OGH 12Os104/94

OGH12Os104/9422.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 22.September 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut, Dr. Schindler, Dr. Adamovic und Dr. Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Reinhart als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Johann H* wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Leoben vom 1. Juni 1994, GZ 11 Vr 1238/93‑64, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Weiss, und der Verteidigerin Dr.Mühl, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0120OS00104.9400000.0922.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO hat der Angeklagte auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen.

 

 

Gründe:

 

 

Rechtliche Beurteilung

Johann H* wurde auf Grund des Wahrspruchs der Geschworenen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt, weil er am 9. Oktober 1993 in Leoben den zwölfjährigen Hauptschüler Christian K* durch zwei Messerstiche in den Hals vorsätzlich tötete.

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer formell auf den (hier verfehlt herangezogenen, weil ausschließlich auf das Verfahren vor dem Schöffengericht anzuwendenden) Nichtigkeitsgrund der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO, der Sache nach aber auf die Z 6 des § 345 Abs 1 StPO (Mayerhofer‑Rieder StPO3 ENr 5 zu § 345 Abs 1 Z 5) gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, den Strafausspruch überdies mit Berufung.

Der Nichtigkeitsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Dem Beschwerdestandpunkt zuwider bedeutete es keine Verletzung (Z 6) der Vorschrift des § 314 StPO, daß das Fragenschema keine Eventualfrage (zur anklagekonformen Hauptfrage nach Mord) in Richtung Totschlag nach § 76 StGB aufwies.

Der vom Strafgesetzbuch als Totschlag bezeichnete privilegierte Fall einer vorsätzlichen Tötung ist dann gegeben, wenn sich der Täter in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lässt, einen anderen zu töten (§ 76 StGB). Allgemein begreiflich ist eine heftige Gemütsbewegung dann, wenn das Verhältnis zwischen dem sie herbeiführenden Anlaß und dem eingetretenen psychischen Ausnahmezustand allgemein verständlich ist, d.h., wenn ein Mensch von durchschnittlicher Rechtstreue sich vorstellen kann, auch er wäre unter den gegebenen Umständen in eine solche Gemütsbewegung geraten. Ob eine heftige Gemütsbewegung allgemein begreiflich ist, kann hiebei nur nach einem objektiv‑normativen Maßstab beurteilt werden, wobei jedoch alle konkreten Tatumstände und psychologischen Zusammenhänge zu berücksichtigen sind (individualisierter objektiver Maßstab). Die Ursache der Gemütsbewegung muß sittlich verständlich sein; nur dann, wenn dem Täter kein sittlicher Vorwurf gemacht werden kann, daß er in den Ausnahmezustand geraten ist, kann gesagt werden, daß die Gemütsbewegung allgemein begreiflich ist. Daher ist eine nur aus einer abnormen charakterlichen Beschaffenheit des Täters resultierende heftige Gemütsbewegung nicht allgemein begreiflich. Gleichfalls schließen Stimmungslabilität, leichte Erregbarkeit, mangelnde Beherrschung, gesteigerte Aggressivität sowie verwerfliche Leidenschaften oder Neigungen als Ursache der Gemütsbewegung die Unterstellung der Tat unter § 76 StGB aus (Leukauf‑Steininger Komm3, RN 11 und 12 zu § 76 StGB).

Im vorliegenden Fall hat der Angeklagte das Kind unter einem Vorwand in ein Waldstück gelockt, um es dort sexuell zu mißbrauchen. Nach seiner Verantwortung (17, 19, 71 I; 83 bis 89 II) geriet er in Panik, als sich der ihm körperlich weit unterlegene Knabe seiner sexuellen Annäherung widersetzte, um Hilfe zu schreien begann und seinen Widerstand auch nach wiederholten heftigen Würgeattacken des Angeklagten fortsetzte. Aus Angst vor Entdeckung seines Verhaltens und der aus diesem Grunde zu erwartenden (neuerlichen) Haftstrafe führte er in der weiteren Folge mit Tötungsvorsatz unter Verwendung des Fahrtenmessers des Kindes die beiden tödlichen Stiche gegen dessen Hals.

Weder die Angst vor der Entdeckung der vorangegangenen (versuchten) Unzuchtshandlungen noch die in der abartigen (pädophile, aggressive und sadistische Züge aufweisenden ‑ vgl Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen 145 II) Charakterstruktur des Angeklagten begründete, aus der Gegenwehr des Kindes resultierende Verletzung seines Selbstwertgefühles (vgl dazu die Gutachten 139 II und 149 II), ist aber unter Anlegung eines objektiv‑normativen Maßstabes ein allgemein begreiflicher Anlaß für das Entstehen einer heftigen Gemütsbewegung. Davon ausgehend blieb aber für eine Tatbeurteilung nach § 76 StGB bei richtiger Gesetzesauslegung, die allein dem Gerichtshof obliegt (Mayerhofer‑Rieder StPO3 § 314 ENr 36, 37 und 38) und eine in diese Richtung gestellte Eventualfrage vorweg kein Raum, und zwar auch unter Berücksichtigung dessen, daß der Angeklagte sich nach dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Dr. Wagner (141 II) im Zeitpunkt der Führung der beiden inkriminierten Messerstiche gegen sein Opfer in einer heftigen Gemütsbewegung befand.

Der unbegründeten Nichtigkeitsbeschwerde war daher ein Erfolg zu versagen.

Das Geschworenengericht verurteilte den Angeklagten zu lebenslanger Freiheitsstrafe und wies ihn gemäß § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ein. Es wertete bei der Strafbemessung den wesentlichen Beitrag des Angeklagten zur Wahrheitsfindung als mildernd, dagegen mehrere massive einschlägige Vorstrafen, die durch die körperliche Überlegenheit des Täters bedingte Wehrlosigkeit des Opfers und die besonders grausame und für das Opfer qualvolle Tatbegehung als erschwerend.

Die eine Strafherabsetzung anstrebende Berufung des Angeklagten ist nicht berechtigt.

Das Erstgericht hat die Strafzumessungsgründe nicht nur vollständig, sondern auch ihrem Gewicht nach zutreffend gewürdigt. Soweit der Berufungsantrag auf die Milderungsgründe des reumütigen Geständnisses, den Beitrag des Beschwerdeführers zur Wahrheitsfindung und seine Selbststellung gestützt wird, werden keine für die angestrebte Strafkorrektur hinreichenden Grundlagen aufgezeigt. Der Beitrag zur Wahrheitsfindung wurde vom Erstgericht ‑ wie erwähnt ‑ ohnehin berücksichtigt, das Zugeben (wie hier) bloß detailliert geschilderter Tatsachen ohne Eingeständnis der subjektiven Merkmale des Mordes hingegen wirkt nicht mildernd. Von einer Selbststellung des Beschwerdeführers, der wegen der gegen ihn bestehenden Verdachtslage bereits von der Gendarmerie observiert und vernommen worden war, im Sinne des § 34 Z 16 StGB kann keine Rede sein (121 I). Da sowohl das Tatunrecht als auch die hier aktuelle Täterschuld dem Extrembereich (selbst) kapitaler Delinquenz zuzuordnen sind, trägt die verhängte Freiheitsstrafe den konkreten Straferfordernissen, insbesondere auch der im Tatverhalten zum Ausdruck kommenden Bereitschaft des Angeklagten zu exzessiver Brutalität, in angemessener Weise Rechnung.

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.

 

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