OGH 10ObS109/94

OGH10ObS109/9411.5.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Raimund Zimmermann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Margarete Heidinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hermine P*****, Stationsgehilfin, ***** vertreten durch Dr.Michael Schwarz, Rechtsanwalt in St.Pölten, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28.Jänner 1994, GZ 31 Rs 148/93-27, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 25.August 1993, GZ 32 Cgs 48/91-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 21.8.1948 geborene Klägerin war von 1968 bis 1979 als Verkäuferin und seit 1980 als Stationsgehilfin in einem Pflegeheim beschäftigt; ihr Dienstgeber war seit 1.9.1980 das Amt der Niederösterreichischen Landesregierung. Aufgrund verschiedener Leidenszustände (reaktiv depressives Zustandsbild ohne Krankheitswert, Bandscheibenschaden und Abnützungen in den Zwischenwirbelgelenken der unteren Halswirbelsäule mit Bandschreibenvorfall, Abnützungen im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule, Hypertonie) ist die Klägerin nur noch in der Lage, leichte und fallweise mittelschwere Arbeiten zu verrichten. Die mittelschweren Arbeiten dürfen ein Drittel der Tagesarbeitszeit nicht überschreiten und sind über den gesamten Tag zu verteilen. Ausgeschlossen sind Arbeiten unter Hitze, unter Zeitdruck, Band- und Akkordarbeiten sowie jene Arbeiten, die mit häufigem Bücken, Knien und Hocken verbunden sind, weiters Hand-über-Kopfarbeiten und Arbeiten, die in fixierter Körperstellung durchgeführt werden müssen. Krankenstände in erhöhtem Ausmaß sind nicht zu erwarten. Umschulbarkeit und Anlernbarkeit sind gegeben.

Mit Bescheid vom 19.3.1991 wies die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten den am 13.11.1990 gestellten Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension mit der Begründung ab, daß Berufungsunfähigkeit gemäß § 273 Abs 1 ASVG nicht vorliege.

Das Erstgericht wies das dagegen auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.12.1990 gerichtete Klagebegehren ab. Die Tätigkeit einer Stationsgehilfin stelle keinen erlernten oder angelernten Beruf im Sinne des § 255 Abs 1 ASVG dar, selbst wenn ein mehrere Monate dauernder Kurs besucht werde, der mit Abschlußprüfung ende. Die Klägerin sei jedoch in der Lage, weiterhin als Verkäuferin, zB in einem Handarbeits- oder Wirkwarengeschäft, als Kassiererin oder als Näherin tätig zu sein. Die Anforderungen in den Verweisungsberufen seien offenkundig. Da die Klägerin noch verschiedene Verweisungstätigkeiten ausüben könne, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in genügender Anzahl vorhanden seien, liege Berufsunfähigkeit nicht vor.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und einer schlüssigen Beweiswürdigung. Die Rechtsrüge sei insoweit nicht gesetzmäßig ausgeführt, als von einem Einsatz der Klägerin als Stationsgehilfin seit mehr als 15 Jahren ausgegangen werde; die Klägerin sei aber erst seit 1980 als Stationsgehilfin tätig gewesen. Abgesehen davon, daß eine erfolgreiche Absolvierung des sekundären Ausbildungsweges zum Krankenpflegefachdienst weder behauptet noch festgestellt worden sei, erfülle die Klägerin auch nicht die übrigen Voraussetzungen des § 273 Abs 3 ASVG. Ausgehend von den im Versicherungsverlauf aktenkundigen Tätigkeiten sei daher im Sinne der vom Erstgericht zutreffend zitierten Rechtsprechung (SSV-NF 5/71) der Berufung ein Erfolg zu versagen.

Gegen dieses Urteil des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer vollen Klagestattgebung, hilfsweise Aufhebung und Zurückverweisung.

Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor, weil keine Verfahrensmängel, sondern Feststellungsmängel geltend gemacht werden und die diesbezüglichen Rechtsmittelausführungen daher der Rechtsrüge zuzuordnen sind.

Im übrigen verweist die Revisionswerberin darauf, daß sie den Stationsgehilfinnenkurs im Sinne des Krankenpflegegesetzes und die vorgeschriebene Praxiszeit absolviert und daher einen erlernten bzw angelernten Beruf "im Sinne der relevanten Bestimmungen des ASVG" ausgeübt habe. Ihre Tätigkeit sei auch nicht auf die von Gesetzes wegen einer Stationsgehilfin vorbehaltenen Tätigkeiten beschränkt gewesen; sie habe insbesondere auch medizinische Dienste umfaßt. Es erscheine unbillig, wenn der Arbeitgeber einerseits qualifiziertes Pflegepersonal nicht bekomme, andererseits jenes Personal, das tatsächlich diese qualifizierten Tätigkeiten verrichte, keinen "Versetzungsschutz" genießen würde. Es fehlten aber Feststellungen über die tatsächliche Verwendung der Klägerin.

Diesen Ausführungen ist nicht zu folgen. Zunächst entspricht es der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofes, daß der Anspruch eines Pensionswerbers, der trotz seiner Versicherung als Angestellter Arbeitertätigkeiten verrichtet hat, nach dem Invaliditätsbegriff des (analog anzuwendenden) § 255 ASVG zu beurteilen ist und daß zwischen dem Versicherten und seinem Arbeitgeber darüber getroffene Vereinbarungen, welchem Versicherungszweig eine Tätigkeit zuzuordnen ist, nicht bindend sind (SSV-NF 3/2, 3/123, 4/84, 5/40 ua). Auch die in § 14 Abs 1 Z 1 und 2 ASVG geregelte Zuordnung gewisser Beschäftigungsverhältnisse zur Pensionsversicherung der Angestellten ist in diesem Zusammenhang nicht bindend (SSV-NF 3/2 = SZ 62/3 = JBl 1989, 462 ua). Im vorliegenden Fall ist nicht davon auszugehen, daß die Klägerin als Stationsgehilfin in einem Pflegeheim Tätigkeiten im Sinne des § 1 AngG verrichtet hat. Fraglich könnte dies, da kaufmännische Dienste und Kanzleiarbeiten von vornherein ausscheiden, lediglich hinsichtlich höherer nichtkaufmännischer Dienste sein. Als Angestelltentätigkeit gilt nämlich gemäß § 1 Abs 1 AngG unter anderem die Tätigkeit von Personen, die im Geschäftsbetrieb eines Kaufmannes vorwiegend zur Leistung höherer nichtkaufmännischer Dienste angestellt sind; nach § 2 Abs 1 Z 8 AngG unter anderem auch in Privatheil- und Pflegeanstalten. Der Begriff der höheren nichtkaufmännischen Dienste wird im Gesetz nicht näher definiert. Von Lehre und Rechtsprechung werden hiefür im allgemeinen eine größere Selbständigkeit und Denkfähigkeit, höhere Intelligenz, Genauigkeit und Verläßlichkeit sowie die Fähigkeit der Beurteilung der Arbeiten anderer, Aufsichtsbefugnis sowie überwiegende nicht manuelle Arbeiten und gewisse Einsicht in den Produktionsprozeß (Arbeitsablauf) gefordert, wobei betont wird, daß auch diese Kriterien Indizien sind und keineswegs zur Gänze im Einzelfall vorliegen müssen. Die moderne Rechtsprechung war bestrebt, eine möglichst präzise Umschreibung zu treffen. Danach kommt als höhere Dienstleistung jede Arbeit in Betracht, die - ohne daß gerade ein bestimmter Studiengang vorausgesetzt wird - doch in der Richtung der Betätigung entsprechende Vorkenntnisse und Schulung, Vertrautheit mit den Arbeitsaufgaben und eine gewisse fachliche Durchdringung derselben verlangt, also nicht rein mechanisch ausgeübt wird und nicht von einer zufälligen Ersatzkraft geleistet werden kann. Werden Tätigkeiten verrichtet, die sich sowohl als höhere Dienste als auch als nicht höhere Dienste beurteilen lassen, dann entscheidet im allgemeinen das zeitliche Überwiegen. Haben jedoch die höher qualifizierten Tätigkeiten für den Arbeitgeber die ausschlaggebende Bedeutung, dann kommt es nicht auf das zeitliche Überwiegen an (Martinek-Schwarz AngG7 74; SSV-NF 6/20).

Stationsgehilfen unterstützen in Krankenhäusern, Ambulatorien und Pflegeanstalten das diplomierte Krankenpflegepersonal, indem sie auf dessen Anordnung und unter dessen Aufsicht Hilfsdienste und einfache pflegerische Aufgaben durchführen. Stationsgehilfen sind für die erforderlichen Routinekontrollen (zB Messen der Körpertemperatur oder des Körpergewichts) zuständig, helfen den Patienten bei der täglichen Körperpflege und sorgen für die Essensausgabe, wobei sie die Patienten bei Bedarf auch füttern. Weiters helfen sie bei der Vermeidung von Liegekomplikationen (Wundliegen), indem sie Patienten häufig umbetten und das Bettzeug wechseln. Gebrechliche Patienten begleiten sie zu anderen Krankenhausabteilungen, wo zB Röntgenuntersuchungen oder sonstige diagnostische bzw therapeutische Maßnahmen durchgeführt werden. Den Stationsgehilfen obliegt auch die Reinigung der technischen Geräte und der medizinischen Instrumente. Darüber hinaus tragen sie gemeinsam mit dem Hauspersonal (den Raumpflegern) die Verantwortung für die Reinhaltung der Krankenabteilungen (Berufslexikon Band 2 "Ausgewählte Berufe" [1989] 514 Stichwort "Stationsgehilfe/Stationsgehilfin [Krankenpflege]"). Hingegen umfaßt die Tätigkeit von Krankenpflegern oder Krankenschwestern (mit Diplom) alle ärztlich angeordneten Pflege- und Therapiemaßnahmen bei kranken und auch bei gesunden Menschen. Sie arbeiten in Spitälern, Heimen und Ambulanzen, wo sie in Tag- und Nachtdiensten die Patienten betreuen, beobachten, pflegen, den Krankheitsverlauf dokumentieren und die Ärzte bei ihrer Arbeit unterstützen. Sie führen unter anderem einfache, ärztlich angewiesene Tätigkeiten und die Eintragung der entsprechenden Daten in ein Dokumentationsblatt durch. Darüber hinaus sind sie auch für die Organisation des gesamten Tagesablaufes auf der Station zuständig. Sie weisen dem medizinischen Hilfspersonal (Stationsgehilfen) und den Hausangestellten ihre Aufgaben zu, überwachen die Ausgabe und Verabreichung von Medikamenten und Speisen und sind für die Bereitstellung von Behandlungsbehelfen, medizinischen Instrumenten, Medikamenten und Bettwäsche verantwortlich (Berufslexikon aaO 307 Stichwort "Krankenpfleger/Krankenschwester [Dipl.]"). Die arbeitsrechtliche Judikatur geht demgemäß im allgemeinen davon aus, daß geprüfte (diplomierte) Krankenpfleger und Krankenschwestern, nicht aber Krankenpfleger und Pflegerinnen höhere nicht kaufmännische Dienste leisten (Martinek-Schwarz AngG7 76, 80).

Auch der erkennende Senat hat ausgesprochen, daß eine diplomierte Krankenschwester nicht auf die Tätigkeit einer Ordinationshilfe verwiesen werden kann, weil es sich dabei um einfache Hilfsdienste bei Verrichtungen im Rahmen der ärztlichen Ordination handelt, die Fähigkeiten und Kenntnisse erfordern, die erheblich unter dem Niveau des Krankenpflegefachdienstes liegen (SSV-NF 3/102; vgl auch SSV-NF 5/94, 6/105, 6/149). In der schon von den Vorinstanzen zitierten Entscheidung SSV-NF 5/71 hat der erkennende Senat ausführlich begründet, daß es sich bei den Stationsgehilfinnen weder um einen erlernten noch um einen angelernten Beruf im Sinne des § 255 Abs 1 ASVG, sondern um einfache, im wesentlichen manuelle Tätigkeiten handelt, so daß die Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen ist. Dabei wurde der Umfang der Ausbildung für den Krankenpflegefachdienst und für die Sanitätshilfsdienste, zu denen auch die Stationsgehilfin gehörte, eingehend verglichen. Das KrankenpflegeG unterscheidet auch in seiner novellierten Fassung (BGBl 1992/872, in Kraft seit 1.1.1993) zwischen dem Krankenpflegefachdienst (II.Teil) und den Sanitätshilfsdiensten (IV.Teil); in das Gebiet der Sanitätshilfsdienste fallen nach § 44 lit b einfache Hilfsdienste in Krankenabteilungen der Krankenanstalten, in Ambulatorien sowie in Pflegeanstalten durch "Stationsgehilfen" oder Stationsgehilfinnen" (§ 51 lit b KrankenpflegeG).

Aus dem bisher Gesagten ergibt sich, daß die Klägerin ungeachtet ihrer arbeitsrechtlichen Stellung und ihrer Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung der Angestellten bei Prüfung des Versicherungsfalles der geminderten Arbeitsfähigkeit nach der analog anzuwendenden Bestimmung des § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen ist. Daß mit dem Beruf der Stationsgehilfin unter Umständen eine hohe Verantwortung verbunden ist, stellt dabei kein entscheidendes Kriterium dar (vgl SSV-NF 7/49). Die Revisionswerberin kann sich auch nicht darauf berufen, daß sie während ihrer Tätigkeit tatsächlich, wenn auch ohne die rechtlichen Voraussetzungen als qualifizierte Krankenpflegerin herangezogen worden sei. Eine solche Behauptung hat die von Anfang an qualifiziert vertreten gewesene Klägerin in erster Instanz nicht aufgestellt, vielmehr blieb in erster Instanz unbestritten, daß sie den - gesetzlich definierten - Beruf einer Stationsgehilfin ausgeübt hat. Einer amtswegigen Prüfung, ob die von ihr tatsächlich verrichteten Tätigkeiten zum Teil über die einer Stationsgehilfin hinausgingen, bedurfte es nicht. Es fehlte nach der Aktenlage jeglicher Anhaltspunkt dafür, daß die Klägerin als Stationsgehilfin eine qualifizierte Tätigkeit im Sinne des Krankenpflegefachdienstes ausgeübt hätte (vgl SSV-NF 4/119).

In diesem Zusammenhang ist auf die Judikatur des Obersten Gerichtshofs zu verweisen, wonach die (ausdrückliche oder stillschweigende) Änderung eines Dienstvertrages nichtig sei, wenn der Dienstnehmer nach dieser Änderung eine Tätigkeit auszuüben hätte, zu der er nach dem KrankenpflegeG nicht befugt sei: Besitze ein Vertragsbediensteter nicht das im KrankenpflegeG vorgeschriebene Befähigungszeugnis für die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit, so entstehe durch die Heranziehung des Dienstnehmers zu einer solchen Tätigkeit ein gesetzwidriger Zustand, der jederzeit zu beseitigen sei. Da das Verbot, einen solchen Zustand zu begründen oder aufrecht zu erhalten, sich auch an denjenigen richte, der die Tätigkeit ausübe, könne ein Schutzbedürfnis des Dienstnehmers, das einer jederzeitigen Beendigung des geschaffenen Zustandes entgegenstünde, nicht anerkannt werden (ZAS 1976, 98/11 [Stifter]). Ob diese Grundsätze auch bei Beurteilung des Versicherungsfalls der geminderten Arbeitsfähigkeit gelten müßten, kann hier dahingestellt bleiben, weil die in Rede stehende Behauptung von der Klägerin erst im Rechtsmittelverfahren und somit unter Verstoß gegen das Neuerungsverbot aufgestellt wurde. Die Verweisbarkeit der Klägerin auf die vom Erstgericht beispielsweise angeführten Tätigkeiten ist daher nicht zweifelhaft. Die Heranziehung des durch die 51. ASVG-Novelle (SRÄG 1993) seit 1.7.1993 aufgehobenen § 273 Abs 3 ASVG ist aber jedenfalls verfehlt, weil die Klägerin das 55. Lebensjahr nicht vollendet hat.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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