OGH 8ObS15/94

OGH8ObS15/9415.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter D.I.Holzer und Hofrat List als Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Sylvia S*****, Angestellte, *****, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wider die beklagte Partei Arbeitsamt Leoben, dieses vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen Insolvenzausfallgeld (Revisionsinteresse 111.860,-- S netto), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5.Mai 1994, GZ 8 Rs 12/94-24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 14.September 1993, GZ 21 Cgs 80/93-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Klagebegehren - dessen Stattgebung hinsichtlich eines Teilbetrages von 8.604,67 S netto in Rechtskraft erwachen ist - hinsichtlich des Restbetrages von 111.860,-- S netto abgewiesen wird.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 1.5.1974 bis zum 30.4.1989 als Gesellschafterin nach bürgerlichem Recht im Unternehmen ihres Ehegatten mit einem Unternehmensanteil von 25 % beteiligt. Sie hat ihre Gewerbeberechtigung dem Unternehmen zur Verfügung gestellt und arbeitete ständig im Betrieb mit. Zufolge einer Ehekrise wollte die Klägerin nicht mehr weiter das Unternehmensrisiko (mit-)tragen und übertrug mit Notariatsakt vom 11.4.1989 ihrem Ehegatten den Unternehmensanteil. Sie war sodann aufgrund des Dienstvertrages vom 11.4.1989 mit Wirkung vom 1.5.1989 als angestellte Geschäftsführerin tätig. In diesem Dienstvertrag wurde ihr eine Vordienstzeit von 15 Jahren, entsprechend dem Zeitraum vom 1.5.1974 bis 30.4.1989, angerechnet. Mitte 1990 kam es zu finanziellen Problemen im Unternehmen, ab Juni 1990 erhielt die Klägerin ihr Gehalt nur mehr unvollständig ausbezahlt. Im Herbst 1990 trennte sich die Klägerin von ihrem Ehegatten. Mit Ende 1990 wurde das Arbeitsverhältnis der Klägerin beendet. Mit Beschluß des KG Leoben vom 15.5.1991, S 29/91, wurde über das Vermögen des (früheren) Arbeitgebers der Klägerin das Konkursverfahren eröffnet. Mit Bescheid vom 23.10.1991 hat die beklagte Partei den Antrag der Klägerin auf Insolvenzausfallgeld von 120.464,67 S, nämlich Abfertigung von 111.860,-- S und Urlaubsentschädigung von 8.604,67 S, abgelehnt.

Die Klägerin begehrt - nur dies ist für das Revisionsverfahren noch erheblich - eine Abfertigung im Betrage von 111.860,-- S netto, berechnet auf der Grundlage der angerechneten Vordienstzeit als Gesellschafterin nach bürgerlichem Recht. Die geforderte Urlaubsentschädigung wurde der Klägerin mit Teilurteil vom 4.3.1993 (ON 10) zugesprochen.

Das Erstgericht gab auch dem Klagebegehren hinsichtlich der Abfertigungsforderung statt und führte zur Begründung aus: Es bestehe kein Anhaltspunkt für die Annahme, die Anrechnung der Vordienstzeiten im Dienstvertrag vom 11.4.1989 sei erfolgt, um den Insolvenzausfallgeldfonds zu schädigen. Der ein Jahr zuvor zustandegekommene und am 13.4.1988 nach Erfüllung aufgehobene Ausgleich über das Vermögen der Ehegatten, die Ehekrise und eine Neigung des Ehegatten zum Alkohol hätten die Klägerin bewegt, auf eine sozialversicherungsrechtliche Absicherung durch Anrechnung der Vordienstzeiten zu drängen. Eine anfechtbare Rechtshandlung im Sinne des § 28 Z 3 oder Z 1 KO liege nicht vor.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es führte aus: Der Einwand, die Vordienstzeitenanrechnung sei in der Erwartung erfolgt, die sich daraus ergebenden Ansprüche der Klägerin würden den Insolvenzausfallgeldfonds treffen, der Vertrag sei also in Benachteiligungsabsicht gegenüber dem Fonds oder aus sittenwidrigen Motiven geschlossen worden, sei unberechtigt. Eine einzelvertragliche Anrechnung von Vordienstzeiten sei ebenso zulässig wie die Anrechnung bei anderen Arbeitgebern zugebrachter Zeiten oder auch die Vereinbarung günstigerer Arbeitsbedingungen durch Anrechnung von fiktiven Vordienstzeiten. Es bestünde kein Anhaltspunkt dafür, daß die Vordienstzeitenanrechnung ohne entsprechendes Äquivalent erfolgt wäre. Die von der Klägerin während ihrer Tätigkeit als Gesellschafterin der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft in der selben Branche gewonnene Erfahrung und ihre Kenntnisse seien dem Einzelunternehmen zugutegekommen und es sei auch während des geschäftlich erfolgreichen Zeitraumes der "S***** Gesellschaft bürgerlichen Rechtes" ein Großteil des unternehmerischen Erfolges der Klägerin zuzuschreiben. Da die Klägerin überdies ihre Konzession für den Elektrowarenhandel dem Unternehmen zur Verfügung gestellt habe, sei auch ein spezifisches Interesse des Arbeitgebers am Bestand des Dienstverhältnisses vorgelegen, sodaß die Vordienstzeitenabrechnung erklärlich erscheine. Anders als in der Entscheidung ZAS 1991/14 seien keine Hinweise gegeben, die die Anrechnung von Vordienstzeiten außerhalb jedes angemessenen Bewertungspielraumes unerklärlich erscheinen ließen und nur durch die familiäre Neubeziehung der vertragschließenden Parteien zu klären wären. Vor dem Hintergrund der wegen Alkoholmißbrauches des Ehegatten der Klägerin sich abzeichnenden Ehekrise sei es naheliegend und verständlich, daß sie bemüht gewesen sei, ihre wirtschaftliche Situation abzusichern. Es könne der Annahme der beklagten Partei nicht gefolgt werden, daß die Ehegatten nach Erfüllung des Ausgleiches über die Gesellschaft bürgerlichen Rechtes bereits darauf hingearbeitet hätten, neuerlich einen Konkursfall zu provozieren, um der Klägerin die Abfertigungsforderung zu sichern. Die Zweijahresfrist des § 28 Z 3 KO sei abgelaufen, überdies habe die Klägerin ein hohes Darlehen gewährt, sodaß für eine Benachteiligungs- oder Schädigungsabsicht keine Anhaltspunkte bestünden.

Auch aufgrund der Ausnahmebestimmungen des § 1 Abs 6 Z 2 oder Z 3 IESG sei der Anspruch der Klägerin nicht ausgeschlossen. Bei einem Anteil von 25 % an der Gesellschaft bürgerlichen Rechtes könne nicht von einem beherrschenden Einfluß auf die Gesellschaft gesprochen werden, weil für die Geschäftsführung einer solchen Gesellschaft aber auch einer allenfalls bestehenden OHG das Mehrheitsprinzip gelte. Mit Erfüllung des Ausgleiches durch den Gesellschafter der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft und nach Übertragung der Anteile an dieser durch die Klägerin an ihren Ehegatten sei ihr eigenwirtschaftlicher Bezug zu diesem Betrieb aufgelöst, die durch den Dienstvertrag vom 11.4.1989 begründeten Anwartschaftsrechte auf Abfertigung und ein dieser Vereinbarung zugrundeliegendes wirtschaftliches Äquivalent rechtfertigten es nicht, die Anrechnung von Vordienstzeiten im Vorgängerbetrieb wegen der ehemaligen Dienstgebereigenschaft der Klägerin in Analogie zu den persönlichen Ausnahmsbestimmungen vom Anwendungsbereich auszuschließen.

Gegen das berufungsgerichtliche Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es abzuändern und das (restliche Klagebegehren) abzuweisen. Die Revisionswerberin bringt vor:

Zeiten einer Organmitgliedschaft im Sinne des § 1 Abs 6 Z 2 IESG seien nach Ansicht der Revisionswerberin bei der Prüfung des Ausmaßes des Insolvenzausfallgeldes nicht zu berücksichtigen, dies gelte auch für die vertragliche Vordienstzeitenanrechnung aus einer früheren Tätigkeit als Organmitglied. Der Abfertigungsanspruch richte sich bei Vorliegen von Zeiten einer Beteiligung an einer Gesellschaft bürgerlichen Rechtes und von Arbeitnehmerzeiten nur nach den zuletzt genannten. Die Klägerin sei als Gesellschafterin der Gesellschaft bürgerlichen Rechtes mit ihrem Ehegatten nicht Arbeitnehmerin im Sinne des persönlichen Geltungsbereiches des IESG.

Die Klägerin beteiligte sich nicht am Revisionsverfahren.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Das Insolvenzentgeltsicherungsgesetz ist gemäß § 1 Abs 1 leg cit nur auf Arbeitnehmer (ehemalige Arbeitnehmer und ihre Hinterbliebenen sowie die Rechtsnachfolger von Todeswegen dieser Personen (Anspruchsberechtigte), anzuwenden (446 BlgNN 15 GP, 5; EvBl 1992/104). Das IESG stellt dabei auf den Arbeitnehmerbegriff des Arbeitsvertragsrechtes ab (Schwarz ua, Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz2, 43 f, 62 f, 70 mwN). Ob ein Arbeitsverhältnis vorliegt, ist nach dem ausdrücklich oder schlüssig vereinbarten Vertragsinhalt zu beurteilen. Entscheidend für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses ist die Unterworfenheit des Arbeitnehmers unter die funktionelle Autorität des Arbeitgebers, die sich in organisatorischer Gebundenheit, besonders bezüglich Arbeitszeit, Arbeitsort und Kontrolle und im weitgehenden Ausschluß der Bestimmungsfreiheit des Arbeitsnehmers äußert (Martinek-M. u. W.Schwarz, Angestelltengesetz7, 43 f mwN; Mayer-Mali/Marhold, Österreichisches Arbeitsrecht I, 44; Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht3 I, 36 f; Arb 9.879, 9.885; Arb 10.529; 9 ObS 26/93).

Für eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist hingegen die Vereinbarung der Bildung einer wirtschaftlichen Organisation charakteristisch, die den Partnern einer solchen Vereinbarung Einwirkungs- und Mitwirkungsrechte sichert, die in der Mitsprache, mit Beratschlagung und Mitbeaufsichtigung in allen wesentlichen Fragen der Unternehmensführung, Unternehmensorganisation und des Unternehmensbestandes zum Ausdruck kommen und daher die Ausübung einer nicht von einem anderen abgeleiteten Arbeitgeberfunktion erlauben. Während für das Arbeitsverhältnis das Subordinationsverhältnis kennzeichnend ist, herrscht in der Gesellschaft bürgerlichen Rechts das Prinzip der Kooperation und der grundsätzlichen Gleichordnung. Eine Unterordnung der Gesellschaft erfolgt grundsätzlich nur unter die Interessen der Gesellschaft als solcher (Arb 9.346, 10.529; RdW 1990, 294 = ind 1.965; ebenso W.Schwarz ua, Rechte des Arbeitsnehmers bei Insolvenz3, 44).

Für den Zeitraum, in dem die Klägerin nicht Arbeitnehmerin war,

gebührt ihr keine nach dem IESG gesicherte Abfertigung (SZ 64/124 =

WBl 1992, 125 = DRdA 1992/23, 220; WBl 1993, 156; 9 ObS 23/93;

W.Schwarz ua, aaO 68 f). Der verbleibende Zeitraum von 20 Monaten, in dem die Klägerin Arbeitnehmerin war, nämlich vom 1.5.1989 bis 31.12.1990, begründet keinen Abfertigungsanspruch im Sinne des § 23 AngG.

Es ist dem Berufungsgericht zuzugeben, daß es möglich gewesen wäre, für die Klägerin ein höheres Entgelt zu vereinbaren, etwa auch durch deren höhere Einstufung in ein Verwendungsgruppenschema; einer vertraglichen Anrechnung von "Nicht-Arbeitnehmer-Zeiten" steht der Arbeitnehmerbegriff des IESG entgegen. Dabei kommt es nicht nur auf Zeiträume einer Organmitgliedschaft (§ 1 Abs 6 Z 2 IESG) oder einer Gesellschafterstellung mit beherrschendem Einfluß (§ 1 Abs 6 Z 3 IESG) an, sondern die Anrechnung (hiezu ausdrücklich WBl 1993, 186) wird schon durch den Bestand einer die Arbeitnehmereigenschaft ausschließenden Gesellschafterstellung verhindert.

Eine Kostenentscheidung entfällt, weil Kosten nicht verzeichnet worden sind.

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