OGH 7Ob645/94

OGH7Ob645/9421.12.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Norbert S*****, vertreten durch Dr.Adolf Kriegler, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Karoline S*****, geboren am 15.September 1945, ***** vertreten durch Dr.Julius Jeannee ua Rechtsanwälte in Wien, wegen Ehescheidung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Berufungsgericht vom 7.Juli 1994, GZ 5 R 298/94-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Gänserndorf vom 3. März 1994, GZ 4 C 1159/93-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Urteil lautet:

"Die zwischen den Streitteilen am 9.Oktober 1965 vor dem Standesamt Wien-Penzing, nunmehr Wien-Hietzing, geschlossene Ehe (Familienbuchnummer 1694/1965) wird geschieden.

Das überwiegende Verschulden trifft den Kläger.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit S 15.705,36 (darin enthalten S 2.242,56 USt und S 2.250,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens in allen Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger Barauslagen von S 225,-- binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile sind seit 1965 verheiratet. Sie haben eine am 30.9.1974 geborene Tochter. Vor drei bis vier Jahren warf die Beklagte dem Kläger vor, ein Verhältnis mit einer Arbeitskollegin zu haben. Der Beklagte hatte diese Kollegin regelmäßig in der Früh mit dem PKW, mit dem auch die Tochter der Streitteile mitfuhr, zur Arbeit abgeholt. Auch beim Mittagessen war sie dabei. Etwa alle 14 Tage wurde er von der Kollegin und deren Mann in die Wohnung zum Kaffee eingeladen. Fallweise war auch die Tochter der Streitteile mit. Ein über kollegiale Kontakte hinausgehendes Verhältnis bestand zwischen dieser Kollegin und dem Kläger nicht. Die Beklagte warf dem Kläger aber vor, sie zu betrügen. Ein bis eineinhalb Jahre hindurch kam es alle Monate ein- oder zweimal dazu, daß die Klägerin den Beklagten anschrie und ihm Vorwürfe machte. Als die Kontakte des Klägers zu dieser Kollegin aufhörten, kam es zur Versöhnung der Streitteile. Beide wollten die Ehe fortsetzen, die bisherigen Verfehlungen vergessen und verzeihen. Vor etwa zwei Jahren traten die Streitteile mit dem Ehepaar K*****, das in der Nähe wohnte, in gesellschaftlichen Kontakt. Die Ehepaare trafen einander regelmäßig und spielten Karten. Die Beklagte begann, auf den Kläger und Frau K***** eifersüchtig zu werden. Der Kläger forderte die Beklagte in den letzten zwei Jahren wiederholt zu gemeinsamen Spaziergängen und anderen gemeinsamen Aktivitäten (Ausflüge, Kinobesuche, Schwimmen gehen) auf, die Beklagte lehnte jedoch meistens ab. Sie lehnte es auch überwiegend ab, Freunde in die Wohnung einzuladen. Sie duldete fallweise Gäste, wenn der Kläger besonders auf die Beklagte einredete oder sich über ihre ablehnende Haltung hinwegsetzte. Obwohl sie der Kläger darum bat, fuhr sie einmal zum Besuch des Grabes des Vaters des Klägers in die Steiermark und einmal nach Deutschland nicht mit. Diese Fahrten wurden vom Kläger und der Tochter der Streitteile alleine unternommen. Die Beklagte durchsuchte in den letzten Jahren regelmäßig die persönlichen Sachen des Klägers. Sie nahm ihm einmal die Fahrzeugpapiere und den Reisepaß weg, als der Kläger in die Schweiz fahren wollte, weil sie damit die Ausfolgung eines Wohnungsschlüssels für die gemeinsame Wohnung in Wien erzwingen wollte. Sie gab jedoch diese Dokumente dem Kläger nach entsprechenden Vorhaltungen wieder zurück.

Seit zwei Jahren schreit die Beklagte den Kläger wiederholt an und macht ihm Vorwürfe, daß er ein Verhältnis mit Frau K***** habe. Zunächst kam es ein- bis zweimal monatlich zu derartigen Szenen, zuletzt aber beinahe täglich. Die Beklagte belegte den Kläger mit Schimpfworten und bezeichnete Frau K***** als "Schlampe und Hure". Sie drohte dreimal mit Selbstmord, wobei sie sich ein Messer an die Pulsadern hielt und sagte, daß sie sich umbringen wolle. Einmal schrie sie, daß sie das Haus anzünden werde. Die Schreiszenen dauerten manchmal bis 4 Uhr früh. Die Tochter der Streitteile hörte die Streitigkeiten in ihrem Zimmer mit und litt darunter. Zum Geschlechtsverkehr kommt es zwischen den Streitteilen nicht mehr; wer diesen verweigerte, kann nicht festgestellt werden.

Der Kläger trifft Frau K***** jeden Tag um 5 Uhr morgens. Beide führen dann ihre Hunde spazieren. Sie treffen einander auch am Wochenende regelmäßig, und zwar morgens, mittags und am Nachmittag jeweils ca. eine Stunde, um mit den Hunden spazierenzugehen. Im Herbst 1993 war der Kläger gemeinsam mit Frau K***** und deren Kindern in Schladming auf Schiurlaub. Sie besuchten auch gemeinsam die Tochter der Streitteile in Zürich. Der Kläger, Frau K***** und die Kinder wohnten damals im selben Zimmer.

Im Sommer 1992 entschloß sich der Kläger, die Scheidung anzustreben. Er hielt ab diesem Zeitpunkt aufgrund des Verhaltens der Beklagten die Ehe für nicht mehr zu retten. Es kam schließlich zu einer Annäherung zwischen dem Kläger und Frau K*****. Sie gingen Hand in Hand und tauschten Küsse auf den Mund aus. Ob es zum Geschlechtsverkehr kam, kann nicht festgestellt werden. Die Ehe der Ehegatten K***** wurde 1994 mit Urteil des Erstgerichtes aus dem Verschulden der Frau K*****, das im ehestörenden Verhältnis zum Kläger erblickt wurde, rechtskräftig geschieden.

Die Ehe der Streitteile ist so zerrüttet, daß die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten ist.

Mit seiner am 10.9.1993 eingelangten Klage begehrte der Kläger die Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden der Beklagten, weil sie sich vollkommen von ihm abgewendet habe und das Zusammenleben unerträglich gestalte. Sie habe sich geweigert, die Freizeit gemeinsam mit dem Kläger zu verbringen und verweigere seit ca. eineinhalb Jahren den Geschlechtsverkehr. Sie durchsuche die persönlichen Gegenstände des Klägers und nehme auch Schlüssel, Dokumente usw. an sich.

Die Beklagte bestritt, Eheverfehlungen begangen zu haben. Sie beantragte Klagsabweisung und stellte hilfsweise einen Mitverschuldensantrag, weil der Kläger zumindest seit Anfang 1993 eine außereheliche Beziehung zu frau K***** unterhalte. Der Kläger sei aus dem gemeinsamen Schlafzimmer in das Zimmer der Tochter gezogen. Die Beklagte habe ihn wiederholt aufgefordert, wieder eine dem Wesen der Ehe entsprechende Lebensgemeinschaft herzustellen.

Das Gericht erster Instanz schied die Ehe aus dem gleichteiligen Verschulden beider Teile. Die ehewidrige Beziehung des Klägers zu Frau K***** sei eine Reaktion auf die immer häufiger werdenden Schreiszenen der Beklagten und die Durchsuchung seiner Sachen gewesen, die das Abwenden des Klägers bewirkt hätten.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte dieses Urteil. Es sei dem festgestellten Sachverhalt nicht zu entnehmen, daß die Eheverfehlungen der Beklagten lediglich entschuldbare Reaktionen auf ein Fehlverhalten des Klägers dargestellt hätten. Die Entscheidung hänge im vorliegenden Fall im wesentlichen von Tatfragen und nicht von Rechtsfragen ab, sodaß die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Beklagten ist jedoch zulässig und teilweise berechtigt.

Die Revision verweist zu Recht darauf, daß das seitens der Beklagten an den Tag gelegte Verhalten überwiegend im Zusammenhang mit der Annäherung des Klägers an Frau K***** steht. Wie sich aus den Feststellungen des Erstgerichtes ergibt, nahmen die Schreiszenen und Beschimpfungen mit der fortschreitenden Intensivierung der Kontakte des Klägers mit dieser anderen Frau zu. Obwohl dem Kläger aufgrund der - wenn auch zum Teil überschießenden - Reaktion der Beklagten auf seinen Umgang mit Frau K***** klar sein mußte, daß die Beklagte diesen Kontakt mißbilligte und als ehegefährdend ansah, dachte er nicht daran, seine Treffen mit Frau K***** einzustellen oder auch nur zu reduzieren. Er pflegte diesen Umgang schließlich in einer für beiderseits gebundene Ehepartner unüblichen und für den außenstehenden Ehepartner wohl nur dahin zu interpretierenden Weise, daß der Kläger und Frau K***** versuchten, unabhängig von der sich bietenden Tages- und Nachtzeit möglichst oft ungestört beisammensein zu können. Von grundlosen Eifersuchtsausbrüchen der Beklagten kann unter diesen Umständen keine Rede sein. Die Beklagte mußte vielmehr zur Kenntnis nehmen, daß der Kläger und Frau K***** von ihrer in Schreiereien und Beschimpfungen zum Ausdruck kommenden Verzweiflung unbeeindruckt ihre Liebesbeziehung anbahnten und schließlich ihr zumindest ehestörendes Verhältnis fortsetzten und offen zur Schau trugen. Es ist daher primär dem Kläger selbst anzulasten, daß sich das Zusammenleben mit der Beklagten immer unerfreulicher gestaltete. Er selbst drängte ja aus der ehelichen Gemeinschaft, anstatt eine Beruhigung der Situation durch die Aufgabe seiner Zusammenkünfte mit Frau K***** herbeizuführen. Daß die Beklagte immer frustrierter wurde und gemeinsamen Aktivitäten und einem gemeinsamen Freundeskreis nichts mehr abgewinnen konnte, ist ihr unter den gegebenen Umständen nicht zu verübeln.

Gemäß § 49 2.Satz EheG kann die Scheidung nicht begehren, wer selbst eine Verfehlung begangen hat, wenn nach der Art seiner Verfehlung, insbesondere wegen des Zusammenhanges der Eheverfehlung des anderen Ehegatten mit seinem eigenen Verschulden, sein Scheidungsbegehren bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe sittlich nicht gerechtfertigt ist. Nur ein Verhalten, das als entschuldbare Reaktionshandlung zu qualifizieren wäre, hätte demnach außer Betracht zu bleiben. Eine entschuldbare Reaktionshandlung liegt aber nur dann vor, wenn sich ein Ehepartner als unmittelbare Folge eines grob ehewidrigen Verhaltens des anderen dazu hinreißen läßt, in einer verständlichen Gemütsbewegung, die die Zurechnung seines Verhaltens als Verschulden ausschließt, eine Eheverfehlung zu setzen (EFSlg 48.723, 57.082 ua). Bei wiederholter Verletzung der Pflicht zur anständigen Begegnung durch einen längeren Zeitraum schließt schon das zeitliche Moment aus, diese als entschuldbare Reaktion auf ein ehewidriges Verhalten des anderen Partners zu qualifizieren (EFSlg 51.571, 43.604, 33.897). Die über geraume Zeit andauernden Schreiereien und Beschimpfungen entbehren dieses Elements, auch wenn sie offensichtlich mit der Zeit durch das dargestellte Verhalten des Klägers teils gefördert und teils nahezu provoziert wurden. Dazu kommt, daß die Beklagte immer wieder persönliche Sachen des Klägers durchsuchte und mehrmals mit Selbstmord drohte, also doch sehr massiv versuchte, den Kläger unter Druck zu setzen. Ihr Verhalten in seiner Gesamtheit gesehen rechtfertigt daher eine Berufung auf die Verwirkungsklausel des § 49

2. Satz EheG nicht.

Da die Ursache der Eskalationen aber im Verhalten des Klägers lag, der es - wie die vier Jahre zurückliegenden Vorfälle mit seiner Arbeitskollegin zeigen - in der Hand gehabt hätte, durch den Abbruch seiner Beziehungen zu Frau K***** die Verbalangriffe gegen ihn zu beenden und das Verhältnis zur Beklagten wieder zu normalisieren, trifft ihn das erheblich schwerere Verschulden an der Zerrüttung der Ehe (vgl Pichler in Rummel2 II, Rz 2 zu § 60 EheG und die dort angeführte Rechtsprechung).

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten gründet sich auf § 43 Abs.1 ZPO. Da den Kläger das überwiegende Verschulden an der Scheidung trifft, entspricht es der Billigkeit, den Prozeßerfolg der Beklagten mit 3/4 zu bewerten und dementsprechend dem Kläger 50 % der Kosten der Beklagten - mit Ausnahme der Barauslagen - aufzuerlegen. Die Barauslagen waren gemäß § 43 Abs.1 letzter Satz ZPO zu teilen.

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