OGH 10ObS290/94(10ObS291/94)

OGH10ObS290/94(10ObS291/94)17.1.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Steinbauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Gottfried Winkler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Norbert Kunc (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in den zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Sozialrechtssachen der klagenden Partei Dr. Peter W*****, Kammerangestellter, *****, vertreten durch Dr. Thomas Schröfl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungs- anstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter - Straße 65, wegen Versehrtenrenten aus Anlaß der Arbeitsunfälle vom 22. Februar 1984 und 13. Dezember 1990, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. September 1994, GZ 32 Rs 123/94-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 4. Mai 1994, GZ 17 Cgs 229/93s-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger erlitt zwei Arbeitsunfälle, nämlich am 22.2.1984 und am 13.12.1990. Die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt erließ über die Entschädigungsansprüche des Klägers aus diesen Unfällen am 9.9.1992 zwei gesonderte Bescheide. Mit dem einen lehnte sie den Anspruch auf Entschädigung aus Anlaß des Unfalles vom 22.2.1984 mit der Begründung ab, daß kein Arbeitsunfall vorliege, weil sich der Kläger aus privaten Gründen nicht auf dem unmittelbaren direkten Weg von der Dienststelle nach Hause befunden habe und der betriebliche Zusammenhang gelöst worden sei. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger zu 17 Cgs 228/93v (vormals 17 Cgs 637/92) Klage mit dem Begehren, ihm eine Versehrtenrente im Ausmaß von 30 v.H. ab dem gesetzlichen Anfallstag zu gewähren und eine vorläufige Leistung von 10.000,-- S zu zahlen. Auf dem Heimweg nach der Besichtigung seiner neuen Arbeitsstelle (neues Gebäude der Bundeswirtschaftskammer in der Wiedner Hauptstraße) sei es zu einem Unfall gekommen, bei dem der Kläger eine Halswirbelsäulenverletzung und Rippenprellungen erlitten habe. Die Beklagte wendete ein, daß sich der Unfall erst fünf Stunden nach Arbeitsende auf keinem direkten Heimweg von der Arbeitsstelle des Klägers am Stubenring ereignet habe. Es liege daher kein geschützter Wegunfall vor. Mit dem anderen Bescheid lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente aus Anlaß des Arbeitsunfalles vom 13.12.1990, bei dem der Kläger eine Zerrung der Halswirbelsäule erlitten habe, mit der Begründung ab, daß keine Minderung der Erwerbsfähigkeit im rentenbegründenden Ausmaß vorliege. Dagegen erhob der Kläger zu 17 Cgs 229/93s (vormals 17 Cgs 638/92) Klage mit dem Begehren, ihm für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 13.12.1990 eine Versehrtenrente im Ausmaß von 30 v.H. ab dem gesetzlichen Anfallstag zu gewähren und eine vorläufige Leistung von 10.000,-- S zu zahlen. Durch den Unfall sei es zu einer Verletzung der Halswirbelsäule gekommen, die die bereits vorhandenen degenerativen Veränderungen verstärkt habe. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit betrage wenigstens 30 v.H. Die Beklagte wendete ein, daß der Unfall über den dritten Monat nach Eintritt des Versicherungsfalles hinaus keine beeinträchtigende Folgen nach sich gezogen habe. Die vom Kläger geltend gemachten Leiden stünden in keinem Zusammenhang mit dem Unfall, sondern seien anlagebedingt.

Das Erstgericht verband beide Rechtssachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung und erkannte mit Urteil wie folgt zu Recht:

"Es wird festgestellt, das Ereignis vom 22.2.1994 (richtig: 1984) ist ein Arbeitsunfall.

Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig zur Gewährung einer Versehrtenrente im Ausmaß von 30 % der Vollrente für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 13.12.1990 an die klagende Partei wird abgewiesen."

Das Erstgericht stellte folgenden Sachverhalt fest:

Am 22.2.1984 befand sich der Arbeitsplatz des Klägers am Stubenring. Er arbeitete bis etwa 17.30 Uhr, fuhr dann in die Wiedner Hauptstraße, besichtigte das damals in Bau befindliche Gebäude der Bundeskammer und traf sich dann beim Abendessen in der Wiedner Hauptstraße mit einem Ministerialrat. Bei diesem Abendessen, an dem auch die Ehefrau des Klägers teilnahm, wurde ein Gespräch betreffend die Kanalisierung bezogen auf ganz Österreich geführt. Nach Beendigung dieses Abendessens trat der Kläger seinen Heimweg nach W***** in Niederösterreich an. Der Unfall ereignete sich um 22.35 Uhr in Wien 5, auf der Kreuzung Amtshausgasse - Brandmayergasse. Der Kläger erlitt eine Zerrung der Halswirbelsäule und eine Brustkorbprellung.

Am 13.12.1990 erlitt der Kläger bei einem Verkehrsunfall als Beifahrer eine Zerrung der Halswirbelsäule. Aus den Behandlungsunterlagen ergibt sich kein Hinweis darauf, daß die durch den Unfall bedingte Verletzung einen besonders erschwerten Verlauf genommen habe. Es besteht keine über den dritten Monat ab Unfallstag fortdauernde beeinträchtigende Folge. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt ab diesem Zeitpunkt null Prozent. Aus der Sicht des Neurologen finden sich ein Zustand nach Schleudertrauma der Halswirbelsäule und ein Zervikalsyndrom, das jedoch nicht als unfallkausal zu betrachten ist. Aus der Sicht des HNO-Facharztes liegt beim Kläger auf der linken Seite eine pantonale leicht- bis mittelgradige Hörverschlechterung vor; die Minderung der Erwerbsfähigkeit liegt unter 10 v.H.

Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß es sich bei dem Verkehrsunfall vom 22.2.1984 um einen Arbeitsunfall iS des § 175 Abs 2 Z 1 ASVG handle, weil der Kläger auch noch nach Arbeitsschluß berufliche Interessen wahrgenommen habe. Ein Anspruch auf eine Versehrtenrente bestehe hingegen nicht, weil die Verletzungen des Klägers aus den Jahren 1984 und 1990, nämlich jeweils eine Zerrung der Halswirbelsäule, folgenlos abgeheilt seien, so daß keine Minderung der Erwerbsfähigkeit in einem rentenbegründenden Ausmaß bestehe.

Dieses Urteil wurde vom Kläger mit Berufung insoweit angefochten, als die Gewährung einer Versehrtenrente für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 13.12.1990 abgewiesen wurde. Er beantragte den Zuspruch einer Versehrtenrente im Ausmaß von 20 v.H. der Vollrente.

Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge. Es führte aus, daß das Erstgericht die vom Kläger in den beiden verbundenen Verfahren gestellten Sachanträge nur unvollständig erledigt habe, indem es wohl in den Entscheidungsgründen eine Versehrtenrente aus beiden Unfallereignissen verneinte, im Urteilsspruch jedoch nur die Versehrtenrente aus dem Arbeitsunfall vom 13.12.1990 abgewiesen habe. Dieser Umstand sei von den Parteien ungerügt geblieben und könne daher vom Berufungsgericht nicht wahrgenommen werden. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis einer untadeligen Beweiswürdigung und hielt der Rechtsrüge entgegen, daß sie nicht gesetzgemäß ausgeführt sei, weil sie nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgehe, sondern lediglich meine, daß das Erstgericht aus den vorliegenden Beweisen bzw bei Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens zur Feststellung gelangen hätte müssen, daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit 20 v.H. betrage. Im vorliegenden Fall stehe eindeutig fest, daß beim Kläger keine über den dritten Monat ab Unfallstag 13.12.1990 fortdauernde Folge vorliege und die Minderung der Erwerbsfähigkeit ab diesem Zeitpunkt null Prozent betrage.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Unter den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der Aktenwidrigkeit macht der Kläger geltend, daß er entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes die Nichterledigung des Rentenbegehrens für den ersten Unfall gerügt habe. Er habe nämlich Feststellungsmängel betreffend die Beschwerden aus dem ersten Unfall geltend gemacht. Dem ist entgegenzuhalten, daß der Kläger in seiner Berufung, wie bereits oben ausgeführt, ausdrücklich erklärte, das erstgerichtliche Urteil (nur) insoweit anzufechten, als das Begehren auf Gewährung einer Versehrtenrente für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 13.12.1990 abgewiesen wurde. Auch aus dem auf Gewährung einer Versehrtenrente von (nur) 20 v.H. der Vollrente gerichteten Berufungsantrag ergibt sich nichts anderes. Damit ist aber die Nichterledigung des den ersten Arbeitsunfall betreffenden Rentenbegehrens durch das Erstgericht unangefochten geblieben, weshalb das auf Zahlung der Versehrtenrente gerichtete Mehrbegehren aus dem Verfahren ausgeschieden ist (vgl Fasching III 816; SSV-NF 5/26, 6/76 ua).

Weiters führt der Revisionswerber in seiner Mängelrüge aus, das Erstgericht habe nicht über seine Urteilsanträge auf Gewährung einer vorläufigen Leistung entschieden. Auf diesen Umstand habe er zwar in seiner Berufung nicht hingewiesen, er habe aber grundsätzlich die Unvollständigkeit des Urteils erster Instanz geltend gemacht; das Berufungsgericht sei darauf nicht eingegangen. Diese Ausführungen verkennen das Wesen der vorläufigen Zahlung nach § 89 Abs 2 ASGG: In den dort genannten Fällen kann das Gericht dann, wenn das Klagebegehren in einer zahlenmäßig noch nicht bestimmten Höhe gerechtfertigt ist, die Rechtsstreitigkeit dadurch erledigen, daß es das Klagebegehren als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkennt und dem Versicherungsträger aufträgt, dem Kläger bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung zu erbringen. Wird aber - wie hier - das Leistungsbegehren abgewiesen, dann ist auch die Auferlegung einer vorläufigen Zahlung nicht denkbar.

Was die Unterlassung der Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens und der Vernehmung des behandelnden Facharztes betrifft, so wurden diese angeblichen Verfahrensmängel bereits in der Berufung erfolglos geltend gemacht. Nach ständiger Rechtsprechung können auch in Sozialrechtssachen Verfahrensmängel erster Instanz, deren Vorliegen das Berufungsgericht verneint hat, im Revisionsverfahren nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden (zB SSV-NF 7/74 mwN).

Die Rechtsrüge ist nicht gesetzgemäß ausgeführt. Der Revisionswerber wiederholt seine Ausführungen über die Nichterledigung des Rentenbegehrens und des Begehrens auf Gewährung vorläufiger Zahlungen. Damit wird nicht aufgezeigt, inwieweit dem Berufungsgericht eine unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache unterlaufen sei. Daß der Verfahrensmangel nach § 496 Abs 1 Z 1 ZPO (nicht vollständige Erledigung der Sachanträge) nicht gegeben ist, wurde bereits oben dargelegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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