OGH 1Ob559/94

OGH1Ob559/9430.5.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser, Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker und Dr.Rohrer als weitere Richter in der Rechtssache der Antragsteller 1. Dr.Norbert P*****, und 2. Dr.Ilse P*****, vertreten durch Dr.Helmut Destaller, Dr.Gerald Mader und Dr.Walter Niederbichler, Rechtsanwälte in Graz, wider die Antragsgegner 1. Dr.Alfred K*****, und 2. Dr.Olga K*****, vertreten durch Dr.Josef Friedrich, Rechtsanwalt in Graz, wegen Einräumung eines Notweges, infolge Revisionsrekurses der Antragsgegner gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgerichtes vom 26.Novemer 1993, GZ 5 R 219/93-120, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 13.April 1993, GZ 14 Nc 202/91-91, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluß dahin abgeändert, daß er zu lauten hat:

"Das Begehren der Antragsteller, ihnen als Eigentümer je zur Hälfte der Grundstücke Nr.422/4 und Nr.49/3 je EZ 603 KG Wenisbuch mit dem Wohnhaus *****F*****straße 51, zur Verbindung dieser Grundstücke mit dem öffentlichen Straßennetz einen Notweg in der Form der Dienstbarkeit des Weges und des Fahrweges für zweispurige Fahrzeuge über das Grundstück der Antragsgegner Nr.421/1, inliegend in EZ 107 KG W*****, vom S*****weg im Nordosten bis zur Höhe der südwestlichen Begrenzung des Grundstückes Nr.422/4 der Antragsteller einzuräumen, eine von den Antragstellern hiefür zu leistende Entschädigungssumme zu bestimmen und die Einverleibung der begehrten Dienstbarkeit zugunsten der EZ 603 KG W***** zu bewilligen, wird

abgewiesen."

Die Antragsteller sind schuldig, den Antragsgegnern binnen 14 Tagen die mit S 7.637,45 (darin enthalten S 1.272,91 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.

Die Revisionsrekursbeantwortung der Antragsteller wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Das Grundstück Nr.422/4 der EZ 603 KG W***** wurde im Jahre 1977 in das Grundstück Nr.422/4 neu und in das unter einem neu eröffnete Grundstück Nr.422/18 geteilt. Die Antragsteller erwarben mit Kaufvertrag vom 10.2./14.2.1977 das Grundstück Nr.422/18, das ein Ausmaß von etwa 1.500 m2 hat. Das verbleibende Restgrundstück Nr.422/4 im Ausmaß von etwa 900 m2 sowie das von diesem umschlossene Grundstück Nr.49/3 Baufläche erwarb ebenfalls am 10.2./14.2.1977 Dorit H*****. Für das von den Antragstellern erworbene Grundstück Nr.422/18 wurde eine Zufahrt über die Straße "Am K*****" geschaffen. Das von Dorit H***** erworbene Grundstück Nr.422/4 samt dem von diesem umschlossenen Grundstück Nr.49/3 Baufläche mit dem Hause F*****straße 51 grenzt mit seiner südöstlichen Längsseite an die F*****straße an. Bei den von Dorit H***** geführten Verkaufsgesprächen war die Zufahrtsmöglichkeit zu dieser Liegenschaft über die F*****straße kein Verhandlungsthema. Mit Kaufvertrag vom 11.7.1979 verkaufte Dorit H***** das Grundstück Nr.422/4 an die Zweitantragstellerin. Diese übertrug mit Schenkungsvertrag vom 11.7.1979 den ideellen Hälfteanteil an dieser Liegenschaft an den Erstantragsteller.

Für das Grundstück Nr.422/18 ist zu Lasten des Grundstücks Nr.426/15 eine Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechtes eingeräumt. Für die Grundstücke Nr.422/4 und 49/3 besteht eine solche Dienstbarkeit nicht.

Die Antragsteller begehren die Einräumung eines Notweges gemäß dem Spruch der Entscheidung. Über das Grundstück Nr.421/1 führe die seit langem bestehende und asphaltierte F*****straße. Das Haus auf der von den Antragstellern erworbenen Liegenschaft sei schon aufgrund seiner Lage zur F*****straße hin offenbar von dieser her begangen und befahren worden. Die F*****straße diene auch anderen Anrainern als Zufahrtsweg. Die Antragsgegner verwehrten den Antragstellern die Zugangs- und Zufahrtsmöglichkeit. Eine Zufahrtsmöglichkeit über den Weg "Am K*****" und das den Antragstellern gehörige Grundstück Nr.422/18 scheitere an den unverhältnismäßig hohen Kosten zur Schaffung der Zufahrt und der mangelnden Berechtigung, über den genannten Weg auch zur notleidenden, verfahrensgegenständlichen Liegenschaft zuzufahren.

Die Antragsgegner sprachen sich gegen die Einräumung eines Notweges aus. Die Zufahrt über die F*****straße sei für die Antragsteller nicht notwendig, weil sie ohnehin über den Weg "Am K*****" zufahren könnten. Darüber hinaus hätten die Antragsteller die von ihnen behauptete Wegebedürftigkeit selbst verschuldet.

Das Erstgericht räumte den Antragstellern den Notweg in der begehrten Form ein. Den Entschädigungsanspruch der Antragsgegner bestimmte es mit S 74.265,-. Es stellte über den bereits dargestellten Sachverhalt hinaus fest:

Im Zuge des Verkaufs der Grundstücke Nr 422/4 und 49/3 an die Zweitantragstellerin sei über ein Zufahrtsrecht nicht gesprochen worden. Den Antragstellern sei die Straßentafel "F*****straße" mit der Zusatztafel "Privatweg, Betreten verboten" bekannt gewesen. Sie seien der Meinung gewesen, für die jeweiligen Anrainer sei die Benützbarkeit der F*****straße hiedurch nicht eingeschränkt. Die örtliche Situierung des Wohnhauses F*****straße 51 lasse den Schluß zu, daß die Zufahrt zu dieser Liegenschaft stets über die F*****straße, erfolgte. Die F*****straße sei in der Vergangenheit über Jahre hindurch von den jeweiligen Anliegern benützt worden, bis der Erstantragsgegner die Straße absperrte. Es seien zwei andere (teurere) Varianten als Zufahrten zur Liegenschaft F*****straße 51 möglich.

Das Erstgericht ging davon aus, daß die zu beseitigende Notlage nicht erst beim Ankauf der Liegenschaft durch die Antragsteller geschaffen, sondern schon vorher gegeben gewesen seien. Da die Ehegatten T***** über die F*****straße zugefahren seien, sei die Unkenntnis der Antragsteller, daß über diese Straße keine Zufahrtsberechtigung bestehe, den Antragstellern nicht als auffallende Sorglosigkeit anzulasten. Die Interessenabwägung ergebe ein Überwiegen der Vorteile bei Schaffung des Notweges gegenüber den Nachteilen für die belastete Liegenschaft.

Das Rekursgericht gab dem von den Antragsgegnern erhobenen Rekurs nicht Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Es erblickte in dem Umstand, daß die Antragsteller beim Ankauf der Grundstücke von Dorit-H***** trotz Kenntnis der in der F*****straße aufgestellten Verbotstafel eine bestehende Zufahrtsberechtigung angenommen und daher keine Erkundigungen bei den Antragsgegnern eingeholt haben, keine auffallende Sorglosigkeit der Antragsteller. Diese hätten um das tatsächliche Zufahren der Ehegatten T***** über die F*****straße zu deren Liegenschaft gewußt. Die unterlassene Einholung von Erkundigungen, ob die Ehegatten T***** auch tatsächlich berechtigterweise zugefahren seien, ob also eine tatsächliche Wegeverbindung von deren Liegenschaft zum öffentlichen Wegenetz bestanden habe, könne den Antragstellern nicht als grobe Fahrlässigkeit beim Ankauf der Liegenschaft angelastet werden.

Der Revisionsrekurs der Antragsgegner ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Entscheidung darüber, ob eine offenbare Sorglosigkeit im Sinne des § 2 NWG gegeben ist, betrifft die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts durch die Vorinstanzen (SZ 40/78). Da diese Rechtsfrage im Gegensatz zur ständigen OGH-Judikatur - wie noch aufzuzeigen sein wird - gelöst wurde, ist der Revisionsrekurs zulässig.

Die Bestimmungen des Notwegegesetzes sind einschränkend auszulegen. Grundsätzlich hat der Erwerber eines Grundstücks für dessen hinreichende Verbindung mit dem öffentlichen Wegenetz selbst Vorsorge zu treffen (RZ 1989/45; 8 Ob 603/92). Das Vorliegen einer auffallenden Sorglosigkeit ist dabei nach den gesamten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (8 Ob 603/92; RZ 1989/45; 6 Ob 684/83; 8 Ob 502/89; 1 Ob 651/88; 1 Ob 802/82; 1 Ob 585/89; SZ 60/43 uva). Auffallende Sorglosigkeit wird immer dann angenommen, wenn die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlicher Weise vernachlässigt wurde und dieser objektiv besonders schwerwiegende Sorgfaltsverstoß auch subjektiv vorzuwerfen ist (1 Ob 651/88). Von ausschlaggebender Bedeutung ist, welche Kenntnisse der Erwerber einer Liegenschaft schon vor dem Ankauf hatte, insbesondere ob und auf welche Weise er über allfällige Wegeverbindungen Erkundigungen eingezogen hat (SZ 60/43; 1 Ob 585/89; 8 Ob 502/89). Die Fehleinschätzung des Wegebedarfs durch den Eigentümer des notleidenden Grundes indiziert in der Regel eine auffallende Sorglosigkeit im Sinne des § 2 Abs 1 NWG. Die Nachlässigkeit der Parteien soll durch die Bestimmungen des NWG nicht gefördert werden (EvBl 1985/127), lediglich der schuldlose und damit schutzwürdige Erwerber einer Liegenschaft soll geschützt werden (SZ 60/43; 6 Ob 684/83; SZ 58/162).

Da den Antragstellern bekannt war, daß es sich bei der F*****straße um einen Privatweg handelt, hätten sie Erkundigungen einholen müssen, ob die anderen Anrainer, insbesondere die Voreigentümerin T*****, berechtigt sind, die F*****straße zu benützen. Lediglich aufgrund der örtlichen Lage des (verfallenen) Wohnhauses in der F*****straße 51 durften sie nicht annehmen, einen Anspruch auf die Zufahrtsmöglichkeit über die F*****straße zu haben. Es wurde nicht einmal behauptet, daß sie mit einer entsprechenden Frage an die Antragsgegner herangetreten wären. All dies begründet die auffallende Sorglosigkeit der Antragsteller, die ihr Notwegebegehren unzulässig macht.

Es sei auch darauf verwiesen, daß der Erstantragsteller selbst ausgesagt hat, er habe bereits 1977 (oder vorher) die Möglichkeit der Zufahrt zum Grundstück Nr.422/18 über die F*****straße ventiliert und den Erstantragsgegner befragt, ob dieser die Zufahrt über die F*****straße - die dem Erstantragsteller als Privatstraße bekannt war! - ermöglichen würde, der Erstantragsgegner habe aber abgelehnt (AS 325 f).

Das Begehren um Einräumung eines Notweges ist demnach infolge auffallender Sorglosigkeit der Antragsteller gemäß § 2 Abs 1 NWG unzulässig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 25 NWG. Den Antragsgegnern steht ein verfahrensrechtlicher Ersatzanspruch in Ansehung der Kosten ihrer anwaltlichen Vertretung bei dem zur Rechtsverteidigung notwendigen Einschreiten im Rechtsmittelverfahren zu (EvBl 1985/127). Die Bemessung der Kosten für den Revisionsrekurs hatte auf der Basis des Streitwerts von S 50.000,- zu erfolgen. Die Antragsgegner haben in ihrem Rekurs vom 2.6.1993 den Streitwert mit S 50.000,- beziffert, es ist kein Grund ersichtlich, den Streitwert nunmehr mit S 51.000,- zu bemessen.

Die Revisionsrekursbeantwortung der Antragsteller ist zurückzuweisen, weil die 14-tägige Rechtsmittelfrist gemäß § 16 Abs 2 und 5 NWG versäumt wurde. Die Aufforderung zur Erstattung einer Revisionsrekursbeantwortung wurde den Antragstellern am 18.4.1994 zugestellt, die Revisionsrekursbeantwortung aber erst am 11.5.1994 zur Post gegeben.

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