OGH 8ObS22/94

OGH8ObS22/9415.12.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Langer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Scheuch und Mag.Patzold als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gerhard T*****, vertreten durch Dr.Wolfgang Zatlasch, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Arbeitsamt V*****, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Insolvenzausfallgeld (S 165.100 sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16.Juni 1994, GZ 32 Rs 58/94-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 18.Jänner 1994, GZ 22 Cgs 108/93w-6, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird an das Erstgericht zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit Beschluß vom 21.7.1992 wurde über das Vermögen der ehemaligen Dienstgeberin des Klägers, einer GmbH, der Konkurs eröffnet. Innerhalb der Anmeldungsfrist, nämlich am 28.8.1992, meldete der damalige Vertreter des Klägers dessen Forderungen in Höhe von S

165.100 sA im Konkursverfahren an. Die Masseverwalterin bestritt diese Forderung zunächst, wovon der Klagevertreter am 29.10.1992 verständigt wurde. Im Zusammenhang mit der Abwicklung des Konkurses kam es in der Folge zu mehreren Gesprächen zwischen der Masseverwalterin und dem Kläger, wobei dieser der Masseverwalterin verschiedene Informationen gab und auch einen Teil des Warenlagers des insolventen Unternehmens kaufte. In einem dieser Gespräche, etwa eine Woche vor dem 16.11.1992, machte der Kläger der Masseverwalterin schließlich seine Provisionsforderung glaubhaft, was diese veranlaßte, die ursprünglich vorgenommene Bestreitung nach Rücksprache mit dem Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin zurückzuziehen. Hievon wurde der Klagevertreter am 24.11.1992 verständigt. Dieser war vom Kläger nur mit der Stellung eines Konkursantrages und mit keinen weiteren Aktivitäten beauftragt worden, leitete aber diese Mitteilung etwa Ende November 1992 an den Kläger weiter. Wegen besonders starker beruflicher Inanspruchnahme im Zusammenhang mit dem Aufbau eines neuen Unternehmens reagierte der Kläger auf diese Mitteilung nicht sofort, sondern erst Mitte Jänner 1993, vereinbarte mit dem Klagevertreter einen Gesprächstermin und beauftragte ihn bei diesem Gespräch mit der Geltendmachung seines Anspruchs auf Insolvenz-Ausfallgeld vor dem Arbeitsamt. Am 26.1.1993 richtete der Klagevertreter ein entsprechendes Schreiben an den "IESG-Fonds". In einer Beilage nahm er zu den Gründen der Verfristung ausführlich Stellung.

Die beklagte Partei lehnte den Antrag des Klägers auf Insolvenz-Ausfallgeld ab.

Die gegen diesen Bescheid am 23.8.1993 eingebrachte Klage wies das Erstgericht ab.

Das Berufungsgericht bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung und führte aus: Der Kläger habe die viermonatige Antragsfrist auf Insolvenz-Ausfallgeld ab Konkurseröffnung versäumt, berücksichtigungswürdige Gründe, die geeignet wären, die Rechtsfolgen der Fristversäumnis nachzusehen, lägen nicht vor. Das Argument des Klägers, er habe sich langwierige Rechtsvertretungen und Prozesse nicht leisten können und deshalb versucht, durch persönlichen Einsatz und direkte Verhandlungen mit der Masseverwalterin eine Rücknahme der Bestreitung zu erreichen, gehe am Problem der rechtzeitigen Antragstellung vorbei; der Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld erfordere nämlich weder eine langwierige kostspielige Vertretung noch sei der Antrag von einem Anerkenntnis der Forderung durch den Masseverwalter abhängig. Dem Kläger sei bewußt gewesen, daß die Auszahlung von Insolvenz-Ausfallgeld von einer entsprechenden Antragstellung abhängig sei; daher könne von ihm auch, ohne den Sorgfaltsmaßstab zu überspannen, erwartet werden, daß er nähere Informationen über die vorgeschriebene Art der Geltendmachung des Insolvenz-Ausfallgelds einhole. Selbst wenn der Kläger gemeint haben sollte, daß er vorerst die Anerkennung seiner Forderung im Konkurs abzuwarten hätte, sei nicht zu erkennen, weshalb der Kläger nicht bereits im November nach dem Gespräch mit der Masseverwalterin, bei dem es ihm gelang, diese vom Bestand seiner Forderung zu überzeugen, bezüglich eines allfälligen Antrages aktiv geworden sei. Die Unkenntnis von der Antragsfrist sei daher vom Kläger verschuldet und die Antragstellung darüber hinaus übermäßig hinausgezögert worden.

Berücksichtigungswürdige Gründe, dem Kläger die Rechtsfolgen der Versäumung der Ausschlußfrist um mehr als zwei Monate nachzusehen, lägen nicht vor.

Gegen das berufungsgerichtliche Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Er beantragt die Abänderung des Urteils im Sinn der Klagsstattgebung; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinn des Aufhebungsantrages berechtigt.

Der Kläger macht zu Recht sekundäre Verfahrensmängel geltend; die Vorinstanzen haben - ausgehend von einer unrichtigen Rechtsansicht - wesentliche Beweise nicht erhoben und es unterlassen, für den Verfahrensausgang wesentliche Feststellungen zu treffen.

Die Nachsicht der Versäumung der viermonatigen Antragsfrist nach § 6 Abs 1 IESG (in der für den vorliegenden Fall noch maßgeblichen alten Fassung) ist innerhalb von drei Jahren nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nur dann ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer die Fristversäumung durch auffallende Sorglosigkeit verschuldet hat. Wenn auch § 6 Abs 1 IESG über die Bestimmungen des AVG über die Wiedereinsetzung gegen Fristversäumnisse hinausgeht, wird doch durch den Begriff "berücksichtigungswürdige Gründe" wie auch durch die demonstrative Nennung solcher Gründe zum Ausdruck gebracht, daß nicht jede Versäumung die Nachsicht rechtfertigt und im Einzelfall, wenn auch nicht unter Anwendung besonders strenger Kriterien, zu prüfen ist, ob die Voraussetzungen für die Nachsicht des Fristversäumnisses vorliegen. Der Gesetzgeber wollte mit der Novellierung des § 6 Abs 1 IESG die in der Praxis gelegentlich auftretenden sozialen Härtefälle bei Versäumung der Antragsfrist vermeiden, indem er die bisher vorgesehene, vom (damals zuständigen) VwGH restriktiv gehandhabte Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist durch die Einführung einer Härteklausel ersetzte (Anw 1990, 451; 9 ObS 14/92 ua). Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung ist auch die unverschuldete - bzw die verschuldete, aber nur auf einen minderen Grad des Versehens beruhende (vgl § 146 Abs 1 letzter Satz ZPO) - Unkenntnis der Antragsfrist als berücksichtigungswürdiger Grund anzusehen, wenn der Arbeitnehmer zwar über die Notwendigkeit der Antragstellung beim Arbeitsamt Bescheid weiß oder hierüber, aber nicht über Beginn und Dauer der Antragsfrist belehrt wurde und die Antragstellung nicht übermäßig lang hinausgezögert hat (SZ 62/50; Anw 1990, 451 uva).

Es ist daher durchaus nicht unerheblich, ob und warum sich der Kläger in einem Rechtsirrtum darüber befand, ab wann die Frist zur Stellung eines Antrages auf Insolvenz-Ausfallgeld zu laufen beginnt. Er hat bereits in seinem verspätet gestellten Antrag an das Arbeitsamt und in der vorliegenden Klage ausführlich dargelegt und Beweise hiefür angeboten, daß und warum er irrtümlich davon ausging, daß die Frist nicht ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern erst ab Anerkennung seiner Forderung durch den Masseverwalter zu laufen beginne, so daß er vorerst nur bemüht gewesen sei, die Anerkennung seiner von der Masseverwalterin ursprünglich bestrittenen Forderung zu erreichen, was ihm schließlich auch gelungen sei.

Sollten sich diese Behauptungen im fortgesetzten Verfahren unter Beweis stellen lassen, läge durchaus ein berücksichtigungswürdiger Grund im Sinn des § 6 Abs 1 IESG vor, so daß die etwa zwei Monate verspätete Antragstellung (SZ 62/50: fünf Wochen) noch nachzusehen wäre: Schließlich steht bereits jetzt fest, daß der Kläger von seinem damaligen Vertreter, den er nur mit der Stellung eines Konkursantrages beauftragt und zu dem er in der Folge keinen Kontakt mehr hatte, nicht über die Notwendigkeit der Antragstellung beim Arbeitsamt binnen vier Monaten ab Konkurseröffnung informiert wurde. Der Kläger hat emsig und schließlich auch erfolgreich die Anerkennung seiner ursprünglich bestrittenen Forderung bei der Masseverwalterin betrieben. Wenn er ausgehend von seinem behaupteten Rechtsirrtum, die Anmeldungsfrist beim Arbeitsamt beginne erst nach Anerkennung seiner Forderung durch den Masseverwalter (bzw erfolgreicher Klagsführung, die er sich habe nicht leisten können) zu laufen, nicht sofort Ende November, sondern erst zwei Monate später den Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld stellte, ist zu berücksichtigen, daß in diese Zeit Weihnachten fielen und der Kläger damals intensiv bemüht war, sich nach der Insolvenz seines Arbeitgebers eine neue Existenz als selbständiger Unternehmer aufzubauen, so daß im vorliegenden Fall die zweimonatige Verspätung nicht als übermäßig lange Verzögerung beurteilt werden könnte.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 ASGG iVm § 52 Abs 1 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte