OGH 8Ob504/94

OGH8Ob504/9425.11.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag, Dr.Langer, Dr.Rohrer und Dr.Adamovic als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hans-Joachim S***** vertreten durch Dr.Klaus Reisch, Rechtsanwalt in Kitzbühel, wider die beklagte Partei Dr.Herbert A***** vertreten durch Dr.Hansjörg Zink ua, Rechtsanwälte in Kufstein, wegen S 1,262.095 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 7. Dezember 1993, GZ 1 R 259/93-51, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 11. Mai 1993, GZ 13 Cg 11/93t-46, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 21.148,20 (einschließlich S 3.524,70 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das von den Vorinstanzen auf Grund der ihnen vom Obersten Gerichtshof mit Aufhebungsbeschluß vom 10.12.1992, 8 Ob 664/92 überbundenen Rechtsansicht im zweiten Rechtsgang bejahte Verschulden des beklagten Notars wegen unterlassener Rechtsbelehrung über die möglichen steuerlichen Folgen einer Abtretung von Geschäftsanteilen und seine sich hieraus ergebende grundsätzliche Haftung für die dem Kläger vorgeschriebenen Steuern und Gebühren ist nicht mehr strittig. Der Notar hätte den Kläger, dessen erklärter Wille es war, daß der Erwerber der Geschäftsanteile vertraglich zur Tragung sämtlicher Steuern, Gebühren und Kosten aus dem Vertrag verpflichtet werden sollte, befragen müssen, ob er sich darüber im klaren sei, daß die vorgesehene Regelung der Überwälzung sämtlicher mit dem Vertrag verbundenen Steuern und Gebühren auf den Erwerber der Geschäftsanteile die gesetzlich vorgesehene Solidarhaftung beider Vertragsparteien nicht aufheben könne, sodaß im Falle der Nichterfüllung dieser Vertragsbestimmung durch den Geschäftsanteilserwerber auch der Auftraggeber für die gesamten diesbezüglichen Beträge haften werde und dies alles auch dann gelte, wenn der Auftraggeber wegen Zahlungsverzuges des Erwerbers vom Abtretungsvertrag zurücktrete - was dann auch tatsächlich eingetreten ist -, weil dadurch die Steuer- und Gebührenlast nicht entfalle.

Die Vorinstanzen verneinten unter Hinweis auf die ihnen überbundene Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes auch ein Mitverschulden des Klägers wegen unzureichender Erkundigungen über die Bonität seines Vertragspartners, weil der Beklagte in jedem Fall - unabhängig von der augenblicklichen Vermögenslage des vertraglich Zahlungspflichtigen - in Anbetracht der Höhe des zwar vertraglich auf den Anteilserwerber überwälzten, aber möglicherweise doch den gesetzlich solidarisch haftenden klagenden Auftraggeber belastenden Betrages verpflichtet gewesen sei, seinen Auftraggeber auf die ihn im Falle der Insolvenz des vertraglich zahlungspflichtigen Anteilserwerbers allein treffende Zahlungsverpflichtung hinzuweisen und über die vertraglichen Möglichkeiten, für diesen grundsätzlich nicht auszuschließenden Risikofall Vorsorge zu treffen, ausreichend zu belehren.

Die Vorinstanzen verneinten auch eine Verletzung der Schadensminderungspflicht des Klägers durch Unterlassen von (weiteren) möglichen Rechtsmitteln gegen die Vorschreibung der Börsenumsatzsteuer in Höhe von S 252.419,-- und der Zessionsgebühr für den Abtretungsvertrag gemäß § 33 TP 21 Abs 1 Z 2 GebG in Höhe von S 1,009.076,-- . Insbesondere sei der Kläger nicht verpflichtet gewesen, Berufungen gegen die Abweisung seiner Anträge auf Erlassung dieser Steuern und Gebühren aus Billigkeitsgründen und eine Verfassungsgerichtshofbeschwerde wegen angeblicher Verfassungswidrigkeit des § 17 Abs 5 GebG zu erheben. Hiebei gingen sie von folgenden Feststellungen aus:

Auch wenn der Kläger mit Begründung versehene Berufungen gegen den Börsenumsatzsteuerbescheid und gegen den Bescheid des Finanzamtes über die Vorschreibung der Zessionsgebühr erhoben hätte, wären diese Berufungen im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage abgewiesen worden. Ob Verfassungsgerichtshofbeschwerden gegen solche abweisenden Berufungsbescheide Erfolg gehabt hätten, lasse sich nicht feststellen. Die Erfolgsaussichten von Berufungen gegen die abweisenden Bescheide hinsichtlich des Nachsichtsantrages wären gering gewesen, auch Anträge des Klägers auf Entlassung aus der Gesamtschuld gemäß §§ 6 f BAO hätte nur geringe Erfolgsaussichten gehabt.

Das Berufungsgericht führte zum "Antrag" des Beklagten, ein Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich des § 17 Abs 5 GebG vor dem Verfassungsgerichtshof iS des Art 89 Abs 2 iVm Art 140 Abs 1 B-VG einzuleiten, aus, daß es sich hiezu aus folgenden Gründen nicht veranlaßt sehe: Zum einen sei diese Bestimmung nicht konkret im vorliegenden Verfahren anzuwenden. Es gehe hier um die Minderung eines Schadenersatzanspruches des Klägers unter Berücksichtigung der Bestimmung des § 1304 ABGB. Nur diese Norm sei im gerichtlichen Verfahren anzuwenden. In diesem Sinn sei die vom Verfassungsgesetzgeber verlangte Präjudizialität nicht gegeben. Zum anderen habe bis in die jüngste Zeit der vorrangig mit Gebührenfragen befaßte Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Gültigkeit (und damit auch die Verfassungsmäßigkeit) der genannten Bestimmung nicht einmal andeutungsweise in Zweifel gezogen; dies trotz der in der Berufung erwähnten, in der Literatur seinerzeit geäußerten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Gesetzesstelle. Der Verwaltungsgerichtshof sei stets davon ausgegangen, daß es nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 17 Abs 5 GebG für die Gebührenpflicht auf das beurkundete Rechtsgeschäft, nicht aber darauf ankomme, ob dieses Rechtsgeschäft in der Folge aufrechterhalten und ob und wie es ausgeführt wurde. Ebenso wie der Oberste Gerichtshof und jedes zur Entscheidung in zweiter Instanz berufene Gericht sei aber auch der Verwaltungsgerichtshof verpflichtet, ein Gesetz, das er anzuwenden habe, anzufechten, sofern er Bedenken gegen dessen Verfassungsmäßigkeit habe; ein diesbezügliches Ermessen bestehe nicht. In diesem Sinn sehe sich also auch das Berufungsgericht nicht veranlaßt, eine Anfechtung des § 17 Abs 5 GebG in die Wege zu leiten. Aus diesen Ausführungen ergebe sich aber auch, daß im Hinblick auf die höchst zweifelhaften Erfolgsaussichten die Unterlassung der Erhebung einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde, bezogen auf die Bestimmung des § 17 Abs 5 GebG, dem Kläger nicht zur Last gelegt werden könne.

Das Berufungsgericht ließ die Revision an den Obersten Gerichtshof zu, weil der Frage der Schadensminderungspflicht durch Erhebung von außerordentlichen Rechtsmitteln über den Anlaßfall hinaus Bedeutung zukomme und höchstgerichtliche Rechtsprechung hiezu nicht existiere.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts (offenbar nur gegen dessen stattgebenden Teil - ein Teil des Zinsenbegehrens wurde von diesem unbekämpft abgewiesen) richtet sich die Revision des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache. Er beantragt, das Urteil des Berufungsgerichtes nach erfolgreicher Befassung des Verfassungsgerichtshofes hinsichtlich der "Verfassungsmäßigkeit" des § 17 Abs 5 GebG dahingehend abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; falls diesem Antrag nicht stattgegeben werde, möge das Urteil des Berufungsgerichtes dahin abgeändert werden, daß unter Zugrundelegung eines gleichteiligen Mitverschuldens der Beklagte lediglich zur Zahlung von S 631.047,50 s.A. verurteilt und der darüber hinausgehende Mehrbetrag in gleicher Höhe abgewiesen werde. Hilfsweise stellt der Beklagte auch einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zwar gemäß § 502 Abs 1 ZPO zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Der auch in der Revision wiederholten Anregung, der Oberste Gerichtshof wolle den Verfassungsgerichtshof wegen Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 17 Abs 5 GebG anrufen, vermag der erkennende Senat aus den unten ersichtlichen Gründen nicht zu entsprechen.

Hinsichtlich des wiederum erhobenen Mitverschuldenseinwandes wegen auffallender Sorglosigkeit zufolge Nichterkundigung des Klägers über die Bonität seines Vertragspartners ist der Beklagte auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes (S 9) zu verweisen. Es trifft zwar zu, daß sich die Ausführungen des erkennenden Senats im ersten Rechtsgang (S 14) auf die diesbezüglichen Pflichten des Beklagten bezogen, dem Kläger kann aber aus der nicht sehr intensiven Erkundigung über die Bonität seines Vertragspartners kein Vorwurf gemacht werden, weil er sich gegen Risken aus einer allfälligen Illiquidität oder Zahlungsunfähigkeit des Erwerbers der Geschäftsanteile durch sein vertraglich bedungenes Rücktrittsrecht für den Fall der nicht rechtzeitigen Entrichtung des innerhalb einer Woche ab Rechtskraft des grundverkehrsbehördlichen Bescheides zahlbaren Abtretungspreises sicherte und weiters den Beklagten beauftragte, für eine derartige Vertragsgestaltung vorzusorgen, daß der Kläger aus dem vorliegenden Abtretungsvertrag auf keinen Fall mit Steuern, Gebühren und Kosten belastet werde; daß der Beklagte diese Verpflichtung verletzt hat, ist nicht mehr strittig.

Der Einwand des Beklagten, Lehre und Rechtsprechung hätten den Grundsatz entwickelt, daß das Nichteinbringen von Rechtsmitteln jedenfalls ein Mitverschulden begründe, ist nicht stichhältig. Im Unterlassen einer Prozeßführung oder im Nichtergreifen eines Rechtsmittels kann, muß aber nicht eine Verletzung der Schadensminderungspflicht liegen; es kommt wesentlich auf die Umstände des Einzelfalles an (vgl EvBl 1972/318; SZ 47/69 uva). Der Geschädigte ist nicht zu gerichtlichen Schritten verpflichtet, die mit einem bedeutenden Kostenrisiko verbunden sind (HS 10.618) oder geringe Aussichten auf Erfolg haben (SZ 39/105; 35/5; HS 10.618; JBl 1985, 677; SZ 62/185). Ist die Rechtslage nicht unproblematisch, so liegt keine Verletzung der Schadensminderungspflicht vor, wenn der Rechtsweg nicht beschritten wird (SZ 62/185). Die Rechtsprechung in Amtshaftungssachen (vgl zB SZ 54/109 uva), daß Rechtsmittel grundsätzlich auszuschöpfen und der Verwaltungsgerichtshof anzurufen sei, beruht auf der Sondernorm des § 2 Abs 2 AHG und ist daher hier nicht anwendbar. Daß allfällige Berufungen gegen die Steuer- und Gebührenvorschreibung oder gegen die Abweisung des Antrages, dem Kläger die Zahlung aus Billigkeitsgründen zu erlassen, geringe Erfolgsaussichten gehabt hätten, bekämpft auch der Beklagte nicht. Er wendet sich nur dagegen, daß es die Vorinstanzen für den Kläger nicht zumutbar hielten, auf seine eigenen Kosten und sein Risiko eine Verfassungsgerichtshofbeschwerde zu erheben. Darin kann aber keine unrichtige rechtliche Beurteilung erblickt werden. Abgesehen davon, daß die Bestimmung des § 17 Abs 5 GebG vom Verwaltungsgerichtshof seit jeher angewendet wird, ohne daß diesem Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung kamen und sich daran auch nichts änderte, als in der Lehre Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung erhoben wurden, so daß es sehr zweifelhaft ist, ob eine allfällige Verfassungsgerichtshofbeschwerde zum Erfolg geführt hätte, kann der Schädiger jedenfalls nicht verlangen, daß der Geschädigte zwecks Behebung des durch den Schädiger verschuldeten Schadens auf sein Risiko und seine Kosten eine Verfassungsgerichtshofbeschwerde erhebt. Die Anrufung des Verfassungsgerichtshofes auf eigene Kosten war hier dem Kläger - nur um den vom Beklagten verursachten Schaden möglicherweise zu verhindern - wegen des damit verbundenen Aufwands und der nicht unbeträchtlichen Kosten nicht zumutbar (HS 10618; 1 Ob 40/74 uva; zuletzt 1 Ob 601/92). Der Beklagte, der selbst zur Erhebung einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde mangels Vorschreibung der Gebühren an ihn nicht berechtigt war, hat nie behauptet, daß der Kläger die Einbringung einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde auf Kosten des Beklagten abgelehnt hätte; er hat stets nur vorgebracht, den Kläger auf die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Bestimmung hingewiesen zu haben. Das reicht keinesfalls aus, um dem Kläger eine Verletzung der Schadensminderungspflicht anzulasten.

Somit hat es bei der vollen Schadensersatzpflicht des Beklagten zu bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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