OGH 2Ob39/94

OGH2Ob39/9419.5.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Walter C*****, vertreten durch Dr.Bertram Grass, Rechtsanwalt in Bregenz wider die beklagten Parteien 1.) Ilse K*****, und 2.) ***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr.Walter Geißelmann und Günther Tarabochia, Rechtsanwälte in Bregenz, wegen S 52.999,60 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes vom 18.Jänner 1994, GZ 1 a R 569/93-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Bregenz vom 11.Oktober 1993, GZ 3 C 1637/93z-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die vorinstanzlichen Urteile werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung insgesamt wie folgt zu lauten hat:

1.) Die eingeklagte Forderung besteht mit S 26.499,80 zu Recht.

2.) Die Gegenforderung der beklagten Parteien besteht in dieser Höhe ebenfalls zu Recht.

3.) Das Klagebegehren des Inhalts, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 52.999,60 samt 4 % Zinsen seit 31.12.1992 zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 12.772,80 (darin enthalten S 1.328,80 an Umsatzsteuer und S 4.800,- Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 24.6.1992 kam es auf der R*****straße in B***** zu einem Verkehrsunfall zwischen dem vom Kläger gelenkten und gehaltenen PKW und dem von der Erstbeklagten gelenkten und gehaltenen und bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten Motorfahrrad. Beide Fahrzeuge wurden beschädigt, die Erstbeklagte erlitt Verletzungen.

Der Kläger begehrt die Zahlung von S 52.999,60 sA mit der Begründung, die Erstbeklagte habe den Unfall allein verschuldet. Er sei auf der R*****straße stadteinwärts gefahren, bei der Kreuzung F*****straße - S*****straße sei er nach links bei Grünlicht in die F*****straße eingebogen. Die Erstbeklagte sei auf der R*****straße in Richtung H***** unterwegs gewesen und bei rotem Licht in die Kreuzung eingefahren, wodurch es zur Kollision zwischen den Fahrzeugen gekommen sei. Die Erstbeklagte habe auch eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten.

Die Beklagten wendeten ein, für den Kläger als Linksabbieger sei die Ampel auf Rot gestanden, als die Erstbeklagte in die Kreuzung eingefahren sei. Der der Erstbeklagten entstandene Sachschaden in der Höhe von S 4.500,- sowie ein Schmerzengeldbetrag von 165.000,- wurden aufrechnungsweise eingewendet.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es von folgenden Feststellungen ausging:

Die Kreuzung der Bundesstraße 202 mit der F*****straße im Ortsgebiet von B***** ist ampelgeregelt. Im Zeitpunkt des Unfalls waren die Ampeln in Betrieb. Auf der R*****straße ist über der Kreuzungsmitte eine Hängeampel angebracht, wobei für den Linksabbiegeverkehr eine eigene Ampel vorhanden ist. Die Fahrbahn der R*****straße ist an der Kreuzung in 3 Fahrstreifen geteilt. Der rechte Fahrstreifen dient dem Geradeaus- und Rechtsabbiegeverkehr, der mittlere Fahrstreifen ist für den Linksabbiegeverkehr bestimmt. Der linke Fahrstreifen wird vom jeweiligen Gegenverkehr verwendet. Die entsprechenden Bodenmarkierungen sind angebracht. Vor den Ampeln sind Haltelinien markiert. Neben der Hängeampel über der Kreuzungsmitte sind am rechten Fahrbandrand jeweils sogenannte "Ständerampeln" montiert.

Die Lichtzeichen der Ampelanlage sind so geschaltet, daß sie für den jeweiligen Linksabbiegeverkehr phasengleich sind. Das grüne Licht endet jeweils mit viermal grün blinkendem Licht, wobei die Leucht- und Dunkelphase abwechselnd je eine halbe Sekunde betragen. Dann erscheint gelbes und sodann rotes Licht. Mit Beginn des roten Lichtes erscheint für den Linksabbiegeverkehr grünes Licht. Der Kläger ordnete sich auf den Linksabbiegefahrstreifen ein. Aus der Gegenrichtung kam die Erstbeklagte und beabsichtigte, die Kreuzung mit ca. 30 bis 40 km/h in Richtung H***** zu durchfahren. Beide Fahrzeuglenker nahmen einander nicht wahr, obgleich sie an ihren Fahrzeugen das Abblendlicht eingeschaltet hatten. Als der Kläger sein Fahrzeug nach links lenkte, prallte die Erstbeklagte auf das rechte vordere Eckteil des PKW auf. Die Kollisionsstelle befindet sich 16,5 m nach der Haltelinie für den Geradeausverkehr (Fahrtrichtung der Erstbeklagten) und 15,5 m nach jener für den Linksabbiegeverkehr (Fahrtrichtung des Klägers). Die Erstbeklagte benötigte von der Haltelinie bis zur Kollisionsstelle 1,5 bis 2 Sekunden. Der Erstbeklagte (richtig wohl: Kläger) brauchte bei normalem Anfahren von seiner Stillstandsposition bis zur Kollisionsstelle ca. 4,5 Sekunden.

Wenn die Erstbeklagte mit Ende der Grünphase mit 40 km/h in die Kreuzung eingefahren ist, muß der Kläger bei Rot eingefahren sein. Ist der Kläger bei Beginn der Grünphase eingefahren, muß die Erstbeklagte bei Rot in die Kreuzung eingefahren sein.

Zum Unfallszeitpunkt war es dämmrig, die Fahrbahn war durch Straßenlampen künstlich ausgeleuchtet. Bei welcher Ampelphase der Kläger und die Erstbeklagte in die Kreuzung eingefahren sind, konnte nicht festgestellt werden.

Außer Streit gestellt wurde, daß dem Kläger ein Schaden in der Höhe des Klagsbetrages entstanden ist, daß ein Sachschaden am Fahrzeug der Erstbeklagten in der Höhe von S 4.500,- entstanden ist und daß die Erstbeklagte auf Grund der durch den Unfall erlittenen Verletzungen 10 Tage starke, 3 Wochen mittelstarke und 3 Monate leichte Schmerzen zu ertragen hatte.

Das Erstgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus, der Kläger habe der Erstbeklagten kein Verschulden nachweisen können, da nicht feststehe, daß sie bei rotem Licht in die Kreuzung eingefahren sei; zu ihren Gunsten sei auch eine Geschwindigkeit von 30 km/h anzunehmen, was nicht überhöht sei. Vielmehr habe der linksabbiegende Kläger den Vorrang der geradeausfahrenden Erstbeklagten mißachtet, weshalb ihn ein Verschulden treffe.

Das von den beklagten Parteien angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig.

Das Berufungsgericht führte aus, es sei dem Kläger der Nachweis, daß die Erstbeklagte bei Rotlicht in die Kreuzung eingefahren sei, mißlungen. Auf Grund der den Kläger treffenden Behauptungs- und Beweislast für ein Verschulden der Erstbeklagten, könne nicht angenommen werden, daß die Erstbeklagte die Ampel bei Rotlicht passierte und daß sie mit einer Geschwindigkeit von 40 km/h fuhr. Es sei daher davon auszugehen, daß die Erstbeklagte bei Grünlicht die Ampel passierte, sodaß sie sich gegenüber dem Kläger als Richtungsbeibehaltende im Vorrang befand. Die Vorrangverletzung des Klägers verbiete es, einen Schadensausgleich nach § 11 EKHG vorzunehmen.

Gegen die Abweisung des Begehrens auf Zahlung von S 26.499,80 samt Zinsen richtet sich die Revision des Kläger mit dem Antrag, die angefochtenen Entscheidungen dahingehend abzuändern, daß ihm dieser Betrag zugesprochen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagten Parteien haben in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt, der Revision der klagenden Partei keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht - wie im folgenden noch darzulegen sein wird - von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist; sie zum Teil auch berechtigt.

Der Kläger weist in seinem Rechtsmittel darauf hin, daß die beklagten Parteien nicht nachweisen konnten, daß er nach links abgebogen sei, obwohl die für ihn bestimmte Ampel nicht grün leuchtete. Es wäre völlig falsch, daß dann, wenn sich nicht klären lasse, bei welcher Ampelphase die Erstbeklagte einfuhr, den Kläger eine Vorrangverletzung treffe. Die unaufklärbaren Ungewißheiten hätten zu Lasten des jeweiligen Halters entschieden werden müssen, der Schaden wäre im Verhältnis 1 : 1 aufzuteilen gewesen.

Diese Ausführungen sind grundsätzlich zutreffend.

Gemäß § 11 Abs 1 EKHG hängt die gegenseitige Ersatzpflicht der Beteiligten in erster Linie vom Verschulden ab, sekundär ist die Verursachung des Schadens durch außergewöhnliche Betriebsgefahr maßgeblich; zuletzt ist auf die überwiegende gewöhnliche Betriebsgefahr abzustellen (Aparthy, Kommz EKHG, Rz 17 zu § 11). Der Satz, daß unaufgeklärte Umstände des Unfallsablaufes zu Lasten des Halters gehen, gilt nur für den Entlastungsbeweis nach § 9 EKHG, nicht aber für die Beurteilung der gegenseitigen Ersatzpflicht der Beteiligten im Sinne des § 11 EKHG (ZVR 1984/32; 1984/124 uva). Eine außergewöhnliche Betriebsgefahr eines der beiden Fahrzeuge war im vorliegenden Fall nicht gegeben, auch die von ihnen ausgehende gewöhnliche Betriebsgefahr ist ungefähr gleich. Zwischen der Betriebsgefahr eines PKW und der eines Motorfahrrades besteht grundsätzlich kein Unterschied (ZVR 1976/151), vielmehr ist auf die konkrete Verkehrssituation abzustellen (ZVR 1977/266). Diese ergibt im vorliegenden Fall keinerlei Anhaltspunkte dafür, die Betriebsgefahr eines der beiden Fahrzeuge höher einzustufen.

Was nunmehr die primär für die Schadensteilung maßgebliche Frage des Verschuldens betrifft, ist es keiner der Parteien gelungen, der anderen ein solches nachzuweisen. In einem solchen Fall, wenn also der Unfallhergang ungeklärt blieb und keine Umstände festgestellt werden, aus denen sich ein Verschulden oder eine unterschiedliche Betriebsgefahr eines der beteiligten Fahrzeuge ergibt, ist der Schaden 1 : 1 zu teilen (Aparthy, aaO, Rz 123 zu § 11 mwN).

Daraus folgt, daß die Forderung des Klägers in der Höhe der Hälfte des von ihm erlittenen Schadens zu Recht besteht. Allerdings hat auch die Erstbeklagte einen Anspruch auf Ersatz der Hälfte des von ihr erlittenen Schadens (ZVR 1974/58). Unstrittig ist im vorliegenden Fall, daß der Erstbeklagten ein Sachschaden in der Höhe von mindestens S 4.500,- entstanden ist und daß sie 10 Tage starke, 3 Wochen mittelstarke und 3 Monate leichte Schmerzen zu ertragen hatte. Allein die von der Erstbeklagten erlittenen Schmerzen rechtfertigen eine Gegenforderung deren Hälfte die Hälfte des Schadens des Klägers bei weitem übersteigt. Da über die Gegenforderung nur bis zur Höhe der Klagsforderung zu entscheiden ist (vgl Fasching, LB2, Rz 1295), bedarf es keiner genauen Ausmittlung der von den beklagten Parteien geltend gemachten Gegenforderungen. Es hat sohin bei einer klagsabweisenden Entscheidung zu verbleiben, wobei diese jedoch nicht deshalb erfolgt, weil die Forderung des Klägers zur Gänze unberechtigt ist - so wie dies die Vorinstanzen vermeinten -, sondern deshalb, weil die eingewendete Gegenforderung die zum Teil zu Recht bestehende Klagsforderung übersteigt.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Wenngleich es zur Klagsabweisung nur deshalb gekommen ist, weil die Gegenforderung die Klagsforderung übersteigt, ist von einem vollständigen Unterliegen des Klägers auszugehen. Sein Antrag, die beklagten Parteien zur Zahlung des Klagsbetrages zu verurteilen, ist in allen Instanzen erfolglos geblieben. Vielmehr sind die beklagten Parteien mit ihrem Begehren, die Klage abzuweisen, vollständig durchgedrungen. Es macht für die Kostenentscheidung keinen Unterschied, ob die vom Kläger behauptete Forderung von vornherein nicht zu Recht bestand oder ob sie durch Aufrechnung erloschen ist. Das vollständige Unterliegen des Klägers hat seine Kostenersatzpflicht im Verfahren erster Instanz zur Folge, wobei grundsätzlich nicht zu unterscheiden ist, weshalb es zur Klagsabweisung gekommen ist (M.Bydlinski, Der Kostenersatz im Zivilprozeß, 183 f). Im Rechtsmittelverfahren ist der Kläger aber teilweise durchgedrungen, sodaß die Kosten insoweit aufzuheben sind.

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