OGH 4Ob136/94

OGH4Ob136/946.12.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Inkasso Service K***** GmbH, ***** vertreten durch Dr.Gerald Zauner und Dr.Edgar Mühlböck, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Inkasso Service *****K***** KG, ***** vertreten durch Dr.Roland Gabl und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen Unterlassung (Streitwert S 55.000), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 6.Oktober 1994, GZ 6 R 68/94-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 18.Februar 1994, GZ 7 Cg 313/93-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 18.552,96 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin S 2.092,16 Umsatzsteuer und S 6.000 Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin betreibt in G***** ein konzessioniertes Inkassobüro und beschäftigt sich in erster Linie mit der Eintreibung von Schulden für Gläubiger. Die Beklagte ist im selben Geschäftszweig in L***** tätig. Sie bietet ihre Leistungen den Kunden zum Teil kostenlos an.

Die Bundesinnung der Immobilien- und Vermögenstreuhänder hat "Richtlinien und Honorarsätze für Inkassoinstitute 1993" - eine unverbindliche Verbandsempfehlung gemäß § 31 KartG 1988 gerichtet an die Mitgliedsbetriebe - herausgegeben, deren Teil II sich mit dem Inkassogewerbe befaßt. Abschnitt A des Teiles II enthält "Allgemeine Richtlinien für das Inkassogewerbe"; unter 2. wird "Das Verhältnis zur Öffentlichkeit" behandelt. Pkt 2 lit e lautet:

"Als Verletzung der beruflichen Pflichten bzw als Beeinträchtigung der Ehre und des Ansehens des Standes gelten insbesondere

unerlaubte oder irreführende Berufsbezeichnungen und Titelführungen;

Ausübung unvereinbarer Beschäftigungen (wie zB Vertretung von Schuldnern in Ausgleichsverfahren sowie jede Tätigkeit, die auch nur den Verdacht einer Winkelschreiberei aufkommen lassen könnte);

der Berufseinigkeit widersprechendes Verhalten, besonders in der Öffentlichkeit;

leichtfertiges Schuldenmachen oder Verletzung der Abrechnungspflicht;

sonstige Verstöße gegen die berufliche Sorgfaltspflicht;

Verletzung der beruflichen Verschwiegenheitspflicht;

strafbare Handlungen, die auf unehrenhafter Gesinnung beruhen".

Punkt 4 ("Das Verhältnis zum Berufskollegen") lautet:

"a) Der Inkassoinstitut-Inhaber soll nicht danach streben, unbillige Vorteile über seine Berufskollegen zu erlangen und durch unlauteren Wettbewerb oder ungerechtfertigte Unterbietung von Offerten seine Kollegen zu benachteiligen. Es ist kollegiale Pflicht, gegenseitig ein entgegenkommendes Verhalten an den Tag zu legen und einander die geschäftliche Tätigkeit nicht zu erschweren.

b) ........".

Unter Abschnitt B ("Branchenübliche Vereinbarungen mit dem Auftraggeber") wird in Z 5 festgelegt:

"Es ist im Inkassogewerbe üblich, mit dem Auftraggeber folgende Gegenleistungen zu vereinbaren:

a) eine im voraus zu entrichtende Auftraggebühr für jede zum Einzug übergebene Forderung, die nicht zurückerstattet werden braucht. Dies ist eine einmalige Vergütung für die erste Bearbeitung der Forderung;

b) eine Vergütung sowohl für die Ermittlung der Anschrift eines Schuldners als auch der Einkommens- oder Vermögensverhältnisse;

c) ein Erfolgshonorar auf diejenigen Beträge, um die sich die Forderung durch Leistungen des Schuldners oder eines Dritten zu Gunsten des Schuldners während der Vertragsdauer mindert;

d) den Rückersatz aller Barauslagen, zB der Gerichts-, Rechtsanwalts-, Vollstreckungs- und Portokosten, soweit sie vom Schuldner nicht eingetrieben werden können;

e) bei Forderungen gegen Ausländer können andere Vergütungen vereinbart werden".

Z 6 lautet wie folgt:

"Üblicherweise wird auch vereinbart, daß der Auftraggeber sowohl die dem Inkassoinstitut entstandenen Kosten zu ersetzen als auch das Erfolgshonorar auf die ganze Höhe der zum Einzug übergebenen Forderungen ohne Rücksicht auf die tatsächliche Minderung der Forderung zu zahlen hat, sofern der Auftrag vor Ablauf des Vertrages zurückgezogen oder dem Inkassoinstitut sonst die Möglichkeit einer Weiterbearbeitung durch den Gläubiger genommen wird ohne daß das Inkassoinstitut hiezu eine Veranlassung gegeben hat, welche die weitere Einschaltung des Inkassoinstituts als unzumutbar erscheinen läßt".

Mit der Behauptung, daß die Beklagte mit dem kostenlosen Anbieten von Leistungen gegen die Richtlinien für Inkassobüros, also die Standesauffassung, und damit gleichzeitig gegen die guten Sitten im Wettbewerb verstoße, begehrt die Klägerin, die Beklagte schuldig zu erkennen, es im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbes zu unterlassen, ihren Kunden die kostenlose Betreibung von Inkassofällen anzubieten oder zuzusagen.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Ihr Vorgehen sei weder sittenwidrig noch ein Standesverstoß. Im Rahmen der Gewerbefreiheit und der freien Berufsausübung stehe es ihr frei, ihre Leistungen zu dem Preis anzubieten, der ihr genehm ist. Das Zusagen und Erbringen kostenloser Leistungen sei ausschließlich ihre Sache und nicht rechtswidrig.

Der Erstrichter wies das Klagebegehren ab. Sittenwidrig handle (ua), wer eine dem Anstandsgefühl der durchschnittlichen Mitbewerber widersprechende Handlung begehe. Dabei sei die Standesauffassung als Richtschnur zu berücksichtigen. Die "Richtlinien und Honorarsätze für Inkassoinstitute 1993" hätten zwar keine normative Kraft, seien aber zur Ermittlung der Standesauffassung der Inkassobranche heranzuziehen. Diese Richtlinien enthielten jedoch keine dem § 5 Z 6 der ImmMV BGBl 1978/323 entsprechende Bestimmung, wonach sich die Immobilienmakler bei Ausübung ihres Gewerbes anderen Berufsangehörigen gegenüber insbesondere dann standeswidrig verhalten, wenn sie die unentgeltliche Durchführung von Vermittlungen anbieten oder diese Vermittlungen zu Bedingungen (insbesondere Provisionen oder sonstigen Vergütungen) anbieten oder durchführen, die einer ordnungsgemäßen kaufmännischen Geschäftsführung widersprechen. Da die hier maßgeblichen Honorarrichtlinien keine solche Bestimmung aufwiesen, müßten besondere konkrete Begleitumstände vorliegen, die das teilweise kostenlose Anbieten von Leistungen standeswidrig und damit auch sittenwidrig erscheinen ließen; solche Umstände habe die Klägerin aber nicht behauptet.

Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren statt und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Die Richtlinien und Honorarsätze für Inkassoinstitute seien keine Rechtsnorm, böten aber eine - widerlegbare - Erkenntnisquelle dafür, was im Einzelfall nach Meinung angesehener und erfahrener Standesgenossen der Auffassung aller anständigen Berufsangehörigen entspricht. Mit der beanstandeten Vorgangsweise habe die Beklagte bewußt gegen die Standesregeln laut II A 4 und II B 5 und somit gegen eine den redlichen Geschäftsverkehr der Berufsgenossen regelnde Ordnung verstoßen. Damit habe sie gleichzeitig die guten Sitten im Sinn des § 1 UWG verletzt. Daß diese Richtlinien nicht der allgemeinen Überzeugung der Inkassoinstitute entsprächen, habe die Beklagte nicht behauptet.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der Beklagten ist berechtigt.

Die Klägerin hat der Beklagten lediglich vorgeworfen, daß diese ihre Leistungen den Kunden zum Teil kostenlos anbiete; das bedeute, daß sie ihren Auftraggebern zusage, diesen auch im Falle der Uneinbringlichkeit keinerlei Kosten oder Barauslagen zu verrechnen; der Auftraggeber übergebe also Inkassofälle zur Eintreibung an die Beklagte, ohne für die vorgerichtliche und gerichtliche Betreibung Kosten übernehmen zu müssen; diese Kosten trüge zur Gänze die Beklagte. Die Beklagte gab hierauf als richtig zu, daß sie ihre Leistungen im geschäftlichen Verkehr "Großkunden gegenüber zum Teil kostenlos" anbiete. Feststellungen über die tatsächliche Geschäftspraxis der Beklagten haben die Vorinstanzen nicht getroffen.

Dieses - weitgehend übereinstimmende - Parteivorbringen ist dahin zu verstehen, daß die Beklagte einem Teil ihrer Kunden - daß sie nur gegenüber Großkunden so vorgeht, wie die Beklagte behauptet, hat die Klägerin nicht substantiiert bestritten (SZ 55/116) - insoweit Leistungen auch kostenlos anbietet, als sie ihnen bei Uneinbringlichkeit keine Kosten verrechnet und sich bei Einbringlichkeit ihre Kosten beim Schuldner holt.

Eine derartige Vertragsgestaltung ist, sofern sie nicht gegen ein gesetzliches Verbot oder - wie hier geltend gemacht wurde - gegen eine einheitliche Standesauffassung verstößt, für sich allein nicht sittenwidrig. Auch in diesem Fall handelt der Unternehmer grundsätzlich nicht unentgeltlich; er beschränkt sich freilich darauf, sein Entgelt nicht vom Auftraggeber, sondern von dessen Schuldner zu kassieren, der die Eintreibungskosten dem Gläubiger aus dem Titel des Schadenersatzes - jedenfalls in aller Regel - zu zahlen hätte. Daß die Beklagte bei Uneinbringlichkeit der Forderung kostenlos handelt, ist ohne Hinzutreten weiterer Unlauterkeitskriterien für sich allein nicht wettbewerbswidrig (vgl zum Verschenken von Waren oder Dienstleistungen: ÖBl 1992, 205 - "Redaktionelle Zugaben"; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht17, 411 f Rz 93 zu § 1 dUWG). Solche die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände hat die Klägerin nicht behauptet; sie sind auch nicht zu erkennen.

Ausschlaggebend ist daher, ob die Beklagte eine einheitlich befolgte und gefestigte Standesauffassung, die auf der allgemeinen Überzeugung der Standesgenossen ihres Gewerbezweiges - also der Inkassobüros - beruht, in der Absicht mißachtet, sich einen Vorsprung vor Mitbewerbern zu verschaffen, die sich an diese Standesauffassung halten. In diesem Fall verstieße sie nämlich nach Lehre und Rechtsprechung gegen die guten Sitten (Baumbach/Hefermehl aaO 651 Rz 673; ÖBl 1986, 154 - Kfz-Schaden-Schätzstelle; ecolex 1990, 98 - Verwaltervollmacht; WBl 1992, 167 - Grabsteinwerbung II ua).

Wie schon die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, sind die hier von der Klägerin herangezogenen "Richtlinien und Honorarsätze für Inkassoinstitute 1993" keine Rechtsnormen; die Richtlinien selbst bezeichnen sich ja als "unverbindliche Verbandsempfehlungen gemäß § 31 KartG.....". Solche Richtlinien bilden allerdings eine - widerlegbare - Erkenntnisquelle dafür, was im Einzelfall nach Meinung angesehener und erfahrener Standesgenossen der Auffassung aller anständigen Berufsangehörigen entspricht (ecolex 1990, 98 - Verwaltervollmacht; Baumbach/Hefermehl aaO 652 Rz 678).

Der Oberste Gerichtshof hat daher einen Verstoß gegen eine gefestigte Standesauffassung etwa dort bejaht, wo sich ein Hausverwalter über eine Richtlinie hinweggesetzt hat, welche lautet: "Es gilt als standeswidrig, wenn ein Immobilienverwalter sich um die Verwaltung eines Hauses bewirbt, das bereits ein anderer Kollege verwaltet" (ecolex 1990, 98 - Verwaltervollmacht). Als wettbewerbswidrig im Sinne des § 1 UWG hat der Oberste Gerichtshof auch den in der Absicht der Erzielung eines Wettbewerbsvorsprunges vor standestreuen Mitbewerbern begangenen Verstoß gegen einen Handelsbrauch beurteilt, welchen die gesetzliche Interessenvertretung ihren Mitgliedern in einem veröffentlichten Rundschreiben unter Androhung einer Strafsanktion bei Nichtbeachtung mitgeteilt hat (SZ 58/53 = ÖBl 1985, 153 - Baedekers-Reiseführer).

Hier aber liegt der Fall anders. Aus dem Wortlaut der vom Berufungsgericht herangezogenen Punkte der erwähnten Richtlinien ergibt sich nicht, daß das Verhalten der Beklagten nach einer einheitlichen und gefestigten Standesauffassung der Angehörigen der Inkassobranche unanständig und bedenklich wäre (vgl Baumbach/Hefermehl aaO 651 Rz 673). In Punkt A 4 lit a heißt es - soweit hier von Bedeutung - bloß, daß der Inkassoinstitut-Inhaber nicht danach streben soll, durch ...... ungerechtfertigtes Unterbieten von Offerten seine Kollegen zu benachteiligen. Damit wird aber nur der Fall behandelt, daß ein Inkassobürounternehmer das von einem Berufskollegen gelegte (konkrete) Offert unterbietet, nicht aber eine insgesamt günstigere Preisgestaltung untersagt.

Punkt B 5 hält nur fest, welche Gegenleistungen im Inkassogewerbe üblicherweise vereinbart werden. Daß andere Vereinbarungen nicht nur nicht üblich, sondern nach der Auffassung der Richtlinienverfasser - also zweifellos angesehener und erfahrener Standesgenossen - auch unzulässig, weil unanständig, wären, ergibt sich daraus in keiner Weise. In den Richtlinien wird nicht einmal der Versuch unternommen, den Mitgliedsbetrieben der Bundesinnung der Immobilien- und Vermögenstreuhänder eine bestimmte Art der Honorarvereinbarung (sowie eine Höhe des Honorars) verbindlich vorzuschreiben.

Daß - wie die Klägerin in der Berufung ausgeführt hat - eine andere als in den Richtlinien als üblich bezeichnete Vorgangsweise eines Inkassoinstitut-Inhabers ein "der Berufseinigkeit widersprechendes Verhalten, besonders in der Öffentlichkeit" (Punkt II A 2 lit e) - also eine Verletzung der Berufspflichten oder der Standesehre - wäre, trifft nicht zu. Wie sich aus dem Vergleich mit anderen dort aufgezählten Verstößen ergibt, kann das bloße Abweichen von einer Übung nicht als Verstoß gegen die Berufseinigkeit verstanden werden; vielmehr soll - schon nach dem gewöhnlichen Sinn der dort gebrauchten Wörter - offenbar ein Verhalten untersagt werden, das die Solidarität des Berufsstandes untergräbt, also ein einheitliches Auftreten der durch gemeinsames Interesse verbundenen Berufsangehörigen verhindert.

Da somit ein Verstoß der Beklagten gegen eine gefestigte Standesauffassung nicht zu erkennen ist, war das Ersturteil in Stattgebung der Revision wiederherzustellen.

Der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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