OGH 4Ob107/94

OGH4Ob107/9418.10.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, ***** vertreten durch Dr.Heinz Kosesnik-Werle, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei I***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Helga Hönel-Jakoncig und Dr.Veronika Staudinger, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisiorialverfahren S 300.000), infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 22.August 1994, GZ 2 R 205/94-12, womit der Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 28.Juni 1994, GZ 40 Cg 105/94s-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen; die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung vorläufig selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Beklagte hält Computerkurse ab.

Mit der Behauptung, daß die Beklagte in Verletzung der guten Sitten im Wettbewerb wiederholt und systematisch aus dem Telefonbuch herausgesuchte Personen, mit denen noch keine Geschäftsverbindung bestanden habe, anrufe, um für ihre Kurse zu werben, begehrt die Klägerin zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Personen, zu denen bisher noch keine Beziehung bestand, unaufgefordert telefonisch anzurufen, um solcherart Geschäftsbeziehungen anzubahnen oder vorzubereiten.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Sicherungsbegehrens. Sie rufe nur solche Personen an, die schon ihr Interesse für die Computerkurse bekundet haben. Es lägen also nur "Nachtelefonate" vor. Solche verstießen nicht gegen § 1 UWG. Überdies stehe das Verbot der Telefonwerbung in Widerspruch zu dem am 1.1.1994 in Kraft getretenen EWR-Abkommen, welches die Behinderung des zwischenstaatlichen Handels verbiete. Die Beklagte beziehe das gesamte Lehrmaterial, welches Teil des von ihr an die Kunden verkauften Kurspaketes sei und das durch Direktlieferung in das Eigentum der Kursteilnehmer übergehe, von der Firma F***** aus Italien.

Das Erstgericht gab dem Sicherungsantrag statt. Es nahm als bescheinigt an:

Die Beklagte wirbt hauptsächlich telefonisch für die von ihr abgehaltenen Computerkurse. Dabei ruft sie auch Personen zu Hause an, mit denen sie noch nie vorher Kontakt hatte und die ihr auch sonst nicht als Interessenten ihrer Computerkurse bekannt waren. Im Laufe dieser Gespräche werden nur allgemeine Informationen über Zeit und Ort des Kurses bekannt gegeben; die Preise für die Teilnahme werden nicht mitgeteilt.

Rechtlich meinte das Erstgericht, daß die Werbung durch unerbetene telefonische Anrufe, um Geschäftsabschlüsse anzubahnen, wettbewerbswidrig sei, sofern nicht der Angerufene zuvor ausdrücklich oder stillschweigend sein Einverständnis erklärt habe, zu Werbezwecken angerufen zu werden. Die Beklagte habe demnach gegen § 1 UWG verstoßen.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Ob die Beklagte tatsächlich "hauptsächlich" per Telefon für ihre Computerkurse werbe, könne offen bleiben. Sie habe jedenfalls auch solche Personen zu Hause angerufen, die das nicht erbeten hätten. Da sich die beanstandene Telefonwerbung auf den österreichischen Markt auswirke, sei österreichisches Recht anzuwenden (§ 48 Abs 2 IPRG). Wer zu Werbezwecken ungebeten Personen anruft, mit denen noch kein geschäftlicher Kontakt besteht, um Leistungen anzubieten, dringe auf belästigende Weise in die Individualsphäre des Betroffenen ein und verstoße damit gegen die guten Sitten. Die Beklagte könne sich auch nicht erfolgreich auf das EWR-Abkommen berufen. Nach der Intention dieses Vertrages solle zwischen den Vertragsparteien der freie Warenverkehr verwirklicht werden. Das bedeutet aber - bezogen auf die vorliegende Problematik - nur, daß in den Vertragsstaaten diskriminierende Regelungen des Wettbewerbs unzulässig sind. Von einer unsachlichen Diskriminierung italienischer Erzeugnisse könne bei einem auch österreichische Unternehmen treffenden Verbot der Telefonwerbung keine Rede sein.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluß erhobene Revisionsrekurs der Beklagten ist nicht berechtigt.

Die Werbung durch unerbetene telefonische Anrufe bei Privatpersonen, wie sie mitunter von Händlern oder Vertretern praktiziert wird, um Geschäftsabschlüsse anzubahnen, insbesondere Waren oder Leistungen anzubieten, ist grundsätzlich wettbewerbswidrig, es sei denn, daß der Angerufene zuvor ausdrücklich oder stillschweigend sein Einverständnis erklärt hat, zu Werbezwecken angerufen zu werden. Dieses Verbot wird auch mit Folgeerwägungen begründet; ein Überhandnehmen dieser Werbeform würde zu unerträglichen Belästigungen der Angerufenen führen, denen nur durch ein Verbot dieser Werbeform begegnet werden kann. (Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht17, 395 Rz 67 zu § 1 dUWG mwN aus der Rechtsprechung; Koppensteiner, Wettbewerbsrecht2 II 184; Fitz/Gamerith, Wettbewerbsrecht68; OGH ÖBl 1984, 13 - Telefonwerbung). An dieser Auffassung ist festzuhalten. Schon der unerbetene Telefonanruf als solcher ist somit - auch wenn der Anrufer höflich und nicht besonders aufdringlich auftritt - eine unzumutbare, mit den guten Sitten im Geschäftsverkehr nicht zu vereinbarende Belästigung des Angerufenen. Diese Telefonwerbung ist somit ein Fall der - sittenwidrigen - Belästigung (Fitz/Gamerith aaO), insbesondere des "Anreißens" (Koppensteiner aaO).

In ÖBl 1993, 13 - "Nissan"-Kundendienst - ist der Oberste Gerichtshof von seiner früheren Entscheidung ÖBl 1984, 13 - Telefonwerbung - nicht abgegangen. In der Entscheidung ÖBl 1993, 13 - Nissan war es darum gegangen, daß der Beklagte einzelne Kunden des Klägers, die in letzter Zeit Nissan-Fahrzeuge gekauft hatten, telefonisch darauf aufmerksam machte, daß der Kläger nicht mehr autorisierter Nissan-Händler sei und die Dreijahresgarantie auf Nissan-Fahrzeuge nicht gewährleisten könne. Dieser Entscheidung kann nicht entnommen werden, daß Telefonwerbung nur dann sittenwidrig wäre, wenn zahlreiche Privatpersonen ungebeten angerufen werden.

Soweit die Beklagte die Feststellungen der Vorinstanzen bekämpft, übersieht sie, daß der Oberste Gerichtshof auch im Provisorialverfahren nur Rechts- und nicht Tatsacheninstanz ist und daher von demjenigen Sachverhalt auszugehen hat, den das Rekursgericht als bescheinigt angesehen hat (MR 1993, 30 - Bohr- und Fräsmaschine mwN). Eine Überprüfung der Beweiswürdigung der zweiten Instanz ist dem Obersten Gerichtshof verwehrt (ÖBl 1992, 60 - "Club DIVA-Creativ" mwN; MR 1993, 30 - Bohr- und Fräsmaschine). Soweit die Beklagte in ihrer Rechtsrüge davon ausgeht, daß sie nur solche Personen angerufen habe, die sich schon vorher ihr gegenüber interessiert gezeigt hatten, ist der Revisionsrekurs nicht gesetzmäßig ausgeführt. Dem Argument der Beklagten aber, daß die Rechtsprechung (auch des Obersten Gerichtshofes) zur Telefonwerbung im Zeitalter von Computer, Telex, Fax, Satellitenkommunikation usw überholt sei, kann nicht gefolgt werden. Mit der Einrichtung solcher technischer Anlagen will man nicht sich und sein Heim unbeschränkt der Öffentlichkeit preisgeben, sondern sich nur solchen Personen eröffnen, bei denen auf Grund ihrer Beziehungen zum Inhaber der Einrichtungen ein Anruf vertretbar erscheint (Baumbach/Hefermehl aaO; ÖBl 1984, 13 - Telefonwerbung).

Hat die Beklagte - wie bescheinigt - jedenfalls in zwei Fällen Personen angerufen, die ihr nicht als Interessenten bekannt waren und die ihren Anruf nicht erbeten hatten, dann hat sie gegen die guten Sitten verstoßen; auf die Bescheinigung weiterer solcher Fälle kommt es aus rechtlichen Gründen nicht an.

Gegen die Fassung des Spruches bestehen keine Bedenken, weil sein Sinngehalt - jedenfalls im Zusammenhang mit der Begründung - eindeutig ist.

Für die Beklagte ist auch aus dem EWR-Abkommen nichts zu gewinnen. Nach Art 11 EWRA BGBl 1993/909 - welche Bestimmung die Beklagte offenbar im Auge hat - sind mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedsstaaten verboten. Unter "mengenmäßiger Einfuhrbeschränkung" ist jede Maßnahme zu verstehen, welche die Einfuhr einer Ware verbietet oder nach Menge, Wert oder Zeitraum begrenzt (Grabitz, Komm zum EWG-Vertrag, Rz 1 zu Art 30 EWG-Vertrag, welcher wörtlich mit Art 11 EWRA übereinstimmt). Eine Maßnahme gleicher Wirkung ist - nach der sogenannten Dassonville-Formel (EuGH Slg 1974, 837 - Dassonville) - jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern (Groeben/Thiesing/Ehlermann, Komm zum EWG-Vertrag4 Rz 22 zu Art 30 mwN).

Nach Art 6 EWRA werden zwar unbeschadet der künftigen Entwicklungen der Rechtsprechung die Bestimmungen dieses Abkommens, soweit sie mit den entsprechenden Bestimmungen des EWG- und des EKGS-Vertrages sowie der auf Grund dieser beiden Verträge erlassenen Rechtsakte in ihrem wesentlichen Gehalt identisch sind, bei ihrer Durchführung und Anwendung im Einklang mit den einschlägigen Entscheidungen ausgelegt, die der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Abkommens erlassen hat. Aus Art 3 Z 2 des Abkommens zwischen den EFTA-Staaten zur Errichtung einer Überwachungsbehörde und eines Gerichtshofs BGBl 1993/911 ist jedoch zu schließen, daß bei der Auslegung und Anwendung des EWRA auch die in den betreffenden Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften dargelegten Grundsätze gebührend zu berücksichtigen sind, die nach dem Zeitpunkt der Unterzeichnung des EWRA ergingen und die Auslegung jenes Abkommens oder solcher Bestimmungen des EWG- und des EGKS-Vertrages betreffen, die mit den Bestimmungen (ua) des EWRA in ihrem wesentlichen Gehalt identisch sind.

Bei der Auslegung des Art 11 EWRA ist somit Lehre und Rechtsprechung zu Art 30 EGV, insbesondere die Rechtsprechung des EuGH bis zur Unterzeichnung des EWRA heranzuziehen und seine spätere Rechtsprechung "gebührend zu berücksichtigen" (so schon 4 Ob 88/94).

In der Entscheidung GRURInt 1994, 56-Keck und Mithouard, die erst nach der Unterzeichnung des EWR-Vertrages, nämlich am 24.11.1993, ergangen ist, hat der EuGH seine bisherige Rechtsprechung zu Art 30 EGV dahin klargestellt, daß die Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren.

Da diese Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH (nunmehr auch WRP 1994, 297-Hünermund) nach dem Gesagten gebührend zu berücksichtigen ist, muß auch Art 11 EWRA dahin ausgelegt werden, daß eine nationale Regelung, welche die Anwendung bestimmter Verkaufsmethoden deshalb verbietet, weil sie gegen die guten Sitten verstößt, nicht unter die Dassonville-Formel fällt. Das von der Rechtsprechung aus § 1 UWG abgeleitete Verbot der Telefonwerbung betrifft aber in gleicher Weise alle im Inland tätigen Wirtschaftsteilnehmer und alle Erzeugnisse, ob sie nun aus dem Inland oder aus anderen EWR-Staaten stammen.

Das Inkrafttreten des EWRA vermag daher am Verbot der Telefonwerbung nichts zu ändern.

Diese Erwägungen führen zur Bestätigung des angefochtenen Beschlusses.

Der Ausspruch über die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels der Beklagten gründet sich auf §§ 78, 402 Abs 4 EO, §§ 40, 41, 50 Abs 1 ZPO, jener über die Kosten der Klägerin auf § 393 Abs 1 EO.

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