OGH 10ObS198/94

OGH10ObS198/9420.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Josef Fellner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr.Renate Klenner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Annemarie K*****, ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr.Robert Obermann, Rechtsanwalt in Kapfenberg, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, wegen Feststellung der Berufsunfähigkeit und Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5.Mai 1994, GZ 8 Rs 17/94-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 6.Oktober 1993, GZ 21 Cgs 248/92-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 5.11.1992 wies die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 13.7.1992 auf Berufsunfähigkeitspension ab, weil sie nicht berufsunfähig iS des § 273 Abs 1 ASVG sei.

Das Erstgericht wies das auf Feststellung der Berufsunfähigkeit und Leistung der Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.8.1992 gerichtete Klagebegehren ab.

Nach seinen wesentlichen Tatsachenfeststellungen absolvierte die am 19.6.1968 geborene Klägerin vom 2.7.1984 bis 9.8.1986 die ersten beiden Jahre einer Einzelhandelskaufmannslehre. Dann erlitt sie einen Unfall. Seither ist sie nicht mehr berufstätig. Infolge ihres genau festgestellten körperlichen und geistigen Zustandes kann sie seit der Antragstellung nur mehr leichte Arbeiten leisten. Arbeiten im Sitzen und Stehen sind während der gesamten Arbeitszeit möglich, doch sollte nach einer Stunde ununterbrochenen Stehens etwa zehn Minuten eine andere Arbeitshaltung eingehalten werden. Arbeiten im Gehen sind gleichmäßig verteilt nur während zwei Dritteln des Arbeitstages möglich, solche in gebückter Körperhaltung gleichmäßig verteilt nur während der halben Arbeitszeit. Arbeiten in hockender oder knieender Stellung oder auf Leitern und Gerüsten sind nicht zumutbar. Die Klägerin kann mit der linken Hand keine Feinarbeiten durchführen. Maschinschreibarbeiten sind gleichmäßig verteilt nur während zwei Dritteln der Arbeitszeit möglich. Die Klägerin kann die Arbeitsstelle unter allen Witterungsverhältnissen erreichen. Sie ist verweisbar, wobei auch höhere Anforderungen an die Denkleistung gestellt werden können, und kann auch Akkordarbeiten verrichten. Tages- und Wochenpendeln sowie eine Wohnsitzverlegung sind ihr (aus gesundheitlicher Sicht) zumutbar. Pro Jahr sind Krankenstände bis zu vier Wochen hochwahrscheinlich.

Nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes müsse sich die Klägerin, weil sie die Einzelhandelskaufmannslehre nicht abgeschlossen habe, auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisen lassen. Da es dort viele Tätigkeiten gebe, die ihrer Arbeitsfähigkeit entsprächen, sei sie nicht berufsunfähig iS des § 273 Abs 1 ASVG.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge.

Die Mängelrüge sei nicht gesetzgemäß ausgeführt, die Beweisrüge, soweit sie überhaupt entsprechend ausgeführt worden sei, unbegründet, die Rechtsrüge im Ergebnis nicht berechtigt.

Das Feststellungsbegehren sei schon wegen eines mangelnden Feststellungsinteresses zu Recht abgewiesen worden.

Da die Klägerin den Berufsschutz als Angestellte iS des § 273 Abs 1 ASVG genieße, müsse sie sich nicht auf den gesamten Arbeitsmarkt verweisen lassen. Andererseits sei aber auch der Beruf eines Einzelhandelskaufmannes noch nicht der Maßstab des Verweisungsfeldes, weil sie diesen nicht ausgelernt habe. Während der beiden Lehrjahre könne sie kaum mehr als jenes Mindestmaß an Kenntnissen und Fähigkeiten erworben haben, das für eine Angestelltentätigkeit gerade noch ausreiche. Deshalb werde das Verweisungsfeld von den Angestelltenberufen mit den geringsten Ausbildungsanforderungen bestimmt. Dabei handle es sich um Bürohilfskräfte, die im Postein- und auslauf oder mit Kanzleihilfstätigkeiten (Sortieren, Ergänzen, Einordnen von Unterlagen, Kopiertätigkeiten und kleineren schriftlichen Arbeiten) beschäftigt würden. Das Anforderungsprofil dieser Tätigkeiten sei gerichtsbekannt und entspreche der Arbeitsfähigkeit der Klägerin. Allgemein bekannt sei, daß es eine so große Zahl entsprechender Arbeitsplätze gibt, daß von einem Arbeitsmarkt gesprochen werden könne. Wegen dieser Verweisungsmöglichkeiten gelte die Klägerin nicht als berufsunfähig iS des § 273 Abs 1 ASVG.

In der Revision macht die Klägerin Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Sie beantragt, die Urteile der Vorinstanzen im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder sie allenfalls aufzuheben.

Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 3 ASGG zulässige Revision ist nicht berechtigt.

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit (§ 503 Z 2 ZPO) liegt nicht vor. Die Anforderungen in den vom Berufungsgericht genannten Verweisungsberufen sind nicht nur gerichtskundig, sondern allgemeinkundig. Es handelt sich nämlich um in ganz Österreich verbreitete Berufe, die allen Menschen bekannt sein können, die in Ämtern oder Betrieben mit solchen Angestellten zusammenarbeiten oder sie während des Parteien- oder Kundenverkehrs bei der Arbeit sehen können. Da diese Tatsachen und ihre Offenkundigkeit nicht zweifelhaft sind, mußte das Berufungsgericht diese Fragen nicht mit den Parteien erörtern, sondern durfte sie seiner Entscheidung auch ohne Erörterung von Amts wegen zugrunde legen (SSV-NF 6/87 unter Bezugnahme auf Fasching, ZPR2 Rz 852 f). Das Berufungsgericht ist daher zutreffend davon ausgegangen, daß die Arbeitsfähigkeit der Klägerin für die von ihm genannten, auf dem Arbeitsmarkt in ausreichender Zahl gefragten einfachen Büroangestelltentätigkeiten ausreicht. Soweit die Rechtsrüge nicht von diesen Tatsachengrundlagen ausgeht, ist sie nicht gesetzgemäß ausgeführt. Der Versuch, diese Tatsachengrundlagen zu bestreiten, scheitert an der abschließenden Aufzählung der zulässigen Revisionsgründe im § 503 ZPO.

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes, daß die Klägerin nicht als berufsunfähig iS des § 273 Abs 1 ASVG gilt, ist richtig. Ihre Arbeitsfähigkeit ist infolge ihres körperlichen und geistigen Zustandes nicht auf weniger als die Hälfte derjenigen einer körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken. Die Klägerin, deren kaufmännische Ausbildung, Kenntnisse und Fähigkeiten sich auf zwei Lehrjahre im Lehrberuf Einzelhandelskaufmann beschränken, kann noch eine Reihe von einfachen Angestelltentätigkeiten verrichten, für die diese Voraussetzungen ausreichen (vgl SSV-NF 6/87; 7/44 ua). Mangels Berufsunfähigkeit hat die Klägerin weder Anspruch auf eine diesbezügliche positive Feststellung noch auf eine Berufsunfähigkeitspension (§ 271 Abs 1 ASVG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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