OGH 1Ob35/93

OGH1Ob35/9319.4.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker und Dr. Rohrer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Friedrich Wilhelm K*****, ***** vertreten durch Dr. Helmut Mühlgassner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen Feststellung (Streitwert 61.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 7. September 1993, GZ 5 R 18/93-54, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 23. Oktober 1993, GZ 40 Cg 54/92-47, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.624 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Über den Klagsanspruch eines Kreditinstitutes gegen den nunmehrigen Amtshaftungskläger (im folgenden nur Kläger) auf Zahlung von 231.113 S sA wurde am 31. Oktober 1979 im Verfahren 13 Cg 70/88 ex 13 Cg 330/79 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien (im folgenden Anlaßverfahren) ein klagsstattgebendes, durch Hinterlegung zugestelltes Versäumungsurteil gefällt. Über Antrag des Klägers bewilligte das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien die (neuerliche) Zustellung einer Urteilsausfertigung an ihn; nach Zustellung am 31. Mai 1985 erhob der Kläger am 11. Juni 1985 gegen das Versäumungsurteil Berufung wegen Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 5 ZPO (zufolge einer behaupteten höhergradigen geistigen Störung zum Zeitpunkt der Klagszustellung und der Urteilsfällung) und unrichtiger rechtlicher Beurteilung (mangelnde Schlüssigkeit der Klage). Nach Erhebungen des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien über die Rechtzeitigkeit der Berufung langten die Akten mit Vorlagebericht vom 12. März 1986 am 18. März 1986 beim Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht ein. Am 18. Februar 1987 richtete der Kläger erstmals eine Anfrage nach dem Stand des Berufungsverfahrens an das Oberlandesgericht Wien. Dieses stellte am 30. März 1987 die Akten dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien mit dem Ersuchen zurück, die vom nunmehrigen Kläger behauptete Prozeßunfähigkeit zu überprüfen. Das Anlaßverfahren endete durch Klagsrückziehung unter Anspruchsverzicht des dort klagenden Kreditinstitutes mit Schriftsatz vom 13. September 1990 sowie Beschlüssen des Oberlandesgerichtes Wien vom 18. Oktober 1990 und vom 12. April 1991, womit festgestellt wurde, daß das Versäumungsurteil infolge Rückziehung der Klage wirkungslos sei, und womit die Kosten des nunmerigen Klägers mit 277.419,70 S bestimmt wurden.

Der anwaltlich vertretene Kläger hatte bereits am 18. März 1988 bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte eine unter der Nr. 13.715/1988 registrierte und auf Art 6 Abs 1, 13 MRK gestützte Beschwerde über die Dauer des Berufungsverfahrens im Anlaßverfahren erhoben, die am 10. September 1991 als nicht offenbar unbegründet ohne Präjudiz für die Sachentscheidung zugelassen wurde. Die beklagte Partei zeigte sich mit der von der Europäischen Kommission für Menschenrechte beiden Parteien vorgeschlagenen vergleichsweisen Erledigung der Beschwerde grundsätzlich einverstanden.

Der Kläger begehrt mit seiner am 26. November 1987, somit vor Beendigung des Anlaßverfahrens eingebrachten Klage gegenüber der beklagten Republik Österreich aus dem Titel der Amtshaftung die Feststellung, daß die beklagte Partei ihm gegenüber für allen und jeden Schaden zu haften habe, den er aus der Nichterledigung seiner Berufung gegen das Versäumungsurteil vom 31. Oktober 1979 im Anlaßverfahren in der Zeit vom 12. März 1986 bis 30. März 1987 durch das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht erleide. Einen vermögensrechtlichen Schaden habe er durch die Untätigkeit des Oberlandesgerichtes Wien erlitten, weil dadurch das Endergebnis des Anlaßprozesses mindestens um ein Jahr später vorliegen werde, als dies bei zeitgerechter und pflichtgemäßer Erledigung der Berufung der Fall wäre. Die ziffernmäßige Höhe dieses Schadens sei derzeit nicht absehbar, weshalb der Kläger vorerst - auch zur Anwehr möglicher Verjährungseinwände - die Anerkennung seiner Amtshaftungsansprüche dem Grunde nach begehre. Mit vorbereitendem Schriftsatz vom 17. August 1992, ON 45, vorgetragen in der Tagsatzung vom 15. September 1992, ON 46, behauptet der Kläger einen zusätzlichen vermögensrechtlichen, ziffernmäßig noch nicht bestimmbaren Schaden in Form der noch nicht fälligen Kosten der Vertretung durch zwei Rechtsanwälte in dem von ihm angestrengten Beschwerdeverfahren Nr. 13.715/1988 der Europäischen Kommission für Menschenrechte.

Auch im Parallel-Amtshaftungsverfahren AZ 40 Cg 17/92 ex 13 Cg 275/91 ex 13 Cg 17/89 ex 13 Cg 231/88 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz ex 52a Cg 1049/88 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien, worin der Kläger sein Feststellungsbegehren gleichfalls aus der behaupteten verzögerten Erledigung seiner Berufung im Anlaßverfahren, alledings wegen anderen Zeiträume als hier (zuletzt 11. Juni 1985 bis 12. März 1986, 30. März 1987 bis 11. Jänner 1988), ableitete, hat er mit Schriftsatz vom 3. März 1992, vorgetragen in der Tagsatzung vom 15. September 1992, seine anwaltlichen Vertretungskosten im Verfahren Nr. 13.715/1988 vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte als behaupteten Schaden geltend gemacht.

Die beklagte Partei wendet unter anderem ein, die grundsätzliche Möglichkeit einer Schadensentstehung sei unabdingbare Voraussetzung für das Feststellungsbegehren.

Das nach § 9 Abs 5 AHG aF als zuständig bestimmte Erstgericht wies das Klagebegehren wegen fehlenden Feststellungsinteresses iS des § 228 ZPO ab. Zur Darlegung seines rechtlichen Interesses hätte der Kläger zumindest die Wahrscheinlichkeit des späteren Eintritts eines konkreten Schadens nachweisen müssen. Da die Kosten des Verfahrens vor den Konventionsbehörden im Beschwerdeverfahren selbst grundsätzlich zu ersetzen seien und nach den Feststellungen mit einer vergleichsweisen Erledigung des Beschwerdeverfahrens zu rechnen sei - wobei ein etwaiger Vergleich einen Kostenersatzanspruch des Klägers endgültig bereinigen würde -, könne nicht von der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintrittses durch nicht ersetzte Vertretungskosten im Beschwerdeverfahren ausgegangen werden. Dem Kläger falle überdies ein Verstoß gegen § 2 Abs 2 AHG zur Last, weil er die Erledigung seiner Berufung erst vor Ende des inkriminierten Zeitraums betrieben habe, sodaß er die Verfahrensverzögerung selbst zu verantworten habe. Auch eine Urgenz sei ein 'Rechtsmittel' in diesem Sinne.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteige und die Revision zulässig sei. Die zweite Instanz verneinte einen Verfahrensmangel erster Instanz, billigte die erstgerichtlichen Feststellungen und ging in rechtlicher Hinsicht im wesentlichen von folgenden Überlegungen aus: Dem Kläger fehle das Feststellungsinteresse, weil die Behauptung eines durch die verzögerte Erledigung der Berufung im Anlaßverfahren eingetretenen, nicht näher konkretisierten Vermögensschadens nicht ausreichend sei. Eine Verletzung der Anleitungspflicht sei zu verneinen, weil sie - noch dazu gegenüber einer anwaltlich vertretenen Partei - nicht so weit reiche, bestimmte Ansprüche zu behaupten. Folgend der Entscheidung JBl 1980, 42 sei auch eine Urgenz als Rechtsmittel iS des § 2 Abs 2 AHG anzusehen. Die Möglichkeit, daß die dem Kläger entstandenen Verfahrenskosten vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte nicht oder nicht zur Gänze ersetzt würden, könnte generell das Feststellungsbegehren rechfertigen, weil die Honorarverpflichtung gegenüber seinem Rechtsvertreter schon mit der Auftragserteilung entstanden sei. Da aber die Beschwerde vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte nahezu erst ein Jahr nach Ende des Zeitraumes, der hier als rechtswidrige Verzögerung geltend gemacht werde, und nachdem eine zunächst gegebene Untätigkeit schon längere Zeit durch die Rückstellung der Berufungsakten an das Erstgericht unterbrochen worden sei, könnten (allfällige vom Kläger zu tragende) Vertretungskosten im Verfahren vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte hier im speziellen das Feststellungsbegehren nicht tragen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Zutreffend gingen die Vorinstanzen davon aus, daß in der Klage ein Vermögensschaden des Klägers nicht ausreichend schlüssig behauptet wurde und deshalb dem Kläger das Feststellungsinteresse iS des § 228 ZPO fehle. Zwar rechtfertigt auch bei der Feststellungsklage die Unbestimmtheit und Undeutlichkeit des Begehrens noch nicht die sofortige Klagsabweisung. Das Gericht hat vielmehr die Parteien zu einer Ergänzung ihres Vorbringens (und im Bestreitungsfall zur Stellung geeigneter Beweisanträge) anzuhalten. Erst wenn nach Erfüllung dieser Prozeßleitungspflicht das Vorbringen (ausreichend deutlicher) rechtserzeugender Tatsachen nicht ausreicht, um den geltend gemachten Anspruch zu begründen, ist das Begehren wegen Unschlüssigkeit abzuweisen. Ob der Erstrichter im Rahmen der materiellen Prozeßleitungspflicht gemäß §§ 180 Abs 3, 182 ZPO den Kläger zur Präzisierung seines in der Klage behaupteten Vermögensschadens weiter anzuleiten gehabt hätte, ist hier nicht zu prüfen. Der anwaltlich vertretene Kläger releviert auch in der Revision nur abstrakt die Verletzung der Anleitungspflicht, ohne auch nur ansatzweise darzutun, zu welchen Ergebnissen die Anleitung des Prozeßgerichtes hätte führen können und müssen.

Eine Feststellungsklage iS des § 228 ZPO ist grundsätzlich nur dann zulässig, wenn ein konkreter aktueller Anlaß besteht, der zur Hintanhaltung einer tatsächlichen und ernstlichen Gefährdung der Rechtslage des Klägers eine alsbaldige gerichtliche Entscheidung notwendig macht. Solange sich der rechtserzeugende Sachverhalt nicht vollständig konkretisiert hat, ist eine Feststellungsklage nicht gerechtfertigt. Der EGMR entscheidet über den Ersatz der Kosten und Auslagen nach billigem Ermessen und hält bei der Prüfung der Angemessenheit verzeichneter anwaltlicher Kosten innerstaatliche Grundsätze zwar nicht für maßgebend, berücksichtigt sie aber als Ansatzpunkt mit (SZ 63/223 = JBl 1992, 49 mwN). Im vorliegenden Fall könnte dem Kläger als Vermögensschaden nur die Differenz zwischen den Kosten seiner anwaltlichen Vertretung vor den Konventionsbehörden und dem noch nicht feststehenden Zuspruch von Kosten und Auslagen vor dem EGMR entstehen. Eine tatsächliche und ernstliche Gefährdung der Rechtslage des Klägers liegt demnach derzeit nicht vor.

Demgemäß muß nicht mehr geprüft werden, ob dem Kläger mit einer Urgenz gegen die Verzögerungen im Berufungsverfahren des Anlaßverfahrens ein abstrakt geeignetes Rechtsmittel iS des § 2 Abs 2 AHG zur Verfügung gestanden wäre. Der Revision ist nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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