OGH 10ObS160/94

OGH10ObS160/9419.7.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Elmar Peterlunger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wilhelm Hackl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Anna H*****, Pensionistin, ***** vertreten durch Dr.Jörg Hobmeier und Dr.Hubertus Schumacher, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, wegen Pflegegeldes, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12.April 1994, GZ 5 Rs 29/94-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 11.Jänner 1994, GZ 44 Cgs 157/93g-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte hat der Klägerin binnen vierzehn Tagen die einschließlich 338,24 S Umsatzsteuer mit 2.029,44 S bestimmten halben Kosten der Revision zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 23.8.1993 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 8.3.1993 auf Hilflosenzuschuß ab.

Das Erstgericht wies das auf den Hilflosenzuschuß ab 8.3.1993 und auf Pflegegeld in der Höhe der Stufe 2 ab 1.7.1993 gerichtete Klagebegehren ab.

Als Ergebnis der die Umstände des Falles sehr genau behandelnden erstgerichtlichen Feststellungen über die Einschränkungen der körperlichen und geistigen Funktionen der am 6.2.1908 geborenen Klägerin und deren Fähigkeit zur selbständigen Ausführung der lebensnotwendigen Verrichtungen läßt sich festhalten, daß sie sich seit der Antragstellung zwar (eventuell unter Zuhilfenahme einer Stielbürste) allein der täglichen Körperpflege unterziehen, aber die vorhandene Badewanne mit Handbrause nicht benützen kann. Zur Pediküre, für die Herbeischaffung der Nahrungsmittel und Medikamente, die Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände, die Pflege der Leib- und Bettwäsche und für die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn braucht sie Hilfe. Alle übrigen lebensnotwendigen Verrichtungen kann sie jedoch selbst ausführen. Insbesondere kann sie ihre Mahlzeiten bereiten, wenn sie sich dabei zwischendurch hinsetzt und im Sitzen weitere Küchenarbeiten verrichtet.

Unter diesen Umständen verneinte das Erstgericht einen Anspruch auf Hilflosenzuschuß bis 30.6.1993 und einen Anspruch auf Pflegegeld ab 1.7.1993. Letzteren deshalb, weil es keinen Betreuungsbedarf, sondern nur einen Hilfsbedarf von durchschnittlich 40 Stunden monatlich annahm.

Die Klägerin erhob nur gegen die Abweisung des auf Pflegegeld in Höhe der Stufe 1 ab 1.7.1993 gerichteten Begehrens Berufung.

Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge.

Es hatte gegen die inhaltlich bekämpften erstgerichtlichen Feststellungen über die Fähigkeit der Klägerin zur Zubereitung von Mahlzeiten keine Bedenken und teilte auch die bekämpfte Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß die Klägerin auch im Zusammenhang mit der täglichen Körperpflege und der Zubereitung von Mahlzeiten keinen Betreuungsbedarf habe.

In der Revision macht die Klägerin unrichtige rechtliche Beurteilung (der Sache) geltend und beantragt, das Berufungsurteil durch Zuerkennung des Pflegegeldes in Höhe der Stufe 1 ab 1.7.1993 abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 3 ASGG zulässige Revision ist nicht berechtigt.

Da die Klägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und eine Pension nach dem ASVG bezieht, gehört sie zu dem Personenkreis, der Anspruch auf Pflegegeld nach Maßgabe der Bestimmungen des Bundespflegegeldgesetzes BGBl 1993/110 (BPGG) hat (§ 3 Abs 1 Z 1 lit d leg cit). Das begehrte Pflegegeld in Höhe der Stufe 1 würde ihr gebühren, wenn auf Grund einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung oder einer Sinnesbehinderung der ständige Betreuungs- und Hilfsbedarf (Pflegebedarf) durchschnittlich mehr als 50 Stunden monatlich betrüge und voraussichtlich mindestens sechs Monate andauern wird oder würde (§ 4 Abs 1 und Abs 2 erster Halbsatz leg cit).

Durch § 4 Abs 5 BPGG ist der Bundesminister für Arbeit und Soziales ermächtigt, nach Anhörung des Bundesbehindertenbeirates nähere Bestimmungen für die Beurteilung des Pflegebedarfes durch Verordnung festzulegen. Diese kann ua insbesondere festlegen: 1. eine Definition der Begriffe "Betreuung" und "Hilfe", 2. Richtwerte für den zeitlichen Betreuungsaufwand, wobei verbindliche Mindestwerte zumindest für die tägliche Körperpflege, die Zubereitung und das Einnehmen von Mahlzeiten sowie für die Verrichtung der Notdurft festzulegen sind, 3. verbindliche Pauschalwerte für den Zeitaufwand der Hilfsverrichtungen, wobei der gesamte Zeitaufwand für alle Hilfsverrichtungen mit höchstens 50 Stunden pro Monat festgelegt werden darf.

Nach § 1 Abs 1 Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales über die Beurteilung des Pflegebedarfes nach dem Bundespflegegeldgesetz (Einstufungsverordnung zum Bundespflegegeldgesetz) BGBl 1993/314 (idF mit EinstV abgekürzt) sind unter Betreuung alle in relativ kurzer Folge notwendigen Verrichtungen anderer Personen zu verstehen, die vornehmlich den persönlichen Lebensbereich betreffen und ohne die der pflegebedürftige Mensch der Verwahrlosung ausgesetzt wäre. Zu den im Abs 1 genannten Verrichtungen zählen insbesondere solche beim An- und Auskleiden, bei der Körperpflege, der Zubereitung und Einnahme von Mahlzeiten, der Verrichtung der Notdurft, der Einnahme von Medikamenten und der Mobilitätshilfe im engeren Sinn (Abs 2). Bei der Feststellung des zeitlichen Betreuungsaufwandes für die tägliche Körperpflege und für die Zubereitung von Mahlzeiten wurden zeitliche Mindestwerte von 2 x 25 Minuten bzw 1 Stunde festgelegt (Abs 4). Abweichungen von diesen Zeitwerten sind nur dann zu berücksichtigen, wenn der tatsächliche Betreuungsaufwand diese Mindestwerte erheblich überschreitet.

Unter Hilfe sind aufschiebbare Verrichtungen anderer Personen zu verstehen, die den sachlichen Lebensbereich betreffen und zur Sicherung der Existenz erforderlich sind (§ 2 Abs 1 EinstV). Hilfsverrichtungen sind die Herbeischaffung von Nahrungsmitteln und Medikamenten, die Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände, die Pflege der Leib- und Bettwäsche, die Beheizung des Wohnraumes einschließlich der Herbeischaffung von Heizmaterial und die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn (Abs 2). Für jede Hilfsverrichtung ist ein - auf einen Monat bezogener - fixer Zeitwert von 10 Stunden anzunehmen (Abs 3).

Daß bei der Klägerin für vier Hilfsverrichtungen insgesamt ein - auf einen Monat bezogener - Hilfsbedarf von 40 Stunden anzunehmen ist, blieb schon in der Berufung unbestritten.

Die Klägerin hätte demnach nur dann Anspruch auf Pflegegeld in Höhe der Stufe 1, wenn sie auch einen Betreuungsbedarf von mehr als 10 Stunden monatlich hätte (§ 4 Abs 2 BPGG).

Ein solcher Betreuungsbedarf ergebe sich nach Ansicht der Revisionswerberin schon daraus, daß für zwei Wannenbäder pro Woche unter Bedachtnahme auf die Kopfwäsche drei Stunden, monatlich daher rund 13 Stunden erforderlich seien. Weiters wäre ein gleichhoher Zeitaufwand auch im Zusammenhang mit der Zubereitung von Mahlzeiten zu berücksichtigen.

Der erste Einwand der Klägerin ist grundsätzlich gerechtfertigt.

Nach § 1 Abs 1 EinstV sind unter Betreuung alle in relativ kurzer Folge notwendigen Verrichtungen anderer Personen zu verstehen, die vornehmlich den persönlichen Lebensbereich betreffen und ohne die der pflegebedürftige Mensch der Verwahrlosung ausgesetzt wäre. Zu diesen Verrichtungen zählen nach Abs 2 leg cit ua solche bei der Körperpflege, also ua auch im Zusammenhang mit Vollbädern in der Badewanne. Daß der im § 1 Abs 4 EinstV festgelegte zeitliche Mindestwert von 2 x 25 Minuten nur für die tägliche Körperpflege gilt und die in dieser Hinsicht pflegebedürftige Klägerin auch dann nicht der Verwahrlosung ausgesetzt wäre, wenn sie pro Woche nur zwei solche Bäder nehmen kann, wird in der Revision nicht bestritten. Letzteres entspricht auch der Rsp dieses Senates zum Hilflosenzuschuß (zB SSV-NF 2/12). Der zeitliche Betreuungsaufwand im Zusammenhang mit einem Wannenvollbad wird jedoch von der Revisionswerberin mit 1,5 Stunden auch dann erheblich überschätzt, wenn dabei auch die Kopfwäsche berücksichtigt würde, die allerdings nicht im Zuge eines Wannenbades vorgenommen werden muß. In Anlehnung an den im § 1 Abs 4 EinstV für eine tägliche (Ganz)Körperpflege festgelegten zeitlichen Mindestwert erscheinen auch für ein Wannenvollbad etwa 25 Minuten ausreichend. Geht man davon aus, daß die Klägerin auch dann nicht der Verwahrlosung ausgesetzt wäre, wenn sie wöchentlich nur zwei Wannenvollbäder nehmen kann, dann ergibt sich ein diesbezüglicher zeitlicher Betreuungsaufwand von etwa 3,5 bis 4 Stunden monatlich. Dabei ist auch die nur fallweise notwendige Pediküre berücksichtigt, die zweckmäßigerweise im Zusammenhang mit einem Vollbad vorzunehmen sein wird.

Hingegen ist ein Betreuungsaufwand im Zusammenhang mit der Zubereitung von Mahlzeiten zu verneinen. Nach den vom Berufungsgericht bestätigten Feststellungen ist der Klägerin die Zubereitung von Mahlzeiten unter zumutbaren Bedingungen auch ohne Betreuung möglich. Da sich die diesbezüglichen Feststellungen auf das Gutachten einer praktischen Ärztin stützen, ist davon auszugehen, daß diese der Klägerin die Fähigkeit zur Zubereitung bekömmlicher und ausreichender Mahlzeiten zubilligte. Insoweit die Rechtsrüge vom festgestellten Sachverhalt abweicht, ist sie nicht gesetzgemäß ausgeführt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b und Abs 2 ASGG.

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