OGH 8Ob33/94

OGH8Ob33/9425.11.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag, Dr. Langer, Dr. Rohrer und Dr. Adamovic als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** Sparkasse AG, *****, vertreten durch Dr. Gerd Paulsen und Dr. Herbert Felsberger, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wider die beklagten Parteien 1. Peter B*****, vertreten durch Dr. Kurt und Dr. Hanno Burger-Scheidlin, Rechtsanwälte in Klagenfurt und 2. Wilhelm H***** GesmbH, *****, vertreten durch Dr. Michael Czinglar, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 142.586,40 s.A., infolge Revision der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 13. Dezember 1993, GZ 3 R 267/92-26, womit infolge Berufung der zweitbeklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 17. Oktober 1992, GZ 23 Cg 190/92-21, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die zweitbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 8.370,-- bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin S 1.395,-- Ust) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Erstbeklagte, gegen den das Verfahren ruht, stellte am 1.10.1988 einen auf die zweitbeklagte GmbH gezogenen und am 30.12.1988 fälligen Orderwechsel auf den Klagsbetrag von S 142.586,40 aus. Als Zahlstelle wurde die klagende Sparkasse festgelegt. Die zweitbeklagte Partei nahm diesen Wechsel an. Der Erstbeklagte setzte auf die Rückseite ein Blankoindossament und eskomtierte den Wechsel am 7.10.1988 bei der klagenden Partei. Diese zahlte dem Erstbeklagten am 10.10.1988 die Wechselsumme abzüglich der bis zum Verfall am 30.12.1988 berechneten Zinsen aus.

Nach mehrfachen Verhandlungen und verschiedener Korrespondenz über das Schicksal dieses Wechsels sowie der gegenseitigen Ansprüche zwischen den Streitteilen lehnte die klagende Partei gegenüber der zweitbeklagten Partei die Rückgabe des in ihren Händen befindlichen Wechsels ab und teilte mit, auf Bezahlung der gesamten Wechselsumme zu beharren, weil sie eine Aufrechnung zwischen dem Erst- und der Zweitbeklagten nicht berühre.

Am 25.7.1989 langte auf dem Rückwechselkonto der klagenden Partei ein Betrag von S 142.585,20 ein. Es handelte sich dabei um die Zahlung einer anderen noch nicht fälligen Wechselschuld durch einen anderen Wechselschuldner. Die Person dieses Wechselschuldners ging aus dem Auszug des Rückwechselkontos nicht hervor. Da dieser Betrag von dem in der Liste der fälligen Wechselforderungen angeführten Klagsbetrag nur um S 1,20 abwich und eine andere Wechselforderung in genau dieser Höhe in der Liste nicht enthalten war, ordnete ein Angestellter der klagenden Partei ohne weitere Prüfung durch Einsicht in den Zahlungsbeleg diese Zahlung der streitgegenständlichen Wechselforderung zu. Auf Grund dieses Irrtums bestätigte die klagende Partei auf der Rückseite des Wechsels die Zahlung von S 142.585,20 am 25.7.1989 durch die zweitbeklagte Partei und sandte den Wechsel mit Begleitschreiben vom 27.7.1989 an deren Vertreter. In diesem Schreiben bestätigte die Klägerin ebenfalls den Erhalt des Betrages von S 142.585,20, jedoch ohne Anführung des Zahlers.

Der Vertreter der zweitbeklagten Partei vernichtete nach Rücksprache mit deren Geschäftsführer und nach Herstellung einer Kopie den Wechsel. Wenn im Begleitschreiben die zweitbeklagte Partei als Zahlerin angeführt worden wäre, hätte der Beklagtenvertreter "einen Irrtum der klagenden Partei angenommen".

In der Folge bemerkte die klagende Partei ihren Irrtum, klärte diesen mit Schreiben vom 4.12.1989 an den Vertreter der zweitbeklagten Partei auf, wies darauf hin, daß dieser der Irrtum hätte auffallen müssen und forderte die Zahlung der Wechselsumme.

Über das Vermögen des Erstbeklagten wurde am 11.4.1989 der Konkurs eröffnet; dieser wurde nach Abschluß eines Zwangsausgleiches am 30.8.1989 aufgehoben. Dem Vertreter der zweitbeklagten Partei war zur Zeit der Übersendung des quittierten Wechsels die Einleitung des Insolvenzverfahrens gegen den Erstbeklagten bekannt, er wußte aber damals nicht, in welchem Stadium sich das Insolvenzverfahren befand und ob es noch anhängig oder schon erledigt war.

Mit der vorliegenden Klage nimmt die klagende Sparkasse die zweitbeklagte Partei als Bezogene aus dem genannten Wechsel in Anspruch, und bringt vor, den Wechsel auf Grund eines mit dem Erstbeklagten als Aussteller geschlossenen Diskontvertrages angekauft und der zweitbeklagten Partei in der irrigen Annahme einer durch diese geleisteten Zahlung der Wechselsumme quittiert und ausgefolgt zu haben. Tatsächlich sei die Wechselforderung noch ungetilgt, weshalb ihr die zweitbeklagte Partei die am 31.12.1988 zur Zahlung fällig gewordene Wechselsumme samt wechselmäßigen Zinsen schulde.

Die zweitbeklagte Partei wendete insbesondere ein, den ihr von der klagenden Partei übermittelten Wechsel in der Annahme vernichtet zu haben, daß die Wechselsumme der klagenden Partei vom Aussteller bezahlt worden sei. Schließlich wendete sie gegen die Klageforderung bis zu deren Höhe eine auf den Rechtsgrund des Schadenersatzes gestützte Gegenforderung ein, die aber nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens ist.

Ausgehend vom Zurechtbestehen der Klagsforderung und vom Nichtzurechtbestehen der Gegenforderung der zweitbeklagten Partei gab das Erstgericht dem Klagebegehren gegen die zweitbeklagte Partei statt und beurteilte die Sache rechtlich im wesentlichen dahin, daß der Willensmangel der klagenden Partei bei der Übersendung des Wechsels als Abhandenkommen iS des Art 16 Abs 2 WG zu beurteilen und die Wechselforderung durch Rückstellung des quittierten Wechsels infolge grober Fahrlässigkeit der beklagten Partei nicht untergegangen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der zweitbeklagten Partei nicht Folge und ließ die Revision an den Obersten Gerichtshof mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu. Es führte in rechtlicher Hinsicht aus, im Berufungsverfahren sei bloß noch die Frage entscheidend, ob die Wechselforderung durch die - in der irrigen Annahme der Zahlung erfolgte - Aushändigung der quittierten Urkunde an die zweitbeklagte Partei untergegangen oder die klagende Partei ungeachtet des mangelnden Besitzes des Wechsels zur Geltendmachung der Forderung gegenüber der zweitbeklagten Partei berechtigt sei. Es kam zum Ergebnis, daß es von Art 39 Abs 1 WG Ausnahmen gebe, in denen sich der Bezogene nicht darauf berufen könne, daß weder er noch der Gläubiger den Wechsel besitze; er müsse dann auch ohne die (an sich zulässige) Amortisation zahlen. Ein solcher Ausnahmefall läge hier vor. Die zweitbeklagte Partei habe nämlich den quittierten Wechsel bereits ohne Zahlung der Wechselschuld von der klagenden Partei als legitimierter Besitzerin ausgehändigt erhalten und selbst vernichtet. Damit sei zwar das Beweismittel, aber nicht das der klagenden Partei aus dem Wechsel zustehende Recht vernichtet worden. Daß die Wechselschuld auf andere Art als durch Zahlung erloschen wäre, sei von der zweitbeklagten Partei nicht nachgewiesen worden. Die klagende Partei habe auch nicht schlüssig auf die Bezahlung durch die irrtümliche Übersendung des quittierten Wechsels verzichtet.

Gegen das berufungsgerichtliche Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der zweitbeklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im klagsabweisenden Sinn abzuändern. Sie hält die Revision für zulässig, weil es keine oberstgerichtliche Judikatur zur Frage gäbe, was rechtens sei, wenn ein mit einem Blankoindossament versehener Wechsel vom legitimierten Inhaber willentlich und wissentlich, wenn auch in Irrtum über die Bezahlung des Wechsels, dem Bezogenen ausgehändigt werde.

Die klagende Partei beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Revisionswerber aufgezeigten Grund gemäß § 502 Abs 1 ZPO zulässig, aber sachlich nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin beruft sich auf Art. 16 Abs 1 WG und bringt vor, sie sei auf Grund des Prinzips der Wechselstrenge durch die Übergabe des Wechsels, der an letzter Stelle ein Blankoindossament getragen habe, legitimierte Inhaberin des Papiers und somit legitimierte Wechselgläubigerin geworden. Erst in weiterer Folge sei dann durch die Vernichtung des Wechsels und Vereinigung von Gläubiger und Schuldner das darin verbriefte Recht untergegangen. Sie sei nämlich nicht unrechtmäßig in den Besitz der Wechselurkunde gelangt, weil die klagende Partei ihr den Wechsel wissentlich und willentlich übersandt habe. Der Irrtum der klagenden Partei betreffe nicht die Übersendung des Wechsels, sondern sei zeitlich vorgelagert gewesen; sie habe nämlich den Wechsel in der von ihr selbst (durch Schlamperei der Bediensteten) verschuldeten irrigen Annahme übersandt, daß die Wechselforderung bezahlt worden sei.

Diesen Ausführungen ist folgendes entgegenzuhalten:

Auszugehen ist von dem unstrittigen Umstand, daß die klagende Partei rechtmäßige Wechselinhaberin war und die Wechselsumme weder vom Aussteller noch vom Bezogenen (Zweitbeklagten) bezahlt wurde, die klagende Partei aber der zweitbeklagten Partei den Wechsel in der irrigen Annahme, diese habe die Wechselschuld bezahlt, quittierte und übersandte und die zweitbeklagte Partei den Wechsel in der Folge vernichtete.

Gemäß Art. 39 Abs 1 WG braucht der Bezogene grundsätzlich nur gegen Aushändigung des quittierten Wechsels zu bezahlen; dadurch soll vor allem verhütet werden, daß der bereits bezahlte Wechsel weiter übertragen und von einem gutgläubigen Erwerber (Art. 16 WG) nochmals geltend gemacht werden kann. Die in Art. 39 Abs 1 WG zum Schutz des Schuldners vor erneuter Inanspruchnahme statuierte Pflicht zur Aushändigung des Wechsels gilt auch für einen Blankowechsel.

Aus dieser Aushändigungspflicht folgt umgekehrt, daß der die Zahlung beanspruchende Gläubiger grundsätzlich im Besitz des Wechsels sein und bis zur Erlassung des Urteiles imstande bleiben muß, den Wechsel vorzulegen (RZ 1956,128; Kapfer, Handkomm WG 170 f). Nur dann, wenn der Bezogene den Wechsel - aus welchen Gründen auch immer - bereits in Händen hat, entfällt die Pflicht zur Ausfolgung; es genügt die Quittierung des Wechsels.

Ist der Wechsel abhanden gekommen oder vernichtet worden, kann der Wechselgläubiger daher grundsätzlich nicht Zahlung verlangen; ihm ist nur mittels dessen Kraftloserklärung zu helfen. Der Kraftloserklärungsbeschluß tritt an Stelle des Wechsels. Der Schuldner kann und muß nun bezahlen, weil er nicht mehr der Gefahr ausgesetzt ist, gegen Vorlage des noch vorhandenen Wechsels ein zweites Mal zahlen zu müssen (QuHGZ 1974 H 1/116, 429). Ist der Wechsel, wie hier, mit Willen des klagenden Wechselgläubigers in die Hände des beklagten Wechselschuldners gelangt und von diesem absichtlich vernichtet worden, kann der Kläger nicht auf das Kraftloserklärungsverfahren verwiesen werden; ein solches hat vielmehr zu unterbleiben (SZ 59/173 mwN ua, zuletzt 6 Ob 1567/92 betreffend den klagsgegenständlichen Wechsel). In einem solchen Fall bedarf der Bezogene ja nicht des Schutzes vor einer nochmaligen Inanspruchnahme; der Wechselgläubiger kann daher auch ohne Vorlage des Wechsels Zahlung begehren. Durch den Verlust oder die Vernichtung des Wechsels geht nämlich dem Gläubiger nur das Beweismittel verloren; es wird aber nicht auch das ihm aus dem Wechsel zustehende Recht vernichtet (so schon GH 1878, 259). Braucht der Wechselschuldner - wie im vorliegenden Fall - nicht zu befürchten, daß er nochmals von einem gutgläubigen Erwerber des Wechsels (Art 16 Abs 2 WG) in Anspruch genommen wird, bleibt dem Wechselgläubiger sein Recht aus dem Wechsel erhalten und er kann dieses auf andere Art und Weise als durch Vorlage der Wechselurkunde nachweisen.

Dies ist der klagenden Partei gelungen, weil feststeht, daß sie berechtigte Wechselgläubigerin war und die zweitbeklagte Partei den ihr von der klagenden Partei irrtümlich - dh ohne daß diese Zahlung erhalten hätte - quittierten und übersandten Wechsel vernichtet hat.

Die Ansicht der zweitbeklagten Partei ist unzutreffend, daß sie durch die Aushändigung des quittierten Wechsels neue Wechselinhaberin iSd Art 16 Abs 1 WG wurde und die klagende Partei diese Stellung verlor. Art 16 WG geht - wie sich aus der Einordnung dieser Bestimmung ergibt - davon aus, daß der neue Inhaber einen noch im Umlauf befindlichen und nicht einen Wechsel erwirbt, auf dem bereits die Zahlung durch den Akzeptanten bestätigt ist; anderenfalls wäre diese Bestimmung in den Art 38 ff einzuordnen gewesen. Mit der Zahlung erfüllt der Akzeptant seine Verbindlichkeit; alle Regreßpflichtigen werden befreit und die Wechselobligation hört auf (JBl 1903, 609 ua; s. MGA WG9 Art 47/8). Art 16 WG ist daher auf solche Fälle überhaupt nicht anwendbar (OLG Düsseldorf NJW 1955, 1153), sodaß es dahingestellt bleiben kann, ob die zweitbeklagte Partei "unrechtmäßig" in den Besitz der Wechselurkunde gelangte (was, übereinstimmend mit der Revisionswerberin zu verneinen wäre) bzw ob sie ihn grob fahrlässig (als "neuer Inhaber" iSd Art 16 Abs 2 WG ) erworben hatte.

Der klagenden Partei steht daher noch immer die sich aus der vernichteten Wechselurkunde ergebende Forderung zu, weil sie nachgewiesenermaßen nicht durch Zahlung, aber auch nicht auf andere Weise, etwa durch eine Tilgungsvereinbarung, erloschen ist. Die zweitbeklagte Partei kann sich auch nicht - wie das Berufungsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat - auf einen schlüssigen Verzicht der klagenden Partei berufen: Sie durfte bei dem vorhergehenden Verhalten der klagenden Partei, die trotz mehrerer Vergleichsversuche auf Zahlung der gesamten Wechselsumme beharrte, nicht annehmen, diese habe ihr den quittierten Wechsel, auf dem sie die Zahlung durch die zweitbeklagte Partei bestätigte, aus anderen - auf der Quittung nicht angeführten - Gründen als infolge irrtümlich angenommener Zahlung übersandt und dadurch zum Ausdruck bringen wollen, daß sie auf ihre Wechselforderung verzichten wolle. Dieser offensichtliche Irrtum der klagenden Partei hätte ihr bzw ihrem Vertreter auffallen müssen, insbesondere wenn sie bzw ihr Vertreter auch den quittierten Wechsel und nicht nur das Begleitschreiben, das den Zahler nicht nannte, betrachtet hätte; auf das Ausmaß der Sorglosigkeit beim Nichterkennen des Irrtums des Irrenden und darauf, ob der Irrende seinen Irrtum selbst schuldhaft verursacht hat - die klagende Partei muß die sorglose Bearbeitung des Falls durch ihre Mitarbeiter selbstverständlich vertreten - (für alle Rummel in Rummel ABGB I2 RZ 16 zu § 871 mwN) kommt es hiebei nicht an.

Aus allen diesen Gründen wurde die Zweitbeklagte zu Recht zur Zahlung der noch offenen Wechselverbindlichkeit verurteilt.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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