OGH 7Ob21/94

OGH7Ob21/9411.5.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter, Dr. Schalich, Dr. Tittel und Dr. I. Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann F*****, ***** vertreten durch Dr. Othmar Slunsky, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei E*****, ***** vertreten durch Dr. Johann Angermann, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 104.500,-- sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 4. November 1993, GZ 2 R 9/93-57, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 5. Juni 1993, GZ 34 Cg 5/93d-52, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger überfuhr am 20.3.1989 gegen 21,50 Uhr, sohin bei Dunkelheit und eingeschalteter Straßenbeleuchtung, mit einer Geschwindigkeit zwischen knapp unter 50 bis 57 km/h das die Herklotzgasse gegenüber der kreuzenden G***** abschrankende Stopzeichen nach § 52 Z 24 StVO mit dem bei der beklagten Partei vollkaskoversicherten PKW Nissan Sunny und stieß auf der Kreuzung mit dem querenden LKW des Andreas D*****zusammen. Um die erforderliche Sicht in die G***** zu erlangen, hätte sich der Kläger mit seinem PKW "vorzutasten" gehabt. Die schlechten Sichtverhältnisse sowie das vor der G***** angebrachte Stopzeichen waren dem ortskundigen Kläger bekannt. Es ist nicht feststellbar, ob der Kläger alkoholisiert war. Der Kläger wurde mit rechtskräftiger Strafverfügung des Strafbezirksgerichtes Wien vom 13.11.1989 wegen dieses Unfalles zu einer Geldstrafe verurteilt.

Der Kläger begehrt von der beklagten Kaskoversicherung die Zahlung seines Schadens von S 104.500,-- s.A. und brachte vor, die von ihm begangene Vorrangverletzung begründe kein grobes Verschulden.

Die Beklagte beantragte die Klagsabweisung und wendete ein, der Kläger sei unter Alkoholeinwirkung stehend bei Dunkelheit über das Stopzeichen mit unverminderter und überhöhter Geschwindigkeit in die Kreuzung eingefahren. Sein Gesamtverhalten sei als grob fahrlässig anzusehen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es beurteilte das Fehlverhalten des Klägers als grob fahrlässig.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit dem angefochtenen Urteil und sprach aus, daß die Revision unzulässig sei. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Zur Frage, ob die Mißachtung eines Stopzeichens als grobe Fahrlässigkeit im Sinn des § 61 VersVG anzusehen ist, hat das Revisionsgericht, soweit ersichtlich, bisher nicht Stellung genommen. Soweit überblickbar, liegt auch in der Bundesrepublik Deutschland dazu keine Judikatur des Bundesgerichtshofes, sondern nur von zweiten Instanzen vor (vgl. zuletzt VersR 1991, 804). Die vom Revisionswerber zitierten Entscheidungen können nicht mit dem vorliegenden Fall verglichen werden, da sie Verstöße gegen Verkehrszeichen behandeln, denen nicht der Stellenwert eines Stopzeichens zukommt.

Nach dem Gesetzeswortlaut des § 52 Z 24 StVO sind Stoptafeln vor Kreuzungen anzubringen, die besonders gefährlich sind und an denen die Lenker von Fahrzeugen in der Regel die Verkehrssituation nur dann richtig beurteilen können, wenn sie anhalten. Es handelt sich sohin durchwegs um Kreuzungen mit einem erhöhten Gefährdungspotential. Die Mißachtung eines Stopschildes ist angesichts dieser besonderen Gefahrenlage in aller Regel objektiv als grob verkehrswidrig und damit als grob fahrlässig zu qualifizieren, weil die Beachtung eines Stopschildes zu den wichtigsten Grundregeln des Straßenverkehrs gehört. Da die erhebliche Gefahrenlage, die durch die Mißachtung eines Stopschildes verursacht wird, mit der Gefahrenlage bei einem Rotlichtverstoß vergleichbar ist, sind Stopschilder wie die Verkehrssignalanlagen zu jenen Verkehrseinrichtungen zu zählen, die jeder Kraftfahrer unter allen Umständen mit besonderer Sorgfalt zu beachten hat. Die Stopzeichen sind mit stark reflektierenden Reflektionsflächen versehen, deren Reflexion auch schon durch Streulicht ausgelöst wird. So ist es nicht erforderlich, daß die Stopschilder vom Lichtkegel des Abblendlichtes eines Autos erfaßt werden. Sie sind damit, ähnlich wie das Rotlicht von Lichtsignalanlagen gut wahrnehmbar.

Grobe Fahrlässigkeit im Sinn des § 61 VersVG setzt ein Verhalten des Versicherungsnehmers voraus, von dem er wußte oder wissen mußte, daß es geeignet ist, den Eintritt des Versicherungsfalles oder die Vergrößerung des Schadens zu fördern. Die Sorgfaltsverletzung muß sich erheblich und ungewöhnlich vom Regelfall abheben, sodaß der Schaden als wahrscheinlich vorhersehbar und der Sorgfaltsverstoß bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles auch subjektiv schwer vorzuwerfen ist (zuletzt VR 1993, 139 mwN uva). Der Kläger - der ortskundig war und Kenntnis von dem vor der G***** angebrachten Stopzeichen und den dort herrschenden schlechten Sichtverhältnissen hatte, wie bereits bei Wiedergabe der Feststellungen hervorgehoben wurde - hatte bis auf ganz kurze Entfernung vor der Kreuzung keine Einsichtsmöglichkeit in die bevorrangte G*****. Dennoch fuhr er ungeachtet des vorhandenen Verkehrszeichens mit zumindest relativ überhöhter Geschwindigkeit - bei den schlechten Sichtverhältnissen und bei der Dunkelheit war die Einhaltung der im Ortsgebiet zulässigen 50 km/h nicht mehr angemessen - ungebremst in die Kreuzung ein. Dem Kläger mußte klar sein, daß mit querenden Fahrzeugen jederzeit zu rechnen ist und daß sein späterer Unfallsgegner, dem ebenfalls keine Sicht zur Verfügung stand, nicht mehr unfallsverhindernd reagieren wird können.

Gerade die Kenntnis des Klägers von dem von ihm zu beachtenden Stopschild unterscheidet den vorliegenden Rechtsfall entscheidend von der zu ZVR 1978/220 veröffentlichten Entscheidung. Dort war die Stoptafelregelung "umgedreht" worden, was dem dortigen Beschuldigten nicht bekannt war und er sich auf die ihm von früher in Erinnerung gebliebenen Verhältnisse verlassen hatte. Das Verhalten des Klägers war daher im Zweifel, da er keine anderen Entschuldigungsgründe namhaft machen konnte, als grob fahrlässig im Sinne des § 61 VersVG zu qualifizieren.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 40 und § 50 ZPO.

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