OGH 1Ob508/95

OGH1Ob508/9527.2.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Choon-Ae K*****, vertreten durch Dr.Diethard Schimmer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Dr.Peter N*****, und 2. Dkfm.Mag.Wolf Dieter R*****, beide vertreten durch Dr.Gerhard Daxböck, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung der Unwirksamkeit eines Vergleiches (Streitwert S 40.000,- -), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 2.November 1994, GZ 49 R 81/94-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 17.Mai 1994, GZ 9 C 1824/93-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit S 11.088,11 (darin enthalten S 1.296,35 USt und S 3.310,-- Barauslagen) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin mietete für die Zeit vom 1.10.1990 bis 30.6.1991, ohne daß es einer weiteren Aufkündigung bedurfte, von den Beklagten eine Wohnung. Diese Wohnung wurde von der Klägerin nicht fristgerecht geräumt, weshalb die Beklagten am 3.7.1991 gegen die Klägerin eine Räumungsklage einbrachten. Im Zuge dieses Verfahrens schlossen die Streitteile einen gerichtlichen Vergleich, mit welchem sich die Klägerin verpflichtete, die Wohnung bis spätestens 30.6.1993 unter Verzicht auf jeglichen Aufschub zu räumen. Die Klägerin wohnt seit 1.10.1990 ununterbrochen in der angemieteten Wohnung. Aufgrund des zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Vergleichs begehrten die Beklagten am 2.7.1993 die zwangsweise Räumung der Wohnung.

Das vorliegende Klagebegehren ist darauf gerichtet, die Unwirksamkeit des am 31.7.1991 abgeschlossenen Räumungsvergleichs festzustellen. Der Vergleich verstoße gegen zwingende Kündigungsschutzbestimmungen, und habe sich die Klägerin bei Vergleichsabschluß in einer Zwangslage befunden. Die Beklagten wendeten ein, daß zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses die Mietrechte der Klägerin bereits erloschen gewesen seien, mit dem der Mieterin gewährten einmaligen Räumungsaufschub sei nicht gegen zwingende Bestimmungen des Mietrechtsgesetzes verstoßen worden.

Das Erstgericht erklärte den zwischen den Streitteilen am 31.7.1991 abgeschlossenen Räumungsvergleich für unwirksam, weil damit die zwingende Bestimmung des § 29 Abs.1 Z 3 lit.c MRG umgangen werden sollte.

Das Berufungsgericht gab der von den Beklagten erhobenen Berufung Folge und wies das Klagebegehren ab. Die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt. Es handle sich zwar bei einem Räumungsaufschub für die Dauer von zwei Jahren nicht bloß um einen kurzfristigen Aufschub zur Vermeidung von Härten, doch würden objektive Gründe für einen solchen Räumungsaufschub sprechen. § 35 MRG ermögliche in besonderen Fällen auch gegen den Willen des Vermieters die Aufschiebung der Räumungsexekution bis zu einem Jahr. Es sei durchaus gerechtfertigt, die Dauer eines Räumungsprozesses (einschließlich Rechtsmittelverfahren) mit einem weiteren Jahr einzuschätzen, sodaß der Räumungsaufschub in der Dauer von zwei Jahren keine Umgehungshandlung darstelle. Ansonsten wäre eine vergleichsweise Beendigung von Räumungsstreitigkeiten wegen Ablaufs der vereinbarten Bestandzeit unmöglich, denn der Vermieter müßte stets die erfolgreiche Anfechtung eines solchen Vergleichs gewärtigen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist berechtigt.

Da die Beklagten auf dem Standpunkt der Wirksamkeit des Räumungsvergleichs und damit der gültigen Beendigung des Mietverhältnisses stehen, hat die Klägerin ein rechtliches Interesse an der von ihr angestrebten gegenteiligen Feststellung (8 Ob 501/91; WoBl 1989/31; Fasching, Lehrbuch2 Rz 1363).

Im Sinne der ständigen Rechtsprechung können die für Mietverhältnisse geltenden gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen nicht durch eine vor oder gleichzeitig mit dem Abschluß des Mietvertrags getroffene Räumungsverpflichtung umgangen werden. Eine derartige Auflösungsvereinbarung ist ungültig, weil der Mieter unter solchen Umständen in der Regel unter Druck steht, sodaß seine Vertragsfreiheit insoweit nicht gegeben ist (8 Ob 501/91; ImmZ 1991, 455; SZ 63/42; WoBl 1989/31; ImmZ 1989, 96; MietSlg 42.295, 42.302, 34.508 ua). Es kann die zeitliche Begrenzung eines durchsetzbar befristeten Vertrages auch nicht dadurch umgangen werden, daß statt der Verlängerung des Mietvertrags ein neuer Vertrag geschlossen wird, ohne daß sich an den bisherigen Benützungsverhältnissen etwas ändert (WoBl 1994/21). Der Abschluß eines Räumungsvergleiches vor oder mit der beabsichtigten Verlängerung des bislang wirksam befristeten Mietvertrages ist gleich wie ein solcher vor oder mit Abschluß des Mietvertrages selbst nicht geeignet, eine - auch nur abstrakte, vom zugrundeliegenden Rechtsverhältnis losgelöste - Räumungsverpflichtung zu begründen (MietSlg 40.422; vgl WoBl 1989/31; ImmZ 1989, 96). Bei Fehlen materiellrechtlicher Gültigkeitsvoraussetzungen eines Vergleiches, weil dieser gegen zwingende gesetzliche Bestimmungen verstößt, ist die Parteienübereinkunft auch als gerichtlicher Vergleich unwirksam (WoBl 1992/139; MietSlg 39.472; Meinhart in ImmZ 1990, 119; Würth in Rummel, ABGB2, Rz 4 zu § 29 MRG).

Geht man - wie die Beklagten - davon aus, daß das Mietverhältnis zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits beendet war, dann würde der zwischen den Parteien abgeschlossene Räumungsvergleich materiellrechtlich einen Vertrag darstellen, nämlich einen Mietvertrag auf bestimmte Zeit, auf den § 29 MRG anzuwenden ist. Gemäß § 29 Abs.1 Z 3 lit.c MRG idF vor dem 3.WÄG, die hier maßgeblich ist, wird ein Mietvertrag durch Zeitablauf aber nur aufgelöst, wenn die ursprüngliche oder verlängerte Vertragsdauer ein Jahr nicht übersteigt. Im vorliegenden Fall wäre mit dem Räumungsvergleich ein Mietverhältnis auf die Dauer von fast zwei Jahren vereinbart worden, weshalb die Befristung nach der zwingenden Regelung des § 29 Abs.1 Z 3 lit.c MRG (aF) nicht durchsetzbar und somit auch auf prozessualem Weg nicht erreichbar wäre (vgl Würth zu WoBl 1992/139).

Geht man davon aus, daß der Räumungsaufschub am Ende eines durchsetzbar befristeten Mietverhältnisses gewährt wurde, ist dennoch von dessen Unwirksamkeit auszugehen, und zwar selbst dann, wenn man wie Würth und Meinhart (jeweils aaO) nach den Umständen des Einzelfalls differenziert. Im vorliegenden Fall besteht nämlich ein krasses Mißverhältnis zwischen der neunmonatigen Mietdauer und der zweijährigen Verlängerung im Wege eines Räumungsvergleiches. Eine solche Zeitspanne für den Räumungsaufschub kommt einer Verlängerung des Mietvertrags gleich, selbst wenn man davon ausginge, daß sich das Räumungsverfahren über einen Zeitraum von etwa einem Jahr erstrecken würde. Gemäß § 35 Abs.1 MRG soll die bewilligte Verlängerung der Räumungsfrist drei Monate nicht übersteigen, lediglich bei besonders berücksichtigungswürdigen Umständen darf darüber hinaus ein weiterer Aufschub, jedoch höchstens zweimal und jeweils nicht länger als um drei Monate, bewilligt werden. Die Gesamtdauer der bewilligten Räumungsaufschübe darf jedenfalls ein Jahr nicht übersteigen. Daß besonders berücksichtigungswürdige Umstände vorlägen, die einen derartigen Räumungsaufschub erwarten ließen, wurde gar nicht behauptet, und ist daher anzunehmen, daß nach § 35 MRG lediglich ein kurzfristiger Aufschub gewährt worden wäre. Die Zeitspanne, die ein Räumungsprozeß zuzüglich eines Räumungsaufschubs nach § 35 MRG in Anspruch nähme, würde auch nicht annähernd zwei Jahre betragen (vgl Würth zu WoBl 1989/31; derselbe in Rummel aaO; ImmZ 1991, 455).

Der vorliegende Räumungsvergleich ist sohin als Umgehungshandlung zu werten, die seine Unwirksamkeit zur Folge hat.

In Stattgebung der Revision ist die erstinstanzliche Entscheidung wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelverfahren beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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