OGH 10ObS221/94

OGH10ObS221/9418.10.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dipl. Ing. Dr. Hans Peter Bobek (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Klaus Hajek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Alfred R*****, Autobusfahrer, *****, vertreten durch Dr. Norbert Moser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Hans Pernkopf, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Juni 1994, GZ 7 Rs 67/94-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 25. März 1994, GZ 31 Cgs 175/93x-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 20.8.1946 geborene Kläger war zuletzt etwa 15 Jahre als Autobuslenker im Liniendienst der Stadt *****beschäftigt. Vor etwa drei Jahren ging er in den Krankenstand und absolvierte während des Krankenstandes beim Berufsförderungsinstitut die Lehrausbildung zum Berufskraftfahrer. Am 11.3.1993 schloß er diese Ausbildung mit der erfolgreichen Ablegung der Lehrabschlußprüfung ab. Auf Grund verschiedener, vorwiegend die Bandscheiben betreffenden krankhaften Veränderungen kann der Kläger nur noch leichte und fallweise mittelschwere Arbeiten verrichten, wobei Arbeiten mit Vibrationsbelastungen auszuscheiden sind. Nach einer stehenden und/oder sitzenden Tätigkeit muß nach jeweils einer Stunde für mindestens 15 Minuten ein Haltungswechsel möglich sein. Wegen des gebotenen Haltungswechsels und der Vermeidung einer Vibrationsbelastung ist dem Kläger die Ausübung eines Kraftfahrerberufes nicht mehr zumutbar.

Mit Bescheid vom 24.9.1993 wurde der Antrag des Klägers vom 22.3.1993 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension abgewiesen.

Das Erstgericht wies das dagegen auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.4.1993 gerichtete Klagebegehren ab. Der Kläger sei in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag als Autobuschauffeur im Liniendienst tätig gewesen und habe darüber hinaus keine Tätigkeiten entfaltet. Die Fachkenntnisse im Rahmen des Lehrberufes "Berufskraftfahrer" habe er erst nachträglich erworben, weshalb ihm ein Berufsschutz nicht zukomme. Er sei demnach auf die seinem medizinischen Leistungskalkül noch entsprechenden Berufe eines Büroboten, Botengängers, Garagenwartes, Parkplatzkassiers, Fabriksarbeiters sowie im Angestelltenbereich auf Tätigkeiten einer Bürohilfskraft im Karteiarchiv oder in der Registratur verweisbar und daher nicht berufsunfähig.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Vorweg sei festzuhalten, daß dem Kläger bei Gewährung eines Berufsschutzes als Berufskraftfahrer fraglos die begehrte Berufsunfähigkeitspension zuzuerkennen wäre und daß bei einer Verweigerung des Berufsschutzes eine Verweisbarkeit am Arbeitsmarkt nicht strittig sei. Es sei daher nur die Frage des Berufsschutzes zu prüfen. Der Kläger weise selbst zutreffend darauf hin, daß der Invaliditätsbegriff des § 255 ASVG heranzuziehen sei, da er als Angestellter Arbeitertätigkeiten verrichtet habe. Ein Berufsschutz nach § 255 Abs 1 ASVG komme dem Versicherten dann zu, wenn er in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig gewesen sei. Ein angelernter Beruf liege nach Abs 2 dieser Gesetzesstelle vor, wenn der Versicherte eine Tätigkeit ausübe, für die es erforderlich sei, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse oder Fähigkeiten zu erwerben, welche jene in einem erlernten Beruf gleichzuhalten seien. Tätigkeiten, die der Versicherte vor dem Beobachtungszeitraum ausgeübt habe, könnten ebensowenig Beachtung finden, wie Kenntnisse und Fähigkeiten, die er erst nach Beendigung seiner Tätigkeit erworben habe und die daher im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nicht gefordert und verwendet worden seien. Die nach Beendigung der beruflichen Tätigkeit absolvierte Ausbildung im Lehrberuf des Berufskraftfahrers könne daher einen Berufsschutz nicht begründen. Es komme nur darauf an, welche Kenntnisse und Fähigkeiten für die Tätigkeit des Klägers als Buschauffeur im Liniendienst erforderlich gewesen seien und ob sich daraus ein Berufsschutz als angelernter Berufskraftfahrer ergebe. Da der Kläger nur den Liniendienst versehen habe, liege ohne Zweifel eine angelernte Tätigkeit iS des § 255 Abs 2 ASVG nicht vor. Es treffe zwar zu, daß ein Versicherter, der nach dem Abschluß einer Lehre in einem Teilgebiet des Berufsbildes des erlernten Berufes tätig war, den Berufsschutz nicht verliere. Daraus könne aber nicht umgekehrt geschlossen werden, daß ein Versicherter, der eine Teiltätigkeit eines Lehrberufes ausübe, die nicht als angelernte Tätigkeit anzusehen sei, durch einen nachträglichen Lehrabschluß ohne praktische Anwendung der erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten im Erwerbsleben einen Berufsschutz gewinne. Daß der Kläger bereits vor seiner Tätigkeit als Buschauffeur im städtischen Liniendienst auf Grund seiner Tätigkeit einen Berufsschutz als angelernter Kraftfahrer erworben hätte, sei nicht behauptet worden und gehe aus den Verfahrensergebnissen nicht hervor.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Der Revisionswerber vertritt die Auffassung, dem Gesetz sei nicht zu entnehmen, daß die Lehrabschlußprüfung zu einem bestimmten Zeitpunkt, also vor, während oder nach Ausübung der entsprechenden Tätigkeit abzulegen sei. Es sei daher durchaus denkbar, daß ein Versicherter überwiegend im erlernten Beruf tätig sei und erst danach die Lehrabschlußprüfung ablege. Der Kläger habe als Buschaffeur einen wesentlichen Teilbereich des Berufsbildes des Berufskraftfahrers ausgeübt. Es wäre ein Wertungswiderspruch, wenn bei einem angelernten Beruf ohne Abschluß eines Lehrabschlusses Berufsschutz gewährt würde, während einem Dienstnehmer, der in wesentlichen Bereichen des Berufsbildes tätig gewesen sei und über einen nachträglichen Lehrabschluß verfüge, ein Berufsschutz nicht zukäme. Daher wäre dem Kläger die Berufsunfähigkeitspension iS des § 255 ASVG zuzusprechen gewesen.

Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Entscheidend ist nach dem Wortlaut des hier analog (SZ 62/3) anzuwendenden § 255 Abs 1 ASVG nicht die erfolgreiche Ablegung der Lehrabschlußprüfung, sondern es wird gefordert, daß der Versicherte überwiegend in einem erlernten oder angelernten Beruf tätig war. Als überwiegend gelten dabei solche erlernte oder angelernte Berufstätigkeiten, wenn sie in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag ausgeübt wurden. Ein angelernter Beruf wird aber erst ab dem Zeitpunkt ausgeübt, ab dem die Anlernung abgeschlossen ist und der Versicherte über die Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die den in einem Lehrberuf erworbenen gleichzuhalten sind. Überdies genügt es nicht, daß der Versicherte über die Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die für die Annahme eines angelernten Berufes erforderlich sind; diese müssen vielmehr für die von ihm ausgeübte Tätigkeit auch erforderlich sein (SSV-NF 7/129 ua). Es ist nun nicht zweifelhaft, daß für die Ausübung des Berufes eines Autobuschauffeurs im städtischen Liniendienst Kenntnisse und Fähigkeiten, die den in einem Lehrberuf erworbenen gleichzuhalten sind, nicht erforderlich waren. Wie der Senat wiederholt ausgesprochen hat, können die Kenntnisse und Fähigkeiten eines angelernten Berufskraftfahrers an dem durch die Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, BGBl 1987/396 geschaffenen Berufsbild des Lehrberufes Berufskraftfahrer gemessen werden (SSV-NF 4/80; 10 Ob S 124/93, 10 Ob S 257/93, 10 Ob S 39/94 ua). Werden die in dieser Verordnung angeführten Ausbildungsvorschriften für Berufskraftfahrer mit den vom Kläger erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten verglichen, so hat er in der Praxis nur solche erworben, die lediglich Teilgebiete des Tätigkeitsbereiches umfassen, der von gelernten Berufskraftfahrern in viel weiterem Umfang verlangt wird. Den Vorinstanzen ist beizupflichten, daß ein Versicherter, der nur eine Teiltätigkeit eines Lehrberufes ausübt, die nicht als angelernte Tätigkeit anzusehen ist, durch einen nachträglichen Lehrabschluß ohne jede praktische Anwendung der dort erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten im Erwerbsleben keinen Berufsschutz erlangt. Da auch ein angelernter Beruf - wie oben dargelegt - erst ab dem Zeitpunkt ausgeübt wird, an dem die Anlernung abgeschlossen ist, liegt der vom Kläger erblickte Wertungswiderspruch nicht vor.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch an den unterlegenen Kläger aus Billigkeit wurden nicht dargetan und sind nach der Aktenlage nicht ersichtlich.

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