OGH 4Ob502/95

OGH4Ob502/9517.1.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** AG, ***** vertreten durch Dr.Arnulf Summer, Rechtsanwalt in Bregenz, wider die beklagte Partei Maria Anna H*****, vertreten durch Dr.Waltraud Walch, Rechtsanwältin in Innsbruck, wegen S 419.132.60 sA, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als gemäß § 23 JN zuständiges Gericht vom 22.Juni 1994, GZ Jv 1902-1/94, womit die Befangenheit des Präsidenten, des Vizepräsidenten und sämtlicher Richter des Landesgerichtes Feldkirch als gerechtfertigt erkannt und gemäß § 30 JN das Landesgericht Innsbruck zur Verhandlung und Entscheidung in der Rechtssache 5 Cg 85/94 des Landesgerichtes Feldkirch bestimmt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß der fehlende Ausspruch über die vom abgelehnten Richter vorgenommenen Prozeßhandlungen wie folgt zu lauten hat:

Das vom Landesgericht Feldkirch durchgeführte Verfahren über die Klage wird ab deren Zustellung als nichtig aufgehoben.

Text

Begründung

Die Klage wurde der Beklagten vom Landesgericht Feldkirch vom 25.3.1994 zugestellt. In der ersten Tagsatzung vom 13.4.1994 wurde der unvertretenen Beklagten eine Frist zur Erstattung der Klagebeantwortung bis zum 4.5.1994 erteilt. Am 3.5.1994 gab die Beklagte den Antrag zur Post, ihr die Verfahrenshilfe in vollem Umfang zu bewilligen; gleichzeitig legte sie ein Vermögensbekenntnis vor.

Am 9.5.1994 zeigte der zuständige Richter des Landesgerichtes Feldkirch seine Befangenheit an, weil die Beklagte die Lebensgefährtin eines anderen Richters dieses Gerichtshofes sei. In einem anderen Verfahren sei einem Ablehnungsantrag ua der Beklagten gegen den Präsidenten, den Vizepräsidenten und sämtliche Richter des Landesgerichtes Feldkirch mit Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 6.10.1993 (7 Ob 574/93) stattgegeben worden; hier habe die Beklagte über Aufforderung des erkennenden Richters des Landesgerichtes Feldkirch erklärt, sich des Rechtes auf Ablehnung so lange nicht zu begeben, als im Anwaltsprozeß noch kein Anwalt für sie eingeschritten sei.

Der Akt wurde sodann dem Oberlandesgericht Innsbruck mit den Befangenheitserklärungen des Präsidenten, des Vizepräsidenten und sämtlicher Richter dieses Gerichtes zur Entscheidung vorgelegt.

Mit Beschluß vom 22.6.1994 erkannte das Oberlandesgericht Innsbruck die Befangenheit des Präsidenten, des Vizepräsidenten und sämtlicher Richter des Landesgerichtes Feldkirch für gerechtfertigt und bestimmte das Landesgericht Innsbruck gemäß § 30 JN zur Verhandlung und Entscheidung der vorliegenden Rechtssache.

Im weiteren Verfahren vor dem Landesgericht Innsbruck wurde der Beklagten die Verfahrenshilfe bewilligt.

Rechtliche Beurteilung

Der von der Beklagten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck fristgerecht erhobene Rekurs ist zulässig, weil sich das Rechtsmittel nicht gegen die Stattgebung der Ablehnung, sondern nur gegen das Fehlen eines Ausspruches über die Aufhebung nichtiger Prozeßhandlungen des befangenen Richters richtet. Unterbleibt ein solcher Ausspruch über diese Nichtigkeitserklärung, dann wurde der Ablehnung in bezug auf die vor der Entscheidung gelegenen Amtshandlungen nicht Folge gegeben. Der Rechtsmittelausschluß gegen die Stattgebung der Ablehnung im § 24 Abs 2 JN gilt insoweit nicht (EFSlg 49.241 = ÖA 1986, 109; EFSlg 69.706 und 69.707; Mayr in Rechberger, ZPO Rz 3 zu § 25 JN).

Zur Einbringung eines Rekurses gegen die Zurückweisung der Ablehnung ist zwar nur legitimiert, wer selbst in erster Instanz abgelehnt hat; gegen die Entscheidung über eine vom Richter selbst erstattete Befangenheitsanzeige können daher die Prozeßparteien keinen Rekurs erheben (AnwBl 1992, 916). Wird aber einer Befangenheitsanzeige des Richters stattgegeben und erfaßt der Befangenheitsgrund auch die von ihm vorgenommenen Prozeßhandlungen, unterbleibt aber die notwendige Aufhebung nichtiger Prozeßhandlungen iSd § 25 JN, dann kann auch eine Partei, die den Richter nicht abgelehnt hat, das Unterbleiben der Nichtigkeitserklärung mit Rekurs bekämpfen.

Der Rekurs ist auch berechtigt. Im Ablehnungsbeschluß ist zu prüfen, ob und wie weit die vom befangenen Richter gesetzten Prozeßhandlungen als nichtig aufzuheben sind; wegen des Gebotes des Art 6 MRK nach einem "fair-trial" ist grundsätzlich jeder Akt aufzuheben, der unter der Mitwirkung des befangenen Richters zustandegekommen ist (1 Ob 3/92; Mayr aaO). Der Befangenheitsgrund (nämlich die Lebensgemeinschaft der Beklagten mit einem Richter des Landesgerichtes Feldkirch, welcher sie offensichtlich auch im vorliegenden Verfahren berät) wirkt sich auf das gesamte bisher vor dem Landesgericht Feldkirch durchgeführte Verfahren aus. Daher sind sämtliche von diesem Gericht durchgeführter Verfahrenshandlungen nichtig (vgl EFSlg 49.241 = ÖA 1986,109).

In Stattgebung des Rekurses war daher auszusprechen, daß das vom Landesgericht Feldkirch durchgeführte Verfahren ab Zustellung der Klage als nichtig aufgehoben wird.

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