Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Am *****1991 ereignete sich auf der B ***** bei Straßenkilometer 65,1 im Gegenverkehrsbereich ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Lenker eines PKW Ford Escort und die Zweitbeklagte als Lenkerin ihres bei der erstbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW Opel Corsa beteiligt waren. Der Kläger behauptet das Alleinverschulden der Zweitbeklagten; er habe an der dreispurigen Unfallstelle nach ordnungsgemäßer Einleitung eines Überholvorganges den Mittelfahrstreifen benützt, als die entgegenkommende Zweitbeklagte völlig unerwartet ihr Fahrzeug in den von ihm benützten Fahrstreifen gelenkt habe.
Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger seinerseits habe den von der Zweitbeklagten bereits befahrenen Mittelfahrstreifen zeitlich danach benützt und dadurch den Unfall allein verschuldet.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Es ging dabei von nachstehenden wesentlichen Feststellungen aus:
Die Unfallstelle befindet sich auf der Schnellstraße zwischen H***** und B*****. Die Fahrbahn weist im Bereich der Unfallstelle drei Fahrstreifen auf, von denen der südliche von den beiden anderen durch eine Leit- und eine Sperrlinie getrennt ist. Die beiden nördlichen Fahrstreifen sind durch eine Leitlinie getrennt.
Der Kläger lenkte seinen PKW auf dem beschriebenen Straßenstück in Richtung H*****. Die Zweitbeklagte fuhr mit ihrem Fahrzeug in der Gegenrichtung. Der Kläger hielt eine Geschwindigkeit von 80 km/h ein und beabsichtigte, zwei vor ihm fahrende Fahrzeuge zu überholen. Er beschleunigte auf etwa 100 km/h oder etwas darüber und versetzte das Fahrzeug gleichzeitig auf den mittleren Fahrstreifen. Er nahm das von der Zweitbeklagten und zwei weitere davor befindliche Fahrzeuge zunächst nicht bewußt wahr, sondern bemerkte erst später - wo genau und wie lange nach dem Beginn seines Überholmanövers konnte nicht festgestellt werden -, daß ihm das von der Zweitbeklagten gelenkte Fahrzeug entgegen kam. Da sich der Kläger zu diesem Zeitpunkt noch im Überholvorgang auf der Höhe eines der von ihm zu überholenden Fahrzeuge befand, konnte er sein Fahrzeug nicht mehr auf den südlichen Fahrstreifen zurücklenken, sondern nur mehr geringfügig nach rechts versetzen, um die auf dem südlichen Fahrstreifen fahrenden Fahrzeuge nicht zu behindern. Ein wirksames Bremsmanöver konnte nicht festgestellt werden.
Die Zweitbeklagte hielt mit ihrem Fahrzeug zunächst eine Geschwindigkeit von 70 km/h ein. Vor ihr fuhren zwei Kleinbusse. Sie beabsichtigte, diese im Bereich des dreispurigen Fahrbahnstückes zu überholen. Nicht festgestellt werden konnte, wann sie zum Überholen ansetzte und ob sie allenfalls den Überholvorgang in der Form einleitete, daß sie den Beginn der Dreispurigkeit der Straße auf dem von ihr benützten Fahrstreifen geradeaus weiterfuhr und so in den mittleren Fahrstreifen gelangte. Sie beschleunigte im Zuge des Überholmanövers auf eine Geschwindigkeit von 100 km/h und nahm das vom Kläger in der Gegenrichtung gelenkte Fahrzeug zunächst bewußt nicht wahr, sondern bemerkte erst auf kurze Entfernung, daß ihr dieses Fahrzeug auf dem Mittelfahrstreifen entgegenkam. Bei beiden Lenkern konnte nicht festgestellt werden, auf welche Entfernung sie das jeweils auf dem Mittelstreifen entgegenkommende Fahrzeug wahrnahmen und wie lange dies vor der Kollision war. Bei der Zweitbeklagten konnte nicht einmal festgestellt werden, ob sie nach dem Erblicken des klägerischen Fahrzeuges noch zu einem wirksamen Auslenken gekommen ist. Bei gehöriger Beobachtung des Gegenverkehrs wäre es für jeden Lenker möglich gewesen, das jeweils auf dem Mittelstreifen entgegenkommende Fahrzeug so rechtzeitig zu erblicken, daß bis zur Begegnung eine beträchtliche Abbremsung möglich gewesen wäre. Ob es auch möglich gewesen wäre, das eine oder andere Fahrzeug auf den jeweils rechten Fahrstreifen zurückzulenken konnte nicht festgestellt werden. Die Kollision ereignete sich im mittleren Bereich des mittleren Fahrstreifens. Dabei kam es zu einer Berührung zwischen der linken vorderen Ecke des von der Zweitbeklagten gelenkten Fahrzeuges mit der linken Seitenwand des Klagsfahrzeuges, das zu diesem Zeitpunkt geringfügig nach rechts gerichtet war.
Das Erstgericht erörterte im wesentlichen rechtlich, § 9 Abs 1 StVO erlaube zwar dem Lenker eines Fahrzeuges das Verlassen des von ihm benützten Fahrstreifens, wenn diesem bei Vorhandensein einer Sperrlinie neben einer Leitlinie die Leitlinie näher liege, verbiete ihm aber danach die Rückkehr in den ursprünglich benützten Fahrstreifen, weil ihm nunmehr die Sperrlinie näher liege. Der Kläger habe zwar seinen Fahrstreifen verlassen dürfen, etwa um zu links gelegenen Äckern zuzufahren, nicht aber danach unter Überfahrung der ihm nun näher liegenden Sperrlinie nach rechts zurückkehren dürfen. Es dürfe keinen Fahrstreifen geben, der beiden Fahrtrichtungen nach Bedarf zugeordnet werden könne. Der mittlere Fahrstreifen sei für die Fahrtrichtung der Zweitbeklagten bestimmt gewesen. Daher sei dem Kläger der Vorwurf zu machen, daß er den mittleren Fahrstreifen zum Zwecke des Überholens gar nicht hätte benützen dürfen. Dagegen falle der Schuldvorwurf der mangelnden Aufmerksamkeit, der beiden Lenkern zu machen sei, nicht mehr so stark ins Gewicht.
Das Berufungsgericht ist von den Feststellungen des Erstgerichtes abgegangen und hat ausdrücklich festgestellt, daß sich der Kläger etwa 70 m nach seinem Auslenken auf den mittleren Fahrstreifen im Bereich der Kilometerbezeichnung 65,2 befand, als er das Fahrzeug der Zweitbeklagten wahrnahm, die zu diesem Zeitpunkt - rund 80 m von seinem PKW entfernt - auf den vom Kläger befahrenen Mittelstreifen ausscherte.
Die Zweitbeklagte hingegen habe das vom Kläger in Gegenrichtung gelenkte Fahrzeug zunächst nicht bewußt wahrgenommen, sondern erst auf kurze Entfernung bemerkt, daß ihr dieses Fahrzeug auf dem Mittelstreifen entgegenkam.
Es erörterte rechtlich, daß der Kläger im Zuge eines erlaubten Überholmanövers den mittleren Fahrstreifen benützte, währen die Zweitbeklagte trotz Gegenverkehrs innerhalb des Anhalteweges des Klägers ihr Fahrzeug in den von ihm benützten Fahrstreifen gelenkt habe und somit den Unfall durch Verstoß gegen die Bestimmung des § 16 Abs 1 lit a StVO verschuldet habe.
Ein meßbares Mitverschulden des Klägers könne diesem nicht angelastet werden, weil die Zweitbeklagte ihr Fahrzeug nur in einer Entfernung von 70 m in seinen Fahrstreifen lenkte.
Es ließ die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.
Die beklagten Parteien bekämpfen diese Entscheidung mit außerordentlicher Revision wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens sowie wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag sie aufzuheben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung aufzutragen.
Die Klägerin beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen bzw. ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Vorweg ist festzuhalten, daß der Oberste Gerichtshof die Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes zur Auslegung der Bestimmung des § 9 Abs 1 StVO ausdrücklich billigt. Bereits in der Entscheidung vom 18.2.1986, 2 Ob 2/86 (ZVR 1987/13) wurde ausgesprochen, daß bei Vorliegen von drei Fahrstreifen, von denen einer von den beiden übrigen durch eine Leit- und eine Sperrlinie getrennt ist, als Fahrbahnmitte im Rechtssinne die Sperrlinie anzusehen ist. Dies bedeutet, daß der Fahrzeuglenker, dem die Leitlinie näher liegt, zwar berechtigt ist, den von ihm benützten Fahrstreifen zu verlassen, aber nach Abschluß eines - zulässigen - Überholmanövers im Gegensatz zur Rechtsmeinung des Erstgerichtes sogar verpflichtet ist, auf den ursprünglich benützten Fahrstreifen im Sinne des § 7 StVO zurückzukehren. Einer audrücklichen gesetzlichen Anordnung zur Einhaltung dieser gebotenen Fahrweise bedarf es - wie das Berufungsgericht zutreffend hervorgehoben hat - nicht.
Dennoch ist das Berufungsverfahren mangelhaft geblieben.
In der außerordentlichen Revision wird ausdrücklich darauf verwiesen, daß das Berufungsgericht eine Beweiswiederholung durch Verlesung der im erstinstanzlichen Verfahren aufgenommenen Protokolle über die Parteienvernehmung vorgenommen hat, ohne den Parteien vorher bekanntzugeben, daß gegen die Würdigung des Beweises durch das Erstgericht Bedenken bestehen.
Dies trifft allerdings zu.
Nach dem Inhalt des Protokolls über die Berufungsverhandlung vom 3. Februar 1994 wurde nach Umfrage der Beschluß auf Beweiswiederholung durch Verlesung der Aussagen des Klägers und der Zweitbeklagten zum Unfallshergang verkündet. Diese Aussagen wurden auch im Einverständnis mit den Parteien verlesen. Damit fehlt aber der in § 488 Abs 4 ZPO geforderte ausdrückliche Hinweis des Berufungsgerichtes, daß es erwäge, von den Feststellungen des Erstgerichtes abzugehen. Bei der Würdigung der den Parteien durch diese Bestimmung verbrieften Verfahrensrechte setzt nämlich die Rechtswirksamkeit eines Einverständnisses mit der Verlesung von Protokollen über unmittelbare Beweisaufnahmen voraus, daß bei den Parteien Klarheit über die als bedenklich erachteten oder vermißten Feststellungen besteht (vgl 5 Ob 572/93, 2 Ob 526/93). Unterläßt daher das Gericht die vorherige Bekanntgabe, daß es von den erstgerichtlichen Feststellungen abzuweichen erwäge, und führt die Beweisaufnahme nur gemäß § 281 a ZPO mittelbar durch, dann verursacht es einen Verfahrensmangel, der eine erhebliche Verletzung des Prozeßrechtes im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO darstellt.
Da nach dem Inhalt des Protokolls über die Berufungsverhandlung dieser Hinweis unterblieb und bei den vom Erstgericht getroffenen zahlreichen Negativfeststellungen bei den Parteien auch keine Klarheit über die als bedenklich erachtete vermißte Feststellung bestehen konnte, bedeutete die nunmehr im Revisionsverfahren gerügte Unterlassung einen erheblichen Verfahrensmangel, der zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen muß. Das Berufungsgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren den Parteien mitzuteilen haben, gegen welche Feststellungen bzw Negativfeststellungen des Erstgerichtes Bedenken bestehen und erst danach das Einverständnis der Parteien zur Durchführung der mittelbaren Beweisaufnahme einzuholen haben oder die Beweise im Umfang des mangelnden Einverständnisses neuerlich aufzuheben haben.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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