OGH 7Ob565/94

OGH7Ob565/9425.5.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der Helma E*****, infolge Revisionsrekurses der Betroffenen gegen den Beschluß des Landesgerichtes St.Pölten vom 16.Februar 1994 als Rekursgericht, GZ R 81/94-7, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Lilienfeld vom 3.Jänner 1994, SW 1/94-3, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird aufgetragen, nach Verfahrensergänzung eine neue Entscheidung zu fällen.

Text

Begründung

Die Betroffene führt und führte vor dem Bezirksgericht Lilienfeld mehrere Besitzstörungs- und Besitzentziehungsverfahren; mit Urteil des Bezirksgerichtes L***** vom 27.8.1986, C 38/86 , wurde sie zur Räumung einer von ihr ohne Berechtigung benützten Wohnung verpflichtet. Sie lebt von der Sozialhilfe, besitzt, da sie das unstete Dasein einer Obdachlosen dem Leben in einem Altersheim vorzieht, keinen festen Wohnsitz und ist lediglich über ein Postfach erreichbar. Die Betroffene neigt dazu, nach allgemeiner Ansicht wertloses Gerümpel zu sammeln, gerät in ihrem Bestreben, dieses irgendwo unterzubringen, in Konflikt mit Hauseigentümern, und versucht, ihr vermeintliches Recht zur Einlagerung ihrer Fahrnisse mit mehr oder weniger aussichtslosen Prozessen zu verteidigen oder durchzusetzen. In dem nunmehr zu C 980/93 y des Bezirksgerichtes L***** von ihr gegen den Verwalter eines Pensionistenheimes des Landes Niederösterreich und gegen dieses Bundesland geführten Besitzstörungsverfahren macht sie geltend, es sei ihr der ständige Zutritt zu Gegenständen zu gewähren, welche nach dem Auszug ihres geschiedenen Ehemannes aus dem Landespensionistenheim T***** in einer Lagerhalle gelagert seien. In der am 13.12.1993 durchgeführten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung erörterte der Erstrichter mit den Parteien eine vergleichsweise Regelung. Während dieses etwa eine Stunde lang andauernden Gespräches gewann der Verhandlungsrichter den Eindruck, daß die Klägerin hinsichtlich ihrer Fahrnisgegegenstände nicht prozeßfähig ist, so daß ihm eine Prüfung der Prozeßfähigkeit gemäß § 6 ZPO erforderlich erschien. Er unterbrach daher das Verfahren zur Prüfung der Prozeßfähigkeit.

In einem Amtsvermerk vom selben Tag hielt der Verhandlungsrichter, der auch Pflegschaftsrichter des Bezirksgerichtes L***** ist, seinen in der Tagsatzung im Verfahren C 980/93 y gewonnenen Eindruck von der Betroffenen fest und wertete die Erörterung des Sachverhalts in jenem Verfahren als Erstanhörung gemäß § 237 AußStrG. Er leitete daraufhin das Verfahren über die Bestellung eines Sachwalters für die Betroffene ein und bestellte Dr.Franz A*****, Rechtsanwalt in *****P*****, zum einstweiligen Sachwalter. Die Neigung der Betroffenen, mehr oder weniger aussichtslose Prozesse zu führen, könne wegen der sie treffenden Kostenersatzpflicht nachteilig sein. Nach dem persönlichen Eindruck des Gerichts sei es möglich, daß das Verhalten der Betroffenen auf eine geistige Behinderung zurückzuführen sei.

Das Rekursgericht bestätigte mit der angefochtenen Entscheidung diesen Beschluß und erklärte den Revisionsrekurs für unzulässig. Zweck des § 237 Abs 1 AußStrG sei es, daß sich der Richter einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen verschaffe und daß es dem Betroffenen möglich gemacht werde, seinen Standpunkt in einem möglichst frühen Stadium im persönlichen Gespräch mit dem Richter darzulegen und sich nicht einem bürokratischen Aktenverfahren ausgeliefert zu fühlen. Gegen die vom Erstgericht gewählte Vorgangsweise, nämlich ein anhängiges Verfahren zur Prüfung der Prozeßfähigkeit zu unterbrechen und dann in einem ausführlichen Aktenvermerk die Gründe hiefür festzuhalten, bestünden keine Bedenken.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung von der Betroffenen erhobene, von ihr selbst verfaßte außerordentliche Revisionsrekurs ist berechtigt.

In ihrem Rechtsmittel erachtet sich die Betroffene dadurch beschwert, daß die Erstanhörung ohne vorherige Ladung unter gleichzeitiger Bekanntgabe des Zweckes der Einvernahme, nämlich daß gegen sie ein Sachwalterbestellungsverfahren eingeleitet werden solle, erfolgt sei und daß ihr in den Aktenvermerk nach dessen Anfertigung keine Einsicht gegeben worden sei, weiters, daß ihr bei der Unterredung mit dem Richter keine Gelegenheit geboten worden sei, ihren Standpunkt darzulegen. Darin liege eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Der Inhalt des Aktenvermerks sei aktenwidrig, weil er im Widerspruch zum Verhandlungsprotokoll stehe. Dem Aktenvermerk könnten keine Hinweise entnommen werden, die die Einleitung des Sachwalterverfahrens rechtfertigten.

Nach § 237 AußStrG hat sich das Gericht zunächst vom Betroffenen einen persönlichen Eindruck zu verschaffen, es hat ihn über Grund und Zweck des Verfahrens zu unterrichten und hiezu zu hören. Leistet der Betroffene der Ladung vor Gericht nicht Folge, so kann ihn das Gericht mit der nötigen Schonung vorführen lassen. Der Pflegschaftsrichter soll sich demnach einerseits einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen verschaffen und andererseits diesem Gelegenheit geben, sich über Grund und Zweck des Verfahrens zu informieren und dazu gehört zu werden, also Stellung zu nehmen. Weitergehende Verfahrensvorschriften enthält diese Bestimmung nicht. Es kommen daher die Vorschriften des außerstreitigen Verfahrens über die Abhaltung von Tagsatzungen und Beweisaufnahmen zur Anwendung (Anm 4 zu § 239 AußStrG in Maurer, Sachwalterrecht). Was den Inhalt des aufgenommenen Protokolls betrifft, kommt § 214 Abs 1 ZPO zur Anwendung (RZ 1990/63). Bei der Bestimmung des § 237 Abs 1 AußStrG handelt es sich um eine Verfahrensvorschrift, die eine Klärung der Frage bringen soll, ob das Bestellungsverfahren fortzusetzen ist (Gitschthaler, Die Erstanhörung nach dem Sachwaltergesetz, NZ 1990,265 ff). Sie dient auch der Verfahrensökonomie, weil sich schon vor dem eigentlichen Bestellungsverfahren herausstellen kann, daß eine Notwendigkeit für die Bestellung eines Sachwalters nicht besteht (Maurer aaO, Anm 1 zu § 237 AußStrG). Der Ansicht Gitschthalers aaO, es sei im Sinne eines fairen Verfahrens (Art 6 MRK) - und soweit nicht das Wohl des Betroffenen beeinträchtigt wird - zu fordern, daß der Richter in Anwesenheit des Betroffenen ein Protokoll diktiert oder ein selbst auf der Maschine verfaßtes Protokoll dem Betroffenen zum Lesen und soweit dies möglich ist, zur Fertigung überreicht hat, kann zwar nicht in jedem Fall beigepflichtet werden, da ein derartiges Vorgehen keineswegs stets zweckmäßig und durchführbar ist (vgl Maurer aaO, Anm 2 zu § 237 AußStrG).

Nach dem Wortlaut des Protokolles über die Tagsatzung vom 13.12.1993 im Verfahren C 980/93 y des Bezirksgerichtes L***** konnte der Revisionsrekurswerberin bei der Erörterung des Sachverhaltes und beim Vergleichsversuch des Erstrichters aber nicht klar werden, daß dessen Ergebnis als Erstanhörung im Sinne des § 237 AußStrG gewertet werden wird. Sie selbst gesteht in ihrem Rechtsmittel nur zu, daß ein schon früher gegen sie eingeleitetes Sachwalterschaftsverfahren eingestellt worden sei. Um der Forderung nach rechtlichem Gehör nachzukommen, das heißt dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben, die Dinge aus seiner Sicht darstellen zu können, muß ihm, wenn auch nur formlos, mitgeteilt werden, daß das Gespräch auch als Erstanhörung im Sinne des § 237 AußStrG gewertet werden soll.

Es mag für eine Partei aus subjektiven Gründen vertretbar erscheinen, einen objektiv aussichtslosen oder gar unsinnigen Prozeß zu führen. Wird diese Partei jedoch davon in Kenntnis gesetzt, daß das aus Anlaß der Erörterung des Sachverhalts geführte Gespräch auch als Erstanhörung im Sinne des § 237 AußStrG gewertet werden wird, muß sie sich darüber im klaren sein, daß sich ein unsinniges Verhalten in der Einleitung eines Sachwalterschaftsverfahrens niederschlagen kann, und sie hat dann die Möglichkeit, ihr Verhalten zu ändern. Die vom Erstrichter unterlassene Mitteilung dieser Art begründet daher einen Verfahrensmangel, dem die Qualität eines Gesetzesverstoßes gleichkommt (vgl EFSlg 57.813). Die Verneinung des im Rekurs von der Betroffenen geltend gemachten Verfahrensmangels durch das Rekursgericht unter Hinweis auf den Aktenvermerk vom 13.12.1993 kommt nach den Umständen, unter denen es zu diesem Aktenvermerk gekommen ist, einer Aktenwidrigkeit von erheblicher Bedeutung iSd § 14 Abs 1 AußStrG gleich und hindert den Obersten Gerichtshof nicht, diesen Mangel aufzugreifen.

Dem Revisionsrekurs der Antragstellerin war daher im Sinne einer Aufhebung Folge zu geben.

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