OGH 1Ob593/94

OGH1Ob593/9425.10.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker und Dr. Rohrer als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin Sophie K*****, vertreten durch Dr. Herbert Grass und Dr. Leonhard Ogris, Rechtsanwälte in Deutschlandsberg, wider die Antragsgegner 1. Peter T***** und 2. Josefine T*****, beide vertreten durch Dr. Heinz Leitinger und Dr. Gerold Haßlinger, Rechtsanwälte in Deutschlandsberg, wegen Einräumung eines Notwegs, infolge Revisionsrekurses der Antragsgegner gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Graz als Rekursgerichtes vom 6. Juni 1994, GZ 5 R 54/94-41, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Deutschlandsberg vom 28. Dezember 1993, GZ 1 Nc 44/92-38, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Den am 24.3.1987 gestellten Antrag auf Einräumung eines Notwegs begründete die Antragstellerin damit, daß die beiden früheren öffentlichen Zufahrtswege zu ihrem im Erbweg erworbenen Anwesen nicht mehr benützbar seien. Der eine sei durch die Antragsgegner im Zuge der Errichtung einer Forststraße unterbrochen, der andere von ihnen bei Errichtung ihrer Forststraße verschüttet worden. Ihr Ansinnen, über die Forststraße zu ihrem Anwesen zuzufahren, hätten die Antragsgegner abgelehnt. Eine Möglichkeit der Zufahrt auf andere Art bestehe daher nicht.

Die Antragsgegner wendeten insbesondere ein, die Forststraße wäre für die Antragstellerin ohne Benützung fremden Grundes nicht erreichbar, weil sie vorerst über fremden Grund verlaufe. Außerdem sei die Liegenschaft der Antragstellerin über zwei Gemeindewege erreichbar gewesen. Deren Vernachlässigung und die Tatsache, daß sie sich gegen die Verschüttung ihres Zufahrtswegs nicht gewehrt habe, sei ihr als auffallende Sorglosigkeit anzulasten, so daß sie kein Recht auf Einräumung eines Notweges habe.

Das Erstgericht wies den Antrag ab.

Es stellte fest, das aus einem Wohnhaus und einem kleinen Wirtschaftsgebäude bestehende Anwesen der Antragstellerin befinde sich in keinem einwandfreien Zustand; die landwirtschaftlich genutzte Fläche sei zum überwiegenden Teil aufgeforstet, die derzeit noch bestehende landwirtschaftliche Nutzfläche sei nur mehr etwa 0,25 ha groß und werde als Wiese und Garten genutzt. Die Antragstellerin baue dort Gemüse an und bringe die Ernte derzeit mit Erlaubnis der Antragsgegner mit dem Fahrrad nach Hause. Sie suche ihr Anwesen nur „fallweise an Wochenenden, aber doch regelmäßig“ auf. Der eine öffentliche Weg, die ursprüngliche Verbindung mit der Gemeindestraße, sei früher ein Karrenweg gewesen, der steil bergan geführt habe und mit einer 1,5 m breiten Trasse ausgestattet gewesen sei. Die Trasse sei bereits zugewachsen und werde auch seither von der Forststraße der Antragsgegner unterbrochen. Der Weg sei auch seinerzeit nur eher selten benutzt worden. Der andere öffentliche Weg beginne nördlich des Anwesens der Antragstellerin und ende an der Grenze von Grundstücken der Antragsgegner. Dieser Weg sei nicht mehr vorhanden, er sei durch die Wasserführung abgeschwemmt und sodann durch das Abraummaterial der oberhalb davon verlaufenden Forststraße der Antragsgegner teilweise verschüttet worden. Dieser Weg sei die „eigentliche“ Verbindung mit dem öffentlichen Wegenetz gewesen. Die von den Antragsgegnern 1975 errichtete Forststraße führe von der Gemeindestraße vorerst über eine Dritten gehörige Liegenschaft und sodann über die Liegenschaft der Antragsgegner nahe am Anwesen der Antragstellerin vorbei. Es handle sich dabei um eine mit LKW befahrbaren Weg in einer Breite von etwa 4 m. Schon als der Vater der Antragstellerin als deren Rechtsvorgänger vom Anwesen weggezogen sei, sei die Wegeverbindung sehr schlecht gewesen, ohne daß in der Folge erkennbar in irgendeiner Weise für Abhilfe gesorgt worden sei. Die Antragstellerin habe sich anläßlich der Errichtung der Forststraße 1975 mit dem Ansinnen an die Antragsgegner gewandt, sie wolle sich an den Kosten der Errichtung der Forststraße beteiligen; die Antragsgegner hätten dieses Angebot indessen abgelehnt. 1980 sei die Antragstellerin bei der Gemeinde persönlich vorstellig geworden und habe die Gemeinde auch am 30.1.1985 schriftlich ohne Erfolg um Sanierung wenigstens eines der beiden Gemeindewege ersucht. Im Zuge eines Verfahrens zur Einräumung eines landwirtschaftlichen Bringungsrechts hätten die Antragsgegner daher der Antragstellerin die Einräumung einer persönlichen Dienstbarkeit zur Benützung der Forststraße zwecks Zufahrt bei Instandhaltungsarbeiten und Abtransport der Ernte vorgeschlagen, was die Antragstellerin jedoch abgelehnt habe.

Rechtlich meinte das Erstgericht, die Antragstellerin habe wie schon ihr Rechtsvorgänger den Mangel der Wegverbindung durch auffallende Sorglosigkeit selbst herbeigeführt; sie habe „sehenden Auges“ die fortschreitende Verschlechterung der Weganbindungen bis zu deren Unbenützbarkeit miterlebt, ohne dagegen angemessen zu reagieren. Ein Anspruch auf Einräumung eines Notwegs bestehe daher schon gemäß § 2 Abs 1 NWG nicht.

Das Gericht zweiter Instanz hob diesen Beschluß auf, trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es führte aus, wegen des einschneidenden Eingriffs in das Eigentumsrecht sei die Einräumung eines Notwegs nur dann zu rechtfertigen, wenn sie die einzige Möglichkeit zur Wahrung wichtiger Interessen des Antragstellers sei. Nach § 2 Abs 1 NWG sei das Begehren auf Einräumung eines Notwegs unter anderem unzulässig, wenn der Mangel der Wegeverbindung auf eine auffallende Sorglosigkeit des Grundeigentümers zurückzuführen sei. Sei die Wegebedürftigkeit jedoch nicht auf ein Verhalten des Antragstellers bei Erwerb dieser Liegenschaft, sondern auf ein Verhalten des Rechtsvorgängers zurückzuführen, mache dies das Begehren auf Einräumung eines Notwegs noch nicht unzulässig. Auffallende Sorglosigkeit entspreche grober Fahrlässigkeit im Sinne des § 1324 ABGB, sei demnach eine ungewöhnliche auffallende Vernachlässigung der Sorgfalt, sofern weiters der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich voraussehbar sei. Entscheidendes Kriterium sei also die Schwere des Sorgfaltsverstoßes und die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, wenn also der Betreffende ganz einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt habe. Diesen Grundsätzen zufolge könne von einer auffallenden Sorglosigkeit der Antragstellerin nicht gesprochen werden. Insbesondere die Bemühungen der Antragstellerin um eine Wiederherstellung eines öffentlichen Wegs durch die Gemeinde, aber auch der Versuch, sich durch die Beteiligung an den Kosten der Errichtung der Forststraße eine Zufahrt zu sichern, stünden ganz im Gegensatz zur behaupteten Sorglosigkeit. Auch wenn die Antragsgegner das Ansinnen der Antragstellerin abschlägig beschieden hätten, habe sie dennoch nicht endgültig damit rechnen müssen, daß ihr nicht doch ein Zufahrtsrecht eingeräumt werde, zumal ihr die Antragsgegner gestattet hätten, die Forststraße zur Zufahrt zur Liegenschaft mit dem Fahrrad zu benutzen. Letztlich sei der Mangel der Wegeverbindung auf die Bauführung durch die Antragsgegner zurückzuführen. Infolge dieser wenngleich offenbar nur prekaristisch eingeräumten Möglichkeit der Benützung der Forststraße habe für die Antragstellerin kein dringender Anlaß zu weiteren Aktivitäten bestanden. Insbesondere könne ihr nicht vorgeworfen werden, sie habe sich nach Verschüttung des Zufahrtswegs durch die Antragsgegner im Jahre 1975 lediglich zweimal - 1980 und 1985 - an die Gemeinde um Wiederherstellung gewandt. Sie habe dadurch einerseits jenen Weg beschritten, der ihr als der nächstliegende erscheinen mußte, zum anderen hätte es durch Zeitverlauf gar nicht zum Verlust eines Wegerechts an diesem Gemeindeweg kommen können. Nach dem Landesstraßenverwaltungsgesetz 1964 habe ein Gemeindebürger keinen Anspruch auf Sanierung bzw Wiederherstellung eines Gemeindewegs, wenn dieser die Bedeutung eines öffentlichen Wegs verloren habe. Da gemäß § 40 LStrVwG bei der Herstellung und Erhaltung von Gemeindestraßen auf die ortsübliche Benützung und die Verkehrsverhältnisse Bedacht zu nehmen sei, die Eigenschaft als öffentlicher Interessentenweg von der Gemeinde aber aberkannt werden könne, sobald infolge geänderter Verhältnisse ein Bedürfnis nach Weitererhaltung einer öffentlichen Straße nicht mehr bestehe, könne beim festgestellten Zustand und der seltenen Nutzung des Gemeindewegs wohl davon ausgegangen werden, daß die Antragstellerin eine Wiederherstellung dieser Zufahrt nicht erzwingen könne und auch damals nicht hätte erreichen können; damit könne ihr der endgültige Verlust dieses Zufahrtswegs nicht als auffallende Sorglosigkeit angelastet werden. Das Erstgericht werde das Verfahren im Sinne der §§ 9 ff NWG durchzuführen haben, insbesondere müßten in die Erhebungen gemäß § 12 Abs 3 NWG auch solche Liegenschaften, die der wegebedürftige Eigentümer in seinem Gesuch nicht in Anspruch genommen habe, einbezogen werden, sofern deren Benützung zur zweckmäßigen Gestaltung des Notwegs erforderlich sei; dann müßten die betroffenen Eigentümer gleichfalls der Verhandlung beigezogen werden. Dem Akteninhalt sei jedoch zu entnehmen, daß die Forststraße der Antragsgegner als ausgebaute Hofzufahrt über die Liegenschaft Dritter führe.

Der dagegen von den Antragsgegnern erhobene Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Das Erstgericht hat den Antrag auf Einräumung eines Notwegs allein schon deshalb abgewiesen, weil der Mangel der Wegeverbindung auf eine auffallende Sorglosigkeit der Antragstellerin zurückzuführen sei; das Gericht zweiter Instanz hat dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens mit der Begründung aufgetragen, daß im Verhalten der Antragstellerin keine solche auffallende Sorglosigkeit zu erblicken sei. Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist deshalb lediglich die Frage, ob der Antragstellerin mit Rücksicht auf deren mangelnde Wegeverbindung grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt.

Gemäß § 2 Abs 1 NWG ist das Begehren auf Einräumung eines Notwegs unter anderem unzulässig, wenn der Mangel der Wegeverbindung auf eine auffallende Sorglosigkeit des Grundeigentümers zurückzuführen ist. Der Begriff der auffallenden Sorglosigkeit ist jenem im § 1324 ABGB gleichzuhalten, das Begehren ist aus diesem Grund also nur dann unzulässig, wenn dem Antragsteller grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist (SZ 60/43 uva). Ob diese vorliegt, ist zwar stets nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (SZ 40/78 uva), sie darf aber nur bei ungewöhnlicher und auffallender Vernachlässigung der im Anlaßfall gebotenen Sorgfalt angenommen werden, sofern der Eintritt des damit verbundenen Nachteils als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich anzusehen und leicht zu verhindern ist; grobe Fahrlässigkeit ist demnach ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß, der bei Bedachtnahme auf alle Umstände auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist (SZ 51/128 uva; Reischauer in Rummel, ABGB2 § 1324 Rz 3). Das hat das Rekursgericht bei Beurteilung des Verhaltens der Antragstellerin zu Recht verneint:

Vorauszuschicken ist, daß deren Anwesen früher über zwei öffentliche Wege erreicht werden konnte. Mit keinem Wort erwähnen die Antragsgegner in ihrem Rechtsmittel, daß diese beiden Wege zumindest auch infolge der Bauführung im Zusammenhang mit der Anlegung ihrer Forststraße unbenützbar geworden sind. Mag auch die Bemühung der Antragstellerin, die Gemeinde zur Wiederherstellung wenigstens einer dieser Wege zu veranlassen, nicht besonders intensiv gewesen sein, hat sie doch dort all die Jahre nur zweimal entsprechend interveniert, so kann diese mangelnde Nachhaltigkeit - worauf das Gericht zweiter Instanz zutreffend hingewiesen hat - wohl auch darauf zurückzuführen sein, daß sie die Wiederherstellung der Wegeverbindung durch die Gemeinde angesichts der maßgeblichen Rechtslage doch nicht hätte erzwingen können, hat doch der Anrainer keinen Anspruch darauf, daß sein Gemeindeweg wiederhergestellt wird, der die Bedeutung eines öffentlichen Wegs verloren hat. Gemäß § 40 Stmk LStrVwG 1964 (idgF) ist nämlich bei der Erhaltung von Gemeindestraßen auf die ortsübliche Benützung und die Verkehrsverhältnisse Bedacht zu nehmen; die Gemeinde kann auch die Eigenschaft als öffentlicher Interessentenweg aberkennen, sobald wegen der geänderten Verhältnisse an dessen Weitererhaltung kein Bedürfnis mehr besteht (§ 46 Stmk LStrVwG 1964). Die Antragstellerin mußte sich daher damit abfinden, daß sie die Gemeinde mit Rücksicht auf den erforderlichen Aufwand und die ohnehin nur minimale Verkehrsbedeutung der beiden zerstörten Wege auch bei intensiveren Bemühungen zu deren Wiederherstellung nicht würde bewegen können.

Auch hat sie den Antragsgegnern angetragen, sich gegen die Ermöglichung einer Mitbenützung an den Kosten der Herstellung der Forststraße zu beteiligen; sie benützt diese auch seit jeher, wenngleich möglicherweise nur prekaristisch, so daß sie doch auch noch hoffen durfte, mit den Antragsgegnern zu einer gütlichen Einigung zu gelangen, die auch ihren Interessen gerecht werden würde.

Da die Antragstellerin die Unbenützbarkeit der beiden Zufahrtswege nicht selbst herbeigeführt hat, könnten ihr, wenn überhaupt, lediglich Versäumnisse bei der Veranlassung der Gemeinde, die Wegeverbindung wieder herzustellen, zur Last gelegt werden; solche könnten ihr aber jedenfalls nicht als auffallende Sorglosigkeit zugerechnet werden. Zu Recht hat das Rekursgericht die Unzulässigkeit des Antrags aus diesem Grund verneint.

Die Antragsgegner führen im Revisionsrekurs vor allem ins Treffen, durch die Einräumung des Notwegs würden sie in ihren wirtschaftlichen, namentlich in ihren jagdlichen Interessen beeinträchtigt. Damit machen sie indessen Umstände geltend, die erst bei der Abwägung der Vorteile der Antragstellerin durch die Einräumung des Notwegs gegenüber ihren mit der Belastung ihrer Liegenschaft verbundenen Nachteile (§ 2 Abs 1 NWG) zu prüfen sein werden. Auch die Behauptung, die Gemeinde würde der Antragstellerin die beiden Wegegrundstücke gewiß verkaufen, so daß sie selbst für eine geeignete Zufahrt sorgen könne, kann mit Rücksicht auf die oben angestellten Überlegungen, abgesehen davon, daß dieses Vorbringen eine auch im Verfahren außer Streitsachen unzulässige Neuerung ist (SZ 47/141 uva) und dafür keine Beweise angeboten wurden, nicht erfolgreich als Argument für deren auffallende Sorglosigkeit geltend gemacht werden.

Schließlich kommt auch - wie schon das Rekursgericht zutreffend ausgeführt hat - der Einwendung, die Forststraße verlaufe auch über Grundflächen Dritter, keine entscheidende Bedeutung zu, können doch gemäß § 12 Abs 3 NWG auch solche Liegenschaften, die der Antragsteller seinem Begehren zufolge nicht in Anspruch genommen hat, in das Verfahren einbezogen werden, sofern deren Benützung zur zweckmäßigen Gestaltung des Notwegs erforderlich ist; das Erstgericht wird daher die Eigentümer dieser Liegenschaft dem Verfahren beizuziehen haben.

Im fortgesetzten Verfahren wird deshalb das Erstgericht die Berechtigung des Antrags auf Einräumung eines Notwegs zu prüfen haben, ohne dessen Zulässigkeit wegen auffallender Sorglosigkeit der Antragstellerin im Sinne des § 2 Abs 1 NWG zu verneinen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 44 NWG iVm § 52 Abs 1 ZPO (EvBl 1985/127 ua).

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