OGH 13Os206/94

OGH13Os206/941.3.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. März 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel, Dr. Mayrhofer, Dr. Ebner und Dr. Rouschal als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Schaumberger als Schriftführer in der Strafsache gegen Josef A* wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Beschwerde des Josef A* gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 16. Dezember 1994, AZ 11 Ns 388/94, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1995:0130OS00206.9400000.0301.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

 

 

Gründe:

 

Mit dem angefochtenen Beschluß entschied das Oberlandesgericht Linz, daß die Voraussetzungen eines Ersatzanspruches nach § 2 Abs 1 lit a StEG für die von Josef A* im vorliegenden Verfahren erlittene strafrechtliche Anhaltung nicht gegeben sind.

Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichtes wurde der Beschwerdeführer am 7. Dezember 1993 auf Grund des gemäß § 175 Abs 1 Z 4 StPO ausgestellten Haftbefehls des Landesgerichtes Ried im Innkreis festgenommen (ON 2, S 17), am 8. Dezember 1993 die Voruntersuchung wegen §§ 8384 Abs 1 und 2 Z 1 StGB eingeleitet und die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund des § 180 Abs 2 Z 3 lit c verhängt (S 3; ON 6). Am 10. Dezember 1993 wurde die Voruntersuchung über Antrag der Staatsanwaltschaft auf den Verdacht des Vergehens nach § 269 Abs 1 StGB (iVm § 21 Abs 1 und 2 StGB) ausgedehnt und die vorläufige Anhaltung des Beschwerdeführers in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 429 Abs 4 StPO angeordnet (S 3, ON 9).

Josef A* war verdächtig, am 6. Dezember 1993 den mit einer Gruppe eines ländlichen Krampusmaskenlaufes an seinem Anwesen vorbeikommenden Manfred H* mit einer Heugabel attackiert und an der linken Stirnseite eine zwei Zentimeter lange, tiefe und stark blutende Wunde sowie einen vier Zentimeter großen Bluterguß zugefügt, den später den Sachverhalt erhebenden Gendarmeriebeamten anläßlich seiner Anhaltung und Visitierung Widerstand geleistet und sich seiner am nächsten Morgen stattfindenden Verhaftung gewaltsam widersetzt zu haben.

Über Beschwerde gegen den Beschluß auf Verhängung der Untersuchungshaft entschied die Ratskammer des Landesgerichtes Ried nach durchgeführter Haftprüfungsverhandlung gestützt auf die Angaben des zuständigen Gemeindearztes sowie auf Grund der Vernehmung des damals Beschuldigten durch den Untersuchungsrichter auf Fortsetzung der vorläufigen Anhaltung (ON 14). Diese wurde jedoch über neuerliche Beschwerde dagegen vom Oberlandesgericht wegen Wegfalls des Haftgrundes sowie Verneinung besonderer Gefährlichkeit des Beschwerdeführers aufgehoben (ON 22) und Josef A* am 3.Dezember 1994 aus der strafrechtlichen Anhaltung entlassen (ON 23).

Das Verfahren gegen ihn wurde schließlich auf Grund des Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen Univ.Prof. Dr.Bernhard M*, das Geisteskrankheit (Paranoia) konstatierte, eine hochgradige potentielle Gefährlichkeit jedoch als nicht naheliegend bezeichnete (ON 24), am 20. Juli 1994 gemäß § 109 Abs 1 StPO eingestellt (S 4 e).

 

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Abweisung des gemäß § 2 Abs 1 lit a StEG wegen (behaupteter) Gesetzwidrigkeit der Anhaltung gestellten Antrages durch das Oberlandesgericht Linz gerichtete Beschwerde ist nicht begründet.

Sie geht, neben einer (neuerlichen) Darstellung des Sachverhaltes aus der Sicht des Beschwerdeführers, davon aus, die Angaben des Gemeindearztes über Gemeingefährlichkeit und Verfolgungswahn des Betroffenen wären keine taugliche Grundlage für die gemäß § 429 Abs 4 StPO zu stellende Prognose, die Gendarmerieanzeige über den Ausgangssachverhalt tendenziös und der Besitz lediglich eines Flobert‑Gewehres kein die Gefährlichkeit weiter stützender Umstand gewesen. Entgegen § 6 Abs 3 StEG habe das Oberlandesgericht vor Beschlußfassung auch die "persönliche Anhörung" des Betroffenen unterlassen, womit ein wesentlicher Verfahrensmangel verursacht worden sei.

Keine der getroffenen gerichtlichen Anordnungen über die strafrechtliche Anhaltung des Josef A* war gesetzwidrig. Die Verhaftung des Beschwerdeführers erfolgte auf Grund eines Haftbefehls des zuständigen Gerichtes (ON 2). Dieser beruhte auf einer ausführlichen und umfangreichen Sachverhaltsinformation des Untersuchungsrichters des Landesgerichtes Ried durch den stellvertretenden Gendarmeriekommandanten für den Bezirk Braunau und dem Antrag des zuständigen Staatsanwaltes (S 1 f, 17). Nach der telefonischen Sachverhaltsdarstellung hatte der Beschwerdeführer einen an seinem Anwesen vorbeikommenden "Krampus" mit einer Heugabel angegriffen, die durch die Haut am Stirnbein eindrang und entlang der Kopfhaut bis ins Scheitelbein glitt. Der Verletzte war vorher weder am Grundstück des Angreifers noch hatte er mit ihm gesprochen. Nach Auskunft der Nachbarn ist der Beschwerdeführer (wie seine Schwester) als angriffslustig bekannt und scheint geistig abnorm zu sein. Ergänzend wurde dazu am nächsten Morgen vom selben Gendarmeriebeamten mitgeteilt, daß im Haus des Angreifers ein Flobert‑Gewehr (also eine Schußwaffe gemäß § 2 WaffenG; vgl Mayerhofer‑Rieder, Nebenstrafrecht3, § 2 WaffenG E 2) vorgefunden und zwischenzeitig ein ärztliches Parere zur Unterbringung des damals Beschuldigten in einem entsprechenden Krankenhaus zwecks Untersuchung seines Geisteszustandes erwirkt wurde (siehe detaillierte Darstellung der telefonischen Sachverhaltsinformation durch den Untersuchungsrichter S 1 f). Der auf dieser Grundlage zur Verhaftung des Beschwerdeführers durch den Richter erlassene Befehl entspricht somit § 175 Abs 1 Z 4 StPO.

Josef A* wurde am 7. Dezember 1993 um 7 Uhr festgenommen (S 9, 15) und am selben Tag um 15,30 Uhr der Justizanstalt Ried im Innkreis überstellt (S 36). Am 8. Dezember 1993 wurde er vom Untersuchungsrichter von 9,45 Uhr bis 11 Uhr eingehend zum Tatverdacht und zu den Voraussetzungen der Untersuchungshaft vernommen (S 41 bis 43) und im Anschluß an diese Vernehmung über schon am 7. Dezember 1993 (um 18,15 Uhr, S 3) gestellten Antrag des Staatsanwaltes die Voruntersuchung wegen §§ 8384 Abs 1 und 2 Z 1 StGB eingeleitet sowie die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund des § 180 Abs 2 Z 3 lit c StPO verhängt (S 44). Dabei verwertete das Gericht aktengetreu den sich aus der Anzeige und der Vernehmung des damals Beschuldigten ergebenden Sachverhalt, woraus sich insbesondere durch die Angaben des Gemeindearztes gegenüber der Gendarmerie (S 17) sowie die Darstellung des Inhaftierten über seine Verfolgung durch Nachbarn und andere sowie den Besitz einer Schußwaffe (S 19) weitere Hinweise auf künftige Tatbegehung (nach Drohung "Euch bring i um" S 17) ergaben. Darin ist aber auch zugleich die über Antrag des Staatsanwaltes vom 3. Dezember 1993 (S 2) am 10. Dezember 1993 beschlossene vorläufige Anhaltung gemäß § 429 Abs 4 StPO begründet (ON 9), zu der unter einem auch die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens über Schuldfähigkeit sowie Eigen‑ und Fremdgefährlichkeit des Betroffenen veranlaßt wurde (S 4).

Der Beschwerde gegen die vorläufige Anhaltung wurde von der Ratskammer des Landesgerichtes Ried zu Recht keine Folge gegeben, weil die nach der Aktenlage vorliegenden gesetzlichen Voraussetzungen dafür weder von der Beschwerde noch im Rahmen der durchgeführten Haftprüfungsverhandlung beseitigt werden konnten (ON 13 und 14). Die Ratskammer ging dabei zu Recht von bestehendem dringende Tatverdacht, Vorliegen des Haftgrundes sowie der Fremdgefährlichkeit des Angeklagten aus.

Über Beschwerde gegen den Beschluß hob das Oberlandesgericht die vorläufige Anhaltung am 3. Jänner 1994 auf (ON 22). Zwischenzeitig war nämlich bereits die Untersuchung des Angehaltenen durch den bestellten Sachverständigen erfolgt, die keine hochgradige Gefährlichkeit ergab, sodaß der Sachverständige sachlich gegen die Enthaftung des Beschwerdeführers keine Bedenken mehr hatte (S 127 f).

Diese Untersuchungsergebnisse wurden im später (am 7. Jänner 1994) einlangenden schriftlichen Gutachten (ON 24) präzisiert, welches auch die medizinischen Grundlagen für die Feststellung der Zurechnungsunfähigkeit des Josef A* und die Einstellung des gegen ihn geführten Verfahrens erbrachte.

Dieser Verfahrensablauf zeigt, daß alle in der Beschwerde gegen den gemäß § 2 Abs 1 lit a6 Abs 1 StEG gefaßten Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz (ON 64) vorgebrachten Argumente zur mangelnden Gesetzmäßigkeit der Anordnung der strafrechtlichen Anhaltung des Beschwerdeführers einer Grundlage entbehren. Zum Zeitpunkt der jeweils durch das Gericht zu treffenden Entscheidung ergaben sich die dazu vorausgesetzten Sachverhaltsgrundlagen aus der Aktenlage und den bis dahin jeweils erlangten Beweisergebnissen. Der Tatverdacht war unzweifelhaft und durch die Angaben des Beschwerdeführers selbst im Kern nicht widerlegt. Ebenso wiesen die Angaben der Gendarmerie, die von seiner Lebensumgebung geschilderte Absonderlichkeit, die Äußerung des zuständigen Gemeindearztes, vor allem aber wiederum die Darstellung von Verfolgungsideen durch Josef A* selbst bestimmte Tatsachen nach, die sowohl die Annahme der Tatbegehungsgefahr (§ 180 Abs 2 Z 3 lit c StPO) als auch seine Fremdgefährlichkeit (§ 429 Abs 4 StPO) rechtfertigten. Daß der Sachverständige, im Grunde diese Annahme nicht verneinend, aus dem Handlungsstil (bisherigem Verhalten) des Beschwerdeführers schließlich eine höhergradige potentielle Gefährlichkeit als (lediglich) nicht naheliegend einstufte (S 173 f), konnte die Beendigung der vorläufigen Anhaltung begründen, spricht aber in keiner Weise gegen die vom Gericht zuvor auf anderen Grundlagen gezogenen Schlußfolgerungen zur strafrechtlichen Anhaltung des Beschwerdeführers.

Entgegen der Beschwerdebehauptung bedarf es im Verfahren gemäß § 6 StEG vor Beschlußfassung keineswegs einer persönlichen Vernehmung des Angehaltenen. Gemäß Abs 3 leg cit ist er vor Beschlußfassung zu hören, um ihm im Sinne des Grundsatzes der Waffengleichheit Gelegenheit zu geben, seinen Standpunkt darzulegen. Die Unterlassung einer persönlichen Vernehmung widerspricht nicht dem Grundsatz des "fair trial" nach Art 6 MRK. Ein Recht zum persönlichen Erscheinen vor Gericht steht in diesem Zusammenhang nicht unter dem Schutz der genannten Konventionsbestimmung. Die Möglichkeit, seinen Standpunkt darzulegen, wurde vom Beschwerdeführer durch das Einbringen mehrerer Schriftsätze (siehe insbesondere die umfassende Antragstellung des Verfolgten und seine Äußerung zum Antrag der Oberstaatsanwaltschaft vor der angefochtenen Entscheidung des Oberlandesgerichtes; ON 62 und 63) in eingehender Weise genützt, sodaß der behauptete wesentliche Verfahrensmangel nicht eingetreten bzw rechtzeitig behoben worden ist (11 Os 125/83).

Mithin war insgesamt wie aus dem Spruch ersichtlich zu entscheiden.

 

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte