OGH 2Ob64/94

OGH2Ob64/9413.10.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wolfgang B*****, vertreten durch Dr.Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Österreichische Bundesbahnen, 1010 Wien, Elisabethstraße 9, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19, wegen S 67.474,10 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 17.Mai 1994, GZ 45 R 254/94-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 21.Jänner 1994, GZ 20 C 493/93p-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 4.059,20 (darin enthalten keine Umsatzsteuer und keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 30.1.1992 ereignete sich auf dem Hauptbahnhof V***** ein Verkehrsunfall. Von der Verschublok abgestoßene Waggons stießen gegen einen Postwaggon, in dem unter anderem der Kläger Arbeiten für die Post verrichtete. Durch den Unfall wurde der Kläger verletzt. Zum Unfallszeitpunkt war der Kläger Vertragsbediensteter der Post- und Telegraphenverwaltung. Der Unfall wurde durch Bedienstete der beklagten Partei fahrlässig verursacht.

Aufgrund dieses Unfalls begehrt der Kläger S 53.000 Schmerzengeld und S 14.474,10 Verdienstentgang.

Die beklagte Partei wendete ein, daß der Kläger einen Arbeitsunfall erlitten habe, bei dem sie gemäß § 333 ASVG nur für vorsätzlich verursachte Schäden zu haften habe. Der Haftungsausschluß käme im vorliegenden Fall zu tragen, weil Bahn und Post zum Unfallszeitpunkt Unternehmen derselben Rechtsperson, nämlich der Republik Österreich, waren. Für die beklagte Partei bestehe keine Haftpflichtversicherung.

Mit Zwischenurteil bejahte das Erstgericht den Schadenersatzanspruch des Klägers aus dem Unfall vom 30.1.1992 dem Grunde nach.

Das Erstgericht stellte fest, daß für die Österreichischen Bundesbahnen keine Haftpflichtversicherung besteht. Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, daß es im vorliegenden Fall nur einen Unternehmer gäbe, so daß § 333 Abs 3 ASVG zur Anwendung komme. Nach dieser Bestimmung seien die Absätze 1 und 2 des § 333 ASVG nicht anzuwenden, wenn der Arbeitsunfall durch ein Verkehrsmittel eingetreten sei, für dessen Betrieb aufgrund gesetzlicher Vorschriften eine erhöhte Haftpflicht bestehe. Eine derartig erhöhte Haftpflicht bestehe für den Betrieb von Eisenbahnen. § 333 Abs 3 ASVG stelle nur darauf ab, daß für das Verkehrsmittel aufgrund gesetzlicher Vorschrift eine erhöhte Haftpflicht bestehe, daß auch eine entsprechende Haftpflichtversicherung abgeschlossen wurde, sei nicht erforderlich.

Das von der beklagten Partei angerufene Berufungsgericht änderte die Entscheidung im klagsabweisenden Sinne ab.

Das Berufungsgericht schloß sich der Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß zum Zeitpunkt des Unfalls die Republik Österreich einheitlicher Unternehmer der Post und der Bahn war, an. Mit Wirksamkeit vom 1.1.1993 sei den Österreichischen Bundesbahnen eigene Rechtspersönlichkeit zuerkannt worden, bis zu diesem Zeitpunkt seien sie ein Wirtschaftskörper ohne eigene Rechtspersönlichkeit gewesen. Habe ein Unternehmer mehrere Betriebe, so sei trotz der Verschiedenheit der Betriebe der Unternehmer nicht nur in tatsächlicher, sondern auch in rechtlicher Beziehung derselbe. Die Haftungsbeschränkungen des §§ 333 ASVG seien daher anzuwenden. Entgegen der Ansicht des Erstgerichtes vertrat das Berufungsgericht aber die Meinung, daß die erhöhte Haftpflicht davon abhängig sei, daß eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen wurde. Die durch die 48. ASVG-Novelle neu gefaßte Regelung des § 333 ASVG sehe eine weitere Haftung des Dienstgebers nur in jenen Fällen vor, in denen neben der erhöhten Haftung auch die Verpflichtung zum Abschluß einer Haftpflichtversicherung bestehe. Nach der Absicht des Gesetzgebers solle ein ungerechtfertigter Vorteil für die Versicherung aufgrund des Dienstgeberprivilegs vermieden werden, ohne daß eine zusätzliche Belastung des Arbeitgebers mit dieser Novelle verbunden wäre. In die Position des Dienstgebers sei wirtschaftlich nicht eingegriffen worden, die Bestimmung wirke sich nicht nachteilig auf den Etat des Dienstgebers, sondern primär auf die Haftpflichtversicherung aus. § 333 Abs 3 ASVG wolle letztlich nicht den Dienstgeber, sondern den Haftpflichtversicherer mit der Haftung belasten.

Die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt, weil zur Frage der Haftung des Dienstgebers bei Fehlen einer Haftpflichtversicherung keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliege.

Dagegen richtet sich die Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der klagenden Partei keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der klagenden Partei ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Kläger vertritt in seinem Rechtsmittel die Meinung, der Haftungsausschluß nach § 333 ASVG sei schon allein deshalb nicht gegeben, weil die ÖBB bis 1.1.1993 ein eigenständiger Wirtschaftskörper war. Im übrigen stelle § 333 Abs 3 ASVG nicht auf eine Haftpflichtversicherung, sondern auf eine erhöhte Haftpflicht ab. Wenn die beklagte Partei eine Haftpflichtversicherung nicht abgeschlossen habe, so müsse sie eben selbst in Vorlage treten. Eine erhöhte Haftpflicht bestehe aber aufgrund der Bestimmungen des EKHG.

Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden:

Zutreffend haben bereits die Vorinstanzen darauf hingewiesen, daß zum Unfallszeitpunkt die Österreichischen Bundesbahnen ein Wirtschaftskörper ohne eigene Rechtspersönlichkeit waren und einen Zweig der Betriebsverwaltung des Bundes bildeten. Hat aber ein Unternehmer, wie die beklagte Partei, mehrere Betriebe, nämlich die Post- und Telegraphenverwaltung und die Österreichischen Bundesbahnen, so ist trotz der Verschiedenheit der Betriebe der Unternehmer nicht nur in tatsächlicher, sondern auch in rechtlicher Beziehung derselbe (SZ 56/34 mwN). Grundsätzlich kommt daher der beklagten Partei das Haftungsprivileg des § 333 ASVG zugute.

Nach dem durch die 48.ASVG-Novelle, BGBl 1989/642 neu gefaßten § 333 Abs 3 ASVG sind die Bestimmungen der Abs 1 und 2 ASVG (Haftungsprivileg des Arbeitgebers) nicht anzuwenden, wenn der Arbeitsunfall durch ein Verkehrsmittel eingetreten ist, für dessen Betrieb aufgrund gesetzlicher Vorschrift eine erhöhte Haftpflicht besteht. Allerdings haftet der Arbeitgeber - ausgenommen die hier nicht vorliegende vorsätzliche Schädigung - nur bis zur Höhe der aus einer bestehenden Haftpflichtversicherung zur Verfügung stehenden Versicherungssumme. Die Ausnahmebestimmung des § 333 Abs 3 ASVG schafft keinen neuen Haftungsgrund, sondern schließt die Anwendung des Haftungsprivilegs nur für einen gewissen haftpflichtversicherungsrechtlich orientierten Bereich aus. Im Hinblick auf diese haftpflichtversicherungsrechtliche Komponente der Neuregelung und der Absicht des Gesetzgebers, durch diese Regelung den bisherigen Haftungsausschluß der kraftfahrzeughaftpflichtversicherten Arbeitgeber bei Arbeitsunfällen gemäß § 175 ASVG, insbesondere Verkehrsunfällen, die ein Arbeitnehmer in einem der Allgemeinheit nicht zugänglichen Fahrzeug des Arbeitgebers erleidet, zu beseitigen (vgl RV 1098 BlgNR 17.GP, 16) umfaßt die Ausnahmeregelung des § 333 Abs 3 ASVG sämtliche durch einen Haftpflichtversicherer gedeckten Personenschäden (DRdA 1994/11 und 27). Wenngleich der klagenden Partei zuzustimmen ist, daß § 333 Abs 3 Satz 1 ASVG nur darauf abstellt, ob für das Verkehrsmittel aufgrund gesetzlicher Vorschrift eine erhöhte Haftpflicht besteht, setzt die Haftungsbegrenzung des Satzes 2 dieser Bestimmung "bis zur Höhe der aus einer bestehenden Haftpflichtversicherung zur Verfügung stehenden Versicherungssumme" notwendig voraus, daß die Versicherung überhaupt einzutreten hat. Der Dienstgeber haftet also nur dann und insoweit, als eine Haftpflichtversicherung besteht, er ist also im Ergebnis durch die Aufhebung seines Haftungsprivilegs durch § 333 Abs 3 ASVG nicht belastet (siehe auch Mazal, Schmerzengeld für Dienstnehmer trotz Haftungsprivileg, ecolex 1990, 302; Krejci in Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts, Rz 3.3.2.3.2).

Im vorliegenden Fall ist unstrittig, daß für den Betrieb der Eisenbahn wohl eine erhöhte Haftpflicht besteht, daß aber die beklagte Partei nicht zum Abschluß einer Haftpflichtversicherung verpflichtet war und daß die Österreichischen Bundesbahnen auch keine solche abgeschlossen haben. Daraus folgt, daß - vorsätzliche Schadenszufügung kommt nicht in Betracht - der beklagten Partei das Haftungsprivileg des § 333 Abs 1 ASVG zugute kommt, so daß der Anspruch des Klägers unberechtigt ist.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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