OGH 6Ob558/94

OGH6Ob558/9422.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Redl, Dr.Kellner, Dr.Schiemer und Dr.Gerstenecker als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Marc Anton T*****, vertreten durch Dr.Helmut Klement und Dr.Annemarie Stipanitz-Schreiner, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Maria P*****, vertreten durch Dr.Heinz Dieter Flesch, Rechtsanwalt in Voitsberg, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 13 Cg 20/92 des Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz (Streitwert 143.021,12 S sA) infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 18. Februar 1994, GZ 5 R 227/93-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 25.Mai 1993, GZ 13 Cg 38/93h-8, aufgehoben und die Klage als zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung ungeeignet zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.058,88 S bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung (darin 676,48 S USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der am 16.November 1974 geborene - somit am 16.November 1993 volljährig gewordene - Kläger ist als ae. Sohn und rechtskräftig eingeantworteter gesetzlicher Alleinerbe Gesamtrechtnachfolger, die Beklagte die ehemalige Lebensgefährtin des am 20.August 1990 verstorbenen Anton D***** (im folgenden Erblasser). Im Verfahren AZ 13 Cg 20/92 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz (im folgenden Vorverfahren) begehrte die nunmehrige Beklagte vom nunmehrigen Wiederaufnahmskläger die Zahlung von 143.021,12 S sA aus dem Rechtsgrund einer behaupteten Forderung gegenüber dem Erblasser laut Vereinbarung vom 5.Dezember 1968 von S 100.000 einschließlich Wertsicherung. Nach Schluß der Verhandlung am 13.Oktober 1992 gab das Prozeßgericht mit Urteil vom 3.Dezember 1992 dem Klagebegehren statt, wobei es eine behauptete Zahlung des Betrages von 100.000 S durch den Erblasser an die Beklagte nicht als erwiesen annahm. Das Berufungsgericht wurde mit Beschluß vom 9.Februar 1993 gemäß § 544 Abs 1 ZPO unterbrochen.

Mit seiner pflegschaftsbehördlich genehmigten Klage begehrt der Kläger die Wiederaufnahme des Vorverfahrens, die Beseitigung des Urteiles vom 3.Dezember 1992 und die kostenpflichtige Abweisung des im Vorverfahren gestellten Klagebegehrens mit dem wesentlichen Vorbringen, er habe am 17.Jänner 1993, somit etwa drei Monate nach Schluß der mündlichen Verhandlung im Vorverfahren, zufällig Eva K***** getroffen, die ihm gegenüber erklärt habe, sie könne sich an ein Gespräch in den Siebzigerjahren erinnern, bei dem die Beklagte erklärt habe, von ihrem ehemaligen Lebensgefährten 100.000 S erhalten zu haben. Eva K***** habe weiters erklärt, "warum habt ihr mich nicht als Zeugin geführt." Aufgrund dieses neu aufgefundenen Beweismittels wäre dem Kläger nun der Beweis möglich, daß die Forderung der Beklagten bereits zur Gänze durch Zahlung getilgt sei. Nach der Klage beigeschlossenen eidesstättigen Erklärung war auch die Mutter des Klägers Zeuge des Gespräches in den Siebzigerjahren.

Die Beklagte wendet ein, daß die Mutter und (damalige) gesetzliche Vertreterin des Klägers schon im Vorverfahren die Möglichkeit gehabt habe, dieses Beweismittel geltend zu machen, weil sie bei dem Gespräch in den Siebzigerjahren anwesend gewesen sei.

Das Erstgericht setzte den Streitwert gemäß § 7 RATG mit 50.000 S fest - wiewohl bei Wiederaufnahmsklagen der Streitgegenstand denknotwendig derselbe wie im Hauptverfahren ist (EvBl 1992/95; SZ 10/350; 1 Ob 531/90 ua) ist - und wies nach Vernehmung der Zeugin Eva K***** das Klagebegehren mit Urteil ab. Es stellte fest, in den Siebzigerjahren habe vor einem näher bezeichneten Kaufhaus die Beklagte in Gegenwart des Klägers und seiner Mutter erwähnt, daß sie vom Erblasser 100.000 S für den Hausbau erhalten habe. Rechtlich folgerte das Erstgericht, die Mutter und damalige gesetzliche Vertreterin des Klägers sei beim maßgeblichen Gespräch in den Siebzigerjahren anwesend gewesen und habe somit Kenntnis von diesem gehabt. Es wäre ihr bei Anwendung ordnungsgemäßer Aufmerksamkeit leicht möglich gewesen, die Vernehmung der Zeugin Eva K***** im Vorverfahren zu beantragen.

Aus Anlaß der Berufung des Klägers hob das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichtes auf und wies die Klage zurück, weil der Kläger nicht einmal behaupte, ohne sein Verschulden außerstande gewesen zu sein, die Zeugin Eva K***** im Vorverfahren zu beantragen. Dies sei umso naheliegender gewesen, als nach den Klagsbehauptungen die Zeugin beim Gespräch am 17.Jänner 1993 mit dem Vorhalt reagiert habe, "Warum habt ihr mich nicht als Zeugin geführt?" Die fehlende Behauptung eines mangelnden Verschuldens stelle einen nicht verbesserbaren Inhaltsmangel dar. Schon nach den Angaben in der Klage sei die Wiederaufnahmsklage zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung nicht geeignet; dieser Umstand sei auch noch vom Rechtsmittelgericht aufzugreifen, das angefochtene Urteil aufzuheben und der Zurückweisungsbeschluß an die Stelle des Urteils zu setzen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Klägers ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO ungeachtet der in §§ 502 Abs 1, 528 Abs 1 und 2 Z 1 ZPO verfügten Beschränkungen zulässig (4 Ob 505/91; vgl auch JBl 1992, 331 mit Anm von Pfersmann = EvBl 1992/8; ZVR 1992/26; NRsp 1991/242 ua), aber nicht berechtigt.

Gemäß § 538 Abs 1 ZPO hat das Gericht vor Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung (hier: über die Wiederaufnahmsklage) zu prüfen, ob die Klage auf einen der gesetzlichen Anfechtungsgründe (§§ 529 bis 531 ZPO) gestützt und in der gesetzlichen Frist erhoben worden ist. Mangelt es an einem dieser Erfordnisse oder ist die Klage wegen eines der im § 230 Abs 2 ZPO angeführten Gründe unzulässig, so ist sie als zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung ungeeignet zurückzuweisen. Diese Prüfung vereinigt in sich die Funktion der Zulässigkeitsprüfung nach § 230 ZPO mit Elementen der Vorprüfung im Rechtsmittelverfahren iS des § 471 ZPO (EvBl 1992/77 = JBl 1993, 126; 6 Ob 593/92; Fasching IV 540 und Lehrbuch2 Rz 2084).

Nach § 530 Abs 2 ZPO ist eine auf § 530 Abs 1 Z 7 ZPO (hier: Kenntnis

eines neuen Beweismittels) gestützte Wiederaufnahmsklage nur dann

zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, die

neuen ... Beweismittel vor Schluß der mündlichen Verhandlung, auf

welche das Urteil erster Instanz erging, geltend zu machen. Die

Wiederaufnahmsklage ist nicht dazu bestimmt, von den Parteien

begangene Fehler ihrer Prozeßführung zu beheben (SZ 59/14 = EvBl

1986/122 = RdW 1986, 145; JBl 1976, 43; 6 Ob 593/92 ua; Fasching

Lehrbuch2 Rz 2067). Ein Verschulden iS des § 530 Abs 2 ZPO liegt vor,

wenn die Partei im Hauptprozeß Zeugen zu führen unterläßt, von denen

sie voraussetzen mußte, daß ihnen die zu erweisenden Tatsachen

bekannt sind (8 Ob 631/86 = MietSlg 39.795; 2 Ob 674/87 ua; Fasching

IV 518 f) und damit die prozessuale Diligenzpflicht verletzt. Das

Fehlen der Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Wiederaufnahmsklage

ist in jeder Lage des Verfahrens auch von Amts wegen wahrzunehmen

(EvBl 1972/78; 1 Ob 512/92 ua) einschließlich eines Verschuldens des

Wiederaufnahmsklägers im dargestellten Sinn (MietSlg 39.795; 1 Ob

512/92). Für fehlendes Verschulden ist der Wiederaufnahmskläger

behauptungs- und beweispflichtig (1 Ob 512/92). Kommt der

Wiederaufnahmskläger dieser Pflicht (schon in der Klage) nicht nach,

so ist seine Klage gemäß § 538 Abs 1 ZPO durch Beschluß

zurückzuweisen (EvBl 1972/78; 1 Ob 512/92, 8 Ob 565/92; Fasching IV

520 mwN).

Im sogenannten Vorprüfungsverfahren ist in aller Regel nicht darüber zu entscheiden, ob der Wiederaufnahmskläger ohne sein Verschulden außerstande war, Beweismittel im Vorverfahren zu verwenden (EvBl 1992/77; SZ 51/165; JBl 1979, 268; Fasching IV 541); nur ausnahmsweise ist dies möglich, wenn sich das Verschulden an der Verspätung schon aus den - als richtig angenommenen - Klagsangaben ergibt (EvBl 1992/77; JBl 1979, 268; 6 Ob 593/92 ua) oder wenn - wie hier - in der Klage jede Behauptung fehlt, daß die Verwendung des als Wiederaufnahmsgrund angeführten neuen Beweismittels im Vorverfahren ohne Verschulden unmöglich war (JBl 1979, 268; 6 Ob 593/92; 1 Ob 512/92 ua; Fasching IV 520).

Daß der Kläger bei vom von ihm als relevant erachteten Gespräch zwischen der beklagten und der Zeugin Eva K***** in den Siebzigerjahren erst einige Jahre alt war, ist bedeutungslos, weil seine Mutter und damalige gesetzliche Vertreterin am Gespräch teilgenommen hat, somit vom Inhalt Kenntnis hatte und deshalb durch ihr Vergessen ein Verschulden iS des § 530 Abs 2 ZPO hat, das sich der bei Klagseinbringung noch nicht volljährige Kläger nach § 39 ZPO zurechnen lassen muß. Auch sonst hat ein Minderjähriger bei Vertretungshandlungen seines gesetzlichen Vertreters ein diesem anzulastendes Verschulden zu vertreten (SZ 58/105, SZ 48/109 = ZVR 1976/318 ua; Reischauer in Rummel2, Rz 21 zu § 1313 a ABGB mwN; Koziol, Haftpflichtrecht2 I 251 ff). § 34 zweiter Satz ZPO betrifft nur Wissenserklärungen und das Tatsachenvorbringen des Prozeßbevollmächtigten und ist hier unwendbar. Nach ständiger Rechtsprechung ist das Vergessen von Tatsachen, die von einer Partei für so bedeutsam gehalten werden, daß sie ihre Wiederaufnahmsklage darauf stützt, regelmäßig auf die Unterlassung der nach § 1297 ABGB vermuteten Aufmerksamkeit zurückzuführen (SZ 54/191; 8 Ob 558/82 ua). Nicht jedes Vergessen wird als Verschulden gewertet, es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles an (SZ 54/191 mwN); hohes Alter, krankhafte Beeinträchtigung der Merkfähigkeit der Partei oder eine lange zurückliegende Tatsache in Verbindung mit den vorher genannten Merkmalen können (nur) in besonderen Ausnahmefällen ein Verschulden ausschließen und die Wiederaufnahme rechtfertigen (EvBl 1958/27; 8 Ob 558/82 ua). Solche Umstände hat der Kläger indes hier nicht vorgetragen.

Demgemäß hat die zweite Instanz die Wiederaufnahmsklage zu Recht a limine zurückgewiesen. Die Kostenentscheidung fußt auf §§ 41, 50 ZPO.

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