OGH 2Ob67/94

OGH2Ob67/9413.10.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Srdjan A*****, vertreten durch Dr.Thomas Wanek und Dr.Helmut Hoberger, Rechtsanwälte in Perchtoldsdorf, wider die beklagte Partei ***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr.Josef Krist, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 50.596,80 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 25.April 1994, GZ 40 R 156/94-33, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Liesing vom 2.Dezember 1993, GZ 3 C 6/93w-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung

Der Kläger begehrt von Mato K***** - ihm konnte die Klage nicht zugestellt werden - und von der beklagten Partei als Haftpflichtversicherer des LKW MAN, Kennzeichen *****, die Zahlung von S 50.596,80 mit der Begründung, durch das Alleinverschulden des Mato K***** sei ihm ein Schaden in dieser Höhe entstanden. K***** habe am 22.4.1981 eine Stop-Tafel mißachtet und sei mit dem ihm entgegenkommenden einbiegenden PKW des Klägers zusammengestoßen.

Die Beklagte bestritt und wendete unter anderem ein, der Schaden am Klagsfahrzeug stamme nicht von dem vom Kläger behaupteten Unfall, weil das Schadensbild an beiden Fahrzeugen nicht übereinstimme. K***** habe das Fahrzeug des Klägers absichtlich beschädigt, der Kläger sei mit der Schadensherbeiführung einverstanden gewesen. Zufolge Vorliegens einer (vorsätzlichen) strafbaren Handlung sei die beklagte Partei leistungsfrei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es davon ausging, es könne nicht festgestellt werden, daß sich am 22.4.1991 der vom Kläger behauptete Verkehrsunfall ereignet habe.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die ordentliche Revision unzulässig sei.

Das Berufungsgericht ließ die Beweisrüge unerledigt und vertrat die Ansicht, daß schon nach den Behauptungen des Klägers selbst diesem das Alleinverschulden anzulasten sei. Nach dem Vorbringen des Klägers sei es nämlich zur Kollision in der Weise gekommen, daß das nach links abbiegende Klagsfahrzeug mit dem geradeaus fahrenden, bei der zweitbeklagten Partei versicherten LKW, dessen Lenker ein Verkehrszeichen nach § 52 Z 24 StVO zu beachten hatte, kollidiert sei. Daraus ergebe sich aber, daß der Kläger gegen § 19 Abs 5 StVO verstoßen habe, da Fahrzeuge, die ihre Fahrtrichtung beibehalten, den Vorrang gegenüber entgegenkommenden, nach links einbiegenden Fahrzeugen haben. Der Grundsatz, daß das Verkehrszeichen "Vorrang geben" - von der Ausnahme einer Zusatztafel, die den besonderen Verlauf einer Straße mit Vorrang darstellt, abgesehen - nur für den Querverkehr, nicht aber für den entgegenkommenden, nach links abbiegenden Verkehr gelte, sei auch auf das Verkehrszeichen "Halt" anzuwenden. Einen besonderen Verlauf einer Vorrangstraße habe der Kläger gar nicht behauptet. Daraus folge, daß schon allein nach den Klagsbehauptungen den Kläger das Alleinverschulden am Unfall treffe und er daher keine Forderung geltend machen könne.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde.

Die beklagte Partei hat in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt, die Revision des Klägers abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zulässig, weil das Berufungsgericht - wie im folgenden noch darzulegen sein wird - von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist; sie ist im Sinne ihres im Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrag auch berechtigt.

Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung macht der Kläger geltend, das Vorschriftszeichen "Halt" nach § 52 lit c Z 24 StVO ordne an, daß vor einer Kreuzung anzuhalten sei. Dieses Gebot werde im letzten Satz des § 19 Abs 4 StVO wiederholt. § 19 Abs 5 StVO normiere, daß Fahrzeuge, die ihre Fahrtrichtung beibehalten, den Vorrang gegenüber entgegenkommenden, nach links abbiegenden Fahrzeugen haben, soferne sich aus Abs 4 nichts anderes ergebe. Letztere Norm befehle jedoch, wie ausgeführt, beim Vorschriftszeichen "Halt" anzuhalten, so daß der letzte Satz des § 19 Abs 4 StVO sich als Ausnahme zu § 19 Abs 5 darstelle. Gemäß § 3 StVO habe der Kläger darauf vertrauen dürfen, daß der Lenker des bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten LKW das Vorschriftszeichen "Halt" befolgen werde.

Dem kann nicht gefolgt werden:

Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, gibt das Verkehrszeichen "Vorrang geben", soferne nicht auf einer Zusatztafel der besondere Verlauf einer Straße mit Vorrang dargestellt wird, nur dem Querverkehr den Vorrang, nicht aber auch dem entgegenkommenden, nach links einbiegenden Verkehr (ZVR 1973/58; ZVR 1974/258; ZVR 1979/12 ua). Dieser Grundsatz gilt aber nicht nur für das Verkehrszeichen "Vorrang geben", sondern ist auch auf das Verkehrszeichen "Halt" anzuwenden (ZVR 1981/204; 9 Ob A 252,1013/90). Insoweit ist daher die rechtliche Beurteilung durch das Berufungsgericht zutreffend.

Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit rügt der Kläger, daß das Berufungsgericht die Klage wegen Unschlüssigkeit erst nach Aufforderung zur Verbesserung abweisen hätte dürfen. Gemäß § 182 ZPO hätte ihm die Möglichkeit eingeräumt werden müssen, die ergänzende Behauptung aufzustellen, daß an der Unfallskreuzung bei dem für das Beklagtenfahrzeug gültigen Vorschriftszeichen "Halt" auf einer Zusatztafel ein besonderer Verlauf einer Straße mit Vorrang dargestellt sei, nämlich jener Verlauf, dem der Kläger beim Abbiegen nach links gefolgt sei.

Diese Ausführungen sind grundsätzlich zutreffend:

Aus den schon oben dargelegten Gründen ist die Klage an sich unschlüssig, weil die vom Kläger begehrte Rechtsfolge aus dem von ihm behaupteten Sachverhalt nicht abgeleitet werden kann. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes darf aber ein unschlüssiges Klagebegehren erst nach vorangegangener, erfolglos gebliebener richterlicher Anhaltung zur Verdeutlichung und Ergänzung des Sachverhaltes abgewiesen werden (JBl 1972, 480; 1993, 595 uva). Im vorliegenden Fall wurden im erstinstanzlichen Verfahren die Frage der Schlüssigkeit der Klagserzählung nicht weiter erörtert, das Klagebegehren wurde deshalb abgewiesen, weil nicht festgestellt werden konnte, daß der vom Kläger behauptete Verkehrsunfall überhaupt stattgefunden hat. Wenn nun das Berufungsgericht das Klagebegehren abgewiesen hat, ohne der klagenden Partei die Möglichkeit zu geben, ergänzende Tatsachenbehauptungen aufzustellen, um die Schlüssigkeit der Klage zu begründen (Vorhandensein einer Zusatztafel über den besonderen Verlauf der Vorrangstraße), dann hat es gegen die Prozeßleitungspflicht des § 182 ZPO verstoßen und damit auch eine wesentliche Frage des Prozeßrechts (Voraussetzungen der Klagsabweisung wegen Unschlüssigkeit) unrichtig gelöst.

Im fortgesetzten Verfahren wird sich daher das Berufungsgericht mit der Beweisrüge des Klägers auseinanderzusetzen haben. Sollte diese berechtigt sein und sich (nach Beweiswiederholung) ergeben, daß der vom Kläger behauptete Unfall tatsächlich stattgefunden hat, wird die angefochtene Entscheidung aufzuheben und der Sachverhalt (allenfalls durch das Erstgericht; siehe SZ 59/134) weiter zu erörtern sein.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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