OGH 11Os59/94

OGH11Os59/9410.5.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 10.Mai 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hager, Dr.Schindler, Dr.Mayrhofer und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Jannach als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Sinisa J***** wegen des Verbrechens nach § 15 StGB, § 12 Abs 1 vierter Fall, Abs 2 und Abs 3 Z 3 SGG über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 13.Jänner 1994, AZ 9 Bs 377/93, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Raunig, jedoch in Abwesenheit des Beschuldigten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren zum AZ 27 Vr 2083/93 des Landesgerichtes Salzburg verletzt der Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 13.Jänner 1994, AZ 9 Bs 377/93, das Gesetz in der Bestimmung des § 6 Abs 1 und Abs 2 StPO.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit Beschluß vom 13.Jänner 1994, AZ 9 Bs 377/93, hat das Oberlandesgericht Linz der Beschwerde des Sinisa J***** gegen den Beschluß der Ratskammer des Landesgerichtes Salzburg vom 22.Dezember 1993, GZ 27 Vr 2083/93-22, auf Fortsetzung der Untersuchungshaft nicht Folge gegeben, sondern auf Fortsetzung der Untersuchungshaft erkannt und gemäß Art IV Abs 2 StPÄG 1993, BGBl Nr 526, ausgesprochen, daß dieser Haftbeschluß längstens bis 12.März 1994 wirksam sei.

Bei Berechnung der durch diese Entscheidung ausgelösten Haftfrist von zwei Monaten ging es zunächst davon aus, daß der Lauf dieser Frist nach dem Wortlaut des § 181 Abs 2 (Z 3) StPO bereits mit dem Tag der Beschlußfassung (also mit 13.Jänner 1994) beginne. Diese Auffassung stützte das Oberlandesgericht auch auf die Übergangsbestimmung des Art IV Abs 3 Z 1 StPÄG 1993, derzufolge das Inkrafttreten dieses Gesetzes eine Haftfrist von zwei Monaten auslöst, die am 28.Februar 1994 endet. Damit habe der Gesetzgeber klargestellt, daß der erste Tag der Haftfrist bei der Ablaufberechnung mit dem Tag der Fristauslösung gleichgesetzt werde und daher bei der Berechnung der Zweimonatefrist nach § 181 Abs 2 StPO mitzuzählen sei.

Weiters vertrat das Oberlandesgericht Linz die Auffassung, daß bei dieser Fristberechnung die Vorschrift des § 6 Abs 2 StPO nicht anwendbar sei. Ausschließlicher Zweck dieser Ausnahmebestimmung sei es nämlich, den Verfahrensbeteiligten unter bestimmten Voraussetzungen eine Verlängerung der Frist für die Abgabe von Erklärungen gegenüber dem Gericht einzuräumen. Eine andere Interpretation würde die eine Verlängerung strafprozessualer Fristen ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung ausschließende Grundregel des § 6 Abs 1 StPO "völlig inhaltsleer" machen, "zumal dann kraft § 6 Abs 2 StPO jede strafprozessuale Frist automatisch verlängert wäre". Dies ergebe sich auch aus den Absätzen 3 bis 5 des § 6 StPO, die ebenfalls nur die Verlängerung von den Verfahrensbeteiligten gewährten Fristen im Sinn des § 6 Abs 2 StPO zum Gegenstand hätten. Zudem wären Haftfristen schon auf Grund der - gleichfalls eine rasche (neuerliche) Prüfung der Haftfrage gebietenden - verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Art 6 PersFrG (= BundesverfassungsG vom 29.November 1988 zum Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl 1988/684) und Art 5 Abs 4 MRK eng auszulegen. Schließlich hätte es auch der Ausnahmeregelung des § 181 Abs 4 StPO nicht bedurft, wenn die darnach wegen eines unvorhersehbaren oder unabwendbaren Ereignisses erstreckbare Frist zufolge der Bestimmung des § 6 Abs 2 StPO (abermals) verlängert werden könnte.

Auf Grund dieser Erwägungen gelangte das Oberlandesgericht Linz zur Auffassung, daß eine Haftfrist - den Fall des § 181 Abs 4 StPO ausgenommen - nicht verlängerbar sei. Ausgehend davon, daß der Fristenlauf bereits mit dem Tag der Beschlußfassung am 13.Februar 1994 begonnen habe, bestimmte es den 12.März 1994 (einen Samstag) als Ablauftag der mit diesem Beschluß ausgelösten zweimonatigen Haftfrist.

Zutreffend zeigt die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde auf, daß dieser Ausspruch über das Ende der Haftfrist mit dem Gesetz nicht im Einklang steht.

Zunächst kann aus dem Wortlaut des § 181 Abs 2 (Z 3) StPO nicht abgeleitet werden, daß die für die Ermittlung des Beginns prozessualer Fristen maßgebliche Bestimmung des § 6 Abs 1 zweiter Satz StPO auf Haftfristen und demnach auch auf jene des Art IV Abs 2 StPÄG 1993 nicht anwendbar wäre, beschränkt sich § 181 Abs 2 (Z 2 und 3) StPO doch auf die Anordnung, daß die Haftfrist bei Fortsetzung der Untersuchungshaft ab Beschlußfassung (und in dem hier nicht aktuellen Fall der Z 1 dieser Gesetzesstelle bei Verhängung der Untersuchungshaft ab Festnahme des Beschuldigten) zu berechnen ist. Damit ist aber keineswegs gesagt, daß der Tag der Beschlußfassung (bzw der Festnahme) mitzuzählen ist. Die Vorschrift des § 6 Abs 1 zweiter Satz StPO, derzufolge Fristen, wenn sie von einem bestimmten Tag an zu laufen haben, so zu berechnen sind, daß dieser Tag nicht mitgezählt wird, gilt vielmehr auch für Haftfristen, bei welchen es sich um "in diesem Gesetz (gemeint: in der StPO) bestimmte Fristen" handelt (dazu schon ausführlich 14 Os 57/94 = NRsp 1994/106). Für den Standpunkt des Oberlandesgerichtes Linz ist aber auch aus der Vorschrift des Art IV Abs 3 Z 1 StPÄG 1993 nichts zu gewinnen. Abgesehen davon, daß es sich dabei um eine spezielle Übergangsbestimmung handelt, wodurch die allgemeine Regelung des § 6 Abs 2 StPO für den Bereich des neuen Haftrechtes keineswegs (generell) beseitigt wird, besagt Art IV Abs 3 Z 1 StPÄG 1993 bloß, daß das Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes am 1.Jänner 1994 eine Haftfrist von 2 Monaten auslöst, nicht aber, daß diese Haftfrist erst am 1.Jänner 1994 zu laufen beginnt. Nach der alten Rechtslage befand sich der von dieser Übergangsregelung betroffene (bis dahin nach dem alten Haftrecht in Haft angehaltene) Beschuldigte bis 31.Dezember 1993, 24,00 Uhr, rechtmäßig in Untersuchungshaft. Der Berechnung des Endes der Zweimonatefrist des Art IV Abs 3 Z 1 StPÄG 1993 (mit 28. Februar 1994) lag somit offensichtlich der letzte Tag der (rechtmäßigen) Untersuchungshaft nach altem Recht, also der 31. Dezember 1993, 24,00 Uhr, zugrunde, sodaß auch unter diesem Aspekt das Ende der Zweimonatefrist am 28.Februar 1994 keinen Widerspruch zur Vorschrift des § 6 Abs 1 2.Satz StPO über die Fristberechnung darstellt.

Es trifft schließlich nicht zu, daß § 6 Abs 2 StPO lediglich auf Fristen anwendbar ist, die den Verfahrensbeteiligten zur Abgabe ihrer prozessualen Erklärungen gegenüber dem Gericht offenstehen. § 6 Abs 2 StPO kann nur im Zusammenhang mit dem Abs 1 dieser Gesetzesstelle verstanden werden und bezieht sich demnach auf alle in diesem Gesetz (also in der StPO) bestimmten Fristen, somit auch auf die Haftfristen. Die vom Oberlandesgericht Linz ins Treffen geführten verfassungsrechtlichen Bestimmungen verpflichten zwar zu einer raschen Erledigung von Haftsachen, sie enthalten aber weder Haftfristen noch Anordnungen über deren Berechnung. Im Hinblick auf die - auch bei Anwendung des § 6 Abs 2 StPO - kurz bemessenen Haftfristen des § 181 Abs 2 StPO besteht für eine weitere Verkürzung derselben im Wege einer "engen" (restriktiven) Auslegung auch im Licht der angeführten Verfassungsbestimmungen kein Anlaß.

Es zeigt sich somit, daß bei der Berechnung der hier aktuellen Haftfrist des Art IV Abs 2 StPÄG 1993 die Vorschriften des § 6 Abs 1 und 2 StPO uneingeschränkt anzuwenden waren. Das Ende dieser Frist wäre daher mit Montag, dem 14.März 1994, festzusetzen gewesen.

Die Bestimmung eines früheren Ablauftages (12.März 1994) hat sich allerdings nicht zum Nachteil des Beschuldigten ausgewirkt, weswegen es mit Feststellung dieser Gesetzesverletzung sein Bewenden haben konnte.

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