OGH 1Ob509/95

OGH1Ob509/9527.2.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Unterbringungssache der Kranken Stefanie S*****, geboren 3.Dezember 1918, Pensionistin, ***** vertreten durch Mag.Heinz W*****, ***** als Patientenanwalt, infolge Revisionsrekurses der Kranken gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Graz als Rekursgerichtes vom 14.Dezember 1994, GZ 6 R 291/94-43, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes für ZRS Graz vom 7. November 1994, GZ 40 Ub 1185/94-37, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die am 3.Dezember 1918 geborene Stefanie S***** leidet an einer chronisch-progredienten Psychose mit paranoidem Wahnsystem und akustischen Halluzinationen bei cerebrovaskulärer Insuffizienz. Das Zustandsbild der Kranken entwickelt sich in wechselnder Form. Es treten immer wieder akute Phasen wahnhafter Verkennung der Umwelt, akustischer Halluzinationen und von Aggressionshandlungen auf. Es besteht keine Krankheitseinsicht. Kritikfähigkeit und Realitätsbezug sind hochgradig herabgesetzt. Die Kranke ist in ihrem Wahnsystem vollständig gefangen und rationaler Argumentation in keiner Weise zugänglich. Die Sprunghaftigkeit ihres Zustandsbildes kann zu unerwarteten, sich selbst und andere gefährdenden Verhaltensweisen führen. In solchen Situationen ist nur ausreichend geschultes Ärzte- und Pflegepersonal fähig, adäquat zu reagieren. Der Versuch einer Unterbringung der Kranken in Heimen scheiterte schon mehrmals. Eine alternative Unterbringungsmöglichkeit zu der im geschlossenen Bereich eines psychiatrischen Krankenhauses besteht derzeit nicht.

Die Kranke wurde 1974 zum ersten Mal im Landesnervenkrankenhaus Graz untergebracht. Es folgten neun weitere Aufenthalte. Seit Juni 1992 ist die Kranke ohne Unterbrechung im geschlossenen Bereich des Landesnervenkrankenhauses Graz untergebracht; zuletzt wurde deren Unterbringung mit Beschluß des Erstgerichtes vom 2.Dezember 1993 bis 10. September 1994 für zulässig erklärt.

Mit "Verständigung" vom 31.August 1994 - eingelangt beim Erstgericht am 5.September 1994 - teilte der Abteilungsleiter mit, daß er die weitere Unterbringung der Kranken wegen chronischer paranoid-halluzinanter Psychose für erforderlich halte. Daraufhin führte das Erstgericht am 8.September 1994 eine neuerliche Erstanhörung durch und erklärte sodann die Unterbringung der Kranken für "vorläufig zulässig" und erstreckte die Tagsatzung "zur Beiziehung eines Zweitgutachters auf unbestimmte Zeit". Mit Beschluß vom 13.September 1994 bestellte es einen Sachverständigen und trug diesem auf, binnen vierzehn Tagen ein Gutachten zu den Voraussetzungen der Unterbringung der Kranken in einem geschlossenen Bereich eines psychiatrischen Krankenhauses zu erstatten. Das Gutachten langte am 18.Oktober 1994 bei Gericht ein.

Mit seinem in der Tagsatzung vom 7.November 1994 gefaßten Beschluß erklärte das Erstgericht schließlich die Unterbringung der Kranken für die Dauer eines weiteren Jahres, nämlich bis zum 10.September 1995, für zulässig und begründete dies im wesentlichen damit, es seien alle Voraussetzungen für die Unterbringung der Kranken im geschlossenen Bereich zu bejahen (mögliche Selbstgefährdung und Gefährdung anderer, Notwendigkeit der Behandlung bei Pflege durch sachkundiges Personal, keine Unterbringungsalternative).

Das Rekursgericht verwarf das wegen Nichtigkeit erhobene Rechtsmittel der Kranken und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu. Es vertrat im wesentlichen folgende Ansicht:

Bei der Verlängerung einer bereits einmal für zulässig erklärten Unterbringung gemäß § 30 Abs 4 UbG seien die §§ 19 bis 29 UbG sinngemäß anzuwenden. Das Verfahren sei demnach wie im Falle der erstmaligen Unterbringung zweiteilig. Binnen vier Tagen ab Kenntnis der Mitteilung des Abteilungsleiters sei vom Gericht eine Anhörung des Kranken durchzuführen. Danach sei entweder die weitere Unterbringung vorläufig bis zu einer Entscheidung gemäß § 26 Abs 1 UbG für zulässig oder diese sofort für unzulässig zu erklären. Habe das Gericht die weitere Unterbringung vorläufig für zulässig erklärt, sei gemäß § 20 Abs 1 UbG spätestens innerhalb von vierzehn Tagen nach der Anhörung eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Das Unterbringungsgesetz sehe jedoch keine Sanktion für eine Verletzung dieses Gebotes vor; eine solche könne sich allenfalls aus anderen Rechtsvorschriften (Amtshaftungsrecht, Disziplinarrecht für Richter, Strafrecht) ergeben. Das Unterbringungsverfahren sei demnach - entgegen der Ansicht der Rekurswerberin - nicht gemäß § 477 Abs 1 Z 4 ZPO nichtig. Ob ein wesentlicher Verfahrensmangel vorliege, bedürfe keiner Erörterung, weil die Unterbringungsvoraussetzungen nach der Aktenlage vorlägen und von der Rekurswerberin auch zugestanden würden.

Der Revisionsrekurs ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 12 Abs 2 UbG ist in Unterbringungssachen im Verfahren außer Streitsachen zu entscheiden. Gemäß § 16 Abs 3 AußStrG ist auf den Revisionsrekurs § 508 a ZPO sinngemäß anzuwenden. Wie aus § 508 a Abs 1 ZPO folgt, ist damit klargestellt, daß der Oberste Gerichtshof bei der Prüfung der Zulässigkeit des Revisionsrekurses an den Ausspruch der zweiten Instanz nicht gebunden ist.

Die zweite Instanz ließ den Revisionsrekurs zu, weil keine "Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage der Nichtigkeit der Nichteinhaltung der im § 20 Abs 1 UbG normierten Frist" vorliege. Die Rechtsmittelwerberin argumentiert - wie schon im Rekursverfahren - auch im Revisionsrekurs ausschließlich damit, das dem vom Erstgericht am 7.November 1994 gefaßten Beschluß auf weitere Unterbringung der Kranken bis zum 10.September 1995 zugrunde liegende Verfahren sei nichtig, weil die gemäß § 20 Abs 1 UbG innerhalb von vierzehn Tagen nach der Anhörung durchzuführende mündliche Verhandlung erst nach Ablauf der im Gesetz vorgeschriebenen Frist stattgefunden habe. Schon das Rekursgericht verneinte aber - nach sachlicher Prüfung - das Vorliegen einer Nichtigkeit des Verfahrens erster Instanz aus diesem Grunde.

Hat ein im Verfahren außer Streitsachen ergangener Beschluß einen Sachantrag oder ein sonstiges Rechtsschutzbegehren einer Partei zum Gegenstand, ist der Revisionsrekurs nach ständiger Rechtsprechung unzulässig, wenn das Rekursgericht behauptete Nichtigkeiten des Verfahrens erster Instanz verneinte, ohne daß solche auch dem Rekursverfahren anhaften (EFSlg 73.566; EFSlg 70.383 - mit ausführlicher Begründung; EFSlg 67.456).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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