebensgefährtin jedoch nicht begnügen, sondern sich um einen seinen Fähigkeiten angemessenen Arbeitsplatz bemühen. Da die besonderen beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten des Großvaters nicht festgestellt wurden, kann auch die Frage der Erfolgsaussicht der Arbeitsplatzsuche nicht beurteilt werden. Dazu werden konkrete Feststellungen über den Arbeitsmarkt im Bereich des Wohnsitzes des Großvaters erforderlich sein. Nur aufgrund des Lebensalters und der langdauernden bisherigen Arbeitslosigkeit ist eine völlige Aussichtslosigkeit a priori jedenfalls nicht anzunehmen. Schließlich könnte auch der vom Erstgericht verfolgte Weg, den Großvater auf eine neben seiner Hausmannstätigkeit durchführbare Nebenbeschäftigung zu verweisen, relevant sein, dann nämlich, wenn nach dem ergänzend festzustellenden Sachverhalt feststünde, daß der angemessene eigene Unterhalt des Großvaters im Sinne des beneficium competentiae nach § 141 letzter Satz ABGB von der Lebensgefährtin voll gedeckt wird und der Großvater daneben in der Lage ist, in einer Teilzeitbeschäftigung ein eigenes Einkommen zu erzielen, das ihn in die Lage versetzt, den Unterhaltsbedarf des Enkels anteilig mit den übrigen Unterhaltsverpflichteten zu decken.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen waren zur Verfahrensergänzung im aufgezeigten Sinn aufzuheben. Im zweiten Rechtsgang werden auch die vom Großvater in seinem Rekurs gegen den erstinstanzlichen Beschluß vorgebrachten Neuerungen, vor allem über eine gesundheitsbedingte Einschränkung seiner Arbeitskraft, zu prüfen sein.
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